Berufspolitik setzt Demokratie außer Kraft

Das strukturelle Problem des Parteienstaats: Es gibt mehr direkt oder indirekt vom Kartell Berufspolitik materiell abhängige Personen, als alle Parteien zusammen Mitglieder haben.

© Carsten Koall/Getty Images

Die aktuelle Diskussion über die Frage, was nach Merkel kommt und wie es zu nach Merkel kommt, lässt wie die Debatte über Politik aus sonst außer acht, was bei der Rede um Parteien, Berufspolitik, Parteienstaat, Parteiensystem und so weiter fast immer im Hintergrund bleibt, unbeachtet, nur oberflächlich gestreift und schnell wieder vergessen. In Deutschland hat sich ein Einkommenszweig als Kartell etabliert, von dem mehr Personen leben als im größten deutschen Konzern.

Vor einiger Zeit schrieb ich eine vierteilige Besprechung des Buches von Hans Herbert von Arnim, Die Hebel der Macht und wer sie bedient. Teil vier nannte ich Parteienstaat und Staatsparteien: Systemwechsel nötig. Dort zitierte ich unter anderem diese Passage:

„Die eigentlichen Akteure sind weniger die Parteien als Ganze, sondern ihre Berufspolitiker. Sie sind von den Hunderttausenden bloß zahlenden Mitgliedern und ehrenamtlich in den Kommunen Tätigen zu unterscheiden, die meist kein berufliches Interesse an der Politik haben und über politische Fehlentwicklungen oft am meisten enttäuscht sind, worin auch ein Grund für den Mitgliederschwund der etablierten Parteien liegen dürfte.

Berufspolitiker neigen dazu, den Wettbewerb etwa um Mandate massiv einzuschränken, auch innerhalb der eigenen Partei, etwa durch bestimmte Regelungen zu ihren Gunsten und zulasten innerparteilicher Herausforderer. Zur politischen Klasse, die von der Politik lebt und über ihren Status selbst entscheidet, gehören 622 Bundestags-, rund 2.000 Landtags- und 96 Europaabgeordnete sowie rund 230 Regierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretäre in Bund und Ländern. Auch Tausende staatsfinanzierte Mitarbeiter von Abgeordneten sowie in Parteien, Fraktionen und Stiftungen leben von der Politik, ebenso die große Zahl von Bürgermeistern, Landräten und Beigeordneten in den Kommunen.“

Bei seiner Aufzählung hat von Arnim die vielen direkt und indirekt im öffentlichen Dienst von den Ministerien bis zu den Schulen, Hochschulen, Entwickungshilfe-Organisationen, anderen NGO und unzähligen sonstigen „Zuschussempfängern” in den Gemeinden, den Ländern und beim Bund noch gar nicht genannt, die auf ihren Draht zur Berufspolitik existenziell angewiesen sind.

Zählt man alles zusammen, landet man wohl beim Personal-stärksten Einkommenszweig der Republik. Oder plakativ: Es gibt weit mehr direkt oder indirekt vom Kartell Berufspolitik materiell abhängige Personen und damit unzählige Haushalte, als alle Parteien zusammen Mitglieder haben.

Der archimedische Punkt des Parteienstaats ist die Privilegierung der Parteien. Ohne den Entzug dieser Privilegierung ist das Ende der Steuerfinanzierung des Kartells Berufspolitik nicht in Gang zu setzen und ohne dieses keine Rückkehr zu Freiheit und Demokratie durch die Herrschaft des Rechts in ausreichendem Umfang möglich.

Ohne die Abschaffung der Berufspolitik kann die Republik nicht wieder zum Leben erweckt werden.

Fußnote: Die Zentrale des Kartells Berufspolitik ist in den letzten 20 Jahren aus den Parteienspitzen in die Fraktionsspitzen umgezogen, weil in den Parlamenten das meiste Geld und das meiste Personal sitzen. Doch die Parlamente sind in der Massenmediendemokratie überflüssig geworden. Weil Megapolitik – wie Merkels unkontrollierte Einwanderungspolitik eindrucksvoll vorführt – nicht mehr im Parlament legitimiert wird, sondern in den Medien, richtungsgebend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wo Merkel ihre Regirungserklärungen bei Anne Will abgibt. Parlamente sind nur noch die Spielwiese der Mikropolitik von Laienverwaltung. Aber das ist einen eigenen Beitrag wert.

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Kommentare ( 68 )

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Petra - Bremen
5 Jahre her

Ach, ganz vergessen: Psychopathen – diese charismatischen Typen, die selbst die feinfühligsten Menschen beeinflussen können.

Ein Psychopathen-Test muss her für verantwortliche Positionen – egal ob in Unternehmen, Behörden oder in der Politik!

