Italien: Mit Parallelwährung aus dem Euro?

Auf die eine oder andere Weise muss das Euro-Experiment zu Ende gehen, weil die Verwerfungen in Europa zu groß und die Schulden unbezahlbar sind.

© Getty Images

Italien ist neben Griechenland Europas größtes Sorgenkind. Nach der Euro-Krise ist das Land nie wieder richtig auf die Beine gekommen. Nach der Prognose der italienischen Regierung soll das Land in 2017 immerhin 1,5% Wachstum erreichen. Das ist ein kleiner Fortschritt, aber bei weitem nicht genug, um eine grundlegende Verbesserung der Lage zu erreichen. Das pro-Kopf-Einkommen des Landes liegt heute immer noch rund 4.000 Euro niedriger als 2007. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor doppelt so hoch wie vor der Euro-Krise und die Jugendarbeitslosigkeit liegt – trotz Abwanderung gerade junger Leute – immer noch über 35%. Die Zahl der Bewohner in Armut hat sich mehr als verdreifacht und ist auf hohem Niveau stabil.

Aufgeblähte öffentliche Strukturen

Trotz der viel beklagten „Austerität“ liegt die Staatsquote des Landes noch 2015 bei 50,31%. Der Höchststand war 2009 bei 51,16%. Man hat die Staatsquote im Zuge der „Austerität“ in sechs Jahren also gerade einmal um 0,85% reduzieren können. Eine hohe Staatsquote muss nicht prinzipiell schlecht sein, aber sie bedeutet, dass sehr viel vom Staat organisiert und deshalb häufig ineffizient ist. Auch niedriges Wachstum ist eine Folge hoher Staatsquoten. Es ist kein Zufall, dass gerade der marode Süden Europas meist besonders hohe Staatsquoten hat. Wichtiger in der konkreten Krisensituation ist die Fähigkeit eines Landes, die Staatsausgaben im Rahmen der Verträge der Währungsunion in den Griff zu bekommen. Zum Vergleich: Deutschland hat seine Staatsquote zu Zeiten der Agenda 2010 von Gerhard Schröder zeitweilig um über 4 Prozentpunkte abgebaut und das Problem – wenn auch schmerzhaft – gelöst. Anders als in Deutschland hat man es in Italien nicht geschafft, die vielen Arbeitslosen schnell wieder in den Arbeitsmarkt zu bekommen. So erdrücken soziale Ausgaben und ineffiziente staatliche Wirtschaftsstrukturen die öffentlichen Haushalte.

Die anteilig am Haushalt praktisch nicht vorhandene Austerität Italiens bedeutet, daß eine Senkung der Staatsverschuldung kaum möglich ist. Diese liegt aktuell bei 2,27 Billionen Euro bzw. 133 Prozent des BIPs. Obwohl Mario Draghi die Zinsen aggressiv nach unten manipuliert und der Zins auf 10-jährige Staatsanleihen zeitweilig unter 1,5% stand (aktuell bei 1,7%), hat Italien sein Defizit seit der Krise jährlich um mindestens 2,4 Prozentpunkte erhöht.

Von einer Nullverschuldung oder gar einer Entschuldung ist Italien weit entfernt. Trotz der Niedrigzinsen steigt die Staatsverschuldung weiter. Bei einer Zinswende würde Italien schnell in die Zahlungsunfähigkeit geraten.

Weitere Probleme plagen das Land. Unter anderem ein ineffizientes Justizsystem, hohe Korruption, sowie Kosten durch die vielen Migranten, die von der nordafrikanischen Küste herüberkommen. Besonders schwierig sind auch die gewaltigen faulen Kredite im gesamten Bankensektor. Nach Angaben des IWF und der Banca D‘Italia liegt die Summe der besonders schlechten Kredite bei aktuell 190 Mrd. Euro. Insgesamt gelten aber rund 450 Mrd. als Problemkredite. Dabei sind die faulen Kredite sehr stark auf den Süden Italiens konzentriert.

