Debattenkultur. Beobachtungen nebst einigen Anmerkungen zur Logik der politischen Sprache.

„Sie kennen mich doch. Ich gebe die Antworten immer dann, wenn es notwendig ist.“ Notwendig heißt: Wenn es mir passt. Auskunft als Gnadenakt. Dieser Beitrag zur Debattenkultur gehört in jedes Lehrbuch für lebendige Debattenkultur. Zur Abschreckung.

„Eine gute Debattenkultur ist das, was mir vorschwebt“, sagte kürzlich AM 4.0. Ein großes Wort. Bisher ist ihr Alleinstellungsmerkmal unter den acht Bundeskanzlern der Bundesrepublik die Auslöschung jeglicher Debattenkultur gewesen. Wird nun alles anders? Machen wird am Ende von  Woche 1 einen ersten, vorsichtigen Test.

I.

AM: „Sie kennen mich doch. Ich gebe die Antworten immer dann, wenn es notwendig ist.“ Notwendig heißt: Wenn es mir passt. Auskunft als Gnadenakt. Dieser Beitrag zur Debattenkultur gehört in jedes Lehrbuch für lebendige Debattenkultur. Zur Abschreckung.

II.

Der neue Heimatminister hat die Debatte mit dem Satz belebt: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Das Problem mit diesem Satz ist, dass die Verneinung von Unsinn („Der Islam gehört zu Deutschland“) noch nicht zwingend Sinn ergibt. Der Mond gehört eindeutig nicht zu Deutschland. Dennoch scheint er auch hier, was nicht zu verhindern ist. Die Mitteilung, dass etwas nicht zu Deutschland gehört, löst kein einziges Problem. Und nicht jeder Debattenbeitrag trägt zur Lösung irgendeines Problems bei.

III.

Der neue Gesundheitsminister hat nur eine Chance als Kanzlerkandidatenkandidat vorzukommen, nämlich dann, wenn er in fremden Revieren debattiert. Seine Aussage zur Armut in Deutschland ist ein schönes Beispiel für den Unterschied zwischen hinreichender und notwendiger Bedingung. Wer Hartz IV bezieht, ist nicht notwendigerweise arm. Aber Hartz IV ist auch keine hinreichende Bedingung, um nicht arm zu sein. Um Himmels Willen, Herles, was verlangen Sie! Auch noch Logik in der politischen Debatte! Seien Sie doch froh, dass es überhaupt eine Debatte gibt.

IV.

Der neue Finanzminister sagte, die Koalition sein „nicht von Anfang an als Liebesheirat losgegangen.“ Da hat er Recht, auch wenn er ein seltsames Verb wählt. Vielleicht ist der Doppelsinn sogar beabsichtigt: Losgehen bedeutet sowohl, sich gehend in Bewegung setzen, als auch gegen jemanden drohend oder handgreiflich vorzugehen. Auch ein Projektil kann versehentlich losgehen. Wir wollen es nicht so genau nehmen. Scholz ist kein Cicero, wollen wir ihm das auch noch zum Vorwurf machen! Sein erster Satz ist jedenfalls weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für eine geglückte Ehe. Dann fährt er fort: „Trotzdem sind wie in der Lage konstruktiv zusammenzuarbeiten und zu regieren.“ Satz eins ist logisch, Satz zwei ganz und gar nicht. Wenn Liebe keine Bedingung für Ehe ist, kann das Fehlen von Liebe auch kein Hinderungsgrund sein. Das verknüpfende „trotzdem“ ist also sinnlos, besteht doch überhaupt kein Gegensatz zwischen Zweckehe und konstruktiver Zusammenarbeit. Eine Liebesheirat ist weder hinreichend noch notwendig.

V.

Scholz hat überhaupt Probleme mit sinnvoller Sprache, was ihn möglicherweise zur Zusammenarbeit mit AM besonders befähigt. Da haben sich zwei gefunden. Scholz: „Wir unterschreiben heute einen Koalitionsvertrag, der unser Land und Bürger voranbringt.“ Ein Koalitionsvertrag macht mit Land und Bürgern erst einmal gar nichts. Dazu bedarf es zunächst einer Debatte und anschließender Beschlussfassung im dafür zuständigen Bundestag. Dieser spezielle Koalitionsvertrag würde, falls er denn in die Tat umgesetzt würde, Land und Bürger überwiegend nicht voranbringen, sondern zurückwerfen. Es ginge allenfalls etwas nach hinten los.

VI.

