DER SPIEGEL Nr. 41 – Mein Kind, sein Handy und ich

Was Eltern zu leisten haben, nimmt ihnen keine Schule ab, keine Behörde und auch keine Versicherung. Der SPIEGEL gibt die Zeitschrift für den Angstbürger, den jede Neuerung schreckt und der alle anderen dafür haftbar machen will.

Gerade heraus: Für das Titelthema fehlt mir jegliches Problembewusstsein. Als Journalist war das Handy von Beginn an mein Kommunikationsmittel schlechthin. Nicht nur, dass ich über viele Jahre über die Branche geschrieben habe. Kontakte halten, erreichbar sein, jederzeit Fragen stellen können – die mobile Kommunikation hat seit den frühen Neunzigerjahren meinen Alltag und mein Familienleben geprägt. Und trotzdem: Unsere beiden Jungs haben sich mit Computer und Smartphone normal entwickelt, wobei ich immer wieder staunte, woher die Kinder genauestens wussten wo, wie und wann es die besten und interessantesten Infos für sie gab.

Beide machen ihren Weg ohne jegliche Verhaltensauffälligkeiten wegen exorbitanter Computeraktivitäten, der eine als IT-Consultant, der andere im Management eines Großhandelsunternehmens und beide nehmen sich viel Zeit für ihre Familien. Denn sie haben auch etwas anderes von mir gelernt: Dass der persönliche Kontakt, das persönliche Gespräch, sich Zeit zu nehmen für andere, sich auf einen Gesprächspartner vis-à-vis einzulassen noch wichtiger ist als Kommunikation über technische Hilfsmittel.

Insofern kann ich mich auf die Klagen, welche Schäden die Smartphone-Nutzung bei Jugendlichen verursacht nicht einlassen („Fest im Griff“), zumal manche Argumente mir dann doch abstrus vorkommen. Was soll schlecht daran sein, dass Jugendliche heute wieder später einen ersten Sexualverkehr haben? Was soll schlecht daran sein, dass der Anteil der der 16- bis 17-Jährigen, die Erfahrung mit Alkohol haben, zurückgeht? Was soll schlecht daran sein, dass Jugendliche weniger auf Partys gehen? Wer all das auf die Smartphone-Nutzung zurückführt, blendet andere gesellschaftliche Prozesse aus. Früher war alles besser? Nein! Neu ist nur die Angst vor jedem Neuen.

Ich sympathisiere deshalb mit der Ansicht des im Beitrag „Rappelkiste“ zitierten Diplom-Psychologen Georg Milzner, wonach Computer und Smartphones unsere Kinder weder dumm noch krank machen. Und der Autor Hauke Goos ergänzt: „Das Problem mit Neuerungen, mit Umbrüchen, mit Zukunft ist: Keiner weiß ja, wie das aussieht, was da kommt. Und weil wir uns vor nichts so sehr fürchten wie vor dem Unbekannten, schreibt jeder einfach fort, was er kennt.“ Früher haben Eltern ihre Kinder vor damals zeitgemäßen Gefahren gewarnt, sie im Umgang mit ihrer Welt erzogen. Ja, die war damals nicht digital. Aber ob digital oder analog, ob gefährliche Tiere, hohe Bäume oder Abgründe – die vielen großen und kleinen Alltagsgefahren, die gut gemeinte Initiativen meinten, aus dem Leben von Kindern verbannen zu müssen, um sich die durchaus mühsame private Erziehungsarbeit leichter zu machen, sind durch die Hintertür wieder in das Leben getreten. Ganz smart. Und sie erinnern uns daran, was die Erwachsenenwelt zu leisten hat. Das nimmt uns keine Schule ab, keine Behörde mit ihren Sicherheitsvorschriften und auch keine Versicherung.

