Der große Linksruck

"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten", sagte SED-Chef Ulbricht am 15. Juni 1961. Heute ist der „Ulbricht-Moment“ – die Leugnung des Offensichtlichen – zurück in Deutschland. Jeder sechste Deutsche hat eine linksradikale Grundhaltung. Weil wir nie die Lehren aus dem linken Totalitarismus gezogen haben.

Carsten Koall/Getty Images
Berlin Mayor Michael Mueller stays in front of a watchtower at a memorial to the Berlin Wall in Bernauer Strasse on August 13, 2019 in Berlin

58 Jahre nach dem Bau der Mauer müssen wir endlich eingestehen: Deutschland hat weitgehend versagt bei der Aufarbeitung der DDR-Diktatur. Die Partei, die für dieses menschenverachtende Bauwerk und die Toten dort verantwortlich war, sitzt, zweimal umbenannt, heute in Berlin wieder in der Regierung. In Thüringen stellt sie gar den Ministerpräsidenten. Der Chefredakteur der ARD, eines gebührenfinanzierten Sender, Rainald Becker (der gleiche Mann, der schon mal auf dem Bildschirm sagte, die Zeit sei reif für einen grünen Kanzler) betreibt Geschichtsfälschung, indem er in Abrede stellt, dass es bei der „Linken“ um die Erben der SED handelt. Pikanterweise belehrte der ARD-Chef mit dieser falschen Aussage – die „Linke“ hat selbst bestätigt, dass sie rechtsidentisch ist mit der SED – ausgerechnet einen Ostdeutschen. Und bis heute ist nichts von einer Korrektur Beckers zu hören – von einer Entschuldigung ganz zu schweigen.

Den Vogel schoss die ARD-Tagesschau ab: Dass der Sprecher am Jahrestag das Jahr verwechselte und den Mauerbau 1991 verortete, ist noch harmlos, ebenso wie die eher beschönigende Bezeichnung des Bauwerks als „Bollwerk“, was schon leicht an den „Antifaschistischen Schutzwall“ erinnert, wie sie im DDR-Sprachgebrauch hieß. Doch im gesamten Beitrag um 15 Uhr wurde mit keinem Wort die SED oder die linke Diktatur auch nur erwähnt.

— Boris Reitschuster (@reitschuster) August 13, 2019

Dafür gab es Framing mit dem Holzhammer: Die Mauer, mit der linke Gewaltherrscher Millionen Menschen im eigenen Land einsperrten, wurde verglichen mit dem Grenzschutz etwa der USA gegen illegale Einwanderer oder der Mauer in Israel, mit der sich der Juden-Staat vor Terror zu schützen versucht. Das ist, wie wenn man eine Gefängnis- mit einer Haustüre gleichsetzt. Der Tenor des ARD-Beitrags, ausgerechnet mit Berlins regierendem Bürgermeister Michael Müller von der SPD als Kronzeuge: Das DDR-Bauwerk, an dem 136 und 245 Menschen ums Leben kamen, sei ein Mahnmal gegen Grenzschutz! Das ist schamlose Verfälschung und Missbrauch der Geschichte für die eigene linke Ideologie der offenen Grenzen auf Kosten der Gebührenzahler. Und eine Verhöhnung der Mauertoten.
(anzusehen hier ab Zeitmarke 2.41)

Dieser Vorfall ist nur eines von unzähligen Beispielen für unser Desaster im Umgang mit dem DDR-Unrechtsstaat und linkem Totalitarismus. In der „Zeit“ erschien im November 2018 ein großer Beitrag mit der Aufforderung, einen „lässigeren Blick“ auf die DDR an den Tag zu legen; die Autorin, Jana Hensel, wurde kurz darauf durch eine Audienz bei Angela Merkel geadelt. Merkels Kulturstaatsministerin war gemeinsam mit der „Linken“ maßgeblich daran beteiligt, mit Hubertus Knabe den bekanntesten Stasi- und SED-Aufklärer in Deutschland abzusetzen – mit Methoden, die genau an sein Forschungsgebiet erinnerten: die Stasi.

Der große Linksruck

Linksradikales Gedankengut ist in Teilen von Politik und Medien hoffähig. Nach einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Forschungsverbunds SED-Staat der Freien Universität Berlin von 2015 hat ein Sechstel der Gesamtbevölkerung (Westdeutschland: 14 Prozent; Ostdeutschland: 28 Prozent) eine linksradikale/linksextreme Grundhaltung. Dabei weisen vier Prozent ein nahezu geschlossenes linksextremes Welt- und Gesellschaftsbild auf, 13 Prozent stimmen überwiegend den jeweiligen Facetten eines linksextremen Einstellungsmusters zu. Die durchschnittliche Zustimmung zum Einsatz politisch motivierter Gewalt – sei es gegen Personen oder Sachen oder als Gegengewalt – lag in der Umfrage bei sieben Prozent. 14 Prozent der als linksextrem eingestuften Personen befürworteten Gewaltanwendung. 46 Prozent waren für eine Abschaffung des staatlichen Gewaltmonopols. Erstaunlich ist, dass etwa der linke Berliner Tagesspiegel diese Studie sofort relativierte und statt über die Nachricht als solche über deren Überbringer lästerte – mit der Überschrift: „Studie schürt Angst vor Gefahr von links“.

