Kriminalitätsstatistik 2017: Regierung und Medien synchronisieren sich

Die WAMS berichtet über eine Kriminalitätsstatistik, die noch nicht veröffentlicht ist. Tenor: sinkende Kriminalität. Die WeLT tags drauf mit Bezug auf dieselbe Quelle: Bestimmte Kriminalität unter Migranten nimmtzu. Und nu?

© Getty Images
Symbolbild

Ein Modell macht Schule. Nach den Studien nun auch die Statistiken, hier die Kriminalitätsstatistik: Die vollständige Arbeit liegt nicht vor, der Presse werden Auszüge und Interpretationen vorgelegt. Und wenn die Studie oder Statistik dann doch irgendwann vorliegen sollte, ist die eigentliche Meldung Schnee von gestern. Unabhängig davon, ob die verbreitete Nachricht nun tatsächlich und überprüfbar auf den Ergebnissen basiert oder nicht.

Und diese Vorgehensweise eskaliert neuerdings: Hatte beispielsweise die Uni Bielefeld ihre Studie zur Erinnerungskultur Nationalsozialismus für die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ immerhin noch als fragmentarisches Memo präsentiert – auf die endgültige Studie warten Interessierte übrigens bis heute – hat das Bundesinnenministerium diese Sarotti-Mohr-Taktik (Stückchen für Stückchen) noch einmal perfektioniert: Die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2017 taucht als eine Art Whistleblower-Akte exklusiv bei der Welt am Sonntag (WamS) auf, die nun als so etwas wie eine Enthüllungsplattform agieren darf.

Als offizieller Veröffentlichungstermin ist vom Bundesinnenministerium allerdings erst der 8. Mai 2018 angekündigt. Aber irgendwer hat der Zeitung die Kriminalitätsstatistik zugespielt? Und war diese Leistung mit einer Gegenleistung verbunden?

Selbstredend ist auf die gebeutelten etablierten Medien Verlass: Sie zitieren fleißig aus der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2017, die allerdings niemandem vorliegt außer der WamS. Man zitiert also Springer, nicht die Quelle. Das Blatt könnte nun zwar nach erfolgreicher Exklusiv-Veröffentlichung auch anderen Medien ihren „Whistleblow“ zur Verfügung stellen, das passiert aber bisher nicht. Weil noch kein „Rechercheverbund“ existiert? Kein Quid pro quo?

Die gibt es anderswo: Die Süddeutsche machte es vor mit ihrem Recherche-Meinungskartell in Kooperation mit den von jedem einzelnen Bürger per GEZ zwangsalimentierten Öffentlich-Rechtlichen. So hatte man beispielsweise beim Auto-Anschlag in Münster vor allen anderen Medien bereits präzise Informationen zu Täter und Tathergang.

Damit solche „Exklusiv-Nachrichten“ auch wirkmächtig in den Sozialen Medien vorkommen, schlug die Justizministerin Barley gerade eine Art Zwangsalgorithmen für Facebook vor, welche diese „Vorsprung-Nachrichten“ dann auf die Timelines der User einspielen. Was soll das sein? Erst spielen die Institutionen den Medien ihrer Wahl Informationen zu, dann hilft man dabei, die ausgehandelte Interpretation dieser Informationen zu verbreiten? Quid pro quo?

Eine Penetration mit zweifelhaft exklusiven Nachrichten, denen sich kaum noch ein Auserwählter entziehen kann. Ist das der Versuch, in einer Art groß angelegter konzertierter Aktion, den alternativen Informationsportalen zugunsten der etablierten wie gefälligen Medien das Wasser abzugraben?

Trotzdem wir vor Sichtung der Kriminalitätsstatistik nicht in den Chor der WamS-Whistleblower-Kopisten einfallen wollen, in aller Kürze drei Anmerkungen zu den vorliegenden Zitaten bei WamS:

Entscheidend sein wird in der Beurteilung der Blick in die Statistiken der Vorjahre. Geht die Kriminalität zwar angeblich im direkten Vergleich mit 2016 numerisch zurück, liegt sie 2017 immer noch höher als etwa in den Jahren 2013, 2014, 2015. Zahlen mit einer wirkmächtigen Deutungshoheit.

Weiter muss beachtet werden, ob ein Rückgang der einheimischen Täter möglicherweise durch Zuwanderer überkompensiert wird. Auch das wird nach der Veröffentlichung zu ermitteln sein, wenn die Medien möglicherweise voreilig einer ansteigenden Zuwanderungskriminalität ein Dementi erteilen wollen.

