Sanktionen ausgesetzt: Hartz-4 Termine müssen nicht mehr eingehalten werden

Ein Anruf beim "Amt" offenbart, dass bei den Jobcentern die bisherigen Regeln nicht mehr gelten. Das System der Sanktionen steht offensichtlich vor dem Zusammenbruch.

© Christof Stache/AFP/Getty Images

Vom Selbstständigen über den Kleinunternehmer bis hin zur seit gestern ebenfalls unter Tätigkeitsverbot stehenden Prostituierten: Wer nicht mehr arbeiten kann, darf, soll bzw. muss „zum Amt“, wie es umgangsprachlich heißt, muss also einen Hartz-4-Antrag stellen zur Sicherung seines Lebensunterhalts. Wer bisher noch den Kopf darüber geschüttelt hat, wie Viele in Deutschland Hartz-4 bekommen, der hat dabei möglicherweise nicht berücksichtigt, dass diese Empfänger zuvor eine Reihe hoher bürokratischer Hürden überwinden mussten.

So ein Antrag ist sicher für viele Empfänger eine Lebensaufgabe bis hin zur lückenlosen Dokumentation der Taschengeldkonten der Kinder samt stundenweiser Arbeitsaufforderung an die Sprösslinge ab einem bestimmten Alter. Die Versäumnisse ebenso wie die Verweigerung, bestimmte Informationen abzuliefern oder Termine einzuhalten, hatten – bislang – Sanktionen zur Folge bis hin zur völligen Einstellung der Allg-II-Leistungen (Hartz-4). Neue Gesetze limitieren diese Sanktionen jetzt auf mittlerweile maximal 30 Prozent Abzüge.

Das ist die Vorgeschichte. Aber was passiert jetzt mit den hunderttausenden neuen Antragstellern binnen weniger Tage, die in Folge der Corona-Arbeitsverbote und einer Reihe empfindlicher Einbussen von Aufträgen schnellstmöglich einen Antrag stellen müssen, um ihren Lebensunterhalt weiter bestreiten zu können – oder konkreter: Um noch etwas einkaufen zu können, solange die Geschäfte noch geöffnet haben?

Am Freitag die letzten Schichten
Corona: Volkswagen macht Werke dicht
TE recherchiert aus der Perspektive eines Betroffenen. Wir rufen also bei der Arbeitsagentur an und dokumentieren hier den Verlauf dieses „Gesprächs“, das deutlich macht, dass das Hartz-4-System unmittelbar vor dem Kollaps steht bzw. schon kollabiert ist, wenn vormals seitenlange akribisch auszufüllende Anträge mit etlichen Korrekturläufen nun formlos in den Briefkasten des Amtes einzuschmeißen sind, also im Prinzip auch auf dem kostbar gewordenen T-Papier geschrieben werden könnten und angeblich dennoch ihren Weg hin zur Leistungsauszahlung finden. Aber lesen Sie selbst:

„Willkommen bei ihrem Jobcenter.“

(Es folgt ein Hinweis auf die Datenschutzverordnung.) Die vom Amt aufgezeichnete freundliche Stimme der Dame wird von einem Herren abgelöst:

„Da wir unsere Kapazitäten aufgrund des erwarteten sehr hohen Anrufaufkommens auch technisch verstärken müssen und dies einige Tage in Anspruch nehmen wird, kann unsere Erreichbarkeit vereinzelt eingeschränkt sein. Die sichere Auszahlung von Geldleistungen von Jobcenter oder Arbeitsagentur sowie von Kindergeld und Kinderzuschlag hat für uns oberste Priorität.“

„Alle persönlichen Gesprächstermine entfallen ohne Rechtsfolgen. Sie müssen diese Termine nicht absagen. Sie müssen diesbezüglich auch nicht anrufen. Sie können Anträge formlos und über die Ihnen bekannten digitalen Wege stellen oder in den Hausbriefkasten einwerfen. Es entstehen Ihnen keine Nachteile, wenn Sie nicht persönlich vorsprechen. Bitte kommen sie wirklich nur im Notfall in die Dienststelle.“

Die Damenstimme übernimmt an der Stelle wieder:

„Um Ihnen optimal weiterhelfen zu können, bitten wir Sie nun, sich zu identifizieren. Bitte nennen sie dazu jetzt ihre Kunden- oder Bedarfsgemeinschaftsnummer. Sollte Ihnen keine der beiden Nummern vorliegen, sagen Sie bitte „weiter““.

Wir sagen: „Weiter“

„Leider können wir ihre Nummer nicht zuordnen. Bitte nennen sie diese erneut.“

„WEITER“

„W E I T E R“

„Wegen des hohen Anrufaufkommens können wir ihren Anruf leider nicht persönlich entgegennehmen. Bitte versuchen Sie es während der Servicezeiten von Montag bis Freitg von 8:00 – 18:00 Uhr erneut. Vielen Dank für ihr Verständnis und Aufwiederhören.“

Unser Anruf erfolgte am Dienstag um 9:32 Uhr.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 39 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

39 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
j.heller
4 Jahre her

Beruhigend dass die totale Unfähigkeit der Behörden noch eine Barriere vor der ultimativen Ausbeutung des Sozialsystems bildet.
Wir haben nun den Höhepunkt der Merkel-Ära erreicht.
Wir werden uns einst noch danach sehnen.

Der-Michel
4 Jahre her

Staatsversagen Teil II!

Endstadium0815
4 Jahre her

Die Anträge auf arabisch sind nur eine halbe DIN A 4 Seite lang.

