Kommunalwahlen in Frankreich: Die Mär von der Grünen Welle

Der große Verlierer dieser Wahl ist „La République en Marche“ (LREM), die Partei des Staatspräsidenten Macron. Nur in zehn von 236 Städten mit über 30.000 Einwohnern machten die Grünen das Rennen.

© Getty Images

Nach den Kommunalwahlen in Frankreich bekommen mehrere Großstädte einen grünen Bürgermeister. Medien und Politiker sprechen von einer „grünen Welle“, die ganz Frankreich erfasst. Doch wie aussagekräftig ist der grüne Wahlsieg bei einer Wahl, an der sich die Mehrheit der wahlberechtigten Franzosen nicht beteiligt hat?

In Lyon, Bordeaux, Straßburg und Marseille haben erstmals Frankreichs Grüne „Europe Écologique – Les Verts“ (EELV) die Rathäuser erobert. Seitdem ertönen Lobeshymnen auf die grüne Welle, die durch das Land schwappt. Fraglich ist, wie groß die Begeisterung der Franzosen für grüne Ideen wirklich ist. Denn ausgerechnet in den Metropolen, wo die Grünen einen Sieg verzeichnen konnten, war die Wahlbeteiligung besonders niedrig. So wurde in Lyon der grüne Kandidat Grégory Doucet von nur 19 Prozent der Wahlberechtigten zum Bürgermeister gewählt, in Straßburg reichten der grünen Kandidatin Jeanne Barseghian schon 15 Prozent für den Einzug ins Rathaus. Insgesamt blieben 60 Prozent der Wahlberechtigten der Wahl fern.

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Dass Frankreich, wo die Grünen bisher nie eine große Rolle gespielt haben, jetzt gleich mehrere grüne Bürgermeister bekommt, gleicht einer kleinen Revolution. Auch in Frankreich werden inzwischen die Stimmen lauter, die weniger Autos, mehr Klimaschutz und eine ökologische Landwirtschaft fordern.

Doch Gewinne haben die Grünen fast ausschließlich in den Metropolen eingefahren. Dort lebt die Oberklasse des Landes. Mittelgroße und kleinere Städte wurden von der grünen Welle nicht erfasst. Nur in zehn von 236 Städten mit über 30.000 Einwohnern machten die Grünen das Rennen.

In Arbeitervierteln und problembehafteten Vororten, in denen bisher das linke Lager die Oberhand hatte, haben die Wähler am 28. Juni fast ausnahmslos konservative („Les Républicans“) und rechte („Rassemblement National“) Bürgermeister gewählt.
Marine Le Pens „Rassemblement National“ (RN) gelang in der Mittelmeerstadt Perpignan mit über 120.000 Einwohnern ein symbolisch wichtiger Sieg. Hier holte der RN-Kandidat Louis Aliot mit über 44 Prozent der Stimmen die Mehrheit. Aliot löst den Sozialisten Jean-Marc Pujol als Bürgermeister ab.

Auch die Gemeinden Moissac im Südwesten Frankreichs sowie Bruay-la-Buissière im Norden konnte RN hinzugewinnen. In der Hafenstadt Le Havre errang der Konservative Édouard Philippe, ehemaliger Premierminister von Staatspräsident Emmanuel Macron, mit 58 Prozent der Stimmen einen deutlichen Sieg. Wer in Frankreich politisch ganz vorne mitspielen will, muss den Unmut der Franzosen und vor allen Dingen die Abstiegsängste der Mittelschicht formulieren. Konservative Parteien verstehen dies besser als die Grünen mit ihrer überwiegend gut ausgebildeten urbanen Wählerschaft. Die „grüne Welle“ ist mehr ein politischer Reflex auf die Gelbwesten-Bewegung. Von den Gelbwesten redet heute niemand mehr.