Petra - Bremen
5 Jahre her

Sehr geehrter Herr Goergen, innerlich beschäftige ich mich schon länger mit Ihrer Kritik an der Parteien-Demokratie. Erste Reaktion meinerseits war, es sei nur zu schwierig, eine Partei zu gründen, so dass dadurch der Volkswille nicht vollständig abgebildet werden kann. Zweite Reaktion war, Herr Goergen scheint Recht zu haben, aber mit welchem System soll es denn besser funktionieren? Und was macht man geben die Beeinflussung durch die Medien? Dritte Reaktion ist: Ich habe eine Idee entwickelt und würde gerne von Ihnen oder Kommentatoren lesen, wo ich etwas übersehen und noch nicht bedacht habe – ob es bessere Ideen gibt. Es ist… Mehr

horrex
5 Jahre her

Für mich der wichtigste Satz: „Zählt man alles zusammen, landet man wohl beim Personal-stärksten Einkommenszweig der Republik. Oder plakativ: Es gibt weit mehr direkt oder indirekt vom Kartell Berufspolitik materiell abhängige Personen und damit unzählige Haushalte, als alle Parteien zusammen Mitglieder haben.“ Darin das für mich wichtigste Wort: „indirekt vom Kartell Berufspolitik materiell abhängige Personen (Haushalte)“ Das ist worauf es hinausläuft. Exemplarisch (wobei ich an eine bestimmte Person denke): Den vorzeitig pensionierten mittleren Beamten, der nach der Pensionierung den Stadtrat anstrebt, schließlich wird, womit es ihm möglich wird die Kosten seiner Scheidung und den Verlust des Hauses abzufedern. In tausend… Mehr

Herbert Wolkenspalter
5 Jahre her

Es wäre wirklich Zeit für Nennung konstruktiver Lösungen, die aber auch von A-Z durchdacht sein müssen.

Ein singulärer, konstruktiver Vorschlag stand allerdings im Artikel: Abschaffung der Parlamente, weil die Talkshows diese Rolle übernommen haben.

Kann man meinen, muss man aber nicht gut finden. Warum nicht andersherum? Früher gab es die heutigen Auswüchse jedenfalls nicht in dem Maße.

Herbert Wolkenspalter
5 Jahre her

Wie wäre es mit dieser Sicht: Überflüssig sind die „TV-Parlamente“ der Talkshows weil sie Politik nur rosinenartig, oft skandalisierend und insgesamt als Unterhaltungsprogramm servieren, wobei Teilnehmer von politisch nicht Legitimierten nach Geschmack ausgessucht werden, weil sie Laien mit Experten verwechseln, weil sie Politik weltvergessen betreiben als auch bar jeder Verantwortung sind – während ins richtige Parlament die fähigsten Leute gehören, die ihren Job professionell leisten können, weil für die wichtigste Lenkung einer Republik mit 80 Millionen Bürgern nur Profis gut genug sind, von denen man nicht verlangen kann, dass sie ihre mehr als eine übliche, tagesfüllende Leistung für lau abliefern.… Mehr

Fritz Goergen
5 Jahre her

Parlamente, die politische Richtungsentscheidungen treffen statt Laienverwaltung zu betreiben, brauchen nur ein bis zweimal im Jahr zu tagen, weil es mehr Richtungsentscheidungen nicht gibt. Ehrenamtlich, versteht sich.

Herbert Wolkenspalter
5 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Diesen Ansatz finde ich grundsätzlich gar nicht schlecht, Herr Goergen. Muss man mal weiterdenken. Läuft in Richtung Subsdidiarität, wo ganz oben nur Grundlagenentscheidungen getroffen werden müssen und sollen, die es natürlich nicht laufend zu treffen gibt und überhaupt nur in geringer Zahl. Damit landen wir praktisch beim Philosophenmodell. Es geht dort nur noch um Prinzipien der Gerechtigkeit aus denen man alles weitere ableiten kann. Man könnte es Grundgesetzgebung nennen. Meines Erachtens fehlt aktuell tatsächlich eine solche Instanz über unserer Legislative wenigstens als Kontrollorgan, das jedes Gesetz auf GG-Konformität prüft. Dann aber braucht es darunter Instanzen, die das administrative Tagesgeschäft umsetzen.… Mehr

Fritz Goergen
5 Jahre her

Nur pars pro toto: Eine überschaubare Gemeinde braucht für keine Entscheidungen jemand „über“ sich. Kann sie mit alles mit anderen ausmachen – wo nötig und sinnvoll.