AndreasF
4 Jahre her

Vielleicht mal zur Erklärung. Die Telefonanlage hat die Grätsche gemacht, da am Montag allein in der BA innerhalb weniger Stunden mehr Anrufe eingingen als sonst in einem ganzen Monat, weit über 2 Millionen Gespräche. Und zu der erwarteten Kundschaft: Das werden größtenteils Menschen sein, die aus laufender Beschäftigung kommen, viele mit Wiedereinstellungszusagen. Busfahrer, Mitarbeiter in Reisebüros, Cateringunternehmen, Reinigungskräfte usw. – Dazu kommen die Arbeitgeber, Betriebsräte, Steuerberater, usw., die wegen Kurzarbeit anfragen. Die Fälle sind meist komplex, weil die Betroffenheit vom Arbeitsausfall sehr unterschiedlich ist und niemand sagen kann, wann das Thema durch ist. Intern wird bei der BA natürlich komplett… Mehr

Ralf Poehling
4 Jahre her

Zitat:“Wir rufen also bei der Arbeitsagentur an und dokumentieren hier den Verlauf dieses „Gesprächs“, das deutlich macht, dass das Hartz-4-System unmittelbar vor dem Kollaps steht bzw. schon kollabiert ist, wenn vormals seitenlange akribisch auszufüllende Anträge mit etlichen Korrekturläufen nun formlos in den Briefkasten des Amtes einzuschmeißen sind, also im Prinzip auch auf dem kostbar gewordenen T-Papier geschrieben werden könnten und angeblich dennoch ihren Weg hin zur Leistungsauszahlung finden.“ Aufpassen, Arbeitsagentur und Jobcenter sind zwei verschiedene Dinge! Die Arbeitsagentur ist eine Bundesgeschichte und für ALG I zuständig. Für die Jobcenter sind die Kommunen in Verantwortung und hier gibt es dann das… Mehr

Contra Merkl
4 Jahre her
Antworten an  Ralf Poehling

Zumal die Klientel, die mit Geld nicht umgehen kann, auch am Monatsende dann nichts mehr bei den Tafeln abstauben kann. Wirklich Leid tuen mir die alten Menschen, die können ja nu garnix für die Misere.

Ralf Poehling
4 Jahre her
Antworten an  Contra Merkl

In der Tat. Auf Alte, auch Kranke und auch auf kleine Kinder, sollte besonderes geachtet werden. Falls es mit den Ressourcen des Apparates eng werden sollte, werden sich sonst unweigerlich die Stärkeren durchsetzen. Und das kann in der jetzigen Situation böse zurückschlagen.
Dass die Neandertaler bei uns die Macht übernehmen, ist keine Option.

Contra Merkl
4 Jahre her

Ausser Arzt oder Pflegepersonal werden die dort auch nix zu vermitteln haben, warum also sollte dort noch jemand zu einem Termin einbestellt werden ? Als ich dort mal Kunde war, wurde ich auch 2 oder 3 mal die Woche einbestellt, um mir dort jeden Fitzel Papier abzuholen, bis mir der Kragen geplatzt ist und ich dem Vermittler erklärt hab, für was es eine Post gibt. Anschließend hatte ich Ruhe von solchen Mätzchen, sowas muss man sich nicht bieten lassen. Statt mit dem privaten Auto hinzufahren, besser den Bus nehmen und immer die Fahrkarten abrechnen, dann sind es 10 Euro statt… Mehr

Contra Merkl
4 Jahre her

Hier hat man sich auch Probleme ins Land geholt, da wird man sich noch wundern. Seht selbst : https://youtu.be/7khkEvD3Yxo Desweiteren kann man immer noch unkontrolliert einreisen, auch wer sich alles über die grüne Grenze einschleicht, kann keiner kontrollieren. Bin gespannt wie eine Bärenschlagfalle, wann in der Politik die Erkenntnis zu Tage tritt, das System Merkel gescheitert ist. Da kann sich Mutti ja um ihre an Corona Erkrankten In der Erstaufnahme kümmern, für Selfis mit der Klientel war sie sich ja auch nicht zu schade. Merkel gehört in die erste Reihe, um sich persönlich um die von ihr geschaffenen Probleme zu… Mehr

Thomas
4 Jahre her
Antworten an  Contra Merkl

Es gibt kein Einreiseverbot für Migranten („Asylbewerber“). Dahingehende Nachrichten sind fake news.

Thomas
4 Jahre her
Antworten an  Contra Merkl

Einwanderung hat oberste Priorität in Deutschland.

Eloman
4 Jahre her

Ich bin seit heute auf Kurzarbeit 0, da ich Taxifahrer bin und eine vorerkrankte Person in meinem Haushalt habe.

Templeton Peck
4 Jahre her

Schön halt, wie sich dann gerade der Neid bei denen zeigt, die so gerne die typisch deutsche Neidgesellschaft beschwören.

Dabei waren doch Gier und Neid gerade da bekannt, wo der Herrgott die größte Not sah seinen Sohn hin zu entsenden.

Aber das ist ja der Tabugedanke. 😉

fatherted
4 Jahre her

War doch klar…nur im Moment interessiert es keinen. Einfach H4 Antrag per Einschreiben Rückschein einsenden….Bearbeitung wird dann irgendwann erfolgen….Ansprüche müssten eigentlich Rückwirkend zum Datum der Antragsstellung / Einsendung nachgezahlt werden.

Andreas aus E.
4 Jahre her
Antworten an  fatherted

Werden die doch auch.