Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wähler der Partei „Die Linke“

Zur EU-Wahl spricht TE jeweils mit einem Wähler der im Bundestag aktuell vertretenen Parteien und mit einem Nichtwähler. Die Gesprächspartner wurden willkürlich ausgewählt und bleiben anonym. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und das geschriebene Wort abgeglichen.

Wie schon beim Wähler der Grünen verabreden wir auch mit dem Wähler der Linken ein Telefongespräch, das wäre ihm lieber. Er könne dann freier erzählen, obwohl der Weg zueinander keine zehn Autominuten gebraucht hätte. Im Telefongespräch fällt auf, was wir schon in den Gesprächen zuvor beobachtet haben: Es wird kaum unterschieden zwischen EU- und Bundestagswahl. Ja, es scheint streckenweise sogar so, als würde man über eine Bundestagswahl sprechen. Der Europa-Bezug muss zwischendurch erinnert werden. Anonymität ist auch dem Wähler der Partei „Die Linke“ wichtig, ein öffentliches Bekenntnis diese Partei zu wählen, käme für ihn nicht in Frage, er vermutet da starke Vorbehalte der Anderen.

Die CDU-Wählerin
Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wählerin der CDU
„Sie wollen wissen warum ich die Linke wähle. Dafür muss ich ausholen: In meiner Jugend waren die Grüne das große Ding, als sie das erste Mal in den Bundestag gewählt wurden. Es sah zwar nicht so aus, als würden sie die Republik sofort umkrempeln können, aber ihr freches Auftreten war mehr als nur ein Nadelstich mitten hinein ins Establishment. Sagte man damals schon „Establishment“? Ich weiß es nicht mehr. Aber es wurde viel bunter, dieser miefige Schwarzweißfilm der Nachkriegszeit war ein für alle Mal beendet.

Dann kam lange nichts. Im Gegenteil: Der schleichende Prozess der Anpassung der Grünen an den Bonner und später Berliner Politikbetrieb war erschreckend und gipfelte in der Ungeheuerlichkeit, dass Fischer (Red.: Der damalige grüne Außenminister Joschka F.) einen Kriegseinsatz im Kosovo mit einem Auschwitz-Vergleich rechtfertigen wollte. Von da an waren die Grünen für mich Teil des Problems geworden.

Oskar Lafontaine ging damals den anderen Weg, er verweigerte sich. Dafür wurde er viel gescholten. Aber meinen Respekt hatte er. Und als seine WASG mit der PDS zu den Linken verschmolz, bekam er regelmäßig meine Stimme. Ich sah keine oppositionelle Alternative, die irgendetwas hätte bewirken können.

Warum überhaupt links? Nehmen wir die heutige politische Situation in Deutschland, dann fällt doch auf, dass wir seit Jahren dank erfolgreicher europäischer Wirtschaftspolitik vermeintlich so gut da stehen wie nie, dass sich aber erstmals in voller Wucht auch die dunkle Seite dieses zügellosen Neokapitalismus zeigte: Schauen Sie doch mal auf die Millionen Abgehängten in den Tafeln und anderswo.

Der AfD-Wähler
Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wähler der AfD
Das sind viel zu viele Menschen mitten in Deutschland, die nicht vom Wohlstand profitieren. Ein gutes Beispiel ist die alte Frau, die am Flaschencontainer nach Pfandgut fischt. Was ist hier bloß so verdammt falsch gelaufen? Für mich wurde es da zur Pflichtübung, der Linken meine Stimme zu geben. Und sei es nur deswegen, das es diese kleine Partei der Bundesregierung mit Unmengen von Anfragen und Störmanövern erschwert, einfach immer so weiter zu machen. Warum hat eine Regierung, die doch für sich behauptet, so erfolgreich zu sein, so etwas überhaupt nötig?

Natürlich sehe ich auch die Probleme, die die Aufnahme von so vielen Flüchtlingen mitbringt. Aber ich orientiere mich da mehr an dieser Gruppe um Lafontaine und Wagenknecht, die alle anderen in der Partei zum Nachdenken bringen. Als Regulativ sind die Linken unerlässlich. Schwierig wird es, wenn weite Teile der Opposition ausfallen, wenn die Grünen und die FDP nur darum wetteifern, wer der nächste Juniorpartner der alten oder der neuen Merkel sein könnte. Die Linke hat das Glück, dass sie für die Union nicht in Frage kommen. Auch kein schlechter Grund, links die zu wählen.

