Das Maß an Verlogenheit

Weder die Kanzlerin noch ihre Regierung und Partei hatten der Blauäugigkeit des SPD-Bürgermeisters und amtierenden Sündenbocks Scholz widersprochen. Im Gegenteil: Sie hatten ihr applaudiert. Nun schreien sie: Haltet den Dieb!

Noch immer bestimmen Chaoten das Bild der deutschen Politik. Die Chaoten im Schanzenviertel müssen keinen einzigen Stein mehr werfen. Wie ein Katalysator, der einen chemischen Prozess herbeiführt, ohne sich dabei selbst zu verändern, lassen sie nun andere miteinander reagieren. Es stinkt, qualmt und brodelt.

I.

Es ist keine Kleinigkeit, dass Reportern die zunächst erteilte Akkreditierung in Hamburg wieder entzogen worden ist. Es zeigt nur: Ging es um den Schutz der Gipfelpolitiker, war den Behörden keine Vorsichtsmaßnahme zu lächerlich, kein Verstoß gegen die Pressefreiheit zu billig. Im Zweifel für die Sicherheit! Ja, hätte das nur auch außerhalb der Hochsicherheitszone gegolten, dort wo die Gewalt tatsächlich vorhersehbar war. Unverhältnismäßig rigoros war der Sicherheitsapparat nur in der Nähe der Mächtigen, unverhältnismäßig inkompetent und blauäugig in der Stadt. Schikaniert wurden harmlose Reporter und abertausende Bewohner und Verkehrsteilnehmer. Und Steffen Seiberts Wort: Pressefreiheit sei für ihn ein „hohes Gut“ wäre glaubwürdiger, nähme die Regierung, für die er spricht, Meinungsfreiheit wirklich ernst. Das neue Netzzensurgesetz spricht eine andere Sprache.

II.

Am simpelsten ist jetzt natürlich die Forderung nach Schließung der Roten Flora. Richtig: Rechtsfreie Räume darf es nicht geben. Dennoch ist es wohlfeiles Law-and-Order-Geschwätz. Seit 1989 wurde diese Einrichtung unter SPD- wie CDU-Bürgermeistern toleriert, geschützt und aufgewertet zur Touristenattraktion. Linksextremismus  wurde als Folklore verkauft. Tatsächlich spricht gerade jetzt wenig für ein Verbot. Es wäre besser, die Gefährder nicht aus den Augen zu verlieren, also zu wissen, wo sie sich herumtreiben. Man müsste allerdings genauer hinschauen als bisher. Aber der linke Extremismus wurde von der Merkel-Regierung absichtlich ausgeblendet. Der Feind der Demokratie stand ausschließlich rechts. Alles irgendwie Linke zählte zur großen Familie der Weltverbesserer. Da musste man schon das eine oder andere Auge zudrücken. Alle Kräfte und alle Mittel mussten gegen „Rechts“ gebündelt werden.

III.

Weder die Kanzlerin noch ihre Regierung und Partei hatten der Blauäugigkeit des SPD-Bürgermeisters und amtierenden Sündenbocks Scholz widersprochen. Im Gegenteil: Sie hatten ihr applaudiert. Nun schreien sie: Haltet den Dieb! Es ist aber auch der Weltrettungssmodus dieser Kanzlerin, der seit Jahren blind macht für linke Ideologien und linksextremistische Kräfte. Die Moral stand vermeintlich links. Alles, was nicht links war, war unmoralisch. Es sind die verlorenen Maßstäbe, die den Exzessen gesellschaftlich den Boden bereitet haben. Zwischen Islam und Islamismus, glaubte man, müsse zwingend unterschieden werden, zwischen Kapitalismuskritik und linker Militanz ebenfalls. Nur rechtskonservativ und rechtsextremistisch gelten als nahezu identisch. Sollte sich das jetzt ändern, hätte der Hamburger Gipfel doch noch sein Gutes.

