Die Hysteriespirale – Von der Suche nach einem harmlosen Satz

Doch trotz aller Zweifel will Wolfgang Herles der vielleicht illusionären Vorstellung anhängen, dass der demokratische Diskurs alle einbeziehen müsse, wenn sich in den Köpfen etwas bewegen solle.

Manchmal wäre es besser, man hielte einfach den Mund. Aber nach dem Massenmord in Hanau wird kein Mund gehalten. Es wird geschrien: Vor Schmerz, vor Zorn, vor Hass, vor Dummheit. Nirgends ein Gedanke, der über die vorhandenen stereotypen Erklärungen hinaus reichte.

I.

Wer das Falsche sagt, ist rechts. Wer rechts ist, sagt das Falsche. Wer aber nichts sagt, liegt erst recht falsch. Heißt es doch, wir dürften jetzt nicht schweigen. Von der Hysteriespirale wird alles mitgerissen.

II.

Jeder Satz, der nun fällt, kann falsch verstanden werden. Entscheidend ist nur, wer was hinein lesen will. Beispiel: Der Täter ist geistesgestört. Schon die Feststellung dieser allgemein akzeptierten Tatsache kann zu Lasten des Sprechenden interpretiert werden. Er hat sich dem Vorwurf zu stellen, mit seinem Satz die Ungeheuerlichkeit eines Massenmords zu relativieren, einen aufgehetzten Rassisten als Einzelgänger zu verharmlosen.

III.

So muss dieser wie jeder andere Satz erst gerechtfertigt werden. Es gilt, ihm eine Gebrauchsanweisung anzufügen, eine Unbedenklichkeitserklärung bereit zu halten. Das tue ich hiermit und stelle fest: Auch der Irre bezieht seine Motive nicht einfach bloß aus seinem eigenen kranken Gehirn. Er benötigt Treibstoff für seinen individuellen Wahn und findet ihn oft genug in kollektiven, religiösen und ideologischen Wahnideen. Der Verrückte von Hanau bediente sich rassistischer Narrative.

IV.

Damit bin ich jedoch noch lange nicht aus dem Schneider. So füge ich – nicht aus taktischen Gründen, sondern aus voller Überzeugung, wie ich ausdrücklich betonen will, – hinzu: Es ist eine infame Vereinfachung, wenn etwa der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen schreibt: „Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines gefährlichen Irren.“ Denn es gibt nicht den geringsten Grund, die ideologische Ausrichtung der Tat zu leugnen oder auch nur zu relativieren. Solange die AfD in den eigenen Reihen rechtsextremes Gedankengut zulässt, können auch die „Anständigen“ in ihren Reihen also auch nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Als Ausdruck einer unguten Entwicklung unserer Gesellschaft sollte man die AfD niemals verharmlosen.

V.

Vorsicht! Schon wieder und noch immer bringe ich mich in Teufels Küche. Man könnte mir jetzt unterstellen, ich würde die Auffassung vertreten, der irre Terrorist habe in Wahrheit der AfD und überhaupt allen Rechten geschadet. Ich solle doch endlich kapieren, dass diese schlimmen Systemkritiker und Antidemokraten quasi der „parlamentarische Arm des Terrors“ seien und eigentlich verboten gehörten. Ein Satz wie: Auch ohne AfD gäbe es rechten Terror – wäre also hochgefährlich. Obwohl nichts an ihm falsch wäre. Ich bitte deshalb diesen Satz, probehalber notiert, wieder zu streichen. Ebenso wenig ist die Umkehrung des Satzes akzeptabel: Auch ohne Terror gäbe es die AfD. Ich bitte darum, diesen Satz ebenfalls zu streichen. Er entspricht nicht dem der Lage angemessenen Gedankengut.

VI.

Ganz vorsichtig gefragt: Könnte es sein, dass der krankhafte Hass der Rassisten und der Hass auf eine vermeintlich rassistische Gesellschaft eines gemeinsam haben: den Hass? Ich glaube, jetzt habe ich mich endgültig zu weit ins Vergiftete hinaus gewagt. Krank ist selbstverständlich nur der rechte Hass.

