Macron ante portas?

Merkel hat Macron bisher keine Zusagen machen können. Ihre eigene Unionsfraktion hat eine defensive Haltung zu den Macron-Ideen erkennen lassen.

© Carsten Knall/Getty Images

Der französische Staatspräsident Macron wurde am 19. April von der Bundeskanzlerin zu dem lang erwarteten Gespräch über seine Ideen zur Erneuerung Europas empfangen. So gesehen steht er physisch nicht mehr vor den Toren des Kanzleramts. Soweit bekannt, hat er jedoch seine zahlreichen Vorstellungen zur institutionellen Vertiefung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion nicht mit Erfolg vorbringen können. So gesehen steht er inhaltlich weiter „ante portas“. Die Bundeskanzlerin scheint nicht mehr bereit zu sein, alle stabilitätspolitischen Grundsätze Deutschlands auf dem Altar der deutsch-französischen Freundschaft zu opfern. Das Synonym „Mercron“ wird, entgegen den Erwartungen des Autors, nicht in den deutschen Sprachschatz eingehen.

Wer gibt Wachs in Merkels Ohren?
Die Sirenenklänge des Monsieur Macron
Macron hat seine Vorstellungen bei zahlreichen Anlässen schon öffentlich gemacht, zuerst mit seiner spektakulären Rede an der Pariser Sorbonne Universität zwei Tage nach der Bundestagswahl und letztlich am 17. April vor dem Europäischen Parlament. Die Details seiner Reformvorschläge bleiben jedoch weiterhin im Dunkeln. Es kommt ihm mehr auf Symbole als auf Inhalte an, vieles ist derzeit noch Europarhetorik. Die Karten werden jetzt jedoch auf den Tisch kommen. Zur Reform der Eurozone soll die Währungsunion einen eigenen Haushalt mit eigenen Einnahmen, einem eigenen Eurozonen-Parlament und einen eigenen Finanzminister und einem Investitionsprogramm von „mehreren“ Prozentpunkten der Wirtschaftsleistung der Euroländer erhalten. Von gemeinsamer Kreditaufnahme und gemeinsamer Haftung oder gar Eurobonds ist jetzt, wenigstens expressis verbis, nicht mehr die Rede.

Zum Verständnis seiner vielgerühmten Ideen für ein neues Europa muss man sich die innenpolitische und wirtschaftliche Lage Frankreichs vor Augen führen. Macron erlebt derzeit, wie schwer es ist, Reformen umzusetzen. Der fortlaufende Streik der Bediensteten der hoffnungslos verschuldeten französischen Eisenbahngesellschaft SNCF – sie protestieren gegen den Abbau ihrer Privilegien wie die derzeitige Pensionsgrenze mit 51 Jahren – hat bereits zu zahlreichen Ausfällen und Verspätungen im Bahnverkehr geführt. Die Energiegewerkschaft hat gegen die Umbaupläne Macrons mit Stromabschaltungen gedroht.

Auch die vielfach ignorierte desolate wirtschaftliche Lage Frankreichs erklärt die von Macron proklamierte Erneuerung Europas. Das Grundübel ist der überdimensionierte öffentliche Sektor, der rund 57 % des BIP absorbiert und die in der EU höchste Abgabenquote (Steuern und Sozialabgaben) von 48 % des BIP. Das Haushaltsdefizit sinkt trotz „gehärtetem“ Fiskalpakt mit automatischen, aber nie durchgeführten Ausgabenkürzungen kaum unter die im EU-Recht festgelegte Höchstgrenze von 3 % des BSP. Der französische EU-Kommissar Moscovici stellt dazu lapidar fest, Frankreich sei eben Frankreich.

Zu den Defizitposten zählt auch die auf 100 % des BIP ansteigende Schuldenstandsquote des Staates und die – in Deutschland kaum bekannte – private Verschuldung, mit 186 % des BIP die höchste private Verschuldung der großen Industrieländer in der Eurozone. Dabei erreicht die Verschuldung der Unternehmen 72 % des BIP und ist zu zwei Dritteln variabel finanziert. Bei Zinserhöhungen entsteht eine bedenkliche Hypothek für die Finanzstabilität in Frankreich. Unser Nachbarland droht dann, sich in die Reihe der Länder wie Griechenland, Portugal und Italien mit hohen Raten notleidender Kredite einzureihen. Wer diese Prognose als Utopien abtuen will, sollte den jüngsten Stabilitätsbericht des IWF lesen. Selbst die französische IWF-Chefin Lagarde warnt vor steigenden Risiken für die Märkte. Die globalen Finanzmärkte seien insbesondere wegen der Verschlechterung der Qualität der Kredite verwundbar.