Doch wer profitiert gerade von den Chaostagen am meisten? Richtig, der islamische Extremismus. Für den ist gerade keine Platz auf den überforderten Festplatten der herrschenden Parteien. Schließlich hat es keinen einzigen islamistisch motivierten Terroranschlag in Hamburg gegeben. Wer sagt denn, dass das Sicherheitskonzept nicht erfolgreich gewesen ist?

IV.

Die Kanzlerin sagt, sie sei sich sicher, dass die Große Koalition bis zur Wahl halten werde. Soll das ein Witz sein? Die Koalition zerbrach endgültig in der Hamburger Chaosnacht. Und zuvor schon hatte die Kanzlerin mit ihrer allergnädigsten Erlaubnis ausnahmsweiser Gewissensfreiheit dafür gesorgt, dass im Bundestag eine rot-rot-grüne Mehrheit einstimmig und von jedem Gewissen befreit, Fakten schaffen konnte.
Das politische Ergebnis des bunten Abends in Hamburg spielt nun der Kanzlerin abermals in die Karten: Hoffnungsträger Scholz wird Hoffnungsträger Schulz nicht mehr folgen können. Die Kanzlerin genießt ihren hohen Vorsprung in „Sicherheitskompetenz“. Sie wollte ja nur spielen. Sich aufspielen. Oder wie es Vizekanzler Gabriel formulierte: „ihr Image aufpolieren“. Wäre man Zyniker, würde man die (zweifellos abwegige) Vorstellung genießen, Kampftruppen der Jungen Union hätten sich am Schwarzen Block beteiligt.

Die achselzuckende Nonchalance, mit der sich jetzt die Kanzlerin vor jeder Mitverantwortung drückt ist, vorsichtig ausgedrückt, widerwärtig. Verständlich, dass dem Vizekanzler der Kragen platzt und er nicht akzeptieren will, dass nur SPD-Politiker die Suppe auslöffeln sollen. Dies wäre in der Tat „ein nie gekanntes Maß an Verlogenheit.“

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Kommentare ( 14 )

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Heinz Stiller
6 Jahre her

Ich glaube mich zu erinnern, dass das mit den Sekundärtugenden und dem KZ nicht Schröder, sondern Lafontaine war. –
Aber generell: Linke denken nicht. Sie FÜHLEN. Sie haben VISIONEN. UTOPIEN, durchzusetzende IDEALE. Das ist viel praktischer. Denn Denken behindert Glauben. Denken führt zu Be-denken. Zu Skepsis. Vor allem gegenüber sich selbst. Sehr unpraktisch! Denn wie soll man andere von der eigenen moralischen Überlegenheit überzeugen, wenn man nicht bedingungs- und bedenkenlos an sich selbst glaubt?

karel
6 Jahre her

Waren Sie nicht einst im Begrüßungskomitee an den Bahnsteigen dabei?
Schauen Sie doch mal nach, ob Sie nicht auf den Bildern im Fernsehen und in den Zeitungen zu sehen sind….. Ironie off.

Katharina
6 Jahre her
Antworten an  karel

Aua…………!“ Realität on

karel
6 Jahre her

„Wer sagt schon vor einer Wahl, daß er die Steuern erhöhen will?“ Merkel hat eine 2 % höhere Umsatzsteuer vor der Wahl 2005 versprochen. Und mit dieser „Merkel-Steuer“ fast diese Wahl deswegen verloren. Mehr noch, sie mußte mit der SPD in einer Groko vorlieb nehmen. Und der „neue“ Finanzminister Steinbrück machte gleich 3 % daraus, erhöhte kraft seines Amtes die MwSt. von 16 auf 19 %. Es dürfte nur den Wenigsten bekannt sein, daß Steinbrück mit dieser „Merkelsteuer“ von 3 % genau die rot-grünen Geschenke an Kapital und Konzerne aus der Zeit von 2000 bis 2005 finanziert hat. 3 %… Mehr

Luisa
6 Jahre her

Lieber Herr Herles,
ja es ist die immense Verlogenheit, die einem so zweifeln lässt. Dennoch muß man sich informieren, um zu wissen, dass man solchen „Bösewichtern“ nicht noch die einzige freie Stimme geben darf.
Danke und alles Gute.

