Öffentlich-rechtliches Mittelalter – Abbitte nach AfD-Aussage

Nachdem Wiebke Binder in der ARD die AfD als "bürgerlich" bezeichnet hat, entschuldigt sich der MDR und tut die Aussage als Versprecher ab. Das zeigt, wie eng der Meinungskorridor in Deutschland ist.

Maja Hitij/Getty Images

Es ist schlecht bestellt um die Meinungsfreiheit in Deutschland im Jahr 2019: MDR-Moderatorin Wiebke Binder bezeichnete am Wahlabend in der ARD die CDU und die AfD als bürgerlich. Das kann man ablehnen, man kann sich darüber ärgern, ja man kann es auch verurteilen, sich darüber aufregen. Man kann die Aussage auch für richtig halten und unterstützten. Alles okay, völlig legitim in einer Demokratie. Sollte man meinen.

Aber nicht so in der Spät-Merkelschen Bundesrepublik Hier schaltet sich die Bundesregierung in Gestalt ihres „Ostbeauftragten“ ein und kritisiert die Meinungsäußerung einer Journalistin als „ungeschickt“ und „total unpassend“. Ihr Sender, der MDR, leistet nach massivem Druck vor allem auch in den Medien öffentlich Abbitte, entschuldigt sich für seine Mitarbeiterin, und tut ihre Aussage als „Versprecher“ ab. Das hat im besten Fall etwas Mittelalterliches und im schlimmsten Fall etwas von noch finstereren Zeiten. Es sagt viel darüber aus, wie schmal der Meinungskorridor und wie stark totalitäres Denken in unserem Land (wieder) geworden ist.

Besonders erschütternd ist, wie viele das gar nicht einmal mehr merken, weil sie sich im Besitz einer absoluten Wahrheit fühlen, nur noch Schwarz-Weiß sehen, und sich in einen Zustand hinein steigern, der fast etwas von religiösen Fanatismus hat. Zuwanderer sind für sie entweder pauschal kriminell oder Geschenke für unser Land. Es gibt für sie entweder gar keinen Klimawandel oder der Weltuntergang steht kurz bevor. Die AfD ist für sie entweder die Inkarnation des Bösen und Hitlers Wiederkehr oder Retterin Deutschlands, Erlöserin und eine konstruktive Kraft.

Wer sich diesem Schwarz-Weiß-Denken verweigert, wer Zwischentöne anstimmt – etwa, dass die AfD stark von Bürgerlichen gewählt wird und auch einen starken bürgerlichen Flügel hat, aber eben auch einen sehr starken, unerträglichen, völkischen – der wird erbarmungslos von den Lautsprechern beider Lager in die jeweils andere Ecke verortet und niedergemacht. Die Mitte, also diejenigen, die Grautöne erkennen, sind in der Bevölkerung immer noch die weit überwiegende Mehrheit – aber in der öffentlichen Debatte verstummen sie zunehmend. Der nüchterne, nicht-ideologische Blick auf die Realitäten, die Benennung von Problemen und Widersprüchen wird von den Lautsprechern in Politik und Medien als Provokation wahrgenommen und mit aller Kraft tabuisiert. Wer sie ausspricht, kann ziemlich sicher sein, dass man ihn diffamieren und damit mundtot machen will. Die Situation hat etwas vom Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Nur dass es sich um Merkels alte Kleider handelt. Ihre Dogmen. Wehe, wenn einer die auch nur in Zweifel stellt. Er wird sofort zum Hetzer erklärt – ein Begriff, der unter Nazis und Kommunisten Karriere machte und heute für das steht, was früher der „Volksfeind“ war.