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Der Erfolg der Grünen kann weniger der EELV-Partei selbst zugeschrieben werden. Dafür fehlt der Partei ein schlüssiges Programm. Profitiert hat sie vor allem von den Stimmen enttäuschter Macron-Anhänger. Und ohne Allianzen mit Linken und Sozialisten wären die Grünen nicht in der Lage gewesen, die Wahl für sich zu gewinnen. Die Grünen sind, anders als in Deutschland, in Frankreich noch keine etablierte Partei. In der Parteizentrale sitzen gerade vier Mitarbeiter und im Parlament kein grüner Abgeordneter. Der überraschende Wahlsieg erinnert an den Wahlerfolg des ehemaligen sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand bei der Präsidentschaftswahl 1981. Nur eine Allianz mit den Kommunisten öffnete für Mitterand das Tor zum Élysée-Palast.

Der große Verlierer dieser Wahl ist „La République en Marche“ (LREM), die Partei des amtierenden Staatspräsidenten Macron. Weder in großen und mittelgroßen Städten, noch in kleineren Städten und Gemeinden gelang es der LREM, Mehrheiten zu gewinnen. Selbst in Paris, wo Macron bei den Präsidentschaftswahlen 2017 noch haushoch gewann, holte LREM-Kandidatin Agnès Buzyn nur 13 Prozent der Stimmen. Sie schaffte damit nicht einmal den Einzug in den Stadtrat. Die von Macron gegründete Regierungspartei kann sich nicht etablieren als stabile politische Kraft. Auch wenn der Klimaschutz das Bewusstsein von immer mehr Franzosen erreicht hat und an Bedeutung gewinnt. Die Kommunalwahl war vor allem eine Protestwahl gegen Macron – zwei Jahre vor der nächsten Präsidentschaftswahl.

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Kommentare ( 31 )

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Hieronymus Bosch
3 Jahre her

Dass Macron ein Falschspieler ist, dürfte auch dem letzten Franzosen bald aufgehen. Die politische Entwicklung wird ihn hinwegapülen und dahin befördert, wo er hingehört: in die Mottenkiste!

Juergen Schmidt
3 Jahre her

Das erinnert mich an den Wahlabend zur letzten Wahl des EU-Parlaments in 2019.
Die … ähm sagen wir mal … ÖRR-Mitarbeiterin Bettina Schausten jubelte vor laufender Kamera: „Europa ergrünt!“. Obwohl die GRÜNEN nur 9 komma noch etwas Prozent der Sitze im EU-Parlament erlangt hatten (74 von 751).
Das Votum der EU-Bürger über die GRÜNEN war eigentlich auch hier eindeutig und unmissverständlich.
Übrigens ist von der Tatsache aus gesehen der multimilliardenschwere „GREEN DEAL“, den die EU-Kommission nun aus dem Hut gezaubert hat, weder von den EU-Bürgern gewollt, noch demokratisch legitimiert, noch sonstwie angebracht.

butlerparker
3 Jahre her

„Die Medien“ sprechen von einer „grünen Welle“ = das sicherste Zeichen, daß es sie gar nicht gibt !

bfwied
3 Jahre her

Da die Grünen bzw. Grünlinken v. a. von den Jungen gewählt werden, können sie ihre Anhängerschaft besser ektivieren, die kämpfen nun mal um ihren Platz. Dass dennoch nur so wenige Bürermeister grün sind, spricht nicht zuletzt für die größere politische Reife! Was allerdings mal wieder typisch ist für den babyhaften Zustand der Presse in Bezug auf politische bzw. demokratische Reife sind die Meldungen von einer „grünen Welle“ in Frankreich. Bei den Zahlen von einer „grünen Welle“ zu sprechen, ist schon verlogen. Genauso fürchterlich ist jedoch nahezu die gesamte „Berichterstattung“ in allen Themenbereichen, ob zur politischen Lage in GB, USA oder… Mehr

FranzJosef
3 Jahre her

Sehr gut, dass TE das mal klar gestellt hat mit der angeblich grünen Welle in Frankreich. Die Anhänger der Grünen sind zur Wahl gegangen, die anderen blieben zuhause. Natürlich ist auch ein Wahlergebnis bei so geringer Beteiligung verfassungsrechtlich korrekt, nur politisch ist die Wirkung gering. Unsere grün dominierten Medien hingegen konnten gar nicht genug berichten und positiv kommentieren über die angeblichen Erfolge der Grünen im Nachbarland. Wie ernst es den Franzosen mit grün und öko wirklich ist, werden wir ja sehen, ob sie uns den Atomausstieg jetzt nach machen…..

