Die EU demontiert sich selbst

Die kommenden Jahre werden nicht nur in der EU vom Kampf ihrer Mandarine gegen eine vielgestaltige Opposition in vielen Ländern geprägt sein, sondern parallel von der Ablösung der alten Formationen durch neue.

© Tobias Schwarz/AFP/getty Images

Hätten die Gegner einer weiteren Zentralisierung der EU einen Wettbewerb um deren Verhinderung ausgeschrieben, das Ergebnis könnte nicht optimaler sein als die präsentierten Personalien und verdeckten Begleitgeschäfte. Die schlechteste Bundesministerin Deutschlands soll Juncker nachfolgen, die Präsidenten des Parlaments der EU, das keines ist, sollen nacheinander ein Italiener der Sozialdemokraten und ein Deutscher der EVP werden, eine Frau aus Frankreich nach dem Mann aus Italien an die Spitze der EZB rücken und der Paris gehorsame belgische Premier den Rat der EU präsidieren – jene Runde also, auf die es alleine ankommt.

Jelte Wiersma beschreibt in seiner ganz anderen – europäischen – Sicht als praktisch alle deutschen Journalisten aus ihrer – provinziellen – Berliner Perspektive, dass der Sieger der Kungelrunden hinter den Tapetentüren Macron heißt und damit der Verlierer Merkel.

Es gibt aber auch andere Sieger. Die Osteuropäer haben ihren Lieblingsfeind Timmermans verhindert und Weber gleich mit – nur deshalb hoben sie die Hand für von der Leyen. Von Warschau bis Budapest sind die Regierungschefs auf den Geschmack gekommen, was sie alles bewirken können – zusammen mit anderen erst recht, um die sie sich noch mehr bemühen werden. Die Führung in Brüssel können sie nicht übernehmen, aber ihre Vetomacht ausbauen und Zugeständnisse heraushandeln für partielles Mitmachen oder Stillehalten. Die Gräben in der EU sind ausgehoben, jetzt werden sie zu festen Stellungen ausgebaut. In die alte Richtung geht kein wirklicher Schritt mehr, in die umgekehrte noch nicht.

Zwischengedanke

Tomas Spahn zeichnet spitz, welche Probleme in der Einrichtung, die „Europäisches Parlament” genannt wird, bei der Abstimmung über von der Leyen als Kandidat des sogenannten Europäischen Rates auftreten könnten. Mich bringen seine Gedanken auf einen anderen. Kommt wirklich keinem der vielen Journalisten mal in den Sinn, zu schreiben, worum es sich bei der EU wirklich handelt? Die Staatspräsidenten und Ministerpräsidenten (mancherorts Kanzler genannt) der Mitgliedsländer verwandeln sich auf dem Weg von ihren Haupstädten nach Brüssel auf wundersame Weise: von demokratisch gewählten und – jedenfalls so vorgesehen – ebenfalls demokratisch gewählten Abgeordneten in Parlamenten kontrollierten juristischen Personen in Könige. Denn was sie in Brüssel in diesem Rat entscheiden, nachdem sie es vorher in Hinterzimmern ausfeilschten, genehmigt und kontrolliert in ihren Ländern zuhause niemand. Die Mandarine in den Bürokratien der EU unterliegen ebenfalls keiner demokratisch legitimierten Kontrolle. In Brüssel sind die Regierungsoberhäupter nicht nur der demokratischen Fesseln zuhause ledig, sondern können Fragen in der EU regeln, die sie wegen der Demokratie in ihren Ländern dort nicht anpacken würden, wo aber Folgegesetze in den Ländern verpflichtend sein sollen. Und das sogenannte Parlament der EU ist eine Show, die Parlamentarismus und Demokratie vortäuscht, wo keines von beiden ist.