VII.

Muss ich dem noch etwas hinzufügen? Ja, es wäre besser für mich. Ich erkläre vollkommen ironiefrei aus gegebenen Anlass ausdrücklich: die Bundeskanzlerin trägt keinerlei Mitschuld an dieser bösen Tat. Diese ist auch nicht der böse Fluch ihrer Taten. Die politischen Fehler der drei Regierungen Merkel wie auch die von mir zigfach beklagten Beschädigungen der politischen Kultur rechtfertigen niemals Gewalt.

VIII.

Doch eigentlich ist es gleichgültig, was ich hier zu meiner Entlastung erkläre, weil ich es hier erkläre. Sie wissen schon, Tichys Einblick geht gar nicht. Es ist eine Echokammer der Rechten, gehört mindestens vom Verfassungsschutz beobachtet. Macht der das nicht schon?

IX.

Einiges von dem, was ich in Kommentaren auf meine Kolumne Woche für Woche lesen muss, ist Unsinn. An manche Leute komme ich nicht heran, sie suchen tatsächlich ausschließlich Bestätigung ihrer Ansichten. Doch trotz aller Zweifel hänge ich der vielleicht illusionären Vorstellung an, dass der demokratische Diskurs alle einbeziehen müsse, wenn sich in den Köpfen etwas bewegen solle. Ich halte Meinungsblasen für schädlich und piekse honorarfrei in die eine oder andere hinein, höre aber immer mal wieder, das sei sinnlos.

X.

Mit diesen Anmerkungen bin ich, je nach Perspektive des Lesers, entweder rechts, also praktisch ein rassistischer Hetzer, oder ein vom linken Mainstream eingeschüchterter Opportunist.

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Kommentare ( 132 )

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Peter Silie
4 Jahre her

Wir müssen die ganze Problematik „Rassismus“, „Überfremdung“ etc. viel stärker aus einem nüchternen, wissenschaftlichen Blickwinkel betrachten, um Hysterie und Emotionalisierung herunterzufahren. Rationalität ist Souveränität. Leser Jan hat dazu weiter unten einen guten Kommentar geschrieben.
Vielleicht könnte TE hierzu auch mal einen Soziologen/Konfliktforscher/Genetiker interviewen?

Sonny
4 Jahre her

„Mit diesen Anmerkungen bin ich, je nach Perspektive des Lesers, entweder rechts, also praktisch ein rassistischer Hetzer, oder ein vom linken Mainstream eingeschüchterter Opportunist“
… oder Sie sind ganz einfach völlig normal.

Und jetzt wissen Sie auch, warum so unglaublich viele Menschen heutzutage ganz einfach den Mund halten. Mit geballter Faust in der Tasche.

Wolf Koebele
4 Jahre her

„: Vor Schmerz, vor Zorn, vor Hass, vor Dummheit.“ Vor allem aber: vor Niedertracht!
Einem Psychopathen, Paranoiker, Schizophrenen Stimmenhörer kommen Sie mit: „die von mir zigfach beklagten Beschädigungen der politischen Kultur rechtfertigen niemals Gewalt“. Eine höchst merkwürdige Weltfremdheit offenbaren Sie damit (zumal der rassistische Teil des Tätermanifests erst kürzlich eingefügt worden sein soll – so der Generalbundesanwalt). Das ist das Niveau von Merkels: „Sexualdelikte sind bei uns nicht erlaubt und werden geahndet.“ (14.9.2017)

GermanMichel
4 Jahre her

Darwin war dann ja der größte Hassprediger der Geschichte, denn biologische und kulturelle Evolution basieren ja komplett auf diesem ominösen „Hass“.

Der Author sollte sich also weder als Rassist noch als Opportunist sehen, sondern als Evolutionsleugner… eigentlich viel schlimmer.

Denn Evolution ist das Spiel das wir alle spielen (ohne opt-out), und wer dessen Regeln komplett ignoriert und über-emotional überall Hass sieht (den man aber in einem zukünftigen Utopia beseitigen könnte), versteht natürlich auch überhaupt nicht was um ihn herum eigentlich abgeht.

