Merkel hilf!

Der Altkommunist Ferenc Gyurcsány bittet Angela Merkel um Hilfe wie seine Väter die Sowjetunion.

PETER KOHALMI/AFP/Getty Images
Ferenc Gyurcsany of the 'Democratic Coalicion'

Am 27. Februar 2019, wurde ein Hilferuf aus Ungarn verschickt – vom ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der linken Splitterpartei „Demokratische Koalition“, Ferenc Gyurcsány. Er richtet sich an niemand anderes, als an die „Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin“, Angela Merkel, die, wie er schreibt, die „einzige Hoffnung“ von mindestens der Hälfte der ungarischen Wähler sei. Dabei sind in Osteuropa seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Hilferufe an fremde Mächte definitiv aus der Mode gekommen.

Er habe schwerwiegende Gründe für seinen Brief, beginnt Gyurcsány sein Schreiben, denn

„die Atmosphäre in Ungarn ist erstickend, und es ist eine Tatsache, dass die gegenwärtige Regierung nicht an der Einheit Europas, sondern an seiner Zersetzung arbeitet, und dies ist auch Ihre Verantwortung.

Vielleicht, weil Sie die Interessen der deutschen Investoren vertreten, oder weil Sie die Einheit der Europäischen Volkspartei wahren wollen, verschließen Sie – für uns immer weniger akzeptabel – die Augen über die europafeindliche Politik des Ministerpräsidenten Orbán, mit der er in Ungarn die Willkürherrschaft errichten will. Nicht Sie halten den Ministerpräsidenten an der Macht – schließlich sind wir ja die Wähler – , aber mit ihrer entschuldigenden und nachsichtigen Politik tragen Sie willentlich oder unwillkürlich dazu bei. Diese Tage werden von vielen Millionen staatlicher Gelder landesweit Plakate aufgehängt, die verkünden, dass die migrationsfreundliche Mehrheit der Europäischen Union, zu der auch die Volkspartei gehört, Ungarn bedroht. Ich habe Ihre Erklärung gelesen, dass sie damit nicht einverstanden sind, und dem ungarischen Ministerpräsidenten das auch sagen werden. Ich frage nicht aus Naivität: Was wird dann? Es bleibt bei dem getäuschten, in die Irre geführten ungarischen Volk, bei der starken antieuropäischen Stimmung und der Manipulation.

Sie haben schon früher fest zu Ihren Prinzipien und Überzeugungen gestanden, tun Sie es jetzt auch! Wenn Deutschland die Politik der ungarischen Regierung duldet und nur in Worten für Europa ist, dann werden grausame Jahre auf uns zukommen. Auf Europa und auch Ungarn.

Ich weiß, dass Sie verstehen, worum ich Sie bitte. Nicht ich, sondern mindestens die Hälfte der ungarischen Wähler hoffen auf Deutschland. Und auf Sie.“

Was genau seine Erwartungen sind, schreibt Gyurcsány aus gutem Grunde nicht. Was könnte er verlangen? Den Ausschluss Ungarns aus der EVP – das wird Merkel nicht betreiben, denn der Ausschluss würde am meisten der EVP weh tun. Fidesz wird die Europa-Wahl mit Sicherheit und mit großer Mehrheit gewinnen. Nicht nur braucht die EVP alle Stimmen, die sie bekommen kann. Sollten sich die ungarischen Europa-Abgeordneten nach einem Ausschluss aus der EVP dem konservativen Parteiblock anschließen, wäre das für die EVP und Merkel ein doppelter Verlust. Oder bittet Gyurcsány die verehrte Kanzlerin zwischen den Zeilen darum, die EU-Strukturhilfen für Ungarn zu streichen? Das kann Merkel gerne wollen, diese Strafe jedoch ist nicht einmal jetzt in der EU durchsetzbar. Und nach den Wahlen, mit einem großen oppositionellen Block im Parlament und etlichen konservativen Regierungen in den Mitgliedstaaten wird es noch weniger machbar sein.

Aber Gyurcsány hat einen anderen wichtigen Grund dafür, dass er die von ihm herbeigesehnten Maßnahmen nicht nennt. Einen solchen Brief im Vorfeld der Europawahlen zu schreiben, wie allgemein er auch gehalten sein mag, grenzt schon an Wahnsinn. Bei Hilferufen an ausländische Mächte hat jeder Ungar nur eine Assoziation: die einstigen Hilferufe an die Sowjetunion 1956 und 1968, und manche mögen sich auch noch an die Zeiten vor und während des Zweiten Weltkrieges erinnern, als NS-Deutschland die große Hoffnung der ungarischen Politik war.