Mausi
3 Jahre her
Antworten an  FranzJosef

Politisch ist die Wirkung gering: Sie meinen, weil die Bürger überwiegend nicht grün sind? Ich meine, die politische Wirkung ist höher, als es den Grünen zukommt. Die Minderheit bekommt aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung zu viel Gewicht und bestimmt die politische Richtung.

elly
3 Jahre her

„Doch Gewinne haben die Grünen fast ausschließlich in den Metropolen eingefahren. “
das ist doch bei uns genauso.

Back to the roots
3 Jahre her
Antworten an  elly

Exakt! Speziell dort wo die eingebildete Bildung der tatsächlichen diametral entgegensteht. Das ist meist bei denen der Fall, die in Sachen Laberstudium unterwegs sind oder waren oder irgendwas mit „Medien oder so“ machen (wollen).
Das sind dann meist die selben, die in vollem Bewusstsein in die Stadt ziehen weil ja das Leben im Kaff so spießig und reaktionär ist und sich dann beschweren, daß am Ziel ihrer Wünsche alles zu eng, zu stickig und zu laut ist.
Offensichtlich ist auch Frankreich auf diesem Irrweg angelangt. Ich beglückwünsche sie dazu ausdrücklich nicht!

Axel Jung
3 Jahre her

Die Leute resignieren und gehen nicht mehr zur Wahl. Und wer es dann noch schafft, seine Wähler zu mobilisieren ist im Vorteil. In dieser Situation von einer Welle zu sprechen, ist wohl nicht angemessen. Die Leute resignieren, weil sie sich von nichts und niemandem in der Politik mehr repräsentiert fühlen. Wie es scheint, ist uns Frankreich, was den Grad der Resignation angeht, vorraus. Wir werden die Franzosen schon noch einholen… Mir selbst fällt es auch immer schwerer noch ein Kreuz zz machen. Am liebsten würde ich mein Kreuz für „Ich will euch alle NICHT“ setzen (das bezieht sich übrigens sowohl… Mehr

bfwied
3 Jahre her
Antworten an  Axel Jung

Nobody is perfect! Sie müssen also schon herausfinden, was für Sie am wichtigsten ist und danach wählen. Ohne eine Wahl zu treffen, sind Sie nur eine Arbeitsameise oder Hampelmann, der letztlich über sich verfügen lässt.

Umkehrer
3 Jahre her

Also war die Wahl in Frankreich vor allem ein Mobilisierungsproblem des bürgerlichen Lagers. Das kennen wir ja noch von der EU-Wahl 2019 die zeitgleich mit den Kommunalwahlen in manchen deutschen Bundesländern stattfand, schön zu erkennen an der repräsentativen Wahlstatistik (https://www.bundeswahlleiter.de/europawahlen/2019/ergebnisse/repraesentative-wahlstatistik.html), die leider auch in den alternativen Medien nicht besprochen wurde.

Manfred_Hbg
3 Jahre her

Zitat: „Medien und Politiker sprechen von einer „grünen Welle“, die ganz Frankreich erfasst“ > Genau so habe ich es auch beim Reg.-Funk WELT u/o ntv tönen hören und mich schon gewundert bzw mir schon meinen Teil gedachte >> #Lückenmedien #Verdrehemedien Mittlerweile schaffen es unsere deutschen „Qualitätsjournalisten u. -Medien“ nicht mal mehr einfach nur die simplen nackten Zahlen aus den franz. Kommunalwahlen realistisch und „unverschwurbelt“ wiederzugeben. Denn selbst wenn es auch nur ansatzweise ein „Gerüchchen“ von Links oder Grün gibt, dann wird bei unseren Regierungmedien verdreht und geschöhnt was nur geht. UND damit diese mediale linksgrüne VolksVERBLÖDUNG ja bloß auch so… Mehr

Stefferl
3 Jahre her

Das ist schon richtig! Es hilft aber nichts, wenn man von einer Sozialistin regiert wird, die Wahlen „unverzeihlich“ findet und wieder „rückgängig machen“ lässt.