Der Mordanschlag auf Nawalny ist Putins größter Flop

Der offensichtlich aus dem Ruder gelaufene Mordanschlag auf den Dissidenten Alexej Nawalny ist für Putin ein Desaster. Für seine deutschen Partner wird es nun schwer, an der Nordstream-2-Pipeline festzuhalten. Doch dank "Energiewende" hat Deutschland keine Alternative.

imago images / ITAR-TASS
Demonstrantin mit einem Bild von Alexei Nawalny

Einfach dumm gelaufen, möchte man zum rundum misslungenen Mordanschlag auf den bekannten russischen Dissidenten Alexej Nawalny sagen. Der Zar im Kreml dürfte vor Wut außer sich geraten sein. Irgendetwas muss da entsetzlich schief gegangen sein. Nicht umsonst gehört zu den größten Problemen Russlands eine aus Sowjetzeiten überkommene Schlampigkeit und Nachlässigkeit an vielen Stellen im Lande.

Warum sollte der Geheimdienst davon ausgenommen sein? Die dafür Verantwortlichen werden wohl darüber möglicherweise schon bald für viele Jahre in den eisigen Weiten Sibiriens nachdenken können. Naheliegend ist, dass sie sich bei der Dosierung des tödlichen Giftes einfach vertan haben. Möglicherweise hätten die Wirkungen erst nach der Landung in Moskau eintreten sollen. Dort hätte dann ein Spezialkommando, vielleicht sogar in Rot-Kreuz-Uniform den „schwächelnden“ Passagier in Empfang nehmen sollen, worauf er dann in der Klinik und unter den Augen kluger Geheimdienst-Ärzte entschlafen wäre. Niemand in Rußland hätte an einen natürlichen Tod geglaubt. Das beabsichtigte Warnsignal nach innen und außen wäre aber eingetreten. Nur, dass niemand hätte behaupten können, Nawalny sei vergiftet worden.

Nun aber geriet das Ganze außer Kontrolle: Nawalny erkrankte bereits während des Flugs von Tomsk nach Moskau. Der nicht eingeweihte Flugkapitän landete deshalb ungeplant in der sibirischen Stadt Omsk; der Rest ist bekannt.

Jetzt, wo der maximale Schaden für den Kreml eingetreten ist, steht Putin möglicherweise vor einem Scherbenhaufen seiner gesamten strategischen Europapolitik. Schon wird die Forderung immer lauter, beim Projekt Nordstream 2 die Notbremse zu ziehen. Mühevoll war diese weitere Pipeline, die die bereits vorhandene Abhängigkeit Deutschlands von Erdgaslieferungen aus Russland (sie liegt bereits bei 40 Prozent) weiter erhöhen würde, über Jahre mit viel Einflussnahme hinter den Kulissen eingetütet worden.

Noch kurz vor dem Ende seiner Kanzlerschaft hatte Gerhard Schröder den Deal mit Putin unter Dach und Fach gebracht. Kurze Zeit später übernahm er bekanntlich einen hochdotierten Top-Manager-Vertrag beim Vertragspartner Gazprom. Sehr zur Freude übrigens führender deutscher Wirtschaftsbosse, die in vielerlei Hinsicht davon profitierten. Schröder, der mittlerweile entdeckt hatte, dass Putin ein „lupenreiner Demokrat“ ist, und selbst die absurdesten Wahlvorgänge als völlig in Ordnung bezeichnete, wob unterdessen immer weiter an einem Pro-Putin-Netzwerk. Es gelang ihm sogar, die Kanzlerin Angela Merkel von der Richtigkeit des Geschäfts zu überzeugen. Ungeachtet der Tatsache, dass Putin selbst seine Energie-Lieferungen als politisch einsetzbare Waffe bezeichnete.

Die energiepolitische Abhängigkeit von Russland, in der Deutschland nun steckt, ist auch durch die so genannte Energiewende, also den doppelten Ausstieg aus Kern- und Kohlekraft begründet. Da die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht, ist Merkels Deutschland unbedingt auf eine verlässliche Energiequelle angewiesen: Russlands Gas.

Die Ukraine und die baltischen Staaten können ein Lied davon singen, wie Putin Russlands Gas als politische Waffe einsetzt. Kein Wunder, dass die Polen, Tschechen und die Balten große Magenschmerzen bekamen und sich ihrer dunklen Erfahrungen mit deutsch-russischen Partnerschaften über ihre Köpfe hinweg in der Geschichte erinnerten. Besondere Kritik und jetzt auch massiver Druck kam und kommt aus den USA. Es wäre zu einfach, wie es hier zu Lande viele tun, dies nur mit ökonomischen Interessen der USA selbst zu begründen. Denn immerhin garantieren die USA mit ihrem atomaren Schirm und der Anwesenheit ihrer Truppen nicht zuletzt Deutschlands Sicherheit – auch und gerade vor russischer Bedrohung. Wie soll Washington mit einem Partner umgehen, der sich freiwillig in so einem sensiblen Bereich wie der Energieversorgung von der anderen Seite abhängig macht.