Die EU demontiert sich selbst

Hat sich die EU bisher schon zunehmend mit sich selbst beschäftigt, ohne von der Stelle zu kommen, wird das nun zu höchster Kunst entwickelt. Hinter dieser Kulisse – mit den Inszenierungen davor lassen sich Medien rund um die Uhr füttern – sind Kundige unterwegs, die ihre Interessen geschickt unter Dach und Fach kriegen. Aktuelles Bespiel Italien:

NGO, SeaWatch und Bootsführerin Rackete gerieten zur passenden Zeit zu unfreiwilligen Helfern  für Italiens Interessen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik mit Bezug auf die EU – und für den nächsten Wahlsieg von Matteo Salvini, der sich nach aktuellen Umfragen bei 40 Prozent manifestieren könnte. Die Arroganz, mit der deutsche und französische Politiker Italien gegenüber auftreten, bringt nicht nur viele Italiener gegen Paris und Berlin auf, sondern auch viele Bürger in anderen Ländern der EU.

Die Mandarine der EU werden wie immer nicht einmal wahrnehmen, dass überall der politische Wind begonnen hat, sich gegen die Zentralisierung zu drehen. Wer gegen sie arbeitet, muss viel Geduld mitbringen. Der Geist der Mandarine der EU herrscht als Political Correctness in allen Institutionen aller westeuropäischen Staaten (von der Untersuchungsrichterin auf Sizilien bis zum BVerfG). Der Zeitgeist hatte gut 40 Jahre Zeit, sich einzunisten. Ein bloßer Regierungswechsel wie in Italien radikal oder in Österreich moderat reicht natürlich nicht, um das über Nacht zu ändern – aber sehr wohl, um mit den Änderungen zu beginnen.

Währenddessen irren die Protagonisten des Zeitgeists, wenn sie glauben, an der Macht bleiben zu können. Sie ahnen es, deshalb ihre weiter zunehmende Aggressivität. Das Ende ihrer Dominanz hat begonnen. Die kommenden Jahre werden nicht nur in der EU vom Kampf ihrer Mandarine gegen eine vielgestaltige Opposition in vielen Ländern zwischen den britischen Inseln und Sizilien geprägt sein, sondern parallel und verschränkt von der Ablösung der alten Formationen durch neue – in allen europäischen Ländern. Das Ende dieses Jahrzehnts lässt die Konturen des Umbruchs in den 2020ern erahnen. In die schlaff gewordenen Segel der Freiheit bläst frischer Wind.

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Kommentare ( 80 )

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Magdalena
4 Jahre her

Wenn es mehr Journalisten gäbe, die die Wahrheit über den EU genannten intriganten Haufen schreiben würden, sähe es bald anders aus. Aber in den MSM liest und hört man nichts über all die miesen Hinterzimmerdeals. Nichts über den Einfluss machtgeiler Milliardäre, die sich Philanthropen nennen und ganze „Armeen“ gekaufter und/oder manipulierter und/oder unterbelichteter Helfershelfer mobilisieren, die dann z. B. als NGO oder scheinbar plötzlich entstandene „Bewegung“ agieren und sich offenbar ungestraft auch über Recht und Gesetz hinwegsetzen können und mit ihrem „Wir müssen alle Menschen retten“-Wahn Andersdenkende terrorisieren. Wir brauchen mehr ehrlichen, investigativen Journalismus.

Britsch
4 Jahre her

Die Eu wurde gegründet als eine Interessenvereinigung unabhängiger Staaten. Und so war es eine gute EU. Ist aber nicht mehr so. Ehermalige Vereinbahrungen, die offiziell aber immer noch gelten, werden von den „Oberen“ der „Eu“ einfach mißachtet. Es wiord versucht Alle EU Staaten quasie unter Herrschaft der EU Oberen zu bringen ohne wesentliches Entscheidungsrecht der einzelnen Mitgliedsstaaten nach den Eigenen „Bedürfnissen“ Lebensart usw. Dies war auch einer der Hauptgründe für den Brexit. Man kann nicht alles gleichschalten und mit gleichen einer bestimmten Norm entsprechend Alle zwingen alles gleich zu machen weil es Irgendwo funktioniert. Schon unterschiedliche Wetter – Landschafts .… Mehr

