Tichys Einblick

Milliardensegen aus Brüssel: Eine historische Chance für Spanien?

Es ist vielleicht das letzte Mal, dass so viel Geld in Europas Süden fließen wird. Plötzlich wird Spaniens Premier von der bisher eher aggressiven Opposition umgarnt. Einige liberale Denker glauben, dass das Land zu korrupt ist, um 140 Mrd. € aus Brüssel richtig zu investieren.

imago images / Agencia EFE

José María Gay de Liébana y Saludas ist bekannt für seine klaren Worte. Als 2011 in Spanien alles zusammenbrach, gehörte der Universitätsprofessor zu denen, die klar aussprachen, wie im spanischen Finanzsektor geschummelt und geschoben wurde mit Hilfe der Politiker. Das alles führt zu einer Pleitewelle bei den spanischen Sparkassen. Schließlich musste die EU zur Hilfe kommen. Ihm schlossen sich damals viele Konservative an, welche die regierende systemisch korrupte PP unter Mariano Rajoy aufs Schärfste angriffen. In diesen stürmischen Zeiten entstanden die neue extrem rechte Partei VOX und die extrem linke PODEMOS, inzwischen in der Regierung. Beide haben sich dem Kampf gegen Korruption verschworen. Viel erreicht haben sie aber nach Ansicht von Gay de Liébana y Saludas noch nicht: „Jetzt Europa um Almosen zu bitten, ist nicht ethisch. Das spanische Verwaltungssystem durch seine vielen zwischengeschalteten Vermittler und Berater ist immer noch ineffizient und in Teilen korrupt“, sagt der in Katalonien ansässige Ökonom. Dennoch, von dem geplanten 750 Mrd. Corona-Rettungspaket der EU wird Spanien nun erneut 140 Mrd. bekommen.

In Katalonien, wo immer noch um eine Unabhängigkeit von Spanien gerungen wird, hat die systemische Korruption der damaligen konservativen, ebenfalls nach weitreichenderer Autonomie strebenden Regionalregierung die inzwischen eher linke Separatistenbewegung hervorgebracht. „Es ist ein Ablenkungsmanöver von der Verbindung von Betrug und regionalem Nationalismus“, sagt die Chefin der spanischen Liberalen (Ciudadanos), Inés Arrimadas. Seit dem Regierungsantritt von Pedro Sánchez vor zwei Jahren wendete sich das Blatt. Er räumte in seiner eigenen korrupten PSOE auf und will Spanien modernisieren. Selbst die Monarchie hat inzwischen ihren Schutz verloren und musste sich in den vergangenen Jahren für ihre vielfältigen korrupten Machenschaften verantworten. Die nun richterlich untersuchten Geldgeschäfte des emeritierten Königs Juan Carlos sind eine Zäsur. Sie könnten eine zweite demokratische Transition in Spanien einläuten – dringend notwendig nach 25 Jahren EU-Zuwendungen, die dem bis 1978 autoritär regierten Land immer noch nicht zu einer wirtschaftlichen soliden Basis verholfen haben.  

Spanien profitierte in 25 Jahren wie kein anderer von der EU

Zu wenige Corona-Tote
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In Spanien kamen während der aktuten Pandemie auf einmal Zweifel auf, ob das Land nicht von der EU alleine gelassen wird. Wieder wurde das Klischee vom egoistischen und geizigen Norden aus der Schublade geholt. Dabei wurde von einigen argumentiert, dass Spanien nicht vom Marshall-Plan profitiert habe und deswegen jetzt besondere Rechte hätte. Aber das spanische öffentliche Fernsehen wies in diesen Tagen daraufhin, dass kein anderes Land seit dem Eintritt 1985 so von der EU profitiert habe wie Spanien. Die Zuwendungen hätten das gesamte Volumen des US Aufbauplans für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg übertroffen – netto 88 Mrd. Euro vs 58 Mrd. Euro. 