Die AfD? Steht doch mit dem Rücken zur Wand. Ob die wollen oder nicht, die Ereignisse in Österreich werden Spuren hinterlassen. Schon alleine dadurch, dass von nun an jeder noch mehr die Lupe drüber hält. Jetzt wird immer auf Höcke und Gauland gezeigt, aber da sind doch mit diesem Niedersachsen (Red.: Armin-Paul Hampel) oder mit der von Storch noch weitere Kaliber, mit denen man nicht alleine in einem Raum eingesperrt sein möchte (lacht).

Der Wähler der Grünen
Zur EU-Wahl: Gespräch mit Wähler der Grünen
Doch, es liegt sicher auch in meiner Geschichte verwurzelt, die früh geprägt war von diesen schwarz-weißen Anzugträgern und die dann von einer bunten grünen Bewegung überstrahlt wurde, sprichwörtlich wie ein Regenbogen. Irgendwer sagte mal, der Wechsel vom Schwarzweiß-Fernsehen zum Farbfernsehen wäre zeitgleich passiert und hätte diesen Effekt noch verstärkt. Wäre mal interessant zu wissen, wann die Mehrheit der Bundesbürger Farbfernsehen hatte. Bei uns gab es den erst sehr spät, mein Vater kaufte den ersten Mitte der 1980er.

Für Europa wünsche ich mir – auch wenn das jetzt widersprüchlich klingt – eine selbstbewusstere politische Mitte aus Christdemokraten versus Sozialdemokraten. Die großen Volksparteien haben mit ihrer Kungelei Attraktivität verloren. Noch mehr, seit sie sich von den Grünen und von außerparlamentarischen Kräften am Gängelband herumführen lassen und deren Lied singen. Die Linken haben es jetzt viel schwerer, ihre natürliche Wächterfunktion auszuüben. Den Regierungsparteien ist es perfekt gelungen, den Blick der Opposition fast geschlossen auf die AfD zu lenken. Von sich weg. Seitdem dieses Gleichgewicht der Kräfte aus dem Lot ist, geht viele schief. Aber es wird noch schiefer gehen, wenn Deutschland den Gürtel enger schnallen muss. Ich wähle also links aus sehr gutem Grund.

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Kommentare ( 65 )

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SystemKritiker
4 Jahre her

Links wählen, aber dramatische Denkfehler begehen: 1. Fehler: Richtig ist, entsprechend der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft gibt es zu viele Verlierer – also Verarmte. Doch wenn ich das (begrenzte) Sozialsystem durch Masseneinwanderung noch mehr belaste, werden die Menschen in der Mitte auch noch ärmer und ganz unten kommt nichts mehr an. 2. Fehler: Einfach mal nachdenken, wodurch die AfD entstanden ist, es ist das Versagen nach [1] und das Versagen der Etablierten auf fiskalischer, politischer und wirtschaftlicher Ebene. 3. Fehler: Solange die Linke(n) jede Gelegenheit nutzen um die Mitglieder der AfD zu verprügeln, Mordversuche begehn, Plakate herunter reißen oder deren Anhänger… Mehr

Mr. Spock
4 Jahre her

Mir gefallen die „zufälligen“ Interviews, ebenso die Kommentare dazu. Sie haben mich daran erinnert, wie meine Erfahrungen mit Andersdenkenden sind. Ein Beispiel möchte ich hier kurz beschreiben. Im Lehrerzimmer (Berufsschule) saß bis vor kurzem über Jahre ein Kollege neben mir, der sich selber als „ultralinks“ bezeichnet hat. Als Sohn, der aus einem typischen „Ruhrpott-Malocher-Haushalt“ stammt habe ich viele Jahre die SPD gewählt (Schröder habe ich beim 1. mal noch gewählt), dann irgendwelche „unbedeutenden“ Parteien, um durch Nichtwählen nicht den rechten Rand zu stärken (Tierschutzpartei, die Violetten,…). Nun bin ich seit 2013 überzeugter AFD-Wähler. Ich hausiere nicht mit meiner politischen Einstellung,… Mehr