Im Leitartikel „Hilfe zum Aussterben“ kritisiert Gerald Traufetter den Erfolg der Automobil-Lobby beim Dieselkompromiss zwischen Bundesregierung und Automobilunternehmen. Gerald Traufetter erwähnt dabei nebenbei, dass die Regierung die Abgasmanipulationen mit bis zu 5.000 Euro je Fahrzeug hätte abstrafen können. Diesen Trumpf aber traue sich die Bundesregierung bislang nicht zu ziehen. Wer wundert sich bei dieser Beißhemmung, dass die Wähler in Scharen Parteien wählen, die nicht in der Regierungsverantwortung sind? Die Abgasnormen hoch zu setzen, hilft nur einer Gruppe – nicht den Dieselfahrern, nicht den Einwohnern in den belasteten Straßenzügen, sondern nur der Automobilindustrie. Wo sich Bundes- und Landesregierungen sonst in die Industriepolitik von Konzernen nicht einmischen, wird die Automobilindustrie durch den Beschluss darin ermutigt, ihre Technologien nicht modernisieren zu müssen. Zukunftsweisende Verkehrskonzepte? Mit der Automobilindustrie nicht zu machen. Und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer fehlt offenbar die Phantasie dafür.

„Fluch der Moderne“ betitelt Markus Feldenkirchen seinen Beitrag über die CSU. Die Digitalisierung sei schuld, die Migranten seien es ebenfalls. Nein, gar nicht so sehr die Migranten aus der weiten Welt. Vielmehr alle diejenigen, die der Erfolg aus anderen Regionen Deutschlands nach Bayern geholt habe, hört und liest man zurzeit allenthalben. Die Verbindung zwischen Land, Leuten und CSU funktioniere nicht mehr. Das Beispiel Dieselgeschenk an die Automobilindustrie – ich vermeide bewusst den Begriff Kompromiss, weil es keiner ist – zeigt viel deutlicher die Problemlage auf. Es mangelt an Glaubwürdigkeit. Die CSU ist keine Macht mehr, an der sich die Wähler orientieren können. Sie wird von vielen als Theater wahrgenommen, als ein Schauspiel dessen, was sie einmal war. „Wie konnte die CSU die absolute Mehrheit verspielen?“, fragt Feldenkirchen. Ob „verspielen“ der richtige Terminus ist, bezweifle ich. Überall dort, wo sich Parteien über Jahrzehnte auf ihrer Machtfülle und auf ihren Pfründen ausruhten und davon ausgingen, dass das Wahlvolk auf ewig auf sie eingeschworen ist, schwindet die Basis. Digitalisierung mit all ihren Informationsmöglichkeiten mag eine Rolle spielen, aber nicht die entscheidende. Wie ich bereits oben geschrieben haben: Mein wichtigstes Instrument als Journalist war das persönliche Gespräch. Schlaue Kommunikationsstrategen meinen, politische Überzeugung über Reichweite in sozialen Medien erzielen zu können. Das aber darf immer nur die Begleitung von vielen anderen Instrumenten sein, von Verlässlichkeit, von Bodenhaftung, von persönlichen Begegnungen, von echtem Interesse.

Ein Punkt findet bei Feldenkirchen nicht statt: Mich hat schon bei der SPD überrascht, wie gelassen, teilnahmslos und unbeteiligt der Untergang der deutschen Flaggschiffkonzerne Mannesmann und Thyssenkrupp hingenommen wurde. Von Markus Söder habe ich keinen Widerspruch gehört, als der wichtigste bayrische Industriekonzern, Siemens, bekannt gab, einen Innovationscampus in Berlin zu errichten. Kein Aufschrei des Entsetzens in München, keine tatkräftige Gegenwehr, von anlocken gar nicht zu reden. Angela Merkel, Markus Söder – Aussitzen ist zur großen Kunst der Politik geworden. Und sie jammern unisono nach dem TINA-Prinzip (there is no alternative). Aber vielleicht sind die Pläne von Siemens in Berlin für die Bayern ein Segen: Dann kommen nicht noch mehr Fremde ins Bayernland und verderben die politische Kultur. Ich bin geneigt Anna Clauß zuzustimmen, die in ihren Beitrag „Über sieben Brücken“ so anteasert: „Söder ist mit Ruppigkeit und aggressivem Ehrgeiz nach oben gekommen. Im Landtagswahlkampf entdeckt er seine sanfte Seite. Es ist ein Rollenwechsel, mit dem der Ministerpräsident wie bei allem zu weit geht.“ Ein Markus Söder, der sich nach einer Rede im Mossburger Festzelt in einen weißen Bademantel hüllt, ist noch nicht einmal eine schlechte Replik auf Udo Jürgens. Der macht sich zur Witzfigur und muss sich nicht wundern, wenn die Partei gerade einmal ein Drittel der zu vergebenden Stimmen am kommenden Sonntag erhält und inzwischen schon über Regierungskoalitionen ohne CSU geredet wird.

