Braunschweig, Weihnachtsabend

Noch am Weihnachtstisch die bange Frage, wann denn endlich die Glocken bimmeln, die ein doch noch glückliches Ende des Gottesdienstes auswiesen. Misstrauen hat sich eingeschlichen.

© Getty Images

Sie meinen, es seien nun genug Weihnachtsgeschichten erzählt worden? Sicher haben Sie Recht, bekanntlich macht es die Menge. Aber die folgende private Geschichte möchte ich gerne noch hinzufügen, ist sie doch exemplarisch für eine Stimmungslage, die gerade um Weihnachten viele in Deutschland und Europa erfasst hat und die doch nur von wenigen so recht ausgedeutet werden kann.

Ich habe schon vor Jahren einen Weg gefunden, dem Gottesdienst zu entkommen, indem ich mich um das festtägliche Familienessen zu Weihnachten kümmere. Unser Ältester macht in Indochina gerade Work & Travel, war also nur für kurze Wünsche per Skype verfügbar, sodass meine Frau mit den verbleibenden drei Kindern zur Weihnachtsandacht um 17:30 Uhr in die nahe Kirche ging, während ich selbst das Geflügel überwachte und die Zutaten aufsetzte. Nun habe ich über die Jahre einen Zeitplan entwickelt, der so präzise geworden ist, dass meine treuen Kirchgänger genau dann zurückkommen, wenn das Essen dampfend auf dem Tisch steht.

Dieses Mal klingelte es an der Tür aber schon Sturm, als der Braten noch in der Röhre und diese merkwürdigen lila Festtagskartoffeln gerade erst aufgesetzt waren. Ich öffnete die Haustür und schaute in vier entsetzte Gesichter, die durcheinander auf mich einredeten. Ich erschrak wie lange nicht mehr. Es musste in der Kirche etwas Furchtbares passiert sein. Und das ausgerechnet noch an Heiligabend. Mein erster Gedanke: Ein schrecklicher Unfall. Ist etwa ein Kind von der Kirchenempore gestürzt? Der Pastor tot umgefallen?

„Taliban … Turban … Sprengstoff … Toyota-Pickup …“, konnte ich aus dem Durcheinander verstehen. Erst, als ich den Kindern energisch das Wort abschnitt und meine Frau anschaute, die lange nicht mehr so geschaut hatte, fügten sich die Ereignisschnipsel zu einem Bild: In der schlichten kleinen Kirche waren Minuten vor dem Gottesdienst vollbärtige Männer in Gewändern aufgetaucht, einer im Rollstuhl, alle arabisch sprechend. Die hätten sich zwischen unsere Nachbarn gesetzt, verschiedentlich noch mal die Plätze getauscht, sich quasi überall verteilt, unser Sohn hatte dann sogar noch ein Päckchen entdeckt, unter den Arm geklemmt, eingeschweißt in diese grünen Plastiktüten, die man auch beim Dönerholen bekommt und dann noch diese finsteren Blicke!

Jedenfalls fügte sich eine Mutmaßung an die andere, und als dann noch beim Orgelintro ein Stuhl krachend umfiel und wirklich jeder für den Bruchteil einer Sekunde an etwas ganz anderes dachte, flüchteten Frau und Kinder hoch auf die Kirchenempore, um den Gottesdienst von oben herunter zu betrachten. Aber der Knall wirkte nach, der Stachel saß, die Sorge wuchs, das Bataclan wurde immer wahrscheinlicher, alle fünf beendeten lange vor der Zeit den Gottesdienst und verließen fluchtartig die Kirche.

Vor der Tür ging der vermeintliche Horror weiter, als gerade in dem Moment, als sich die Kirchentür hinter ihnen schloss, vorne auf der Straße ein weißer Toyota-Pickup vorfuhr, der in der späteren Erinnerung auch ein anderes Modell gewesen sein könnte, und diesem ein offensichtlich höherer arabischer Geistlicher mit besonderer weißer Kopfbedeckung entstieg und mit düsterer Gefolgschaft der Kirchtür entgegen eilte.