Nach einer weiteren Studie der Freien Universität Berlin von 2016 sind auch Antisemitismus und Judenfeindlichkeit unter Linksextremen in Deutschland weit verbreitet. Bei der Untersuchung des Forschungsverbunds SED-Staat stimmen 34 Prozent der von den Wissenschaftlern zuvor als Linksextremisten eingestuften Personen der Behauptung zu, Juden hätten in Deutschland „zu viel Einfluss“ (über alle politischen Einstellungen hinweg lag die Zustimmung zu diesem Statement bei 10 Prozent).

Der breite Linksruck

Insofern ist es erstaunlich, aber zugleich auch folgerichtig, dass die Partei der Unterdrücker und Mörder aus der DDR mit dem neuen Namen „Linke“ mitten in der bundesrepublikanischen Gesellschaft angekommen ist – auch als akzeptierter Partner im „Kampf gegen rechts“, Stasi-Spitzel und Stalin-Verklärer als Talkshow-Stars und Politik-Aktivisten inklusive. Selbst in der CDU streben einflussreiche Kräfte eine Zusammenarbeit mit der Ex-SED an – was noch vor zwanzig Jahren selbst die SPD für völlig ausgeschlossen hielt.

In Berlin ist die Diktatur-Partei, die hier einst die Mauer errichten und auf Flüchtende schießen ließ, nicht nur an der Regierung, sondern sie führt bei Umfragen. Sie fordert lautstark Enteignungen, Mitglieder feiern lieber den 70. Jahrestag der DDR als den 30. Jahrestag des Mauerfalls. Zum 70. Jahrestag der Luftbrücke, als US-Piloten unter Einsatz ihres Lebens West-Berlin retteten, erteilte Berlin nicht die Landeerlaubnis, die für die Feierlichkeiten nötig gewesen wäre – so konnte nur im Westen gefeiert werden. Was für ein Signal!

In Medien und Politik ist ständig von einem Rechtsruck in Deutschland die Rede. Das ist ein gigantischer Etikettenschwindel – und eine alte Methode von SED und Stasi, die seit Bestehen der Bundesrepublik ständig vor einem Rechtsruck dort und einer unmittelbar bevorstehenden Rückkehr des Faschismus warnten – allerdings nie so erfolgreich wie ihre direkten und adoptierten Enkel heute. In Wirklichkeit haben wir in den vergangenen Jahren einen gigantischen linken Rollback erlebt, einen Linksruck. Eine Verstellung des politischen Kompasses – krassestes Beispiel ist die CDU, die heute in vielem linker wirkt als die SPD Helmut Schmidts, und eine sich vergrünende CSU. Weil all das so langsam, so unmerklich, so schleichend von statten ging, nehmen die heutigen Auswüchse die meisten kaum noch als solche wahr (im Gegensatz zu Leuten, die nach vielen Jahren im Ausland in eine stark veränderte Bundesrepublik zurückkamen und ihren Augen nicht trauen, wie der Autor dieses Textes).

Der schleichende Linksruck

Der 13. August 1961 sollte uns mahnen, unseren Kompass wieder zu justieren. Gegen Ideologen und Demokratie-Feinde aus allen Richtungen wachsam und wehrhaft zu sein! Uns zu wehren gegen alle, die glauben, dass sie im Besitz der Wahrheit sind – und daraus das Recht, ja gar die vermeintliche Pflicht ableiten, Andersdenkende zu „erziehen“ oder auszugrenzen. Laut anzureden gegen alle, die im Namen von Toleranz und Buntheit genau diese bekämpfen, und intolerant und schwarz-weiß werden, wenn sie mit abweichenden Meinungen konfrontiert werden.
Wir müssen uns wehren gegen Ideologen, die glauben, sie könnten und müssten von oben herab die Gesellschaft umgestalten – wie dies etwa Yascha Mounk in den Tagesthemen 2018 offen sagte: “Wir wagen ein historisch einmaliges Experiment, eine monoethnische, monokulturelle in eine multiethnische Gesellschaft zu verwandeln. Das kann klappen, wird auch klappen, aber dabei kommt es natürlich zu vielen Verwerfungen.“ Wir dürfen uns nicht mundtot machen lassen durch all die lautstarken Glaubenskrieger und Tabuwärter, wenn es darum geht, diese Verwerfungen offen anzusprechen.