Unter den potenziellen Merkel-Nachfolgern tauchte im vorigen Spiegel der Name von Norbert Röttgen nicht auf. Mit dem Interview „Den Bach runter“ positioniert sich der einstige und später gefallene Kronprinz Norbert Röttgen als Merkel-Kritiker und wirft seinen Hut in den Ring. Röttgen bezeichnet die große Koalition aus Sicht der Christdemokraten „unter den bestehenden schlechten Möglichkeiten als die schlechteste“ und hält eine Begrenzung der Amtszeit für den Bundeskanzler für sinnvoll. Es liest sich natürlich wie die Rache des Rausgeworfenen, denn lange galt er als Muttis Liebling – bis er die Wahl in NRW verlor.

Veit Medick berichtet in „Phantomtreffen“, dass die Kanzlerin sich im Kanzleramt mit knapp 50 Frauen der SPD-Bundestagsfraktion zu einem Abendessen bei Salat und Hühnerfrikassee traf, wo die Damen drei Stunden lang ohne störendes männliches Alphatier-Gehabe über Themen wie Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, Geschlechtergerechtigkeit, ein Paritätsgesetz und die Situation in Deutschlands Osten parlierten. Das Problem nur: In Wahlkampfzeiten darf man darüber nicht sprechen und schon gar kein Foto posten. Wäre auch schwierig zu erklären, warum ausgerechnet Andrea Nahles nicht beim Treffen dabei war; das sei nicht geplant gewesen, sie wollte den Auftritt Maaßen vor dem Innenausschuss verfolgen. Na ja. Und Bedenken über das Treffen hatte sie auch geäußert.

Da blitzt ein wenig der alte Spiegel durch mit einem Blick hinter die Kulissen, aber nur ganz wenig.

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Kommentare ( 17 )

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spindoctor
5 Jahre her

Einfach mal nach Schulschluss sich in den ÖPNV, am besten Bus, begeben – da merken Sie was.

Johann Thiel
5 Jahre her

Habe den Artikel begonnen zu lesen und war zunächst etwas skeptisch. Die Skepsis verwandelte sich nach und nach in immer stärkeres Kopfschütteln, dann in die Frage ob der Autor das wirklich alles ernst meint, anschließend kam ich zu dem Schluß, daß der ganze Artikel überhaupt nicht ernst zu nehmen ist, so daß ich das restliche Durcheinander nur noch überflogen habe. Abschließend bleibt festzustellen, daß ich mit dem Autor in keinem einzigen Punkt übereinstimme und das mir die Allgegenwärtigkeit des Spiegels bei TE manchmal ziemlich auf die Nerven geht.

Nichzufassen
5 Jahre her

All diese digitalen ‚Hilfsmittel‘ sind in erster Linie so weit verbreitet, dh den Menschen seit 20 Jahren deshalb als unverzichtbar, wenn man up-to-date sein will, angepriesen worden, um sie besser kontrollieren und ueberwachen zu koennen. Was weltweit seit einem Jahrzehnt ablaeuft ist nix anderes als krank, Gehirnwaesche, wie Fernsehen vorher, nur 10 x wirkungsvoller. Erich und Heinrich waeren im Paradies, so sie noch lebten.

Stefan Rothe
5 Jahre her

Wie gings denn mit dem PC los? Vor über 30 Jahren kamen die Arbeitnehmer nach plötzlicher Verabschiedung von Schreib- und Rechenmaschine hervorragend mit dem PC klar. Manche erhielten ein paar Stunden eine Art Lehrgang. Heute höre ich überall, daß die Welt zusammenbricht, wenn die Schüler nicht von der 1.Klasse an mit den gängigen Anwendungen umgehen lernen. Dabei weiß jeder, daß die nach der Schule ebenso veraltet sind wie die Hardware. Angeblich (so viel Eltern) „programmieren“ sie in den Schulen irgendwas und das Stichwort „Informatik“ fällt auch hin und wieder, ohne daß der Begriff definiert werden kann. Das Größte ist die… Mehr

