Ein Kleid ist ein Kleid ist ein Kleid – oder doch nicht?

Chinesische Gewänder dürfen nun mal nur Chinesen tragen. Kimonos nur Japaner, Dirndl nur Bayerinnen und Österreicherinnen. Solange wir diese Segregation nicht alle verinnerlicht haben, wird das nie etwas mit dem Wir-Gefühl, mit interkultureller Würdigung und Toleranz.

MARK RALSTON/AFP/Getty Images

„My culture is NOT your goddamn prom dress.“ Meine Kultur ist nicht dein verdammtes Prom-Kleid. Bumm. Herr Lams Gemüt war am Wochenende bei Twitter feurig erregt. Nein, Herrn Lam, einen jungen Asiaten aus den USA, muss man nicht kennen. Ein Mädchen hat Bilder von ihrer High-School-Feier gepostet, auf denen es ein Qipao trägt.

Das Fräulein ist keine Chinesin, notabene. Ein Qipao ist aber ein traditionelles chinesisches Kleid, hoher Kragen, seitlicher Schlitz, aus Seide oder Satin, dessen Tragen für Nicht-Chinesen strikt verboten ist. Zu meiner Schande besitze ich auch eines, habe schon darin moderiert. Herr Lam hatte das aber nicht mitbekommen.

Und in China fällt ein Sack Reis um, denken Sie jetzt vielleicht. Von wegen. Zwar dürften sich Chinesen in China über den von Massenmedien aufgegriffenen Qipao-Skandal schlapp lachen, in den USA aber hat das Stück Stoff ein Erdbeben ausgelöst. Innert kurzer Zeit hat Herrn Lams Tweet 179’000 Likes erhalten. Ein Volltreffer, Herr Lams Durchbruch sozusagen. Er hat 179’000 Menschen überzeugt, dass das Mädchen das falsche Kleid trägt. Der Fauxpas liegt auf einer Schlimmheitsskala etwa auf derselben Stufe, wie wenn ich mir ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowieren lasse und damit auf eine Feier gehe. Oder mich in ein weisses, oben spitzes Bettlaken hülle.

Ein Kleid als Symbol von Gender-Gleichheit

Herr Lam schreibt weiter, das Kleid sei ursprünglich für Chinesinnen kreiert worden, die als Reinigungskraft arbeiteten. Zu einer Zeit, als asiatische Frauen unterdrückt wurden, sei es Symbol ihres Aktivismus geworden. Es bedeute Gender-Gleichheit. Es habe die Teilung der Klassen durchbrochen. Dass das Qipao einfach Teil des amerikanischen Materialismus ist und einem weissen Publikum diene, sei vergleichbar mit kolonialer Ideologie.

Das sind Argumente vom Format eines Jahrhundertdenkers. Mao höchstpersönlich hätte das nicht besser formuliert. Warum ist das noch nicht bei allen angekommen? Chinesische Gewänder dürfen nun mal nur Chinesen tragen. Kimonos nur Japaner, Saris nur Inderinnen, Dirndl nur Bayerinnen und Österreicherinnen. Anzüge und Krawatte sind nur weissen Männern erlaubt, gestrecktes Haar weissen Frauen. Wer nicht Amerikaner ist, sollte keine Levis tragen, Nicht-Italiener nicht italienisch kochen. Wagner singen oder Mozart klimpern geht nur bei Europäern, eine Demokratie ausrufen nur bei den Griechen. Und dass so viele Nicht-Babylonier mathematische Formeln benützen – ohne Worte! Solange wir diese Segregation nicht alle verinnerlicht haben, wird das nie etwas mit dem Wir-Gefühl, mit interkultureller Würdigung und Toleranz.

Die Grenzen von Multi-Kulti

Der Trend geht ja sowieso weg von der Durchmischung von Kulturen. Denn Durchmischung heisst Diebstahl von Identitäten und cultural appropriation, also Aneignung von Kultur, heisst rassistische weisse Menschen, die sie herabwürdigen, Textil einfach als Fashionstatement oder Kostüm benützen. Kleider haben aber eine lange Geschichte. Wie auch das Qipao, das an einem Tag irgendwo in Taiwan, pardon, in China, für Fr. 18.99 produziert wurde.

Weisse sollten bei Diskussionen um Identitätspolitik ohnehin nicht mitreden. Und besser dem gefeierten Herrn Lam zuhören, wie 179’000 Kultursensible es vernünftigerweise tun. Er selbst kleidet sich zwar nicht wie ein Chinese im 19. Jahrhundert, auf seinem Profilbild trägt er Shorts und eine Baseballkappe von Adidas, aber auf Twitter schrieb er immerhin: „Ich esse Tamales mit Stäbchen.“ Und in Guatemala fällt gerade ein Sack Mais um.