MarkusF
4 Jahre her

„auf dem Weg von ihren Haupstädten nach Brüssel auf wundersame Weise: von demokratisch gewählten und – jedenfalls so vorgesehen – ebenfalls demokratisch gewählten Abgeordneten in Parlamenten kontrollierten juristischen Personen in Könige.“ Dies ist meines Erachtens der wichtigste Gedanke im Artikel. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Die EU ist nicht nur selbst völlig undemokratisch, sie ist ein Instrument mit dem die alten etablierten Eliten zuhause im Nationalstaat die Demokratie umterminieren. Beispiele: Macron hat Lagarde sicher nicht zum Nutzen der EU durchgesetzt sondern ganz einfach um seinen Machterhalt in Frankreich abzusichern, auf Kosten anderer. Gesetzte die im Landesparlament kaum durchsetzbar… Mehr

MarkusF
4 Jahre her

„auf dem Weg von ihren Haupstädten nach Brüssel auf wundersame Weise: von demokratisch gewählten und – jedenfalls so vorgesehen – ebenfalls demokratisch gewählten Abgeordneten in Parlamenten kontrollierten juristischen Personen in Könige.“ Dies ist meines Erachtens der wichtigste Gedanke im Artikel. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Die EU ist nicht nur selbst völlig undemokratisch, sie ist ein Instrument mit dem die alten etablierten Eliten zuhause im Nationalstaat die Demokratie umterminieren. Beispiele: Macron hat Lagarde sicher nicht zum Nutzen der EU durchgesetzt sondern ganz einfach um seinen Machterhalt in Frankreich abzusichern, auf Kosten anderer. Gesetzte die im Landesparlament kaum durchsetzbar… Mehr

schwarzseher
4 Jahre her

Der Autor hat mir schon zu oft Hoffnung auf den unmittelbar bevorstehenden Rücktritt Merkels gemacht, die aber nach wie vor ihr desaströses Unwesen treibt. Deshalb glaube ich auch nicht, daß sich auf EU Ebene rechtzeitig etwas zum Besseren ändern wird sondern erst, wenn es zu spät ist. Die EU wird den Weg der UdSSR gehen, den hat sie bereits eingeschlagen und sie wird ihn bis zum Ende gehen.

Sonnenschein
4 Jahre her

(…)

Lichtenberg
4 Jahre her

„Die EU demontiert sich selbst“ –
und Deutschland hastet voraus.

Anna-Maria
4 Jahre her

Lieber Herr Goergen, wissen Sie, warum Österreich so still war? ich lese oft, dass diese Ibiza- Geschichte immer noch brodelt und Kurz Rolle nicht besonders rühmlich ist. Einstweilige Verfügung, verdächtige Emails, und so weiter ….. deshalb?

Armin V.
4 Jahre her
Antworten an  Anna-Maria

Kritik an dem feinen Sebastian Kurz will Herr Goergen nicht hören!

Anna-Maria
4 Jahre her

Über WEBER und TIMMERMANNS haben in kaum einem EU Land so massive Werbung gelesen und gehört, als in Deutschland. Und in Ungarn. Weber – nun der kleiner Mann hat sich überall unbeliebt gemacht- er wehte, wie Fahne im Wind- mal so, mal so. Was er von sich gegeben hat, waren Floskeln….In Ungarn hat er sich berühmt gemacht mit dem Satz: ich will nicht mit Fidesz Stimme gewinnen. Nun, wenn man so etwas sagt, muss man nicht wundern, wenn Ungarn Fidesz mit 13 Abgeordneten ihn eben von vorne Weg abgelehnt hat. Die V4 Staaten, obwohl von unterschiedlichen Parteien regiert werden, seit… Mehr

schukow
4 Jahre her

Ja, die EU erweist sich selber pauselos Bärendienste mit solchem Handeln. Aber sie verhindert nicht die demokratischen Strukturen und Prozesse in den Mitgliedsstaaten. Daß Figuren wie ADM, UvdL, 100%Schulz, Altmaier etc. hier immer wieder auf der Bühne auftauchen wie im Millowitsch-Theater hat der Wähler so entschieden. Und ebenso, Demokratie ist laasngsam, umständlich, oftmals nervtötend – wie Sir Winstonbissig bemerkte: „die schlechteste Regierungsform überhaupt, abgesehen von allen anderen, die bislang versucht wurden.“ – Das gilt es auszuhalten, ‚tolerare‘ hat mit ‚toll finden‘ bekanntermaßen nichts zu tun. (frei nach V. Pispers) Die BR Deutschland würde m. E. ein Auseinanderbrechen der EU und… Mehr