Allein die Strukturfonds – rund 140 Milliarden Euro in 25 Jahren – haben fast 50% der Infastruktur finanziert. „Es wurde in den vergangenen 25 Jahren in Straßen und Flughäfen, aber nicht in Forschung und Entwicklung investiert“, klagt der Ökonom Andrés Villena. Gebuttert wurde von Brüssel auch die immer wieder wegen schlechter Arbeitsbedingungen für Erntehelfer und Einsatz von Chemikalien in Verruf geratene spanische Landwirtschaft mit bisher 100 Mrd. Euro. Sie ist inzwischen der Hauptlieferant der Deutschen in Sachen Bioprodukten und einer der größten Schweinefleisch-Exporteure der Welt. 

Einige Spanier wünschen sich eine EU-Intervention, um aufzuräumen 

Sánchez will mehr Europa ohne Zweifel und auch ein „sauberes“ Spanien, aber die Widerstände im eigenen Land sind groß und auch innerhalb der EU. Die von ihm angestrebte gemeinsame Arbeitsmarktpolitik, eine europäische Gesetzgebung bei Einwanderung und Euroanleihen sind schwer durchzusetzen. 

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Spaniens Aussichten sind nach Ansicht der eigenen Zentralbank düster: Zwischen 9 und 15% könnte die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr zurückgehen, 2021 dann wieder um bis zu 9% wachsen. Das Ausmaß der Pandemie hängt entscheidend von diesem Sommer und dem Zusammenhang zwischen Tourismus und einer möglichen zweiten Infektionswelle ab. „Wir machen hier eine gefährliche Gratwanderung“, erkennt auch die Präsidentin der Balearen an, Francina Armengol, die an diesem Montag mit TUI und Tausenden deutschen Touristen einen Testlauf machen wird, wie Urlaub auf Malle dieses Jahr aussehen könnte. 
Regierung steht vor historischer Aufgabe

Spanien hat zuletzt Lob erhalten von der europäischen Antikorruptionsgruppe GRECO im Kampf gegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Vetternwirtschaft, aber noch immer gilt die spanischste Justiz als das  schwächste Glied in der Kette. Deswegen seien die Gewalten nicht getrennt, würden Kosten vom Rechnungshof nicht richtig kontrolliert, Korruption in den autonomen Regionen und gäbe es immer noch fragwürdige Elemente im gesamten Bereich des Innenministeriums, sagt der spanische Intellektuelle und TV-Journalist José Miguel Monzón: “Unsere Richter sind nicht wie in Deutschland politisch unabhänig, damit haben wir in Spanien keine voll funktionierende Demokratie. Der Prozess ihrer Ernennung ist immer noch ein Machtspiel zwischen den zwei Volksparteien PP und PSOE”. 

Ein heimtückischer EU-Plan
Der Betrugsmoment
Sánchez hat seine historische Chance erkannt, aber ob er sie wahrnehmen kann, ist noch nicht sicher, weil Separatisten und rechtsextreme Kräfte immer wieder versuchen, seine Autorität in Frage zu stellen und damit versuchen, die sehr labile parlamentarische Mehrheit und gesellschaftliche Einheit im Land zu sprengen. Die Einführung einer Grundsicherung, ähnlich der deutschen Sozialhilfe, ist der erste Schritt, um Schwarzwirtschaft und Armut im Land zu begrenzen. Die Wirtschaftsministerin Nadia Calviño will mit dem Geld aus Brüssel in den ökologischen und digitalen Umbau des Landes investieren, wozu auch Tourismus, Landwirtschaft und Energieproduktion gehören. “Wir haben jetzt eine einmalige Chance, mit diesen Hilfen für die nächste Krise besser gerüstet zu sein durch richtige Investitionen in Forschung und Entwicklung”, sagt der spanische liberale Euro-Abgeordnete Luis Garicano. Seine Partei Ciudadanos sucht jetzt den Schulterschluss mit Sánchez, um sich von den anderen eher spaltenden Rechtsparteien VOX und PP abzusondern. Aber gewonnen haben die Sozialdemokraten in Spanien das Machtspiel noch lange nicht. Auch wenn derzeit ein Teil der Bevölkerung nicht mehr abends gegen Sánchez auf Töpfe schlägt, ist nach dem Tod von rund 30.000 Menschen durch das Coronavirus kaum noch etwas Gutes über die Regierung zu hören.  
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