Und Drittens muss betrachtet werden, ob es eine Zunahme harter Straftaten insbesondere im Sexualstraftatbestand tatsächlich gibt und wenn ja, wie solche Sachverhalte sich auf die Betrachtung der Statistik auswirken, wenn die Quantität in der Analyse vor jener der Qualität bzw. Intensität der Straftat kommt.

Hatte man sich gerade aus dem Innenministerium die Polizeistatistik vorab gesichert und angebliche Auszüge veröffentlicht aus dem nun auch alle anderen Medien zitieren, reicht man die „Exklusiv-Vorab-Informationen“ dann einen Tag später an die Springer-Kollegen von der Zeitung Die Welt weiter, die einfach mal eine ganz andere Interpretation der angeblich vorliegenden „Polizeilichen Kriminalstatistik für 2017“ abliefern, als es noch die WamS zuvor getan hatte.

„Sind diese Daten, die WELT AM SONNTAG exklusiv vermeldete, damit ein Grund zur Erleichterung?“ fragt jetzt einen Tag später also die Welt. Und berichtet unter anderem: „2017 ist gegenüber dem Vorjahr die Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger bei „Vergewaltigung, sexueller Nötigung/Übergriffen“ von 2.512 auf 3.483 gestiegen.“

Da die komplette Statistik immer noch nicht vorliegt, sind die Medien auch hier wieder gezwungen, bei Springer zu zitieren. Einen Tag ließ man sich also Zeit, so lange, bis die politische Klasse und Medien-Leute wie Jakob Augstein mit dem Finger auf die Apokalyptiker der AfD u.a. zeigen konnten.

„Panikgesänge“? Nun liegt auch dem Spiegel die Kriminalstatistik nicht vor. Auch der Spiegel musste sich auf die „Welt am Sonntag“ berufen. Fasst schon satirisch mutet da die Spiegel-Meldung des Folgetages an, wenn die EU Whistleblower besser schützen will. Wen aber will man schützen? Etwa das Innenministerium, aus dem heraus mutmaßlich der WamS vorzeitig die Polizeiliche Kriminalstatistik zugespielt wurde?

Einen Tag später also bei Springer der Ausfallschritt von der WamS zur Welt. Von der frohen Botschaft zurückgehender Kriminalität in Deutschland – die ja in ihrem Kern die Botschaft zurückgehender Zuwanderungs-Kriminalität sein soll – hin zur eher kritischen Betrachtung, die man aufgrund der mutmaßlich aus dem Innenministerium (wo sonst sollte sie herkommen?) zugespielten Statistik ebenfalls liefern kann, bevor die Publikationen des Konzerns nach dem offiziellen Veröffentlichungstag von kritischen Medien überholt werden.

Von der WamS zur Welt, die nun, nachdem die WamS möglicherweise oder mutmaßlich eine Gegenleistung in diesem Exklusiv-Deal abgeliefert hatte, in völliger Umkehr der Nachricht feststellt: «Zur Zufriedenheit mit der Entwicklung besteht bei näherer Betrachtung kein Anlass.“ Mehr noch: Die besorgten Bürger würden nicht nur einem diffusen „Unsicherheitsgefühl“ nachgeben, ihrer Sorge würde „durch spezifische Daten in bestimmten Deliktfeldern gestützt.“»

Und dann pirscht sie die Welt auch dahin vor, wo es richtig weh tut: „Ein alarmierender Punkt, der nicht verschwiegen werden darf, sondern eine offene Debatte in Politik und Gesellschaft erfordert: Der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger bei Straftaten insgesamt und gerade auch bei Gewaltdelikten ist unverhältnismäßig hoch.“ 

Fazit: Offensichtlich passiert hier aktuell etwas, für das es noch keinen passenden Begriff gibt: Die politischen Institutionen dienen sich mit Exklusiv-Informationen bei den etablierten Medien an und die Justizministerin setzt die Kirsche auf die Torte, wenn sie ankündigt, diesen Medien in den sozialen Medien wie Facebook zusätzlich mehr Raum verschaffen zu wollen. Und die umworbenen Medien schlagen dankbar zu, schließlich ist nicht alle Tage unverdient Bescherung.