Besonders besorgniserregend ist der permanente Verlust an Wettbewerbsfähigkeit seit der 2000 eingeführten 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Im weltweiten Ranking des jüngst veröffentlichten Wettbewerbsreports des Davoser Weltwirtschaftsforum ist Frankreich inzwischen auf Platz 22 abgerutscht, Deutschland liegt auf Platz 5. Im Zuge dieser Entwicklung ist in Frankreich der Beitrag der Industrie zum BIP auf 11 % gefallen bei 24 % in Deutschland. Frankreich kann nicht mehr beanspruchen, ein Industrieland zu sein.

Merkelismus
Die EU am Scheideweg
Die Gründe für den Anstieg der Lohnstückkosten sind mit geringer Produktivität und hohen Löhnen bekannt. Wenig bekannt dürften jedoch zahlreiche Lohnnebenkosten sein. So zahlen die Unternehmen zwei Drittel der Sozialversicherungsbeiträge. Bei Ausscheiden eines Arbeitnehmers aus einem Unternehmen sieht das französische Arbeitsrecht Abfindungen an den Arbeitnehmer vor, dessen Höhe von seinem Gehalt und von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängt. Dasselbe gilt für den Fall einer im Betrieb entstandenen Invalidität. Bei einem mittleren Einkommen und 30 Jahren Betriebszugehörigkeit können Abfindungen im sechsstelligen Bereich entstehen. Die 35-Stunden-Woche ist auch nur für Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten liberalisiert worden. An all diese heiligen Kühe wagt sich die Reformpolitik Macrons nicht. Sie sind sakrosankt. Die Unternehmen ihrerseits reagieren entsprechend. Neueinstellungen erfolgen fast nur noch mit Zeitverträgen. In zahlreichen Unternehmen erbringen die Bediensteten ihre Leistungen als selbständige Gesellschafter. Die Unternehmen zahlen dementsprechend auch keine Sozialversicherungsbeiträge. Das Problem der Altersarmut ist programmiert. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt derzeit bereits bei 25 %. Die bereits früher vorgebrachten Vorschläge für eine europäische Arbeitslosenversicherung – sie weist in Frankreich etwa so hohe Defizite auf wie Überschüsse in Deutschland – sowie die Erweiterung der Bankenunion durch eine Einlagensicherung reihen sich nahtlos in Macrons Ratio der institutionellen Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Der Endpunkt dieser Entwicklung ist die Transferunion.

Vor diesem Hintergrund können die visionären Pläne Macrons nicht zum Nennwert genommen werden. Seine Vorschläge für eine Neubegründung der Wirtschafts- und Währungsunion kaschieren die eigentliche Absicht, nämlich die Schaffung neuer Finanzierungstöpfe für Investitionen, in die alle Euroländer einzahlen. Dabei stellt die EU schon heute viel Geld für Investitionen zur Verfügung – 350 Milliarden Euro für die Kohäsionspolitik und über den sog. Juncker-Plan sollen private Investitionen in die Infrastruktur bis zu 500 Milliarden Euro erreicht werden. Die Vorschläge für einen eigenen Eurohaushalt mit eigenen Einnahmen und deren Verwendung durch einen eigenen Euro-Finanzminister lassen die eigentliche Absicht der Initiative von Macron erkennen.

Merkron ante portas
Quo vadis France?
Die Bundeskanzlerin hat Macron bisher keine Konzessionen gemacht. Sie hat ihre traditionelle frankophile Position aufgegeben, nolens volens. Der innenpolitische Widerstandst ist zu stark geworden. Ihre eigene Unionsfraktion hat eine defensive Haltung zu den Macron – Ideen erkennen lassen. Außerdem kann sie der AfD und auch der FDP nicht zu viele Angriffsflächen im Bundestag bieten, mit denen sich insbesondere die AfD profilieren würde. Und schließlich ist nicht zu vergessen, dass die neue Koalitionsregierung nur über eine dünne Mehrheit von 44 Stimmen verfügt.