Dabei lief doch alles so gut bisher. Die Nato steht vor der größten Zerreißprobe ihrer Geschichte. Manche in Washington meinen schon, Deutschland sei als Bündnispartner abzuhaken. Bei einem Abdriften der Bundesrepublik wäre Russland automatisch der dominierende Faktor auf diesem Kontinent. Noch am Dienstag dieser Woche bekräftigte Merkel mit Nachdruck am Pipeline-Projekt Nordstream 2 festhalten zu wollen. Doch der Nawalny-Schock sitzt im Westen tief und fordert angesichts auch der Vorgänge in der Ukraine und in Weißrussland eine deutliche Reaktion. Der Verzicht auf Nordstream 2 wäre eine solche.

Mal sehen, ob ein aus dem Ruder gelaufener Mordanschlag mit einem Mal ganze Herrschaftsphantasien der Kreml-Herrscher und ihrer Versteher hier in Deutschland zunichte macht.

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Kommentare ( 266 )

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Brotfresser
3 Jahre her

Sehr geehrter Herr Gafron, ich empfinde Ihren Kommentar als eine Zumutung! Bitte gehen Sie davon aus, dass die Mehrheit der Leser hier bei TE „sapere aude“ anwendet, gerne mal die „cui bono“-Frage stellt und weiß, was George Friedman (STRATFOR) über die jahrhundertelange, erfolgreiche Verhinderung einer deutsch-russischen Annäherung durch Washington verlauten ließ, was Dr. Ganser zu den Vorgängen in der Ukraine (die Erschießungen während der Majdan-Proteste und das Wirken von Victoria „Fuck-the-EU“ Nuland) veröffentlicht hat, was Udo Ulfkotte journalistisch und persönlich für Erfahrungen mit Giftgaseinsätzen des Westens gemacht hat, was Scripal und seine Tochter mit dem Giftgas von Salisbury und die… Mehr

Stefan Tanzer
3 Jahre her

Putin soll also auf die stümperhafteste Art und Weise, die es gibt und die garantiert auf ihn zurückführt, einen solchen Auftragsmord angeordnet haben? Und dann lässt man das Opfer sogar noch aus Russland entkommen und nach Deutschland einfliegen, nur um dann sogar noch die Art des Giftes feststellen zu lassen und das dann medial auf allen Kanälen verbreiten zu lassen und dafür zu sorgen, das sich das Opfer sogar von dem Angriff erholen kann? Und anstatt nun wirklich relevante Politiker, die ihm gefährlich werden könnten, sucht er sich ausgerechnet Nawalny, der politisch ohnehin mausetot ist? Wäre er Kandidat für die… Mehr

E. Thielsch
3 Jahre her
Antworten an  Stefan Tanzer

Lebend ist Nawalny nützlicher als tot.
Denn all diese Bilder und Nachrichten verbreiten Angst und Schrecken.
Auch Mafia-Morde werden nicht geheim gehalten: Man steckt dem Opfer zum beispiel einen toten Kanarienvogel in den Mund: „Er hat gesungen und deshalb haben wir, die Mafia, ihn umgebracht!“

Mayor Quimby
3 Jahre her

Jaha, die Welt besteht einerseits aus Verschwörungstheoretikern, dann wieder aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen, einerseits aus Putinhassern, dann wieder aus Trumpverstehern, Trumphassern und Putinverstehern. Letzeres wäre ich gern, ich würde nämlich gerne verstehen, wieso Putin immer dann, wenn für ihn etwas auf dem Spiel steht, einen seiner „expendablen“ Gegner in aller Öffentlichkeit mit dem „schrecklichsten, tödlichsten“ (Otto) Gift der Welt, dann aber wieder kunstvoll nur halb vergiften läßt, wie zum Beispiel am 4. März 2018 Sergei und Julia Skripal in Salisbury, England. Nur um zu sehen, ob der Westen auch aufpaßt? Warum wartet der Dummkopf nicht ein, zwei Monate damit,… Mehr

Julia aus Hamburg
3 Jahre her

Ich lese die Kommentare und sehe, dass die meisten Schreibenden eine andere Meinung vertreten. Ich habe inzwischen Angst, dass hier KGB-Agenten tummeln, so viel Wissen über die Hintergründe und die Besonderheiten der russischen Politik können nur Profis haben. Obwohl der Eindruck oft entsteht, dass alle wie schlechte Schüler voneinander abschreiben. Jetzt im Ernst: liebe Mitbürger, ihr habt Merkels Politik verdient! Oberflächlicher und klischeehafter geht es nicht! Ihr wart doch mal eine Nation von Denkern, was ist davon übrig geblieben? Traurig.

