Die Banlieues schaffen in der Coronakrise ihr eigenes Recht

Misst der Staat mit zweierlei Maß? Der Alltag sei zu einer „Hölle“ in den „sensiblen“ Vierteln als „rechtsfreien Zonen“ geworden, in denen junge Männer staatliche Maßgaben zur Kontaktsperre nicht einhalten, wie ihre eigenen Videos belegen.

imago images / Hans Lucas
Seine Saint Denis

Seitdem seit einigen Wochen in Frankreich Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren gelten, die Polizei mit Drohnen in Wäldern Jogger und an Stränden Sonnenbadende ausfindig zu machen versucht, werden die Banlieues von staatlichen Kontrollmaßnahmen weitgehend verschont, wie das Magazin Valeurs actuelles in mehreren Beiträgen schildert. Ganz offen probten junge Männer mit nord- und schwarzafrikanischem Migrationshintergrund den Aufstand, setzten Fahrzeuge und Hauseingänge in Brand und lockten damit Feuerwehrleute und Polizisten in einen Hinterhalt, um sie gezielt anzugreifen. Die sogenannten „sensiblen Stadtviertel“ gingen „in der Gleichgültigkeit der Medien und der Leugnung durch die Staatsmacht in Flammen auf, die es vorzieht, weiterhin die Augen davor zu verschließen“.

Realität anders als „präsidiale Fabel“

So beglückwünschte in diesen Tagen Staatspräsident Macron die Bewohner von Seine-Saint-Denis – ein von der Coronavirus-Epidemie besonders betroffenes Departement, deren Notfallambulanzen überlastet sind –, dass sie Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren „hervorragend befolgen“. „Man glaubt zu träumen“, kommentiert das Blatt. Die Realität sei „eine ganz andere als die präsidiale Fabel“. Die Videos, „die Abend für Abend von den ‚jungen Männern‘ dieser rechtsfreien Zonen gepostet werden“, seien Beweis genug. Man sehe hier, „wie sie Hinterhalte gegen die Ordnungskräfte und Feuerwehrmänner legen, die sie zu ihren Wohnhäusern locken, nachdem sie Fahrzeuge angezündet haben“. Auch bei wilden Autojagden filmten sie sich. Die „Euphemisierung der Realität durch die Staatsgewalt und das Schweigen der Medien zu dem Zu-Tage-Treten einer Stammesjustiz “ sei, so befindet ein Kriminologe, „verblüffend“. Und der EU Abgeordnete François-Xavier Bellamy konstatiert: „Die Logik der Vergeltung, die sich in diesen Vierteln durchsetzt, ist Anzeichen für den Zusammenbruch des Rechtsstaats“.

In einem Interview mit Valeurs actuelles warnt Michel Aubouin, ehemals Präfekt im Innenministerium und Experte für die Banlieues, davor, dass „Hunderttausende von Menschen dem Gesetz von Schurken überlassen werden“. Denn „die ersten Opfer der Verwahrlosung durch den Staat sind die Einwohner dieser rechtsfreien Zonen, deren Alltag zu einer Hölle geworden ist“. Die derzeitigen Spannungen in diesen Gebieten habe man, so Aubouin, voraussehen können: „Diejenigen, die von kriminellen Handlungen leben“, mussten durch die Kontaktsperren sinkende Umsätze in Kauf nehmen: „Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit schneidet die Verkäufer von Cannabis, Kokain und seinen Derivaten von ihrer Kundschaft, aber auch von ihren eigenen Zulieferern, ab“. Die Schulschließungen hätten die Anzahl an Jugendlichen ohne Beschäftigung vervielfacht.

Angriffe auf Polizei und Feuerwehr

Kürzlich habe der Staatssekretär des französischen Innenministeriums, Laurent Nunez, die interne Anweisung an die Polizisten des Departements Calvados erteilt, in Vierteln mit „einem sehr hohen Bevölkerungsanteil, der den Ramadan befolgt“ – außer bei schweren Angriffen gegen Personen und Gütern – nicht einzugreifen: „Es stellt keine Priorität dar, in bestimmten Vierteln Ladenschließungen durchzusetzen und Menschenansammlungen aufzulösen“. Aubouin kommentiert diese Maßnahme: „Der Minister weiß, dass er nicht die Mittel hat, um diesen Vierteln zu widerstehen und im Fall von Aufständen den Frieden zurückzuholen. Da seit den 1990er-Jahren jede Handlung der Polizei als Aggression gegenüber dem lokalen Umfeld interpretiert wird, gibt er der Polizei lieber die Anweisung, sich unauffällig zu verhalten“.