Die Anzahl der Dissidenten scheint zu wachsen. Insofern hat die GroKo der Parteien, die die großen Wahlverlierer im September waren, bisher wenigstens einen positiven Effekt hervorgebracht. Der Handlungsspielraum ist auch durch die bevorstehende Landtagswahl in Bayern und die in einem Jahr zu erwartende Wahl zum Europäischen Parlament begrenzt. Dennoch bekräftigt die Kanzlerin, mit Frankreich bis Mitte des Jahres einen Kompromiss für die geplanten EU-Reformen zu erreichen.

Es ist zu hoffen, dass dabei die marktwirtschaftlichen Gesetze nicht außer Acht bleiben. Schließlich ist der Primat der Politik letztlich eine Illusion. Die ökonomische Ratio sollte die Handlungsmaxime aller Politiker sein. Dies setzt freilich voraus, dass man auf beiden Seiten des Rheins dasselbe Verständnis von ökonomischer Ratio hat. Zweifel sind angebracht.


Dr. Wolfgang Glomb ist Mitglied des Kuratoriums des liberalen thinktanks Institut Thomas More in Paris.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 16 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

16 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Oleron
5 Jahre her

Wir können entweder die Schuldenunion akzeptieren und deutsches Steuergeld regelmäßig gen Süden bzw. Frankreich schicken und AM ENDE ALLE GLEICH ARM SEIN Oder Draghi weiter feste Geld drucken lassen UND AM ENDE ALLE GLEICH ARM SEIN Ewig bei der 0% Zinspolitik verharren UND AM ENDE ALLE GLEICH ARM SEIN Oder den Euro rück abwickeln UND AM ENDE ALLE GLEICH ARM SEIN Es spielt keine Rolle welche Option gewählt wird, denn wie sagte der ehemalige Finanzminister Griechenlands so treffend: „Die Deutschen können schreien wie sie wollen, am Ende werden sie bezahlen“ Und da hatte er recht, denn nur durch das weiterführen… Mehr

Anna
6 Jahre her

FOCUS hat nicht veröffentlicht. Ist es etwas falsches dabei? Beitrag: Macron braucht in Ausland irgend etwas, was er als Erfolg verkaufen kann. Ob Besuch bei Trump oder illegale Bombardierung in Syrien. Er wurde von der Finanzelite aufgepumpt – Rotschild Bank, Investment, gescheiterte Finanzminister. Wir sollen nicht glaube, dass er die Schlauheit mit Löffelgegessen hat. Mit der EU Neugestaltung darf jetzt nichts mehr gemacht werden. In einem Jahr EU Wahl. Seit er letzten ist so viel Passiert, die Karten MÜSSEN NEU gemischt werden. Hinter Macron steht Frankreich nicht, hinter Merkel steht Deutschland nicht! wurde von uns nach Prüfung durch einen Administrator… Mehr

HRR
6 Jahre her

Die EU liegt bereits krank im Bett. Da preist der agile Chefarzt Macron für das am ärgsten betroffenen Organ Eurozone „einen eigenen Haushalt mit eigenen Einnahmen, einem eigenen Eurozonen-Parlament und einen eigenen Finanzminister und einem Investitionsprogramm von „mehreren“ Prozentpunkten der Wirtschaftsleistung der Euroländer“ als todsicher wirksame Medizin an! Diese Behandung würde enorme zusätzliche Finanzmittel erfordern, die aber keine Heilung bringen, sondern nur die Symptome behandeln würden, weil die Ursache der Erkrankung in Form eines mehrfachen Organversagens (Überschuldung der Südstaaten, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, Reformunwilligkeit etc.) schlicht verdrängt wird. Zudem darf unterstellt werden, dass der Chefarzt und seine Gehilfen im Arzneimittelschrank noch weitere… Mehr

A-Tom
6 Jahre her

Die Verlockung, sich wieder als große Retterin Europas aufzuspielen, sind viel zu groß, um den Schulterschluss mit Monsieur Macron einfach an sich vorbeiziehen zu lassen. Jede Möglichkeit, sich selbstgerecht in Szene zu setzen und den nächsten großen politischen Fehler zu begehen, darf nicht ungenutzt bleiben. Wer erinnert sich nicht an die von den Medien dirigierte Dramaturgie zu Sitzungen der Euro- und Griechenlandrettung, als Madame und ihr damaliger unehrlicher Finanzminister von allen Seiten große Anerkennung spürten – Anerkennung für anderer Leute Geld. Und niemand, niemand wird sie bremsen. Da ist zum einen die übergroße Phalanx derer im Bundestag, denen es schon… Mehr

Bernd
6 Jahre her
Antworten an  A-Tom

Auf den Punkt!