Dr_Dolittle
4 Jahre her

Lieber Herr Herler, ich habe nicht den Anspruch einen harmlosen Satz zu sagen. Ich möchte lediglich in Ergänzung zu Ihrem sehr wichtigen Beitrag „Eine Lektion in Demokratie“ auf Übung 2 zurückkommen: „Formulieren Sie, was einen Putsch von Punsch unterscheidet.“ Meine Ergänzungsfrage wäre: Welche Rolle spielt dabei ein Reichstagsbrand und seine Schuldzuschreibung?

Gerro Medicus
4 Jahre her

Wahn verankert sich stets in der aktuellen gesellschaftlichen Situation. Denken Sie nur an die wahnhafte McCarthy-Zeit in den USA! Da waren es die Kommunisten! Oder an die Zeiten der Hexenverfolgung. Der Wahn machte sich stets an aktuellen Bezügen fest, insofern ist es nicht verwunderlich, dass er sich in diesem Fall an Migranten festmacht.
So wie der Wahn der Vertreter der Systemparteien sich an den angeblich massenhaft vorhandenen Rassisten und Faschisten festmacht!

**

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  Gerro Medicus

Wahn? Das sozialistische Übel an der Wurzel auszureißen hat den USA nur gut getan. Sonst würden wir heute schon längst die Internationale singen, unter den strengen Augen der Antifa.
Wahn? Wie lief denn der Sozialismus so in Russland, China, Kuba, Vietnam, Kambodscha, Nordkorea, Venezuela… und nicht zu vergessen, 2x in Deutschland, es heißt nicht umsonst NationalSOZIALISTEN.
Sorry, es ist absurd den Hexenwahn von einst mit dem Kampf gegen die sehr reale Bedrohung durch dn Sozialismus zu vergleichen.

Boris G
4 Jahre her

„Es ist eine infame Vereinfachung, wenn etwa der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen schreibt: „Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines gefährlichen Irren.“ Eine Vereinfachung ist es, aus psychiatrischer Sicht aber keine infame. Tobias R. erfüllt alle Kriterien des amerikanischen Psychiatrie-Diagnosesystems DSM-V oder des ICD-10 für paranoid-halluzinatorische Schizophrenie. Bis in die 80er Jahre hinein fühlten sich viele Schizophrene von amerikanischen Geheimdiensten verfolgt und einige wollten sich durch Flucht in die DDR in Sicherheit vor der CIA bringen. Dort landeten sie prompt in der Psychiatrie, wurden kurz begutachtet und in Kenntnis der Unheilbarkeit und hohen Kosten stante… Mehr

Dr. Mephisto von Rehmstack
4 Jahre her

„Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines gefährlichen Irren.“ Das ist der beste Satz in Ihrem Artikel!

Nun ja
4 Jahre her

Ohne den Herles der Woche würde hier etwas fehlen. Auch und gerade, weil ich nicht immer zu allem nicke. Heute haben Sie meine Stimme ohne Einschränkungen. Schönes Wochenende!

F.Peter
4 Jahre her

Warum gibt es denn diesen „harmlosen Satz“ nicht mehr??
**
Ich kann nur wieder einmal Konfuzius zitieren:
„Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste. Darum achte man darauf, daß die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem. “
Ein schönes Wochenende!

GermanMichel
4 Jahre her
Antworten an  F.Peter

Sehr gut, Konfuzius kannte also den Unterschied zwischen Strategie und Ziel.

Seid 40 Jahren lässt sich der dumme Rest von den Links-grünen in Debatten über ihre Strategie verwickeln, die vollkommen sinnlos sind, da das von den Linken gesagte nie das gemeinte ist.

Die wahren Ziele der Linken offenbaren sich stets im (sicheren) Scheitern ihrer verlogenen Utopien.

Wie sagte die Bibel: an ihren Taten, nicht ihren Worten sollt ihr sie erkennen.