Die Angriffe auf Polizei oder Feuerwehrleute deutet Aubouin als eine Möglichkeit, „eine Art Heroisierung zu erzeugen. Der Wertekodex, der an den Rändern der Gesellschaft herrscht, ist nicht der unsrige. Daher sind die Krawalle seit 2005 ansteckend. Dem, der im Kampf gegen den Feind gewinnt, gebührt der Ruhm“. Die Banden in diesen Vierteln verwehrten anderen den Zutritt zu ihrem Territorium: „Sie haben es zu einem rechtsfreien Raum verwandelt“. Ihre ersten Opfer seien „die Bewohner des Viertels selbst, deren Alltag zu einer Hölle geworden ist. Man findet hier viele Menschen, die trotz der Ausgangsbeschränkungen arbeiten (Krankenhauspersonal, Lieferanten und Taxifahrer) und Brandanschläge auf ihr Fahrzeug befürchten. Es sind Hunderttausende von Personen, die von den Behörden dem Recht der Schurken überlassen werden“.

Graben vertieft sich immer mehr

So vertiefe darüber hinaus „der unterschiedliche Umgang mit den Stadtvierteln, in denen ein Zehntel der französischen Bevölkerung lebt, und denjenigen Rechtsräumen, wo das Gesetz in seiner ganzen Strenge angewandt wird, den Graben immer ein bisschen mehr – und damit zwischen den Gebieten, wo man im Wald nicht spazieren gehen darf, und denjenigen, in denen Menschenansammlungen nicht bestraft werden und man die Polizei weiterhin verspotten kann“. Vor allem werde „früher oder später das Messen mit zweierlei Maß die französische Gesellschaft noch mehr spalten. Wenn die Grenze der Belastbarkeit erreicht sein wird, wird es etwas zu spät sein, um Lösungen zu finden“.


Dieser Beitrag erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.

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Kommentare ( 69 )

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bfwied
3 Jahre her

So sieht es aus, wenn man wie Merkel meint „Wir schaffen das“! Warum eigentlich sollte man diesen Leuten überhaupt ständig helfen und ihre Opferhaltung bestätigen? Wenn die Familien es nicht fertigbringen, ihre Kinder zu erziehen, sie als Jugendliche und Erwachsene stattdessen ihre Häuser anzünden lassen, dann sollen sie halt in den Ruinen leben. Warum eigentlich wird immer das irreale Lied von toller Integration gesungen, anstatt zu fordern, sich einzufügen? Sie sind in Frankreich und in Deutschland nicht von vornherein abgelehnt worden, sie stellen sich außen vor, wie in D. heute türkische Journalisten sich häufig als ausgegrenzt geben – wobei ihnen… Mehr

Onan der Barbar
3 Jahre her

Ich finde es gut, dass junge Menschen selbstbewusst ihre Freiheit verteidigen. Niemand braucht den Staat, der Staat ist von Grund auf böse (das wusste schon Ayn Rand) und übergriffig. Wer hätte jemals gedacht, dass der Islam zum Verteidiger liberaler Werte würde?

D. Ilbert
3 Jahre her

Linke Bessermenschen wollten Kalkutta helfen. Statt dessen machten sie aus unseren Städten Kalkutta und feiern das als multikulturelle Bereicherung. Von all dem, was sich insgesamt so abspielt, bekommen wir, wie „die Franzosen“ auch, nur Randnotizen mit. Z.B. las ich dieser Tage, täglich würden 16 Frauen (nein, nicht immer dieselben) von unseren Kulturbereicherern zwangsbeglückt. Es sind nur diese Spotlights, derer wir gewahr werden. Wie bei einem Eisberg liegt das Hauptereignis unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Unter Merkel wurde der Import des Bürgerkriegs-Virus perfektioniert. Und sie hört auch nicht auf damit. Willige Medien, wie in Frankreich, leisten tatkräftige Unterstützung. Im Verein mit der hirnrissigen… Mehr