Nursongedanke
6 Jahre her

Lassen Sie sich nicht täuschen. Merkel rudert nicht zurück. Sie hat die Stimmung im Land geschnallt und wanzt sich jetzt an die Wähler ran. Gott ist das peinlich durchsichtig.

Misteredd
6 Jahre her

Man kann nur froh sein, dass die Wahl 2017 wieder zu einer echten hartnäckigen und durchaus harten Opposition geführt hat. Die Kanzlerin kann jetzt nicht mehr so einfach tun, was nur ihr gefällt. Das Unbehagen der eigenen Unionsabgeordneten wird eben größer, wenn solche Dinge laut und öffentlich besprochen werden. Ebenfalls sehr wirksam ist die Veränderung der veröffentlichten Meinung. Auch hier wird das säuselige Monopol durch Informationsquellen wie „Tichyseinblick“ gestört und aufgemüdet. Hoffentlich bewegt sich noch mehr und die dicke Dame sitzt nicht mehr im Sessel sondern singt!

Rainer Neuhaus
6 Jahre her

Werter Herr Glomb,

Ihre Einschätzung in Ehren. Sie unterschätzen aber AM, meiner Ansicht nach.

Diese Frau wird alles daran setzen, so viele Nebelkerzen zu zünden, dass die Öffentlichkeit und das Parlament die wahren Absichten und Beschlüsse nicht mehr durchblicken.

Die Rechnung bekommen wir dann, wie immer, einige Zeit später präsentiert, wenn der nächste Karren irreversibel in den Dreck gefahren ist. Notfalls auch gegen die deutsche Gesetzgebung. Ein BVG, das seinen Namen auch verdient, existiert ja nicht mehr. So muss die Regierung noch nicht mal mehr die Sorge haben, dass sie nachträglich zurück gepfiffen wird.

Midnight Rambler
6 Jahre her

In der CDU regt sich Widerstand gegen ein zentralistisches Europa und eine Vergemeinschaftung der Schulden? Schön wärs. Glauben kann ich es nicht. Schon allein, weil die Mehrzahl der Abgeordneten so gar nichts von Wirtschaft versteht und ja auch der Freigabe weiterer Gelder für das Milliardengrab Griechenland zugestimmt hat. Warum sollte sich das geändert haben? Abgesehen davon: Eine sehr gute Analyse der wirtschaftlichen Klemme in der Frankreich (binnenwirtschsgtlich) steckt.

Poco100
6 Jahre her

Macron hat den Verstand, er weiß aber, daß die Karre im Dreck ist seit langer Zeit. Das ökonom. Dilemma Frankreichs ist auch schon sehr alt u. hat seine Wurzeln in Zeiten, die Jahrzehnte vorbei sind. Das Grundübel Staatszentralismus auch in der Wirtschaft nannten Sie ja. Ob Merkel im oder bis Juni nicht doch umfällt ? Macron weiß genau, daß er Deutsches Geld braucht, schon im Somemr 2017, wenige Zeit nach seiner Wahl, gab es in Paris schon die ersten großen Demos gegen seine Politik. Diese finden jetzt permanent statt. Reformen kann er nur machen, wenn die Franzosne keinen Cent dafür… Mehr

Midnight Rambler
6 Jahre her
Antworten an  Poco100

@Poco 100: Eine sehr gute Analyse, die ich nur in einem Punkt nicht teile: Le Pen hätte m.E. auch nach einem Scheitern keine Chance, den FN zur stärksten Kraft zu machen. Nicht weil „sie auch kein Geld hat“, sondern weil ihr Wirtschaftsprogramm sich kaum von dem der Kommunisten und Rest-Sozialisten (Melenchon) unterscheidet. Sie hat den FN damit so weit nach links gerückt, daß er zwar für die klassische Wählerklientel der Sozis aber nicht mehr für die bürgerliche Mitte wählbar ist. Insofern muß man Macron wünschen, daß er in Europa scheitert und in Frankreich mit seinen Reformen erfolgreich ist. An letzteres… Mehr

Poco100
6 Jahre her
Antworten an  Midnight Rambler

Sie haben sicherlich Recht damit, daß Le Pen laut ihrem Wahlkampfprogamm etc. mindest soviel Geld ausgeben würde oder auf jeden Fall verbal ausgeben will, wie dies ‚Macron tut oder auch noch machen will.

Schwabenwilli
6 Jahre her

Sie macht es so wie sie es immer gemacht hat und wie es hier schon oft beschrieben wurde.