Die Familie also verstört, verängstigt, geschockt das rettende Zuhause erreicht. Noch am Weihnachtstisch die bange Frage, wann denn endlich die Glocken bimmeln würden, die ein doch noch glückliches Ende des Gottesdienstes auswiesen. Aber es bimmelte nichts. Allerdings auch keine Schüsse oder Explosionsgeräusche. Erst nach und nach reifte die Idee, dass es sich bei den Attentätern in spe vielleicht auch um Kopten gehandelt haben könnte. Um Nordafrikaner christlichen Glaubens. Oder doch Muslime? Immerhin ist laut Spiegel Jesus auch ein Prophet des Islam, warf ich ein. Werden nun auch noch unsere christlichen Kirchen von Muslimen bevölkert? Eine neue Strategie der Islamisierung?

Nun wohnen wir nah an einer Asylunterkunft, die in Stoßzeiten schon mit viertausend Asylbewerbern besetzt war. Möglich sein könnte von dort aus alles. Auch wir hatten uns an Kleider- und Fahrradspenden, an Sommerfesten und anderen Zuwendungen beteiligt, wenn nicht immer aktiv, so doch in Solidarität zu unseren Nachbarn, die so etwas organisieren und mehrheitlich gut heißen.

Was kann nun aber die Lehre aus dieser merkwürdigen Weihnachtsgeschichte sein? Mindestens doch wohl die Gewissheit, dass sich etwas verändert hat. Der Schrecken in den Gesichtern meiner Frau und der Kinder war real. Und alle zusammen sind durchaus keine Ängstlichen. Eine Massenhysterie in Kleinformat? Sicher auch das irgendwie. Aber wenn sich so viele Indizien zu etwas scheinbar Bedrohlichem zusammenfügen, so fand ich, haben sie richtig reagiert. Der Pastor wird die Flucht nicht übel nehmen und vielleicht erfahren wir in den nächsten Tagen noch, um was für eine arabische Gruppe es sich da gehandelt hat. Irgendwer wird es in Erfahrung bringen und weiter erzählen. Und dieses hochverdächtige eingeschweißte Päckchen, vielleicht nur eine sorgsam verwahrte Bibel aus der fremden Heimat mitgebracht. Sicher, im Nachhinein – es ist ja nichts passiert – aufregend für die Kinder, aber beruhigend ist das alles keineswegs, oder was meinen Sie?

Unterstützung
oder

Kommentare ( 90 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

90 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Torsten Wendland
6 Jahre her

Was soll man dazu sagen? Wie Sie ja selbst schreiben, die meisten Ihrer Nachbarn wollen diese Zustände ja so haben. Diese Leute werden auch entsprechend gewählt haben. Freudig für Multikulti – jeder Fremde ist unterstützenswerter als jeder Deutsche (oder haben dieselben Nachbarn auch so spendenfreudig an deutsche Obdachlose oder sehr arme Kinder oder Rentner gespendet? Wohl kaum.) Sie machen gedankenlos im Mainstream mit, um sich gut zu fühlen, sie sind ja die hellen Deutschen, im Gegensatz zu den dunklen in Sachsen. Es wird sich mit der Zeit immer mehr herausstellen, dass die ach so guten Deutschen am Ende doch eher… Mehr

Jens Frisch
6 Jahre her

„In der schlichten kleinen Kirche waren Minuten vor dem Gottesdienst vollbärtige Männer in Gewändern aufgetaucht, einer im Rollstuhl, alle arabisch sprechend.“

Und unsere Bischöfe nehmen, wenn sie den Tempelberg erklimmen, ihre Kreuze ab.

Scipio Americanus
6 Jahre her

Obwohl allgemein wohlinformiert, hat Herr Wallasch anscheinend noch nicht von organisierten Provokationen gehört, siehe z.B. die „Flying Imams“ vor ein paar Jahren in den USA.

Tom Hess
6 Jahre her

Das hat doch schon vor Jahren begonnen. An was denken wohl die meisten bei einem bärtigen Mann mit Turban, der im Flughafen eine Plastiktüte abstellt? Das nennt sich Propaganda, die sich tief ins Unterbewusstsein eingegraben hat. Jetzt vermischt mit einer zwar diffusen aber dennoch realen Gefahr durch Attentate. Ich lebe in Asien. Ich wollte wegen meiner Tochter (jetzt 5) wegen Schule nach Deutschland zurück. Aber was erzählt mir wohl meine (asiatische) Frau, wenn ihr was passiert, weil es in Deutschland ein entsprechend hohes Risiko gibt. In der Zeitung mag sich das alles als heruntergespielter Einzelfall verharmlosen lassen. Doch wenn Gesundheit… Mehr

