„Richtungs-Rumms“ bei der EU-Wahl?

Bei den Wahlen im Mai dürften „Rechtspopulisten“ sehr stark werden: 150 Sitze könnten sie erringen. Das Brüssel-Establishment ist beunruhigt. Aber auch die AfD geht hohe Risiken ein.

SEBASTIEN BOZON/AFP/Getty Images

Ein „Jahr der Populisten“ befürchtet der „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe. Laut Umfragen könnten mehr als 20 Prozent der Sitze an „rechtspopulistische” und „nationalkonservative” Parteien vor allem aus Mittel- und Osteuropa gehen – das wären 150 von 705 Sitzen. Vielleicht werden es auch mehr. Von einem drohenden „Rechts-Rumms“ tönt da die „Bild“-Zeitung (ein reißerischer Titel, den Bild alle paar Jahre einsetzt, wie zuletzt bei Österreichs Nationalratswahlen).

Die AfD wird wohl mit mehr als einem Dutzend Abgeordneten ins Europaparlament in Brüssel und Straßburg einziehen. Besonders zulegen dürften italienische Lega von Innenminister Matteo Salvini, die derzeit mit der polnischen Regierungspartei PiS Gespräche über eine Kooperation führt. In aktuellen Umfragen liegt die Lega in Italien bei 32 bis 34 Prozent; ihr werden mindestens 27 Sitze zugetraut. Die PiS (Recht und Gerechtigkeit) steht in Polen bei über 40 Prozent und könnte 25 Sitze, fast die Hälfte aller polnischen Sitze im EU-Parlament erobern.

In Frankreich hat Marine Le Pens Partei den angeschlagenen Präsidenten Emmanuel Macron überrundet. Sie liegt bei 24 Prozent, etwa 5 Prozentpunkte vor Macrons Partei. Le Pens Rassemblement National (Nationale Sammlungsbewegung) dürfte damit 22 Sitze erhalten (geführt werden soll der RN im Europawahlkampf von dem erst 23 Jahre alten Geografiestudenten Jordan Bardella). In den Niederlanden wird der Islam-Kritiker Geert Wilders mit seiner Partei für die Freiheit wohl ein Siebtel aller Stimmen erhalten (eine Übersicht aktueller Umfragen gibt es hier).

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Eine Europakarte zeigt den Vormarsch all jener Kräfte, die kritisch sind gegenüber dem Brüsseler EU-Apparat, dem Euro und vor allem gegenüber der Einwanderungspolitik, für die Merkel ebenso wie Juncker stehen. Nördlich, östlich und südlich von Deutschland regieren die bösen „Rechtspopulisten” in den meisten Ländern mit, von Finnland über Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Österreich bis Italien. Im „Spiegel“, der diese Länder auf einer Karte gelb gefärbt hat, sieht es aus, als werde Merkel-Deutschland von Osten her in einen Zangengriff genommen.

Und nun blasen sie zum Sturm auf Brüssel. In der künftig 27-köpfigen Kommission könnten mehrere Vertreter EU-kritischer Regierungen sitzen. Düster orakelt das Hamburger Magazin, das seit dem Auffliegen der Relotius-Reportagen in einer Glaubwürdigkeitskrise steckt, eine Brüsseler Kommission „mit diversen Bremsern und EU-Kritikern würde die Union schwächen“.

Noch ist aber viel im Fluss. Unklar ist, wie sich der Brexit auf die Europawahlen am 23. Mai auswirkt. Gibt es Ende März einen chaotischen Brexit, der die Wirtschaft in England schwer schädigt, könnte die Stimmung gegen EU-Kritiker umschlagen. Läuft der Brexit halbwegs glatt, würde er wohl die Wahlentscheidungen auf dem Kontinent nicht groß beeinflussen. Allerdings geht die AfD ein hohes Risiko ein, wenn sie in ihrem Leitantrag mit der Idee eines EU-Austritts Deutschlands in fünf Jahren spielt. „Sollten sich unsere grundlegenden Reformansätze im bestehenden System der EU nicht innerhalb einer Legislaturperiode verwirklichen lassen, halten wir einen Austritt Deutschlands oder eine geordnete Auflösung der EU und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig.“

