Links und Rechts kennt keinen Dialog

Ich plädiere dafür, die verdummende politische Gesäßgeographie nicht mehr mitzumachen, das Gedankengefängnis „links und rechts“ zu verlassen. Wer die Gesäßgeographie mitmacht, bleibt in ihr gefangen.

Mit der Einordnung von Rainer Zitelmann kann ich leben: «Seit es die Bezeichnungen „links“ und „rechts“ gibt, gibt es immer einige Überschlaue, die uns erzählen, das seien Begriffe von gestern, diese seien längst obsolet.» Allerdings behaupte ich nicht, die Begriffe Links und Rechts seien längst obsolet, sondern haben immer schon irregeführt, indem sie den Anhängern das politischen Denken ersparen, wie „Marken” den Konsumenten die eigenständige Beurteilung von Produkten abnehmen.

Zitelmann wird nichts dagegen haben, wenn ich seine politische Selbsteinordnung innerhalb der FDP nationalliberal nenne. Das Zitelmann-Zitat ist für mich doppelt interessant, weil ich eine Rezension seiner Dissertation über Hitler vorbereite, die er vor 30 Jahren summa cum laude ablegte, und die, so viel sei hier schon einmal angemerkt, damals unter den vorhandenen Hitler-Biographien eine völlig neue Dimension beleuchtete: die sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Teile von Hitlers Weltanschauung. Dass Zitelmann die Arbeit schrieb, als er sich selbst vom Marxismus löste, sei erwähnt.

Eine Zeitreise
Rainer Zitelmann: Vom Roten Banner über Liberales Manifest zum Millionär
In der Gegenwart wimmelt es in den Social Media von den erbittert vorgetragenen Einordnungen Hitlers und des Nationalsozialismus als – wie lange allein üblich – „rechts“, nun aber immer häufiger „links“. Wer von Zitelmanns Doktorarbeit oder meiner Rezension die Bestätigung einer der beiden Stempel oder ein teils-teils erwartet, wird sich enttäuscht abwenden. Was ich in den unglaublich unzähligen protokollierten Äußerungen Hitlers zwischen seiner Bewunderung von Stalin und seiner Verachtung für die völkisch-nationale Bourgeosie in Deutschland gelesen habe, stützt keine der beiden Deutungen. Wohl aber ist die Quellenfülle von Zitelmanns Werk für mich eine beeindruckende Bestätigung, dass Links und Rechts nicht nur bedeutungslos für die politische Erkenntnis sind, sondern diese systematisch verhindern: sie und jeden Dialog.

Nein, Links und Rechts markieren keine politischen Positionen, zwischen denen – auch nur intellektuell – ein Dialog stattfinden könnte, eine Debatte möglich wäre. Nein, wer sich selbst „links“ und „rechts“ einordnet, hat damit – bewusst und/oder unbewusst – den anderen als Dialog-unfähig eingestuft. Ganz nach Rosa Luxemburg gibt es für beide nur Debattenfähige innerhalb von „links“ und innerhalb von „rechts“. Der jeweils andere wird „bekämpft“. Debattiert wird nur noch über die „richtige” Bekämpfung des Feindes.

Das Diktat der eingebildeten Wirklichkeit
Rufe aus der Echokammer
Tomas Spahn schrieb die Tage: „Wahrheitsansprüche aber – das lehrt bereits der Blick auf jenes, was der Mensch unter Religion zu verstehen sucht – werden zu Totalitätsansprüchen. Wer die Wahrheit für sich beansprucht, der kann, da es nur eine einzige Wahrheit geben kann, keine andere neben der seinen zulassen. Und so wird jeder, der die Wahrheit für sich beansprucht und sie damit ihres Wahrheitscharakters beraubt, zwangsläufig zum Diktator seiner persönlichen Weltsicht – der die Weltsicht des Anderen nicht zulassen kann …”.

Dass „links“ in der als leider sicher zustande kommenden Koalition der Unvereinbarkeiten in der Sache den Ton angeben wird, heißt nicht, dass „links“ gesiegt hat. Es bedeutet aber auch nicht, dass „rechts“ politische Raumgewinne verzeichnen würde. Vielmehr graben sich beide in ihren Stellungen weiter ein,  bewerfen sich mit dem Üblichen und perfektionieren lediglich ihre Wurftechniken. Ein Dialog ist ausgeschlossen. Und die allermeisten Medien denken nicht im Traum daran, das zu ändern. Sie werfen nur weiter mit.