So hat sich ein ideologischer Mehltau über das ganze Land gelegt. So absurd es wäre, die Bundesrepublik mit Diktaturen wie der DDR gleichzusetzen – so wenig zu leugnen sind Tendenzen, die ihren Ursprung im Totalitären haben. Viele, die nie in einem autoritären Staat gelebt haben, sind blind und taub für diese Warnzeichen – während etwa viele Ostdeutsche oder auch zugewanderte Osteuropäer ein sehr feines Frühwarnsystem dafür entwickelt haben,

In Deutschland ist eine Atmosphäre entstanden, die etwas von Glaubenskriegen hat, von Ketzerverfolgung. Es ist fast schon tragikomisch, dass ausgerechnet die lautstärksten Inquisitoren ständig beteuern, wie absurd Sorgen um die Meinungsfreiheit seien. Klar, ihre Meinungsfreiheit ist natürlich gewährleistet, und wenn sie etwas zu fürchten haben, dann allenfalls Lob und Anerkennung oder gar Karrieresprünge und Geld. Die Böhmermanns und Grönemeyers, die Restles und Rechkes sind allgegenwärtig. Wer ausschert, wie MDR-Frau Binder, zieht sich sofort den lautstarken Zorn der gut versorgten Glaubenswärter zu – in ihrem Fall sogar von Kollegen aus dem eigenen Haus. Eine sachliche Debatte ist in so einer aufgeladenen Umgebung kaum noch möglich. Die Hysteriker haben die Lufthoheit über dem Meinungskorridor, der sehr eng ist und sehr weit links verläuft.

So eine ähnliche Übermacht der Ränder hatten wir schon einmal – in Weimar. Es ist tragisch, wie viele verkennen, dass genau dieses binäre Denken in Feindbildern und absoluten Wahrheiten, Denkverbote und Scharfmacherei unser Land schon früher in die Katastrophe geführt hat. Wir treten wieder auf die gleichen Mistgabeln der Geschichte – nur diesmal in anderen Farben lackiert. Leider hat der Historiker August Heinrich Winkler Recht, wenn er von Resten absolutistischen Denkens in Deutschland spricht und diese in einem Interview bei WELT als „Teil der deutschen Pathologie“ bezeichnet. Es ist überaus beängstigend, wie stark diese Tendenz in großen Teilen von Medien und Politik ist. Aber es ist auch tröstlich und macht Hoffnung, wie gering sie bei großen Teilen der Bevölkerung verfängt, die mit Ideologien und Ideologen nichts am Hut hat. Sie halten allerdings überwiegend still, weil die Schmerzgrenze noch nicht erreicht ist, und weil das Aussprechen unbequemer Ansichten weit reichende negative Folgen haben kann, im Sozialen wie im Beruf. Dabei lehrt die Geschichte, wie verheerend dieses Stillhalten enden kann.


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Lesen Sie auch Reitschusters Kolumne «Berlin extrem – Frontberichte aus Charlottengrad»: Darin lüftet der Autor ironisch den Blick hinter die Kulissen der russisch-ukrainisch-jüdischen Diaspora an der Spree, deren Außeneinsichten oft ungewöhnliche Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus spießt der Autor den Alltags-Wahnsinn in der Hauptstadt auf – ebenso wie die Absurditäten in der Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs und deren Auswirkungen auf den bodenhaftenden Rest der Republik.

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Kommentare ( 114 )

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lucrecia
4 Jahre her

1. Das Parteiprogramm der AFD ist ganz klar bürgerlich. Dem kann man nicht widersprechen, denn dann müßte man Gegenargumente liefern, und das ist bis heute niemandem gelungen. Das wird einen Grund haben. 2. Einen „unerträglichen, völkischen“ Flügel in der AFD kann ich nicht finden. Dieser wird immer wieder, auch hier bei Tichy erwähnt, und er erscheint mir immer mehr wie der mysteriöse Yeti. Wenn es so glasklar ist, daß die AFD diesen Flügel besitzt, warum werden dessen „völkische, unerträgliche“ Aussagen dann nicht mal mit Quellen und Belegen in einem Artikel zusammengefaßt? Keinem Journalisten hier auf diesem Blog ist das bisher… Mehr

mr.kruck
4 Jahre her

Die politische Inquisition ist längst Tagesordnung, vor allem aus der linksgrünen Ecke.
Andere Meinungen sind Ketzerei, auch wenn durch harte Fakten manifestiert.
Wenn man Angst um seinen Arbeitsplatz haben muß, und sogar von Gewerkschaftern öffentlich stigmatisiert wird, nur weil man AFD wählt, sieht jeder den Zerfall der Demokratie. Aber natürlich nur , wenn man dies auch möchte.