Armin Reichert
5 Jahre her
Antworten an  Stefan Rothe

Mein erster Kontakt mit einem programmierbaren Rechner war der Informatikunterricht in Klasse 11 Anfabg der 80er. Es handelte sich um ein Gerät von Wang, man konnte oben auf einer Tastatur Maschinenbefehle eingeben, für das Programmlisting war eine Paperrolle, wie man sie von Kassen kennt, angebracht. Wir schrieben seitenlange Programme in der Wang-Maschinensprache auf normales Papier und ab und zu tippte man so ein Programm sogar ein und ließ es ablaufen. Kurz danach kamen die Commodore PET und CBM 4032/8032 Systeme in die Schulen. Da konnte man in BASIC drauf rumprogrammieren. Es gab am Gymnasium einen kleinen Raum, in dem ein… Mehr

annuk
5 Jahre her

Dass Smartphones aus unserer Gesellschaft kaum mehr wegzudenken sind, ist vermutlich den meisten klar. Ich bin der Meinung dass wir unseren Kinder möglichst früh einen verantwortungsbewussten Umgang mit den digitalen Medien lehren sollten.
In meiner Familie haben wir gerade die App „Appylyser“ getestet und sind begeistert. Die App liefert nämlich ganz einfach die Daten und Fakten über den eigenen Handykonsum. Am Ende der Woche bespreche ich die Ergebnisse mit meinen Kindern, die Ergebnisse sind sehr überraschend auch für mich als Mutter. Durch Selbstkontrolle lernen Kinder so Verantwortung über den eigenen Handykonsum zu nehmen. Ich kann die App sehr empfehlen.

Julian Schneider
5 Jahre her

Unsere junge Generation hat die größte Zahl der Kommunikationsmittel, die es je gab. Und es sind die größten Kommunikationskrüppel, die es je gab. Sie haben extreme Defizite in der direkten zwischenmenschlichen Kommunikation – so ist zumindest meine Erfahrung. Stellvertretend dafür nur der inzwischen übliche Anblick des Pärchens am Nachbartisch in Kneipe und Restaurant: Jeder blickt in sein Handy. Für mich war meine Partnerin gegenüber stets aufregend genug – und wir hatten uns immer etwas zu erzählen.

Armin Reichert
5 Jahre her

Mir konnte noch niemand einen triftigen Grund nennen, warum Kinder ein Smartphone benötigen. Es gibt ja auch keinen. Wer seinen Kinder trotzdem sowas gibt, der soll eben auch die Konsequenzen tragen. Wir sind ja ein freies Land.

Thorsten
5 Jahre her

Dann ist aber die Frau nicht korrekt gekleidet. :-O

Ostfale
5 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Aber die Farbe des Kleides deutet schon auf die (spätere) korrekte Kleidung hin und die Schuhform ist dann ohnehin Nebensache.

Alexander Wildenhoff
5 Jahre her

„Da blitzt ein wenig der alte Spiegel durch mit einem Blick hinter die Kulissen, aber nur ganz wenig.“
Werter Herr Canibol – den alten Spiegel gibt es nicht mehr. Ich bin auch der Meinung, Ihre wöchentliche Kolumne hebt das Blättchen auf ein „Niveau“, das ihm nicht [mehr] zukommt.
Wenn TE sich eine Art wöchentliches Screening der MSM-veröffentlichten Meinung auf die Fahnen geschrieben hat, wäre es besser, Sie machten sich die Mühe und fassten mehrere – thematisch – zusammen.

Ananda
5 Jahre her

Da teile ich eher Herrn Dushan Wegners Sichtweise des Handys: „Ich halte Smartphones und Dopamin-optimierte Social-Media-Apps für vergleichbar mit Heroin“. Der Vergleich sitzt. Man muss sich doch nur auf der Straße umschauen wie manche, auch Erwachsene, mit festgesogenem Blick aufs Display und ansonsten wahrnehmungslos durch die Gegend laufen. Tokyo und andere Großstädte haben Fußgängerstreifen für Handynutzer eingerichtet, damit diese nicht ständig in Unfälle geraten. Ob die Autoindustrie wirklich der Nutznießer irgendwelcher unrealisierbarer Richtwerte ist, denke ich nicht. Gefördert wird eher ein würdeloses Schummelverhalten, weil die Richtwerte in der Realität nicht machbar sind. „Wird die Automobilindustrie durch den Beschluss darin ermutigt,… Mehr