Spaltung der Gesellschaft
Nein, es geht nicht ohne Dialog
Alexander Wallasch will den Dialog immer noch für möglich halten, weil es ohne ihn nicht geht. Das ehrt ihn. Damit gehört er zu jener Minderheit „links“, die es gibt, von denen aber neben ihm fast alle vorziehen, öffentlich zu schweigen. Mit seiner Empfindung anlässlich einer journalistischen Entgleisung jenseits des Üblichen, liegt er wohl richtig: Offensichtlich geht es um so etwas wie eine Sehnsucht nach der letzten Schlacht.” Die sich selbst als „links“ verorten, sind dabei, den Ideologie-Krieg zu verlieren. Allerdings nicht gegen „rechts“, auch wenn das dort etliche fest glauben wollen. Nein, beide verlieren gegen die Wirklichkeit des Lebens. Sie bahnt sich immer ihren Weg, auch wenn es dahin regelmäßig wegen Links und Rechts viel zu viel kostet, materiell, ideell und menschlich.

Ich plädiere dafür, die verdummende politische Gesäßgeographie nicht mehr mitzumachen, das Gedankengefängnis Links und Rechts zu verlassen. Ich halte eine andere Unterscheidung für maßgebend: Wer und welche Position wird der Freiheit des einzelnen und der Gleichheit vor dem (legitimen) Recht als alleinigem Maßstab gerecht. Legen Sie dieses Messlatte bitte an, Sie werden sich wundern, wie regelmäßig sich Links und Rechts in Luft auflösen.

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Kommentare ( 28 )

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Udo Kemmerling
6 Jahre her

Herr der Ringe, das bevorzugen ziemlich viele…

Stephan Kurz
6 Jahre her

Der Fall mit Herrn Bergmann, ist wohl leider so passiert. Soll´ ich jetzt wie die Linken hinsichtlich des G20-Gipfels argumentieren (Äquivvalent: „Das war doch gar kein Rechter !“ oder „Der wurde doch provoziert !“ oder „Von rechts geht nie Gewalt aus !“) ? Das tue ich ganz sicher nicht, die Peinlichkeit überlasse ich Euch. Vermutlich war es wirklich ein Rechter. Gewalt ist, in jedem Fall, – ausser im Falle von wirklicher Notwehr (Wie auch im Gesetz vorgesehen), abzulehnen. Wenn Sie aber nur noch einen Funken Fairness und nur ein wenig Interesse an wahrheitsgemässer Darstellung haben, – wissen Sie -, das… Mehr

hasenfurz
6 Jahre her

So wie die ganzen braunen Steinewerfer und Auto-, Mülltonnenanzünder, Scheibeneinschmeißer, und das nicht unkriminelle Treiben auf brauny-, äh auf indymedia?
Hee Leute, ich hab wieder einen gefunden, ich darf mir was wünschen! 😀

Herbert Wolkenspalter
6 Jahre her

Ich sehe zu diesem Artikel hier im Kommentarbereich voller Genugtuung überdurchschnittlich viele gute Kommentare, die sich profunder mit Herrn Goergens inspirierender Vorlage befassen.

Völlig klar, dass differenzierte Gedanken nicht in schwarz/weiß oder links/rechts Draufhau-Manier abgehandelt werden können, und deshalb auch solche Kommentare mehr Text beinhalten müssen.

Schön, dass dies hier stattfand. Man findet sowas schon selten. Danke an die Kommentatoren und Herrn Goergen für seine Denkanstöße, die in dieser Republik mit ihrer derzeitigen Drift der Auseinandersetzung wirklich nötig sind.

Sabine Abbel
6 Jahre her

Nee, nicht Frau Kipping, die erklären würde, warum die Stasi notwendig war für den Weltfrieden.

Außerdem ist das eine, die erklärt warum man dies oder das wegen des Klimas in der Gesellschaft nicht sagen dürfe.

Fritz Goergen
6 Jahre her

Sie kommentieren etwas, was ich nicht schrieb – siehe: Ich halte eine andere Unterscheidung für maßgebend: Wer und welche Position wird der Freiheit des einzelnen und der Gleichheit vor dem (legitimen) Recht als alleinigem Maßstab gerecht. Legen Sie dieses Messlatte bitte an, Sie werden sich wundern, wie regelmäßig sich Links und Rechts in Luft auflösen.