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Mit dem Gespenst eines „Dexit“ (deutscher EU-Austritt) könnten die AfD-Hardliner gemäßigte Wähler verprellen – vermutlich würde eine radikale EU-Austrittspartei in Deutschland nicht einmal 5 Prozent der Wähler für sich gewinnen. Bei aller Kritik an der EU will doch – bis auf eine kleine Fraktion – die große Bevölkerungsmehrheit keinen Austritt, sondern Reformen des zentralistischen Brüssel-Europas. AfD-Chef Jörg Meuthen hält den Antrag für zu rigoros und hat einen Änderungsantrag gestellt. Die AfD müsse pragmatischer sein und Reformansätzen mehr Zeit geben. Meuthens Reformansatz zielt „auf grundlegende Strukturreformen hin zu viel mehr Demokratie, Dezentralität und Subsidiarität“, wie er in einem „Welt“-Interview ausführte. Das EU-Parlament geißelte er dort als „eine Institution, die seit Jahrzehnten die Zentralisierung aller Entscheidungen betreibt, und genau diese Zentralisierung verhindert Demokratie, weil die demokratischen Nationalstaaten entmachtet und immer mehr Befugnisse in das intransparente Zentrum verschoben werden.“ Mit einem solchen Programm erwartet Meuthen bis zu 18 Sitze im EU-Parlament.

Die EU-Freunde, zu deren lautesten der belgische Linksliberale Guy Verhofstadt zählt, hoffen durch ein Brexit-Chaos auf Rückenwind, um den EU-Kritikern die Stirn zu bieten. „Die rechtsgerichtete Kampagne, um Europa bei den EU-Wahlen 2019 zu zerstören, ist unterwegs. Es ist Zeit für die Pro-Europäer zurückzuschlagen. Seid ihr mit mir?“, twitterte Verhofstadt vor kurzem. Seine liberale ALDE-Fraktion, der die deutsche FDP angehört, könnte bei den anstehenden Wahlen auf bis zu 100 Sitze wachsen, weil sich Macrons Partei La République en Marche (REM) ihr anschließen will.

Macron ratlos
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Kräftig verlieren werden wohl die europäischen Sozialdemokraten. Sie werden vermutlich bis zu ein Drittel ihrer Sitze einbüßen. Die Fraktion der Sozialdemokraten und Sozialisten dürfte laut der Umfragen-Übersicht im nächsten EU-Parlament nur noch auf 136 Sitze (vorher 191) kommen. Größte Fraktion dürfte – trotz Verlusten – die Europäische Volkspartei (EVP) bleiben. Ihr werden 180 Sitze (bislang 221) prognostiziert. EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) rechnet sich Chancen aus, nächster EU-Kommissionspräsident zu werden.

Spannend wird es aber, ob die diversen „Rechtspopulisten” und „National-Konservativen” im EU-Parlament sich zu einer gemeinsamen Fraktion durchringen können. Bislang sind sie sogar auf drei Fraktionen verteilt: EKR, ENF und EFDD.

Die EKR (Europäische Konservative und Reformer) dürften nach dem Ausscheiden der britischen Tories aus dem EU-Parlament stark schrumpfen. Fraglich ist, ob die polnische PiS dann dort bleibt. Vielleicht geht sie mit Salvinis Lega zusammen, die bislang in der „Europa der Nationen und Freiheit“-Fraktion (ENF) sitzt. PiS-Chef Jarosław Kaczyński hat diese Woche Gespräche mit Salvini geführt. Polens Außenminister Jacek Czaputowicz sprach von einem Treffen „auf höchster Ebene“, das ein Zeichen für eine „spezielle Beziehung“ sei.