Julia aus Hamburg
3 Jahre her

Lieber PeterG, vielen Dank für die Blumen. Allerdings bin ich eine alte weiße, zum Glück gut gebildete Frau (56), beherrsche vier Sprachen, in denen ich sehr gute Bücher lese, und entweder informiere mich ausführlich über die Sachen, die ich schreibe, oder schreibe liebet nichts. Ich lasse eine Auseinandersetzung mit den ganzen Stereotypen, mit denen leider alle Seiten unserer Gesellschaft über komplexe Sachverhalte urteilen, von links bis rechts, beiseite und formuliere das Problem anders. Zum ersten geht es darum, ob wir einen neuen Totalitarismus ansterben, dann ist Putin genau die richtige Person zu bewundern. Ich persönlich will in einer solchen Gesellschaft… Mehr

Leka
3 Jahre her
Antworten an  Julia aus Hamburg

Haben Sie denn irgendwelche Beweise für den vermeintlichen Einsatz von chemischen Waffen durch Rußland? Das ist doch eine arge Unterstellung!

Peter Zinga
3 Jahre her

Eine klare russofobie oder politische Blindheit?
Was sollte Navalnys Tod Putin bringen? Tod eines Klauns? Der ist doch Putin gar nichts gefährlich, ehe Gegenteil! Als „nützlicher idiot“ diente er dem Beweis, dass in Russland demokratie fungiert!
Westen hat ihm aufgeblasen, obwohl keiner weiss, wo für eigentlich russische Nationalist Nawalny steht-es reicht, dass er gegen Putin ist.
Ganze Affäre hat dunklen und gleichzeitig klaren Hintergrund: Nordstream 2. Der Zeigenfinger streckt gen Westen.
Und wieder Nowizcok… Meinen Sie, die Russen sind so dum? Nein, hier ist Dummheit der westlichen und vorzugsweise deutschen Bevolkerung angenomen.

Riffelblech
3 Jahre her

Und warum ist die Charite mit den Proben nicht in ein unabhängiges ,von jedem Verdacht freies Labor gegangen ? In der Schweiz hätte es beste Voraussetzungen gegeben um hier objektive Analysen zu erzielen. ! Nein ,es durfte kein unabhängiger Labortest gemacht werden ,weil ,wie Merkel immer so schön sagt „“ das ist nicht zielführend „“ . Und was sagt und das nun wieder ? Man wollte genau dieses Ergebnis ,kein Anderes ! Merken denn die Flachzangen da oben nicht mehr ,das die Menschen in diesem Lande zunehmend den Blödsinn nicht mehr glauben ,den sie mit aller Macht der MMM verkaufen… Mehr

Vogelfrei
3 Jahre her

Seit fast 50 Jahren kaufen wir den Russen zum beiderseitigen Nutzen Gas ab. Der Gedanke, wir könnten ernsthaft die russische Politik und die innerrussischen Methoden bestimmen, ist einfach lächerlich. Wir können ja nicht mal unsere eigenen Grenzen schützen. Aber mit dieser Gasleitung können wir unsere prekäre Energieversorgung preisgünstig diversifizieren und Erpressungspotentiale durch die Ukraine und durch Polen entschärfen. Das sollten wir auch tun.

Jack
3 Jahre her

Ja, es war ein Flop.
Und genau weil es ein Flop war, fällt es mir schwer zu glauben, dass Putin dafür verantwortlich sei. Ich denke es gäbe bessere, unauffälligere Möglichkeit.
Irgendeiner in diesem Spiel zwischen Ursache und Wirkung ist primitiv.
Solange es keine eindeutigen Beweise für die Täterschaft gibt, ist die Unschuldsvermutung doch noch gültig, oder?

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  Jack

Man ist halt geneigtt, von der eigenen Regierung Kunterbunt und ihren diversen Flops auf andere zu schließen.

Cubus
3 Jahre her

„ .. auch und gerade vor russischer Bedrohung. „ Wo bedroht uns Russland? Alle strategischen Entscheidungen Russlands der letzten Jahre hat das Imperium Americanum zu verantworten. Niemand hat die NATO gezwungen Kampfpanzer 150 km südlich von St. Petersburg zu stationieren. Niemand hat Frau Nuland gezwungen, 5 Mrd Dollar für einen Putsch in der Ukraine auszugeben. Niemand hat die USA gezwungen in Syrien desgleichen zu tun und Kopfabschneider mit Geld und Waffen auszustatten, um eine schiitische Pipeline zu verhindern und eine sunnitischen zu ermöglichen. Niemand außer Baker hat den Russen 1990 gesagt, „Not a little inch ..“ Der böse Putin hat… Mehr

Wolfgang Brauns
3 Jahre her
Antworten an  Cubus

Um diese beleidigen zu können, bedarf es einer ganz wichtigen Voraussetzung.
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