Martin L
4 Jahre her

Ich wundere mich ja nur, dass er auf Anonymität besteht. Ich weiß nicht, in welchem Umfeld er lebt. In meinem beruflichen Umfeld würde ich mit „Linken“ nicht anecken. Auch bei CSUlern würde ich damit maximal ein mitleidiges Lächeln ernten.
Würde ich dagegen sagen, dass ich die AfD wähle, würden ich einige Leute im Betrieb mich zu ihrem persönlichen Feind erklären.

nhamanda
4 Jahre her

Wir brauchen mehr „direkte Mitentscheidung“ des Souveräns. Das läßt sich technisch organisieren. Wer Angst vor „politisch Irrgeleiteten“ hat und „Populismus“ hat, kann gerne die Haftung einführen für falsche politische Versprechen. Dann hört das ganz schnell auf. Aber das wollen die politischen Akteuere auf keinen Fall. Wer will es ihnen verdenken. Da sind sich die Parteien einig. Das ideologische Lagerdenken ist nichts anderes als „Souveränverarschung“, und das klappt prima. Das muss nach über 300 Jahren Aufklärung und über 40 Jahren Digitalisierung endlich aufhören. Es gibt wohl gute Gründe der „Herrschenden“ es nicht zu wollen. Den Souverän kann man nur aufrufen, sein… Mehr

Muensteraner
4 Jahre her

Ich mag Wagenknecht sehr, Lafontaine auch und ich mochte sogar Gysi sehr, vieles was er sagte, traf auf den Punkt. Und ich stimme auch zu 90% mit den Überlegungen des hier interviewten Linken-Wähler überein.

Da Extremlinks (Antifa) für mich die wahren Nazis sind und die meisten links ausgerichteten Wähler keine Meinung andersdenkender akzeptieren und sie sich durch ihren Hass auf die AfD genau so undemokratisch benehmen, wie sie es den rechten zum Vorwurf machen, komme mit der linken Wählerschaft nicht zurecht. Nicht meine Welt diese hasserfüllte Intoleranz. Daher komme ich zu dem Entschluss, bis auf weiteres die AfD zu wählen.

honky tonk
4 Jahre her
Antworten an  Muensteraner

Wagenknecht,Lafontaine und Gysi sind Fliegenfänger der Sozialisten.Mit ihrem gelegentlichen Charme und teilweise richtiger Analyse wickeln sie den unbedarften Wähler um den Finger.Ihre Rezepte allerdings haben ihre Unwirksamkeit,achwas ihre Schädlich- und Schändlichkeit in einigen dutzend Fällen des konkreten Sozialismus bewiesen.Aber sowas schert das einfache Gemüt natürlich nicht.Macht euch nicht zum Spielball,denkt selber und zwar systemisch.

Martin L
4 Jahre her
Antworten an  Muensteraner

Naja. Gysi hat sich „sinngemäß“ über das Aussterben der Deutschen gefreut – denn dann gibt es auch weniger „Nazis“.

Mistaf
4 Jahre her
Antworten an  Muensteraner

Antifas sind nicht die wahren Nazis. Die Kommunisten haben diese Taktiken angewandt, lange bevor es eine nationalsozialistische Bewegung gab.
Man sollte nie in die rhetorische Falle laufen, die die Linken implizit von der Befähigung zu gewalttätigem Totalitarismus freispricht.

Antifas sind keine Nazis, sie sind Kommunisten und verhalten sich auch so.

H. Priess
4 Jahre her

Für mich liest es sich wie eine Art Verteidigungsrede warum es die Linke gibt oder geben muss. Die Argumente dafür sind so fadenscheinig wie irrational. Die Linke als korrektiv der Gesellschaft ist schlicht irreführend. Der Mann hat wohl nie die Reden von der Jelpe oder Riexinger gehört oder wenn dann nicht begriffen. Das Thema mit dem rosa Elefanten im Raum fällt wird gar nicht weiter erörtert, könnte peinlich sein. Lafontaine und Wagenknecht sind politisch Geschichte obwohl ich zu geben muss, mal mit den Ideen von Lafontain schwanger gegangen bin. Sei es wie es sei, Die Linken kranken am Sozialismus und… Mehr

Gerro Medicus
4 Jahre her
Antworten an  H. Priess

Angesichts von den Millionen Toten zu sagen, schade, hat nicht geklappt, weil nicht richtig, lass es uns erneut versuchen, ist nicht dreist, es ist zynisch und schändlich! Denn der erneute Versuch wird nichts Anderes hervorbringen, als alle Versuche vorher auch: Millionen Tote! Nicht umsonst ist die Farbe des Sozialismus / Kommunismus ROT! Rot wie Blut!