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Kommentare ( 26 )

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Doris d kl R N-satt
5 Jahre her

Menno, da will mal jemand richtiggehend multikulti sein, und dann soll sie das nicht dürfen 🙂

Manche Menschen sind halt regelrecht dazu verdonnert Witze zu produzieren. Ich rechne Herrn Lam zu dieser besonderen Gattung 🙂

NoName
5 Jahre her

Weisse (Und damit sind ja allein Weisse Männer gemeint. Die weisse Feministin steht selbstredend nicht auf der Seite ihrer Männer, sondern Seit an Seit mit den Unterdrückten.) dürfen nicht mitreden. Wer bestimmt das? Die Grenzen der Hirnmöblierung kann man bei den Gender-,Kultur-, und Sonstwie-Warriorn gut erkennen. Wir sind gleichzeitig alle gleich und total unterschiedlich. Und weisse Männer sind an allem schuld. Wie gut, dass sich hier an den Sozialkassen zu bedienen, weder kulturelle noch finanzielle Aneignung ist.

MELIORA SPERO
5 Jahre her

„Weisse sollten bei Diskussionen um Identitätspolitik ohnehin nicht mitreden. “ ……………………………………………….. Oder sollten sie vielleicht erst recht- gleiches Recht für alle!- ihre Errungenschaften zB in Medizin und Technik genauso als ihre Identität gegen die Nutzung durch andere Kulturen vehement verteidigen? Man stelle sich zB China ohne Flughäfen, ohne moderne Verkehrsinfrastruktur, ohne Hochhäuser vor. Oder Afrika unberührt von allen westlichen Ideen, mit weiterhin hoher Kindersterblichkeit und niedriger Lebenserwartung. Usw usw. Und -noch weiter gedacht- wenn eine „Aneignung“ oder ein „Ausleihen“ von fremder Kultur nicht zulässig wäre, dürfte es eine „Aneignung“ oder ein „Ausleihen“ kulturfremden Bodens, also die Migration von Menschen in… Mehr

Gabriele Kremmel
5 Jahre her

Analog zur Kopftuchdebatte jetzt also eine Debatte über die Bedeutung eines Kulturkleidungsstücks, das seine Zeit überlebt hat, obwohl sein Zweck längst erfüllt ist. Sogesehen bräuchte auch die asiatische Frau das Kleid nicht mehr zu tragen und die Produktion müsste eingestellt werden.

Soll Herr Lam doch einfach den Hersteller fragen, für wen genau das Kleid noch hergestellt wird. Dazu müsste man allerdings zuerst die Scheuklappen abnehmen.

Nicholas van Rijn
5 Jahre her

Mei bin ich froh, nicht twitter- und facebook-abhängig zu sein. Sollte man sowas nicht schlicht ignorieren? Ich begegne im „real-life“ auch so manchen Idio…, sehe mich dann aber nicht veranlasst, mich über ihn aufzuregen oder gar zu kritisieren, sondern mache gedanklich (0der besser noch räumlich) einen großen Bogen.

ioeides
5 Jahre her

Kennt der Herr Lam denn die Migrations-Agenda der UN nicht? Ziel dieser menschenverachtenden Bürokraten ist doch die Herstellung einer von ethnischen Besonderheiten und Kulturvorstellungen gesäuberten Mischrasse gleichartiger und damit auch gleich gekleideter menschenähnlicher Figuren. Irgendwas passt da nicht.

AssaModis
5 Jahre her

Es ist halt ein Kleid, für das man auch die entsprechende Figur mitbringen muss. bei der Fettleibigkeit der meisten Amerikaner kann ich Herrn Lam schon verstehen, dass er sich darüber aufregt.
Als Gegenreaktion könnte man ja Mc Donalds den Verkauf seiner „Hamburger“ verbieten, da der Ursprung der Idee ja in Hamburg liegt. „Hamburger“ also nur in Hamburg verkauft und von Hamburgern gegessen werden dürfen.

Charlotte
5 Jahre her

Sie besitzen ein Kleid, das für nicht Chinesen streng verboten ist? Also wenn das gute Stück die unsrige Sitte nicht in Bewegung setzt, dann stimmt das einfach nicht. Auf Umwegen (Schuld sind immer meine Kinder) haben wir gelegentlich chinesischen Besuch. Hat die Autorin das auch?

Th. R,
5 Jahre her

Ja, neee, is klar! Und Pizza dürfen nur Italiener essen!
Es wäre zum Schlapplachen, wenn nicht auf diesem Niveau tatsächlich diskutiert würde. Und hätte das in Deutschland stattgefunden, würde ich davon ausgehen, dass Herr Lam kein Chinese, sondern Mitglied in einer Teddywerfer-Bahnhofsjubler-NGO mit bio-deutscher Herkunft wäre…

Steffen Hinrichs
5 Jahre her

Ich halte für wahrscheinlicher, dass der angeblich kulturelle Grund nur vorgeschoben ist und die Empörten lediglich neidisch auf die Hübsche sind. Denn andere runter machen ist einfacher, als sich selbst anzustrengen, sportlich
auszusehen oder eine geschmackvolle Garderobe auszusuchen.