Herbert Wolkenspalter
6 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Herr Goergen, das hatte ich schon gelesen, fast(*) original zitiert und dementsprechend kommentiert. Sie postulieren praktisch, dass sich Links und Rechts in Luft ausflösen müssten, weil sie in den beiden Standpunkten ein Problem sehen. Sie selber sehen aber auch nur Ihren politischen Standpunkt (die Freiheit des Einzelnen) als Problemlöser. Dies sehen wiederum die Anderen als Problem. So wird das nichts, weil jeder an seinen Prämissen festhält, die im Grunde schon das Ergebnis sein wollen. Ich hingegen betrachte die Art der Auseinandersetzung, die Diskurs-Methode als das Problem. Eine andere Ebene. Es ist nicht die inhaltliche. —– (*) Die „Gleichheit vor dem… Mehr

Fritz Goergen
6 Jahre her

Nein, ich rede nicht von auflösen, sondern sich dem Einteilungszwang entziehen.

gintonicgalore
6 Jahre her

Ich schätze Ihre Kommentare, Herr Isakovic.

Volker E.
6 Jahre her

Das mag ja alles sein, nur ändert das nichts am eigentlichen Problem. Die eine Seite sagt, dass es Völker nicht gibt und diese nur „soziale Konstrukte“ sind. Das alle Menschen sich nur äußerlich unterscheiden würden, aber unter der Haut, vollkommen gleich sind. (Gleichheitsideologien wie der Marxismus und die Menschenrechte) Da die „andere Seite“ die Deutschen für ein „böses Konstrukt“ hält, sollte dieses aus deren Sicht, besser heute als morgen wieder dekonstruiert werden. Für mich steht das Überleben und Fortbestehen des Eigenen, an erster Stelle. Wir haben also zwei unvereinbare Standpunkte. Ich will, das meine Familie, mein Volk und meine Nation… Mehr

Horstilein Hannoverzen
6 Jahre her

Sorry, da muss ich etwas widersprechen. Ich, der ich 30 Jahre, bis 2014 nur links, also grün, gewählt habe, muss auf ein Büchlein eines bekennenden „Rechten“ aufmerksam machen: “ Warum ich kein Linker mehr bin“ von Manfred Kleine-Hartlage. Es ist in erster Linie die Linke, mit der ein Dialog unmöglich ist, und das liegt daran, dass die Linke utopische Ziele verfolgt, z.B. die der Gleichheit in allen Bereichen. Schon Franz-Josef Strauß warnte mit Leidenschaft vor Rot-Grün und nannte es eine Reise auf einem Narrenschiff Richtung Utopia. Die Linke ignoriert die Realität, wenn sie zur Ideologie, also zu ihrem Utopia nicht… Mehr

Maximilian Schalemann
5 Jahre her

Milo Yiannopoulos als interessant zu bezeichnen finde ich verharmlosend. Ich halte ihn für den Inbegriff des Dialogverweigerers, eines Menschen, der provoziert und lieber das Spiel mit der Öffentlichkeit treibt, als ernsthafte Dialoge.

Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Orientierung an dem Ist vs. am Soll ist richtig. Aber man sollte nie vergessen, dass ein Konservativer ohne Werte und einer darauf aufbauenden Vorstellun davon, „wo es vom Ist denn eigentlich hingehen soll“ mindestens genauso gefährlich wäre wie der skizzierte „Linke“

Von welcher Art von Gleichheit reden Sie denn, wenn Sie es zweimal hier erwähnen?

Dozoern
6 Jahre her

Man kann natürlich behaupten Links und Rechts hätten ihre Trennschärfe verloren, nachdem die CDU (und in geringerem Mass) alle konservativen Parteien Europas nach links gerückt sind. Und die SPD nach rechts. Man kann von der Sozialdemokratisierung der (nördlichen) Europäischen Gesellschaften sprechen. Man kann es so sehen, dass sich das Pendel in diesen Gesellschaften nur noch zwischen Rinks und Lechts bewegt. Man kann sagen, es herrscht in unseren westlichen Gesellschaften die grosse Koalition der Mitte: CDFDSPGRÜNE. Also CDSP unter Einbindung ihrer linken und rechten Abspaltungen. Ausen vor bleiben nur die „Extremisten“, LINKE und AfD. Ein Ergebnis ist die Allparteienherrschaft, der Merkelismus,… Mehr