Herbert Wolkenspalter
5 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Eine Gemeinde ist keine isolierte Insel, die in keinerlei äußeren Verbindungen stehen steht, die man -effizient- nur übergeordnet lösen kann (statt einer Unzahl von Einzelverhandlungen). Die äußeren Abhängigkeiten sind viel umfangreicher als man vielleicht zunächst denken mag. Das fängt bei Gerechtigkeitsauffassungen an, die kompatibel sein müssen, weil sonst keine freiwilligen Vereinbarungen zustande kommen können. Dabei an Sachzwänge gedacht, die stattdessen die übergeordneten Leitplanken darstellen aber sich quasi anonym und unangreifbar verselbständigt haben. Und wer will überhaupt die Kultur ständig neu verhandeln, die zuvorderst in einer (dann nicht mehr) gemeinsamen Auffassung von Gerechtigkeit besteht? Ich denke, hier wird stillschwiegend von Selbstverständlichkeiten… Mehr

Fritz Goergen
5 Jahre her

Mein Gott, das weiß ich auch. Pars pro toto meint: ich denke politisch von unten nach oben und nicht umgekehrt.

Herbert Wolkenspalter
5 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Ich denke immer, „unten“ kann nur von „oben“ befruchtet und entwickelt werden, wobei „oben“ mit größeren Kenntnissen und Fähigkeiten sowie ganzheitlich guten Absichten zu definieren ist.

Weil dasselbe von unten nach oben nun mal nicht möglich ist.

Nun ja, auf dieser Welt steht eben so manches auf dem Kopf. Weshalb die Probleme auch nicht kleiner werden.

Karl Heinz Muttersohn
5 Jahre her

Vielen Dank Herr Goergen, sie bringen es auf den Punkt. Berufspolitiker sind Menschen, die in der produktiven Wirtschaft keinerlei Arbeitsmöglichkeiten haben, da sie nix aber auch gar nix können. Oder würde irgend jemand KGE oder AKK in seinem Betrieb einstellen? Nicht mal als Raumpfleger….

Fritz Goergen
5 Jahre her

Das ist Ihre Interpretation, nicht mein Text.

karel
5 Jahre her

Fr. Merkel… sie will Ernüchterung, nicht aber den Zusammenbruch. Dieser „Refugee-Welcome“-Fraktion ist das zentrale Problem. Dominiert sie das bundesdeutsche Denken. Bis heute. Denen war nur mit der Wirklichkeit beizukommen. Nämlich, die „Flüchtlinge“ ins Land zu lassen. Zusammen mit dem zu erwartenden Anstieg der Kriminalität…. mit all den negativen Begleit-Erscheinungen….. Messer inclusive. Weil diese „Träumer“ es so wollten. Fr Merkel…. 2012 sagte sie, die Migration sei gescheitert. Das war noch zu Zeiten von schwarz-gelb. Fr. Merkel…. zu Reem….. nicht alle können bleiben……. Eine Kanzlerin mit Sinn für die Realitäten… bis der links-grüne Mainstream das „Zepter“ übernahm. Kompromisslos… bis hin zur Verleugnung… Mehr

Oswaldo
5 Jahre her

Die Ursache: Deutschland ist der politischen Kultur nach eine Wahlmonarchie. Das ist seit dem Mittelalter so und daran ändert auch die zweimal von außen eingeführte Republik nichts, die rein äußere Form bleibt – und allein bewirkt, dass der König oder der Kaiser nun eben Kanzler heißt. Da den Deutschen, vielleicht mit Ausnahme der Hanseaten und der Tradition der Kaufmannsrepubliken, die Demokratie und damit das Parlament innerlich fremd ist (nicht zufällig blicken selbst intelligentere Deutsche mit ihrem monarchischen Instinkt stets auf die Regierung, nein auf den Regierungschef…) verstehen sie auch nicht, intelligent zu wählen. Die CDU gehört ja zur Königin… Würde… Mehr

schwarzseher
5 Jahre her

Hans Herbert von Arnim dokumentiert schon seit Jahrzehenten, daß die Mehrzahl der Politiker Schulabbrecher, geldgierige Nichtsnutze, Opportunisten und Paladine sind, ausgenommen einige Neue seit September 2017. Das kann jeder im Bundestag und im Europaparlament sehen. Und nicht nur dort. In den unzähligen, vom Steuerzahler finanzierten Stiftungen, Instituten etc. tummeln sich Horden von stramm zeitgeistkonformen Soziologen, Politologen, Genderologen, Antifarologen und breiten sich ******* aus.

Carli
5 Jahre her

Ja, nach nun 70 Jahren Frieden und Wohlstand haben wir in der deutschen „Demokratie“ eine geriatrische Phase erreicht. Das politische System ist degeneriert und vom Urzweck, der effektiven und effizienten Steuerung eines Staatswesens, weit abgetriftet. Diese Situation war noch nie da und es gibt keine Erfahrungswerte. Wir haben also eine offene Entwicklung vor uns und die Frage ist, welche Form eines Um- (Zusammen-) bruchs es für ein Reset braucht.