Offene Pubs in Großbritannien, ewige Tristesse in Deutschland

In Großbritannien wird geöffnet. Die Bilder von jungen Leuten, die ganz selbstverständlich ein normales Leben leben, sind in Deutschland zu einer Sensation geworden. In was für Zeiten wir doch leben!

Bereits Ende März hatte Boris Johnson es verkündet: Am Montag, dem 12. April werde er „vorsichtig, aber unwiderruflich ein Pint Bier trinken“. Nach fast vier Monaten Lockdown durften Anfang dieser Woche in England Pubs, Restaurants, Biergärten und Geschäfte wieder öffnen. Zwar erstmal nur im Außenbereich, aber das war den Briten herzlich egal: Kurz vor der geplanten Öffnung um Mitternacht standen bereits überall im Land dutzende Briten in Regenjacken vor den Pubs, um es ihrem Premier nachzumachen. Freudig wurde gemeinsam der Countdown herunter gezählt, dann war es soweit: Die ersten Biere wurden gezapft, die Gäste durften in kleinen Gruppen auf Bierbänken Platz nehmen. 

Seitdem herrscht vor allem unter den jungen Briten Partystimmung. In einem Bericht der New York Times strahlt ein vielleicht zwanzigjähriger Mann, der gerade eng gedrängt mit vier Freunden vor ein paar Bieren sitzt, in die Kamera: „This is freedom!“, sagt er und guckt glücklich zu seinen Freunden, die wie er alle in Winterjacken eingemummelt in die Kamera grinsen. In einem Video ist eine junge Britin in einem kurzen Interview zu sehen, die gerade aus dem Pub kommt. Sie hat sich schön zurechtgemacht, Haare und Wimpern gestylt, Lippenstift aufgelegt – sie glüht fast vor Freude, als sie in die Kamera sagt: „Es fühlt sich unglaublich an, darauf haben wir so lange gewartet“. 

Spontaneous cheering. People quite literally dancing in the streets- the liberation is palpable. pic.twitter.com/gxHeuKcood

— Matthew Thompson (@mattuthompson) April 12, 2021

Die Bilder aus London und Manchester lassen jeden jungen Menschen in Deutschland neidisch werden: Dutzende junge Briten, die sich auf Bierbänken drängen, lachen, anstoßen, prahlen und flirten. Für die Eröffnung der Pubs und Restaurants wurden ganze Straßen gesperrt, um mehr Sitzmöglichkeiten zu schaffen. Teilweise dicht gedrängt und ohne Masken laufen die jungen Leute durch das Getümmel – alle sind ein bisschen überdreht, aber wer wäre das nicht nach so viel einsamem zuhause Hocken. 

Derweil herrscht in Deutschland die gleichbleibende Tristesse – mit offenem Ende. Die Bars und Restaurants sind hier schon seit November zu, bald ist der Lockdown ein halbes Jahr alt. Auf die Öffnungen in England reagierte unsere Regierung mit Gleichgültigkeit. Regierungssprecher Steffen Seibert kommentierte: „Wir freuen uns über jedes Land, das seinen Weg aus der Pandemie heraus schnell findet, und haben das für Deutschland mit unserer Politik auch als Ziel“.

Ganz ohne Framing kommt Seibert aber nicht aus: Die Öffnungen in Großbritannien seien durch eine „sehr erfolgreiche Impfkampagne“ ermöglicht worden. Dennoch sehe die Bundesregierung „jetzt keinen Grund, Maß an anderen zu nehmen“. Ja, wo kämen wir da auch hin. Läuft doch alles super hier. Deutschland ist immer noch selbsternanntes Weltvorbild in allen Dingen. 

Ach, wie wünsche ich mir einen Johnson für Deutschland. Man versuche sich nur einmal vorstellen, Frau Merkel würde bei einem ihrer TV-Auftritte verschmitzt mit verwuschelten Haaren vor die Kamera treten und mit bestechendem Optimismus sagen: „In zwei Wochen werde ich aus dem Kanzleramt heraus spazieren und mir in öffentlich in einer Bar ein Glas Wein an die Lippen führen“. Ich habe ja eigentlich eine blühende Phantasie, aber das kann ich mir bei bestem Willen nicht vorstellen. Statt Lockerungen in Aussicht zu stellen, möchte unsere Kanzlerin uns am liebsten auch noch tagsüber einsperren. Ich suche immer noch die Behörde, in der ich meinen Personalausweis vorzeigen kann, um zu sagen: „Entschuldigen Sie bitte, ich bin volljährig – ich bin zu alt, um noch Hausarrest verdonnert zu kriegen!“ 

Ich bin 23 Jahre alt und habe es wirklich satt, meine besten Jahre weiter eingesperrt zu verbringen. Den meisten jungen Leuten geht es wie mir.  Seit einem Jahr werden wir zuhause isoliert, dürfen unsere Freunde nicht treffen, dürfen nicht auf Dates gehen, dürfen keinen Sport machen – dürfen keinen Kontakt zu Gleichaltrigen haben. Obwohl genau das junge Leute am liebsten haben und brauchen. Als junger Mensch muss man sich nach einem Jahr Kontaktverboten zwischen Depression und Rebellion entscheiden. Viele meiner Kommilitonen erzählen mir von den unzähligen Stunden, die sie im letzten Jahr vor Netflix oder Videospielen verbracht haben. Andere erzählen mir von geheimen Hauspartys, die sie organisiert haben oder Tanzveranstaltungen im Wald. Viele meiner Studentenkollegen sind so abgegessen, dass sie sich ein Freisemester nehmen, um länger zu verreisen. „Ich will unbedingt hier weg“, sagte mir neulich einer, „egal, was die beschließen – ich fliege irgendwo hin, wo man noch leben kann.“ 

England ist jetzt wieder so ein Ort. Hier dürfen junge Leute wieder jung sein und Leute treffen. Bisher zwar nur draußen, aber schon im Mai sollen die Bars und Restaurants auch ihre Innenbereiche wieder öffnen dürfen, im Juni dann sollen sämtliche Corona-Restriktionen aufgehoben werden. Das bedeutet: die Clubs öffnen wieder und auch Partys zuhause sind wieder erlaubt! Es darf endlich wieder getanzt, geknutscht und gefeiert werden. Zum ersten Mal in meinem Leben erwäge ich, den Sommerurlaub in England zu verbringen…

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