Dass Gyurcsány diese Empfindlichkeiten offensichtlich nicht hat, verwundert nicht weiter. Der heute 58jährige war in den achtziger Jahren Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Jugendorganisation KISZ, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 widmete er sich zunächst dem Aufbau seines stattlichen Vermögens (er ist mehrfacher Millionär), wobei ihm seine Parteiverbindungen sehr hilfreich waren. Dass er bald darauf in die höchsten Regionen der kommunistischen Nomenklatura einheiratete, half ebenfalls.

Er trat in die Nachfolgeorganisation der ungarischen KP, die MSZP ein, und als 2004 die sozialistische Regierung des Ex-Spions Péter Medgyessy wegen der enormen Verschuldung des Landes am Ende war, löste er ihn als Ministerpräsident ab. Die darauf folgenden Wahlen 2006 gewann er, doch wenige Monate später kam eine interne Rede von ihm an die Öffentlichkeit, in der er zugab, bei den Wahlen „von morgens bis abends“ gelogen zu haben. Statt zurückzutreten schleppte er sich als der unpopulärste Ministerpräsident, den Ungarn je hatte, noch bis 2009 weiter an der Macht, bis er durch ein Misstrauensvotum abgelöst wurde.

2011 trat er mit seiner Anhängerschaft aus der sozialistischen Partei aus und gründete seine eigene „Demokratische Koalition“, mit der er im Wesentlichen die Ideen von Tony Blair vertritt. Bei den Wahlen 2018 erreichte er 5,37 Prozent, 9 Parlamentssitze (Fidesz hat 133). Trotz der ernüchternden Wahlergebnisse kann Gyurcsány von der Macht nicht lassen. Für die EU-Wahlen wollen sich alle linken Oppositionsparteien, auch seine DK, mit der nationalsozialistischen, rassistischen Jobbik zusammenzutun, um eine Chance gegen Orbáns Fidesz zu haben. Jetzt gehe es um alles, scheint er zu glauben, und dann ist alles erlaubt, auch fremde Mächte um Hilfe zu bitten. Ein Leser seines Briefes im Internet kommentiert: „Es war in den 50er Jahren in Mode, wegen renitenter Elemente Briefe nach Moskau zu schreiben. Darf sich Merkel in die Angelegenheiten der frei gewählten Regierung eines souveränen Staates einmischen? Mit sowas gewinnst du die Wahlen für Fidesz, aber diesmal mit einer Dreiviertelmehrheit.“

Seine kommunistischen Wurzeln erklären vielleicht die Instinktlosigkeit des Hilferufs an Merkel. Aber dass er sich damit an eine international isolierte, in der EU geradezu verhasste und in Deutschland selbst am Ende ihrer Macht befindliche Person wendet, zeigt, dass er den Kontakt zur Realität immer noch mehr verliert.


Auf Anfrage von TE erklärte ein Sprecher der Bundesregierung, man werde prüfen ob der Brief eine Angelegenheit der Bundeskanzlerin oder der Parteivorsitzenden der CDU sei, da es ja um einen Ausschluss Ungarns aus der Gemeinschaft der Europäischen Volksparteien gehe.

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Kommentare ( 73 )

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RauerMan
5 Jahre her

Der Herr ist schlecht beraten die Frau BK zu bitten.
Hat er nicht vermerkt, was sie aus Deutschland gemacht hat ?

Anna-Maria
5 Jahre her

So einer redet über Demokratie und Rechtstaat.!

https://de.wikipedia.org/wiki/Ferenc_Gyurcs%C3%A1ny

Wilhelm Cuno
5 Jahre her

Ich würde als CDU die Anfrage an AKK weiterleiten, da er ja nicht die Unterstützung der Bundesregierung, sondern der CDU haben will.

Diogenes
5 Jahre her

Ein Altkommunist bittet eine alternde Bolschewikin und FDJ-Sekretärin um „Bruderhilfe“. ( Vermutlich hat er nie Geschichte gelesen und erfahren, wie peinlich Bruderhilfe ausarten kann wie etwa 1956 in Ungarn 1969 in der Tschechoslowakei. Auf welcher Seite standen er und sie eigentlich damals, bzw. auf welcher Seite hätten sie gestanden, wenn sie nicht die Gnade der späten Geburt ereilt hätte? Will er, daß die Bundeswehr in Ungarn einmarschiert um Orban zu entmachten (nein, Entschuldigung, ein schlechter Witz) aber man kommt auf so verrückte Ideen, wenn man einen gescheiterten Kommunisten auf so plumpe Art um Hilfe flehen hört. Interessant wäre die Anrede… Mehr

GrandLevin49
5 Jahre her
Antworten an  Diogenes

Gyurcsány ist in Ungarn der größte Verbrecher seit Mátyás Rákosi (Regierungschef Anfang der 50-er) und wird noch immer von den Westen hofiert.

