Die Spirale der Gewalt

Es wird nicht mehr nur nach Recht und Unrecht bewertet, sondern nach dem politischen Kontext. So produziert Gewalt neue Gewalt.

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Symbolbild

Das alte Jahr endet mit einer Prügelorgie von vier Asylbewerbern, die durch das bayrische Amberg ziehen und ein dutzend Menschen verletzten. Das neue Jahr beginnt mit einem deutschen Amokfahrer, der sein Auto im Ruhrgebiet – in Bottrop und Essen – absichtlich in Menschenmengen gelenkt hat, die mutmaßlich südländisch aussehen.

Die normale Reaktion wäre, die Täter festzusetzen und hart zu bestrafen – Ende der Durchsage. So funktioniert der Rechtsstaat, wo die Strafe befriedet. Aber was ist noch normal? Während nach Morden, Übergriffen und anderen Straftaten von Asylbewerbern mit Verweis auf den Pressekodex darauf hingewiesen wird, dass Herkunft kein Bestandteil der notwendigen Information sei und neue Medien versuchen, genau diese Mauer des lauten Schweigens zu durchbrechen, ist es in Bottrop und Essen andersherum eben andersherum: es ist ein Deutscher, Erleichterung macht sich breit bei den einen. Und Verbitterung bei den anderen. Verbrechen sind keine Verbrechen mehr, sondern müssen in einen großen Kontext passen – gute Asylbewerber gegen böse Deutsche oder umgekehrt.

— Ali Ertan Toprak (@toprak_aliE) January 1, 2019

Je nach Frontstellung, und ob es uns gefällt oder nicht: Der befriedende Rechtstaat ist durch diese Frontstellung gefährdet, eben weil er nach Ansicht Vieler nicht mehr angemessen funktioniert.

Eine Nachahmertat entlang islamistischer Attentate nach dem selben Muster? Und in Bottrop und Essen nicht zum ersten Mal, bereits Anfang des Jahres hatte in Münster ein Deutscher sein Fahrzeug in eine Menschenmenge gelenkt und dabei den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen.

Damals schrieb die Polizei, der Mann sei nicht einmal nur „Passdeutscher“, er sei also ein echter Biodeutscher. Aber was veranlasst Mitbürger die Handschrift grausiger islamistischer Attentate zu kopieren? Einfach nur irre? Reicht es hier, einen pathologischen Befund anzunehmen, wenn hier einer quasi in Umkehrung der Mordaktionen dem Aufruf des Islamistischen Staates (IS) folgt?

IS-Propagandachef Abu Muhammad al-Adnani, hatte bereits im September 2014 dazu aufgerufen, „Ungläubige“ in westlichen Staaten aus Rache für die Beteiligung ihrer Heimatländer am Kampf gegen den IS zu töten. „Der IS-Sprecher listete verschiedene Möglichkeiten auf, Zivilisten und Soldaten ohne großen logistischen Aufwand zu töten, darunter den Einsatz von Stichwaffen und das Überfahren mit Fahrzeugen.“

Die Polizei in Bottrop hat die Amokfahrten am frühen Neujahrsmorgen als Terroranschlag klassifiziert. Der 50-Jährige Deutsche hat seinen Wagen nicht nur in Bottrop, sondern auch in Essen mehrfach in Personengruppen gelenkt. Unter den Verletzten sind Syrer und Afghanen. Zwei kleine Kinder sollen ebenfalls mit Tötungsabsicht angefahren worden sein.

Nach ersten Vernehmungen habe eine klare Absicht bestanden, „Ausländer zu töten“. Aktuell hat die Polizei mutmaßliche Zeugen aufgerufen, sich zu melden. Der Fall müsse sehr ernst genommen werden, teilte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul mit. Den Mordanschlag eines Deutschen mit einem Fahrzeug in Münster hatte der Minister damals so kommentiert: „Es spricht im Moment nichts dafür, dass es einen islamistischen Hintergrund gibt.“ Herbert Reul ist jener Politiker, der schon einmal angesichts eskalierender Messerstecher-Serien mitten in Deutschland Abstand empfahl und meinte: „Man muss nicht unbedingt Menschen nah an sich ranlassen …“. Damals bezog er sich auf eine Distanz zu Personen südländischen Aussehens.

Nun ist so ein Abstand bei einem herannahenden Auto mit hoher Geschwindigkeit fast so unmöglich wie bei einer abgeschossenen Kugel aus einer Schusswaffe. Wie durch ein Wunder wurde in Bottrop und Essen niemand getötet. Die Analysten haben nun einiges an Arbeit vor sich. In der Bundespressekoferenz weigerte sich Regierungssprecherin Martina Fietz, in der Prügelorgie von Amberg eine „Hetzjagd“ zu erkennen, solcherlei semantische Diskussionen würden nicht weiter führen.

Stimmt. Was ist, wird bewertet. Und nicht mehr nur nach Recht und Unrecht, sondern nach dem politischen Kontext. So produziert Gewalt neue Gewalt. Die Spirale beginnt sich zu drehen. Zum Nachteil Aller.

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