Der Heimatminister: „Wir bilden eine Große Koalition für die Kleinen Leute.“ Ein Klassiker fürs Poesiealbum. Soll nach „Kleiner Mann, ganz groß“ klingen. Das wiederum erinnert an den deutschen Spielfilm dieses Titels aus dem Jahr 1938 mit Victor de Kowa und Gusti Huber. Er handelt von einem kleinen Erfinder, dessen einzige „Erfindung“ eine Erbschaft ist. Dieser Plot wiederum erinnert stark an deutsche Politik unserer Tage. Weshalb der Heimatminister gewissermaßen doch Recht hat.

VII.

Noch ein Satz zur Logik der Mainstreampresse. Ja, AM hat 35 Stimmen weniger bekommen, als die GroKo Sitze im Parlament hat. Es ist aber nicht logisch, daraus zu schließen, dass nur 35 Abgeordnete der GroKo-Fraktionen AM nicht gewählt hätten. Wer sagt das denn? Wahrscheinlich waren es noch mehr. Denn vermutlich haben eine ganze Reihe von Abgeordnetinnen und Abgeordneten der Fraktion der Grünen AM gewählt. Wie stark die wechselseitige Liebe ist, war während der Auszählung zu sehen. AM hielt sich die längste Zeit bei ihren grünen Freundinnen und Freunden auf, und so herzlich haben wir sie selten erlebt.

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Kommentare ( 100 )

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Sonni
6 Jahre her

Es ist ja schon fast unheimlich Herr Herles, aber manchmal glaube ich, Sie können meine Gedanken lesen. Zum Glück formulieren Sie es in der Endfassung dann besser, als ich es je könnte.
Danke!

Gero Hatz
6 Jahre her

Merkel fordert Debattenkultur!
In weiteren Meldungen: Maas fordert Meinungsfreiheit im Internet; Kim Young Un fordert Auflösung der koreanischen Umerziehungscamps, Mugabe fordert Limitierung von Präsidentschaft, Göring Eckhardt fordert abgeschlossene Berufsausbildung für Parlamentarier, Chulz fordert Abschaffung der EU Tagegelder, Scholz fordert das Wirtschaftsministerium, Junker fordert Alkoholverbot, Trump fordert offene Grenzen für USA,

karel
6 Jahre her

Seit Sarrazin sollte es doch hinreichend bekannt sein, daß es nicht die Kanzlerin ist, die die Debattenkultur prägt. Eher ist es so, daß die Kanzlerin diesem mainstream-gelenkten Debattenkult weitestgehend machtlos gegenübersteht, dem sie einfach nur Rechnung trägt und deshalb diese wenig- bis nichtssagende Statements pflegt. Diese „Mohn und Springer“-Assoziationen lenken nur ab Seit einiger Zeit fällt auf, daß den Mainstream-Medien das Thema AfD und die“Refugee-Welcome-Exstasen“ heftig auf die „Füße“ gefallen sein muß. Fast könnte man Fr. Merkel Sinn für die Realitäten unterstellen, hat sie mit den ihr „aufgedrückten Flüchtlingen“ einen Mentalitäts- und Denkwandel hier in Deutschland ermöglicht. Oma sagte einst… Mehr

Ghost
6 Jahre her

„…….der unser Land und Bürger voranbringt“ – sollte Scholz jetzt zum Hellseher mutiert sein? Oder arbeitet er mit Kartenlegerinnen zusammen?

Luisa die Ältere
6 Jahre her

Danke für den ersten genussvollen Versuch einer Debatte nach dem kreativen Zusammenfinden von PolitdarstellerInnen, die sich nunmehr Koalitionäre nennen. „BaroninMünchhausen“ und ihr Gefolge, deren Gestalten mich an jene Trolle aus dem legendären Film “ Das Wirtshaus im Spessart“ erinnern (mit Lilo Pulver + Carlos Thompson in den Hauptrollen) und Hauptbeschäftigung es war, Postkutschen zu überfallen. Tagediebe nannte man das wohl zu jener Zeit. Scholz ging also von einer Liebesheirat aus. Mit wem?? Mit allen? War demnach der erste Versuch für EfA. Die Debattenbeiträge vom Heimatminister waren, wie zu erwarten, Folklore. Jeder kann solche „Unwesentlichkeiten“ interpretieren wie er will und an“kleiner… Mehr

Philokteta
6 Jahre her
Antworten an  Luisa die Ältere

Muß Ihnen in einem widersprechen: Ein Tagedieb ist eine faule, nutzlose Person. Was Sie meinen, sind Räuber.