reconquistadenuevo
4 Jahre her

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass es sich bei ARD, ZDF u.s.w. um staatlich gelenkte Sender (also Staatssender) handelt, dann ist dieser Beweis mit den Reaktionen der Politik und der Sender selbst auf den „Versprecher“ der MDR-Moderatorin nun endgültig erbracht. Die Inquisition lässt grüßen.

butlerparker
4 Jahre her

H. Reitschuster, in wirklich toller Artikel, der die Problematik auf den Punkt bringt. Mich erinnert das sehr stark and die Spaltung der Gesellschaft in den USA. Und eine gespaltene Gesellschaft wird auf Dauer immer weniger solidarisch sein (erst weniger unter den Gleichgesinnten, dann unter allen). Dies wird sich ausbreiten wie ein Krebsgeschwür. Dies verändert unsere gesamte Gesellschaft. Wie wir mit den gesellschaftlich Schwächeren umgehen; wie mit den älteren Mitbürgern; wie mit unseren Kindern? Ein großer Teil unserer Gesellschaft ist inzwischen auf einem Ego Trip und kann es sich leisten, einen Ablasshandel einzugehen und reinigen ihr Gewissen (denn sie fühlen, dass… Mehr

Tesla
4 Jahre her

Bei solchen sog. „Versprechern“ wird seltsamerweise nicht mehr auf die „Pressefreiheit“ gepocht. Man merkt, in wessen Händen der Staatsfunk liegt.

Sonny
4 Jahre her

Sehr geehrte Frau Binder, dafür, dass Sie die Wahrheit gesagt haben, haben Sie sich absolut n i c h t s vorzuwerfen. Hören Sie nicht auf diese Inquisition (so schwer es fällt), der Letzte lacht am besten und das werden Sie sein. Es wird nur etwas dauern.

Andreas aus E.
4 Jahre her

Ist das „Getwittere“? Dann tippe ich auf frei erfundene Ergüsse linksgrüner Trollfabrik.

Eberhard
4 Jahre her

Glaubenskriege und Ketzerei , da fehlt dann nur noch Hexenverbrennung und alle Probleme lösen sich. Wir holen uns Ausbilder aus dem Iran für eine Glaubenspolizei und die sorgt dann für einen reinen Glauben. Aber das wäre finsteres Mittelalter und hat mit der gepriesenen Weltoffenheit wenig zu tun. Denn trotz vom Staat verordnetem alternativlosem Zeitalter, erkennen immer mehr, ein Leben ohne Alternativen ist sinnlos und unmöglich. Streiten kann man nur, welche aller möglichen Alternativen die bessere für alle ist. Da scheiden sich dann schnell und absolut die Geister. Nur ideologisch gepolte Politiker und ihre hörigen Medien, samt Höchstgewinn suchenden Lobbyisten, wollen… Mehr

Wolfgang Schuckmann
4 Jahre her

Diese Lehrerin sollte man daran erinnern, dass sie einen Lehrauftrag hat, der mit der Tagespolitik überhaupt nichts zu tun hat. Dieses Verhalten ist vergleichbar mit Freeday for Futures . Viel Kindergeschrei ohne Erkenntnis und eine Menge Schulausfall, und die Feiglinge der Schulverwaltungen wissen ganz genau, dass das Fernbleiben dieser Schüler ein unhaltbarer Zustand ist. Da man aber mit Dummen leichteres Spiel hat, politisch gesehen, ist es den Herrschenden recht wenn die Bildung auf der Strecke bleibt. Und Deutschland immer weiter ins bildungspolitische Abseits gerät.

Sherry
4 Jahre her

Ach so, ich dachte schon, es gäbe den Stress, weil die CDU keine bürgerliche Partei (mehr) ist. *ironieoff*