Eberhard
6 Jahre her

… Es ist aber auch der Weltrettungssmodus dieser Kanzlerin… Vorsicht!!! Früher hieß es bereits: Am deutschen Wesen, wird die Welt genesen. Das hat in den Abgrund geführt und wird es wieder tun. Ich will und kann kein Weltretter sein. Die Deutschen sind längst nicht reif für diese Rolle, wenn es denn überhaupt jemand dafür gibt. Erst recht nach Hamburg zeigt sich zumindest, das wir nicht einmal unser eigenes Land befrieden können, sondern es immer weiter spalten. Wer fragt denn aber diese Welt, ob sie wenn überhaupt, gerade mit oder von Deutschland gerettet werden will? Und wenn, ob dann überhaupt von… Mehr

CG
6 Jahre her

GB hat auch erkannt, auf welcher Seite ihr Sandwich gebuttert ist. Polen dito, die haben ihn auch hofiert. Putin sowieso. Zu deutsch, alle anderen haben die Zeichen der Zeit erkannt und passen sich dem an. Nur in D haben die Medien immer noch Schaum vorm Mund, sobald der Name Trump fällt. Diese ganze moralinsaure Heuchelei ist nur noch peinlich! Zeit für.Realpolitik, weg von diesem ideologisierten Gewäsch!

Ghost
6 Jahre her

„ein nie gekanntes Mass an Verlogenheit“
Das ist doch nichts neues. Verlogenheit, ausklammern, heucheln……. Merkel beherrscht in dieser „Disziplin“ die gesamte Klaviatur. Auch gibt es bei ihr so etwas wie eine Moral des Verschweigens und Verdeckens.

Johann Vetter
6 Jahre her

Ich denke „den Wähler“ kann man schon verstehen, wenn es so ungefähr nach folgendem Schema abläuft: 1. Die AfD meldet eine Veranstaltung an. 2. Es wird eine „Gegenveranstaltungen“ von einem „Bündnis gegen Rechtsextremismus“, o.ä. angemeldet. (Hinter dem Bündnis stehen natürlich die üblichen politischen Akteure, etc.) 3. Der „Journalist“ der einzigen regionalen Zeitung berichtet ausschließlich über die „Gegenveranstaltung“ und zitiert deren Redner. Diese Redner verdrehen und erzählen schlicht Fake: „Rechtsextremisten“ und den „Zeiten, die wir schon hatten“, blabla. Der „Journalist“ schreibt das so in die Zeitung ohne jede Korrektur. Die AfD-Vertreter haben keine Möglichkeit zu zusätzlicher Äußerung. Leser dieser Zeitung bekommen… Mehr

Ralf Schweizer
6 Jahre her

Wie sehr wünschte ich mir, dass FJS wieder von den Toten auferstünde….. Er wäre heute nötiger denn je, eine späte Einsicht, denn viele meiner Ü50-Generation haben ihn damals in ihrer jugendlichen, linken und von Lehrern geförderten Blödheit verdammt, ich auch. Aber gescheiter werden ist ja nicht verboten, allemal besser, als ideologisch dumm und verbohrt zu bleiben.

Die Zahnfee
6 Jahre her

Merkwürdig, dass angeblich die moralisch Höherstehenden und Weltverbesserer links verortet werden. Wer sagt das? Politiker und Medien? Wird es dadurch richtiger? Ohne Aufrichtigkeit geht gar nichts, weil Tatsachen und Verantwortung nicht teilbar sind. Falsche Einschätzung mit fatalen Folgen soll zur Normalität erklärt werden, indem kleine Häppchen Verantwortung auf immer mehr Bereiche verstreut werden? Auf die Bevölkerung (und Behörden?) werden seit 2 Jahren nicht-tragbare Lasten abgeschoben. Völlige Überforderung des Landes mit massiver Einschränkung des Alltags wird geleugnet, da darüber nicht öffentlich debattiert wird – nicht einmal bei Wahlkampfthemen. Schlafen, träumen, verantwortungslos denken, reden und handeln soll weltverbessernd für 80 Millionen Mitbürger… Mehr