Die ENF-Fraktion wurde bis 2017 von Marine Le Pen dominiert, bis diese ins Pariser Parlament wechselte. Die ENF kann auf mehr als 60 Sitze wachsen, zusammen mit der PiS könnten es fast 90 werden. Schrumpfen wird durch den Briten-Austritt wie die EKR auch die Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EFDD), in der Brexit-Wortführer Nigel Farage bislang den Ton angab. In der EVP-Fraktion sitzt zudem noch Orbáns Fidesz-Partei, die einige Christdemokraten lieber heute als morgen dort ausschließen würden.

Nähe und Entfernung machen Freundschaft
Persönliche Grenzen kennen und respektieren, die der Länder und Nationen
Die Vielfalt und Zersplitterung zeigt, dass sich Europas „Rechte” bislang nicht wirklich auf eine gemeinsame Linie einigen konnten. Es gibt zudem bis heute nationale Animositäten, teils historisch bedingt. In Polen etwa wurde die langjährige CDU-Abgeordnete Erika Steinbach, die nun die AfD unterstützt, jahrelang von der PiS als Feindbild genutzt, als sie Chefin des Bundes der Vertriebenen war.

Auch in der Frage der Zuwanderungspolitik gibt es Unterschiede. Die osteuropäischen Visegrád-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei) lehnen eine Umverteilung von Migranten ab; Italiens Salvini hofft aber auf Entlastung und eine Abnahme von Migranten. Der kleinste gemeinsame Nenner der genannten „Rechtspopulisten” ist wohl, die EU zu einer „Festung“ auszubauen, die den Ansturm illegaler Migranten rigoros unterbindet. Das würde vielen Bürgern weit über diese Parteien hinaus gut gefallen.


Robert Mühlbauer ist Publizist zu politischen und wirtschaftlichen Themen.

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Kommentare ( 84 )

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Ostfale
5 Jahre her

Vergebliche Liebesmüh‘ – diese in sich zutiefst widersprüchliche Wortschöpfung ist wohl nicht zu eliminieren – links und liberal

Beat.Buenzli
5 Jahre her

Politik im Interesse des Volks ist Populismus, Politik im Interesse der Parteien ist Parteiprogramm. Diese beiden Politikstile haben keine Schnittmenge. Diese Erfahrung wurde von den Parteien zwar gemacht, leider wurden sie nicht verstanden. Letztes Beispiel war die Wahl zum Parteivorsitz der CDU. Man könnte meinen, dass CDU mit der SPD gleichziehen wollte.

Ben Neva
5 Jahre her

Die EU und EU-Altparteien verhalten sich wie jemand mit Fress-Sucht und Alkoholproblem. Immer mehr , mehr mehr. Weiter so. Immer weiter vollfressen. Immer weiter wachsen, ohne Limit, ohne Scham, ohne Verstand. Ungezügelt soll die Party weitergehen, Diäten sollen wachsen, EU-Haushalt soll wachsen, mehr Migration, mehr Lobbyisten, mehr Filz,mehr, mehr, mehr, eine Party die niemals aufhört. Besoffen liegen sie nun dar, die Junckers (nicht nur metaphorisch), die Asselborns, die Schulzes und die Timmermans`. Und merken garnicht, dass neue Gäste die Party betreten werden und zukünftig die Musik bestimmen werden bis es irgendwann keine Musik mehr gibt, sondern nur noch Kater am… Mehr

Wolfgang M
5 Jahre her

Wie viele Parteien sind eigentlich im EU-Parlament? Führt diese Zersplitterung zur Transparenz? Eigentlich müssten die Landesparteien auf EU-Ebene fusionieren. Eine Partei, die nicht 3% in Europa erreicht, kommt nicht ins Parlament. Dann wüsste man wenigstens, für was diese Europa-Parteien stehen. Von den eigenen Parteien wüsste man dann, in welcher europäischen Partei sie aufgegangen sind. Ein Wort zu den Populisten. Alle Parteien sind populistisch. Rechtspopulisten und Linkspopulisten sind in aller Munde. Mindestens so stark treten auch die Grünpopulisten in Erscheinung, obwohl man den Begriff leider nicht benutzt. Die Volksparteien sind populistisch, wenn sie von roten Socken oder von Rechtsruck reden. Die… Mehr