Fährt Springer – hier beispielhaft an der Berichterstattung über die „exklusiv zugespielte“ Polizeiliche Kriminalitätsstatistik – eine neue Strategie? Während die WamS sich dankbar zeigt für die Exklusivität, gibt die Welt einen Tag später den Kritiker der Studie. Dann, wenn der Jubel des politisch-medialen Komplexes über rückläufige Zuwanderungskriminalität verklungen ist. Dann darf man schon mal kritischer werden in dieser schnelllebigen Zeit. Quasi als Beleg für einen bei Springer internen Pluralismus.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 96 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

96 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Smartie
5 Jahre her

Gedankenspiel: Die Titanic sinkt, aber die Statistik beweist das Gegenteil. Das Schiff mit einem Rettungsboot verlassen oder weiter feiern !? 😉

Dieter Haarhaus
5 Jahre her

Mord, Totschlag, Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe haben gegenüber 2014 deutlich zugenommen. Der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger ist alarmierend hoch, bei Tötungsdelikten sind die absoluten Zahlen von Nicht-Deutschen und Deutschen annähernd gleich, obwohl letztere einen siebenmal höheren Bevölkerungsanteil haben.
Da ich aber Italiener, Spanier und Franzosen für nicht krimineller als Deutsche halte, kann man es auch gleich auf die 3 Millionen Muslime (1,5 Mio.Türken plus 1,5 Mio.Geflüchtete) beziehen, die dann im Durchschnitt 21 mal so häufig zu Schwerstkriminalität neigen. So sieht das aus.

A, Schmidt
5 Jahre her

Ich habe noch nie so viele Einbruchsversuche und verdächtige Handlungen beobachtet wie 2017 und 2016. Laufend passieren Seltsamkeiten und beim Anblick mancher Überwachungsvideos vom eigenen Grundstück kommt man sich vor wie in einem Action-Film a la Mission Impossible, so wird dort an Fassaden herumgeklettert oder so wurden IR-Melder unterkrochen. Man kommt bald nicht mehr nach, allen Vorfällen nachzugehen. Sonst käme man zu nichts anderem mehr. Da kann man über diese neuste offizielle Statistik nur den Kopf schütteln, in der diese Vorfälle ganz überwiegend natürlich gar nicht erfasst sind.

Pack
5 Jahre her

Gewaltverbrechen werden von jungen Männern begangen. Wenn die Zahl der Gewaltverbrechen gleich bleibt und die Zahl der jungen Männer sinkt, steigt die relative Gewaltrate.

Albert
5 Jahre her

Vermutlich liegt der Rückgang in der Gesamtziffer an den nun deutlich geringeren illegalen Einreisen ggü. 2016. Diese sind ja als Straftat dokumentiert, aber nicht wirklich bestraft worden. Das ist der statistische Effekt, der ausgeschlachtet wird.

Ralf
5 Jahre her

Wir alle warten mal die nächste BTW ab ???dann sehen wir weiter

Regina Lange
5 Jahre her

Man fragt sich nur, für was dann noch zusätzlich Tausende von Polizisten eingestellt werden müssen! Wenn man von dieser „Super- Statistik“ ausgeht, müssten doch eher Polizeistellen abgebaut werden! Nicht das denen langweilig wird, weil sie immer weniger zu tun haben! Da passt wieder nichts zusammen, dass hat man wohl nicht bedacht! Da wurde wieder gezerrt, gezupft und abgezogen, solange bis es mainstreammäßig ins Bild passt!

spindoctor
5 Jahre her

Zitat:

„2017 ist gegenüber dem Vorjahr die Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger bei „Vergewaltigung, sexueller Nötigung/Übergriffen“ von 2.512 auf 3.483 gestiegen.“

Könnte man als Verdrängungswettbewerb bezeichnen – prozentual betrachtet sogar noch deutlicher.

Wolfgang M
5 Jahre her

Die Polizei nimmt inzwischen teilweise Anzeigen nicht mehr auf, weil sie weiß, dass die Staatsanwaltschaft – mangels Zeit – die Anzeige sowieso nicht bearbeitet. Wer arbeitet gern für den Papierkorb. Für einen wehrhaften Rechtsstaat brauchten wir nicht nur mehr Polizisten, sondern auch mehr Staatsanwälte und Richter und mehr Gefängnisse und Justizvollzugsbeamte. Dann sähe auch die Statistik anders aus.

Gerhart
5 Jahre her

Etwas OT; Wenn die ARD ganzseitige Anzeigen im SPIEGEL für Spielsendungen schaltet, ist das eigentlich auch Quersubventionierung der Medien – in diesem Falle durch die Bundesregierung ?