Der Ketzer
3 Jahre her

Irgendwann wird konsequentes pragmatisches Handeln gefragt sein. Dies könnte so aussehen, dass die Stadtviertel, deren Einwohner glauben, ihren eigenen Staat im Staate gründen zu können, schlicht abriegelt werden. Keiner geht rein (insbes. keine Polizei) und keiner kommt raus, Sozialleistungen in jeglicher Form werden eingestellt und wenn diese erzieherischen Maßnahmen nicht reichen, werden Strom und Wasser abgestellt. Dann wird sich sehr schnell zeigen, wer von wem abhängig ist und dass eine Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft notwendig ist. Das werden dann auch die „jungen Männer“ lernen müssen, die glauben, Allah habe sie mit einer Teflonschicht versehen und Corona sei ausschließlich ein Problem… Mehr

fatherted
3 Jahre her

Dankenswerter Artikel….leider gibt es keine Berichte dieser Art in den ÖR Medien. Da wird schon seit Jahren die Situation in Frankreich schön geredet oder verschwiegen. Wer mal wirkliche Parallelwelten sehen will…einfach mal in die größeren Städte Frankreichs schauen (nicht nur Paris)….an die Stadtränder und den Hochhäusern….da herrschen eigene Gesetzte….da traut sich Polizei nur als Hundertschaft rein. Einzelne Polizeiwagen werden von den Hausdächern mit Steinen eingedeckt…..nix mit Kontrolle. Hauptsache Herr Macron kann staatstragend im Palast regieren….auf den Leim sind schon mal französische Herrscher gegangen….und haben es bitter bereut.

Gjergj Kastrioti
3 Jahre her

Das sind die Zustände, die unserem Land in wenigen Jahren blühen, und zu einer solchen Prognose bedarf es keiner hellseherischen Fähigkeiten. Weder in Frankreich, noch in Belgien, noch hier verstand man es, den Anfängen zu wehren. Die westeuropäischen pazifistischen deeskalierenden Staaten sind unfähig, dieser Gewalt angemessen zu begegnen und deren Polizeien sind schlecht bezahlt und mangelhaft ausgerüstet, denn das ist Krieg, was sich hier abspielt. Der Zerfall Europas schreitet in Riesenschritten voran; noch kann man auf dem Land, abseits der Großstädte, einigermaßen in Frieden leben – aber wie lange noch?

Rambatuba
3 Jahre her

Das Ziel der Zerstörung von Bürgerlichkeit und abendländischer Kultur der 68er-Marxisten, die bekanntlich direkt von sozialistischen Diktaturen gesteuert wurden, ist mittels grenzenloser Einwanderung, da sich das Proletariat als unbotmäßig erwies, bald erreicht. Dass Moslems, sollten sie einmal den Status einer kleinen Minderheit überschreiten, sich nicht integrieren würden, propagiert der Sultan vom Bosporus unverhohlen, belegen 1400 Jahre, in denen Christen in ihren eigenen Ländern zu einer verschwindenden Minderheit gemacht wurden, der Umstand, dass aufgeklärte Muslime in Europa unter Polizeischutz leben müssen, und nicht extremistische. All das wussten die „Multikulturalisten“, denn dumm sind sie nicht, das muss man ihnen lassen. Die CIA… Mehr

Adorfer
3 Jahre her

Wir hatten mal vor vielen Jahren, eine frz. Jugendfußballmannschaft zu Gast. Da waren auch einige „Farbige“ dabei. Es herrschte totale Apartheid in dieser Mannschaft. Für uns fast nicht zu glauben. Also nichts Neues.

schwarzseher
3 Jahre her

Was sich heute in den französischen Vorstädten abspielt wird sich bald auch in deutschen Vorstädten abspielen, erste Anzeichen sind unübersehbar. Und noch etwas später werden diese Zustände sich nicht auf die Vorstädte beschränken, sondern großflächig herrschen, es sei denn, daß man den Zustrom der Kulturfremden umgehend stoppt. Aber das ist nicht abzusehen.

fatherted
3 Jahre her
Antworten an  schwarzseher

Ist doch schon längst der Fall…einfach mal nach Duisburg, Offenbach oder Stadtteile von Berlin, Frankfurt und Köln schauen. Der Drops ist längst gelutscht.

Ralph Martin
3 Jahre her

Sorry, auch die Franzosen wählen Parteien die diese Zustände fördern.
Kein Grund sich zu beschweren.