Imre
5 Jahre her

Seit geraumer Zeit treten sogenannte „rechte“ Parteien als Hoffnungsträger in nahezu ganz Europa auf. Nicht ohne gute Gründe, haben doch Sozialisten, Sozialdemokkraten, Christdemokraten, ja, tlw. gar kommunistische Gruppierungen ihre Wähler mehr oder weniger regelrecht verkauft. In Deutschland trat eine AfD an, deren beste Zeit jedoch mittlerweile – dank Spalteritis und Harmoniebedürftigkeit mit den etablierten Versagern – wohl zu Ende geht. Wegen tlw. an den Haaren herbeigezogener Kritik die Verwendung mancher Sätze oder Worte betreffend! Leute, die Großverräter und ihre Pressefuzzis werden IMMER ein Haar in der Suppe finden…., und wenn nicht, werfen sie welche rein! Würde die gleiche – künstlich… Mehr

Sonny
5 Jahre her

Überall wird in der Presse ein Erstarken der National-Konservativen in Europa mit teils unverhohlener Gefahr assoziiert. Anstatt die Chancen und die Wiedereinführung von Gerechtigkeit zu erkennen, wird eher der Beelzebub ans Firmament genagelt.
Ich sehe eher die Chancen Europa wieder zu dem zu machen, was es einmal unter der EG war: Eine Staatengemeinschaft, die die Nationalstaaten nicht verteufelt, sondern zu einer starken Gemeinschaft zusammenschmiedet.

Ostfale
5 Jahre her
Antworten an  Sonny

„…Ich sehe eher die Chancen Europa wieder zu dem zu machen, was es einmal unter der EG war: Eine Staatengemeinschaft……………..“
Schön und gut, aber welche (realen) Chancen, auch auf Verwirklichung selbiger sehen Sie denn da? Der reine Wunsch auf Erfüllung eigener Vorstellungen – um das belastete Wort Vision zu umgehen – wird da nichts bewegen.

Hadrian17
5 Jahre her

Das Problem ist, dass heute nicht mehr faktenbasierte sondern emotional-ideologische Politik gemacht wird. Früher war das auf einige Spinner beschränkt, heute ist es „Mainstream“. Eine „vernünftige“ EU würde beispielsweise heute sagen, dass die NOx Grenzwerte für Autoabgase ohne Sorge auf 80 Einheiten verdoppelt werden können und das auch tun, um kalten Bürgerkrieg abzuwenden … und einiges anderes, was ohne Weiteres Druck aus dem Kessel nehmen würde. Das wäre vernünftige Realpolitik, an den tatsächlichen Notwendigkeiten orientiert. Zumindest der Beginn derselben. Aber das machen die Spinner ja nicht, weil es gar nicht um die jeweilige Sache geht, sondern diese nur als Vehikel… Mehr

Rebell
5 Jahre her

Deutschland geht ein großes Risiko ein, wenn es nicht aus der EU austritt! Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Marc Hofmann
5 Jahre her

Die Trump USA haben der EU den Status eines Staates entzogen…somit wird die EU jetzt von den USA so wahrgenommen, die der Realtität entspricht..die EU wird als Organisation von den USA behandelt und nicht mehr als Staat.
Die Luft wird Dünner in EU-Deutschland.

batman
5 Jahre her

Die AFD sollte sich eher mit handfesten Themen der Deutschen beschäftigen, von diesen werden sie schließlich gewählt: Absenkung und Angleichung des Renteneintrittsalters an andere EU Staaten (z.B. Österreich), Erhöhung der Rente (Z.B wie in Österreich), keine gemeinsame Arbeitslosenversicherung der EU, Sicherung der Landesgrenzen, Rückführung von Illegalen, Einhaltung des Lissabon Vertrags, allgemeine Rechtsverbindlichkeiten, Bekämpfung der DHU und der irrwitzigen Abgasnormen, Erhalt der Automobilindustrie. Raus aus dem Euro können Sie ja irgendwann, aber dann sollte man es nicht laut sagen und damit Wähler verprellen. PS: was macht denn eigentlich Lucke? Irgendwas erreicht in der EU?