dunkelstrasse48
6 Jahre her

Mir ging es letzten Sommer so, als ich in Berlin mit der S-Bahn nach Dahlem fuhr. Ich wollte mit der kleinen Enkelin die Domäne besuchen zum Schafe und Esel streicheln. Da stieg ein Mann zu mit einem dicken Rucksack, der sich auffällig, meinte ich jedenfalls, benahm, stets an seinem Handy oder den Gurten am Rucksack fummelte, einen sehr unruhigen Eindruck machte, und ich dachte nur: mein Kind! Hinterher habe ich mich geschämt, aber es war halt so. Aber es gibt ja auch schönere Erlebnisse. Ich überholte mit dem Auto eine junge Frau, mit langem schwarzen Mantel, ihr Kopftuch, mehr ein… Mehr

Wolfgang Prabel
6 Jahre her

Nach Thüringen umziehen, aber nicht gerade nach Erfurt, Suhl, Eisenberg, Sondershausen usw.

Uwe
6 Jahre her

„wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen.“ Wer hat diesen schwachsinnigen Satz eigentlich gefaselt? Jeden Tag, an jedem Ort wird uns das Gegenteil bewiesen

Cezak
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Wallasch. Bin etwas enttäuscht, daß auch Sie sich am Flüchtlinge beschenken beteiligt haben, aber das nur am Rande. Wir sehen an Ihrer kleinen Geschichte eine Entwicklung, die wohl nicht mehr zu stoppen sein wird. Nächstes Jahr zu Weihnachten wird das Mißtrauen gegen Menschen arabischen Aussehens nicht verschwunden sein. Im Jahr darauf und in den Folgejahren auch nicht. Es bedarf nur einiger weiterer kleinerer oder größerer Vorkommnisse und Ihre Familie wird irgendwann komplett darauf verzichten, am Heiligabend noch in die Kirche zu gehen. Wetten dass? Ich habe noch den gerne nachgesprochenen Satz in den Ohren:“Wir werden unser Leben… Mehr

Johann Thiel
6 Jahre her

Lieber Herr Wallasch, am verstörensten finde ich, daß Sie die beschriebenen Ereignisse mit ganz erstaunlicher Gelassenheit als eine Art nachdenkliche „Weihnachtsgeschichte“ präsentieren. Am Ende löst sich alles in Wohlgefallen auf. Wunderbar magisches Weihnachten. Nehmen Sie das Ding, schicken Sie’s der Merkel zur Neujahrsansprache, daß würde der wunderbar in den Kram passen. Es ist wirklich alles drin, was unsere Willkommenskanzlerin braucht. Der Versuch die Art zu leben wie gewohnt sich nicht nehmen zu lassen, die Angst vor dem Fremden, die Mißverständnisse zwischen den Kulturen, für alles gibt es am Ende eine harmlose Erklärung, unbegründete Panik durch persönliche Vorurteile und schließlich das… Mehr

Burkhard Minack
6 Jahre her

In der von mir besuchten evangelischen Kirche meiner Stadt am Rande Berlins gab es, zwischen Bläserchor und offiziellem Beginn der Weihnachtsmesse, eine organisatorische Ansage mit dem Hinweis auf den (im Falle einer Panik…) ebenfalls benutzbaren Seiteneingang.
Das war neu.
Neu war aber auch, daß der kürzlich eingesetzte Pfarrer und der Laienprediger es schafften, sämtliche Buntheits-, Willkommens- und Flüchtlingspropaganda aus der Weihnachtspredigt fernzuhalten.
Damit hatte ich dann nicht gerechnet.

Maxmink
6 Jahre her
Antworten an  Burkhard Minack

Mir ist es ähnlich ergangen. Als Katholikin hab ich an Weihnachten 1 x einen Weihnachtsgottesdienst und einmal ein Konzert mit kurzer Andacht und langer Predigt in unsrer evangelischen Ortskirche besucht. Die evangelische Kirche liegt 2 km von meinem Haus, die katholische Kirche 30 km. In den beim Gottesdienst und beim Konzert von 2 verschiedenen Pfarrern gehaltenen Predigten kam nicht ein einziges Wort von Fluechtlingen oder Klimakatastrophe vor. Es war einfach schön und so wie es sein soll! Beide „Veranstaltungen“ waren uebrigens sehr gut besucht und fanden in meinem Wohnort in Schweden statt. Ach ja und verdächtig aussehende Personen sind mir… Mehr