Talleyrand
5 Jahre her

Frau Merkel wird hilfswillig alsbald unsere untätige U-Bootflotte donauabwärts entsenden und vor Budapest bedrohlich auftauchen lassen. (Ist ja nicht so tief dort und man kann die Dinger auch mit kaputten Maschinen bequem stromabwärts treiben lassen und auch mal händisch an die Oberfläche bringen). Dort entsteigt Kanonenboot-Uschi persönlich im flotten Admiralsdress betont tailliert der Turmluke, ARD und ZEF sind vorinformiert zur Stelle, verliest eine angelikanische Merklärung in Abstimmung mit Schongklood, schwenkt die Europafahne und Orbahn ergibt sich zitternd und entnervt und sofort. Die Kommunisten übernehmen sogleich die Macht, nehmen alle Migranten der Welt ins Land und schenken diese der lieben Angela… Mehr

hassoxyz
5 Jahre her

Das Beispiel dieses Alt-Kommunisten zeigt, daß Merkel in Europa fast nur noch Unterstützung vom politisch-linken Rand bekommt, aber nicht mehr von der gesellschaftlich liberalen Mitte, geschweige denn von Rechts. Leider gibt es in Deutschland einen sehr starken politisch linken Rand von mindestens einem Drittel, der Merkels rechtswidrige Politik der offenen Grenzen weiterhin bedingungslos unterstützt und außerdem noch mit staatlichen Geldern in Höhe von mehrstelligen Millionenbeträgen versorgt wird. In Osteuropa wird Merkel kaum noch ernst genommen, aber auch in westeuropäischen Ländern gerät sie immer stärker in die Isolation, und das ist gut so.

Martin L
5 Jahre her

Zur „Instinktlosigkeit „:
Merkel und Co beschimpfen die Ostdeutschen im Dauerzustand als „Dunkeldeutsche“ und Schlimmeres. Sind die auch ehemalige Kommunisten?

Demokratius
5 Jahre her
Antworten an  Martin L

Gerade die! Das beste Beispiel ist Sarah Wagenknecht, die für ihre Kritik an der Flüchtlingspolitik regelrecht verteufelt worden ist.

humerd
5 Jahre her

Merkel kann grad nicht helfen, sie muss die deutschen Wohlstandskids loben und Barley von der SPD dabei helfen, am Wahlrecht zu drehen. „Angela Merkel und Katarina Barley unterstützen Schülerproteste Die Bundeskanzlerin und die Justizministerin haben die Fridays-for-Future-Demonstrationen gelobt. Diese würden zeigen, dass junge Leute politisch aktiv sind. (…) Sie sprach sich in diesem Zusammenhang dafür aus, Jugendlichen mehr politische Teilhabe zu ermöglichen und das Wahlalter herabzusetzen. „Wir sollten ein Wahlrecht ab 16 Jahren einführen“, forderte die Justizministerin.“ https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-03/fridays-for-future-demonstration-klimaschutz-angela-merkel-katarina-barley“ Wie schon bei der doppelten Staatsbrürgerschaft erhofft sich die SPD neue Wählerstimmen und wird auch hier wieder verlieren. Die Kids wählen grün,… Mehr

Andreas aus E.
5 Jahre her

Er könnte doch in Deutschland Asyl beantragen, dann B90/Grüne beitreten und ein Ministeramt anstreben. Klappt bestimmt!

F.Peter
5 Jahre her

Und ich dachte schon, wir hätten das Mittelalter schon hinter uns!
Es ist schon erstaunlich, wie hinterwäldlerich sich manche Zeitgenossen noch verhalten!
Vielleicht sollte der Herr sich einmal zurück ziehen und nachlesen – oder sich darüber beraten lassen – was Demokratie ist und wie eine solche funktioniert!

gmccar
5 Jahre her
Antworten an  F.Peter

Da kann er mit unserer Justizministerdarstellerin einen gemeinsamen Kurs besuchen. Die Dame lobt öffentlich den Kinder-Schulschwänzerkreuzzug der Greta. Ohne Worte.

humerd
5 Jahre her
Antworten an  gmccar

Merkel lobt doch auch die Schulschwänzer Wohlstandskids, die Generation Schneeflöckchen.