Jörg W.
6 Jahre her

In Ihrem Punkt I. haben Sie Recht. Man erfährt vor allem etwas über die Rhetorik von Frau Merkel. Sie schafft es wunderbar sich um direkte Antworten herumzuwinden. Allerdings war Ihr Satz, meiner Erinnerung nach die Antwort auf die Frage, ob sie ein weiteres Mal Kanzlerin werden mag. Ist doch völlig klar, dass sie hie eine „Debatte“ vermeiden will, denn wenn sie wahrheitsgemäß „nein“ gesagt hätte, würde es 1) eine Schlagzeile generieren und 2) es würde ihre jetzige Kanzlerschaft zusätzlich schwächen. Im Übrigen könnt man noch hinzufügen, dass sie mit „Debattenkultur“ vor allem die Debatte im Parlament meint, nicht die Beantwortung… Mehr

E. Lippitsch
6 Jahre her
Antworten an  Jörg W.

„…gehören heute aber alle Religionen in jedes Land.“
Na dann viel Spaß beim öffentlichen Bibel verteilen in Riad!

Jürgen M. Backhaus
6 Jahre her
Antworten an  Jörg W.

Debattenkultur bedeutet auch, dass Religionen auf die Beachtung verfassungsmäßiger Grundsätze hin befragt werden können. Religion in D bedeutet eben keinen rechtlichen Status, wie ihn der Koran mit der Scharia festschreibt, sofern sie dazu durch schlüssiges und eigenmächtiges Handeln in die Lage versetzt ist (ISIS). Religion ist heute kein Persilschein mehr für ein gottbestimmtes Verhältnis des Individuums zu seiner Rechtsordnung. Die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden religiösen Rechtsanschauung kann keinen Primat für sich in der okzidentalen Welt beanspruchen. Sie definiert auch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung, wenn sie schlüssig zu erkennen gibt, dass ihr Ziel die Bedeutungshoheit über den Gläubigen verlangt. Religionen sind… Mehr

Ursula Schneider
6 Jahre her

„Wenn die Begriffe sich verwirren, ist die Welt in Unordnung … Darum achte man darauf, dass die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem“ (Konfuzius).

Heinrich Niklaus
6 Jahre her

„Der Islam gehört zu Deutschland“, Christian Wulf, Alt-BuPräs). Ständig wird um die Richtigkeit dieser Aussage gestritten. Warum wird sie nicht einmal geklärt? Das muss doch möglich sein. Wenn es um die geistig-rechtlichen Fundamente Deutschlands geht, müsste der Islam mit seinen geistigen Fundamenten doch einzuordnen sein. Der Islam, von Mohammed gestiftet, gründet auf dem Koran. Dabei bilden die Texte der Hadithe die Überlieferungen. Und die sich aus diesen Texten ergebenden Normen werden in ihrer Gesamtheit als Scharia zusammengefasst. Betrachtet man nun einmal die Menschenrechte in der Verfassung des säkularen Deutschland mit dem was man in der islamischen Welt darunter versteht, stößt… Mehr

onkelfredi
6 Jahre her
Antworten an  Heinrich Niklaus

Kleine Korrektur: Hier sollte das GG gelten!

Christian Frost
6 Jahre her
Antworten an  Heinrich Niklaus

Ich empfinde schon die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, als reine Zeitverschwendung. Reden wir doch lieber über Menschen. Solche, die dem Islam anhängen. Und solche, die aus islamischen Ländern hergekommen sind, der Religion den Rücken gekehrt haben und hier immer wieder den Stempel „Islam“ aufgedrückt bekommen. Dann können wir auch besser auf das Grundgesetz verweisen, da wir diese Menschen als natürliche Personen ansprechen. Ach so, noch was: In der Vergangenheit wurde, um Islamkritik ins Leere laufen zu lassen, des öfteren erklärt, „den Islam“ gebe es ja gar nicht. Gut. Wie kann etwas, das es nicht gibt, zu einem… Mehr

Philokteta
6 Jahre her
Antworten an  Heinrich Niklaus

„Daraus folgt doch eindeutig: Die geistigen Grundlagen des Islam können nicht zum geistigen Fundament Deutschlands gehören.“

Richtig!
Es gibt auch noch eine einfache Erklärung: Der Islam hat eben NICHT über Jahrhunderte gesellschaftsbildend in D/Europa gewirkt. Nicht einmal ansatzweise.

Christkind
6 Jahre her
Antworten an  Heinrich Niklaus

Nun, so einfach ist das. Bestens erklärt.

Henryke
6 Jahre her

„Um Himmels Willen, Herles, was verlangen Sie!“
Mit diesem, Ihrem Satz kann man es am Ende wieder zusammenfassen;-)

Ute Iwan
6 Jahre her

Mit“ vorschweben“ alleine ist es nun mal nicht getan. Solange die Emotionalisierung als Ersatz für eine politische Diskussion herhalten muss, wird das nichts. Und genau so und nicht anders läuft es bereits seit Jahren ab.

Sprachkompetenz und eine gepflegte Streitkultur scheinen (auch) im Bundestag immer mehr abzunehmen.