„Niemand hat die Absicht,eine Mauer zu bauen"
13. August - war da was?
Heute, am Jahrestag des 13. August 1961, müssen wir uns besonders bewusst machen: Die Geister von damals sind noch bzw. wieder sehr lebendig. Das reicht bis zur Leugnung des Offensichtlichen: Bernd Stegemann, Dramaturg am Berliner Ensemble und Mitbegründer der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“, spricht etwa im Hinblick auf Aussagen zur „Flüchtlingskrise“ (Merkel: Grenzen in der heutigen Zeit nicht mehr zu sichern) gar von einer „Wiederkehr des Walter-Ulbricht-Momentes“ – des „Lügen-Sprechens“: Man findet es „vermehrt in politischen Debatten, und seine Folgen sind verworren und nicht selten fatal. Der deutsche Klassiker einer solchen Aussage war Walter Ulbrichts Satz: ,Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.´ Was rückwirkend wie eine plumpe Lüge wirkt, um aufkeimende Unruhen zu beschwichtigen, hat in unserer Gegenwart seltsame Nachfolger gefunden.“

Wir müssen endlich den linken Totalitarismus aufarbeiten, insbesondere seinen Hang zur dreisten Lüge und Realitätsverweigerung. Wir brauchen nicht einen „lässigeren Blick“ darauf, wie in der „Zeit“ gefordert, sondern einen viel klareren, kritischeren. Wir dürfen nicht mit der Aufarbeitung der linken Diktatur die gleichen Fehler wiederholen, wie wir sie mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus begangen haben – in der Bundesrepublik ebenso wie in der DDR.

Ob wir wenigstens später ausreichend aus der Geschichte des Nationalsozialismus gelernt haben, wie von vielen angenommen wird, muss angesichts der aktuellen Entwicklung allerdings ebenfalls bezweifelt werden. Die Aufarbeitung hat sich vor allem auf das nationale, rechtsradikale Element dieser verbrecherischen Bewegung konzentriert – ebenso notwendig wäre es aber gewesen, die sozialistischen Elemente des Nationalsozialismus aufzuarbeiten, um auch gegen diese eine ähnliche Immunität wie gegen rechtsextremes Gedankengut zu erlangen. Davon sind wir weit entfernt.

Der relativierende Linksruck

Schlimmer noch: Hitlers unvorstellbare, unsägliche Verbrechen werden heute von vielen missbraucht, um die Verbrechen des Kommunismus zu relativieren. Ebenso werden sie auf unerträgliche Weise für die innenpolitische Auseinandersetzung instrumentalisiert und damit schleichend verharmlost.

Wir müssen mit diesem Relativieren und Instrumentalisieren aufhören.

Wir müssen uns daran erinnern, dass politische Unterdrückung, die Diffamierung von Andersdenkenden bis hin zu massiven Verbrechen gegen diese meistens im Namen vermeintlich höherer Werte getätigt werden. Denn in ihrer Selbstwahrnehmung waren die DDR-Führer natürlich die Guten. Als Erich Mielke mitten in der Wende vor der Volkskammer sagte, „ich liebe Euch doch alle“, meinte er das wohl ehrlich: Für ihn waren die massive Unterdrückung, all die Morde und Verbrechen, die er zu verantworten hatte, nur ein Ausdruck von „Liebe“ zum Volk, für das er ja aus seiner Sicht das Beste wollte.

Wir müssen wieder ein gesundes Misstrauen entwickeln gegenüber Menschen, die glauben (und ständig kundtun), sie seien die Guten, sie hätten ein Monopol auf Moral und seien auf der richtigen, hellen Seite der Geschichte. Das ist eindimensional. Ja, infantil. Und sehr gefährlich. George Bernard Shaw sagte: Der Weg zu Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.

So weit unsere Gesellschaft und unser Staat heute Gott sei Dank noch von Totalitarismus entfernt ist, so totalitär ist wieder bei vielen in Politik und Medien das Denken. Viele können abweichende Meinungen und Zweifel an ihren „Wahrheiten“ nicht ertragen. Das ist beängstigend. Und erfordert Gegenwehr von all jenen, die nicht totalitär denken.

58 Jahre nach dem Mauerbau sollten wir die folgenden Grundregeln hoch halten:

Nie wieder Totalitarismus – ob von rechts oder links!

Nie wieder einen Anspruch auf eine für alle verbindliche Wahrheit!

Nie wieder einen (vermeintlich) guten Zweck, der alle Mittel heiligt!

Nie wieder Menschen diffamieren, nur weil sie unbequeme Meinungen, Ängste und Sorgen ausdrücken!

Nie wieder die Welt oder auch nur die Mitmenschen am eigenen wie auch immer gearteten Wesen genesen lassen!


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Lesen Sie auch Reitschusters Kolumne «Berlin extrem – Frontberichte aus Charlottengrad»: Darin lüftet der Autor ironisch den Blick hinter die Kulissen der russisch-ukrainisch-jüdischen Diaspora an der Spree, deren Außeneinsichten oft ungewöhnliche Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus spießt der Autor den Alltags-Wahnsinn in der Hauptstadt auf – ebenso wie die Absurditäten in der Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs und deren Auswirkungen auf den bodenhaftenden Rest der Republik.

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