Wolkendimmer
4 Jahre her

Sozialismus fängt immer bunt an und endet dann nach vierzig Jahren schwarz-weiß bis mittelgrau. Daher „Fiel bunt gutt“ gell! Weiter so.
Viel Spaß beim nächsten kommunistischen Versuch mit Islam und Scharia als Variante.
Ich schwenke mein Tuch mit freundlichen Gruß und bin dann mal weg.

HavemannmitMerkelBesuch
4 Jahre her

Demokratie in Ehren, aber wenn diese Befragungen echt sind und die Gefahr droht, sie wären beispielhaft/repräsentativ, erklärt sich einiges. Soviele Kommentatoren schreiben so Gutes und Richtiges. Ich denke es ist Wahnsinn bei politischen Wahlen so Wichtiges wie den oder das zu wählen, der auf Emotionen aufgebauten Wahllügenfloskelmaschinerie der Parteien zu überlassen, solange deren Aussagen vor den Wahlen nicht vereidigt werden und sie persönlich nach den Wahlen haftbar gemacht werden können für Wahllügen. Ist es denn nicht Wahlbetrug vor den Wahlen Versprechungen zu machen die hinterher plötzlich nicht mehr gelten? Menschen glauben an Wahlversprechen und wählen entsprechend, hinterher das dann nicht… Mehr

Gerro Medicus
4 Jahre her

Warum hassen unsere Politiker und auch die EU-Politiker Trump? Weil der nach seiner Wahl das macht, was er vor der Wahl versprochen hat. In den Augen unserer korrupten Politikerkaste ein unerhörter Vorgang, der bestraft gehört! Denn das wäre ja wirkliche Demokratie, wo die Politiker das tun, was das Volk verlangt! „Unsere“ Demokratie, die immer von „unserer“ Politkaste beschworen wird ist aber, den Bürgern zwar Versprchungen zu machen, die ihn zu einem bestimmten Wahlverhalten veranlassen, nach der Wahl aber tausend Ausreden zu erfinden, warum man das nicht halten kann, was man vor der Wahl versprochen hat, und das Gegenteil tut! Finde… Mehr

merkelinfarkt
4 Jahre her

„Zur Kasse!“ heißt es bei der Linken für jeden, der in Deutschland noch Geld verdient. Doch nicht wie in grauer Vorzeit und heute noch behauptet den „kleinen“ deutschen Arbeitnehmern, Armen und Bildungshungrigen, Kinderreichen und Schrumpfrentnern sollen die heftig abgezapften Staatgelder zugute kommen, sondern in allererster Linie der ungebemsten Invasion von vielen Millionen aus Afrika und dem Nahen Osten. Wer heute noch „die Linke“ oder ihre Bundestagsfreunde von Grünschwarzgelbrot wählt, sollte sich darüber völlig im klaren sein. Opposition sind heute nur noch die, deren Bundestagsvizepräsident noch immer dummfrech blockiert wird.

Ganzunten
4 Jahre her

Was mir im Gegensatz zum Grünen hier fehlt ist ein wenig persönlicher Background (beruflicher und familiärer Status etc). Das ist essentiell notwendig, um das Gesagte richtig einzuordnen. Zum Inhalt: Es fällt auf, dass es unter den Linken zwei Richtungen gibt, ich nenne sie mal die Realisten (Bezug zu Wagenknecht) und die Utopisten. Der im Text genannte Linke gehört eindeutig zur ersten Fraktion. Dafür spricht neben der expliziten Nennung von Wagenknecht und Lafontaine die Tatsache, dass er mit keinem einzigen Wort den (imaginären) „Kampf gegen Rechts“ propagiert. Kritik: Was er nicht sieht, ist, dass die Linke z.B. in Berlin als Teil… Mehr