Die italienische Politik will Entlastung

Italien sucht in dieser Situation nach einem Weg, die Probleme in die Zukunft zu verschieben. Gerade vor den Parlamentswahlen, die im März 2018 stattfinden sollen, will kein Politiker der Bevölkerung Lasten aufbürden. Ganz im Gegenteil, man möchte mehr Geld ausgeben. Die vier größten Parteien sind nach einer aktuellen Umfrage der Agentur EMG die Fünfsternebewegung (M5S) mit momentan 28,6 Prozent, gefolgt von den regierenden Sozialdemokraten (PD) mit 26,5 Prozent, der Lega Nord (LN) 13,7  und Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) 13,3.

Drei dieser vier Parteien haben in ähnlicher Weise eine Reform vorgeschlagen, welche die Situation in der Eurozone grundlegend ändern könnte. Die M5S, LN und FI möchten sich in der kommenden Wahl allesamt für eine Parallelwährung zum Euro einsetzen. Damit wollen sich alle diese Parteien dem engen Korsett des Stabilitätspaktes entledigen.

Steuergutschriften als neues Geld

Eine Parallelwährung zum Euro? Natürlich stellt sich sofort die Frage, wie das möglich sein soll. Immerhin hat die Europäische Zentralbank in der Eurozone ein Monopol auf die Ausgabe von Geld, so steht es jedenfalls in Artikel 128 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU: Die von der Europäischen Zentralbank und den nationalen Zentralbanken ausgegebenen Banknoten sind die einzigen Banknoten, die in der Union als gesetzliches Zahlungsmittel gelten.

Die italienischen Parteien haben aber einen Plan, der die Regeln elegant umgeht. Sie wollen keine wirkliche Parallelwährung einführen, sondern an Unternehmen und Bürger Steuergutschriften ausgeben. Diese sollen handelbar sein und gegen zukünftige Steuern, z. B. Einkommens- oder Körperschaftssteuern, verrechnet werden können:

Angenommen, ein Bürger erhält vom italienischen Staat eine 50 Euro-Gutschrift. Das würde bedeuten, dass er bei der nächsten Steuererklärung – oder auch erst bei einer zukünftigen Steuer (Einkommens- oder Körperschaftssteuer) – 50 Euro weniger zahlen muss. Es wäre jedoch auch möglich, mit diesen Gutschriften zu handeln. Statt sie bis zur Steuererklärung bunkern zu müssen, könnte man damit auch in ein Restaurant gehen und statt Euros mit einer Steuergutschrift für die Pizza bezahlen. Die Pizzeria kann diesen Steuergutschein dann auf die eigene Steuer anrechnen oder an andere Marktteilnehmer weitergeben.

Natürlich wäre niemand dazu gezwungen, dieses geldähnliche Zahlungsmittel entgegenzunehmen. Aber ein Staat, der solch ein System etablieren möchte, wird den Bürgern und Unternehmen keine Steine in den Weg legen, dieses System auch zu nutzen. Die Lega Nord möchte beispielsweise, dass die staatseigene Tankstellenkette ENI diese Gutscheine als Zahlungsmittel annehmen soll. Bei vielen Transaktionen würden Steuergutscheine Euros ersetzen.

Das Umgehen der EU-Fiskal- und Geldpolitik

Die Gutschriften würden sich nach und nach ganz von selbst zu einer Parallelwährung entwickeln. Und da kein Bürger oder Unternehmen sie akzeptieren muss, wären sie kein legales Zahlungsmittel und deswegen gemäß der Definition kein Geld. Dieser Trick macht sie mit den EU-Verträgen vereinbar. Für den italienischen Staat würden sie den Weg zu größerer Staatsverschuldung öffnen: Die Italiener könnten Gutschriften ausgeben und wären von den Zwängen der Währungsunion befreit. Der Staat könnte offene Rechnungen begleichen, Infrastrukturprojekte bezahlen, seine Banken entlasten oder den Senioren eine höhere Rente zahlen. All das würde nicht einmal die Schulden erhöhen, weil nach den Regeln des Euro-Systems zu den Schulden keine Ausgaben mitgerechnet werden, bei denen der öffentliche Sektor zu keiner Bezahlung gezwungen wird. Genau hier ist die Lücke im System: Der Staat zahlt ja nichts aus, sondern verzichtet nur auf eine zukünftige Forderung.

Nebenwirkungen

Ein solches Modell hat natürlich viele Nebenwirkungen. Durch den Verzicht auf künftige Einnahmen würde der Staat seine Probleme in die Zukunft verschieben. Der Effekt ist also kaum anders als bei einer erhöhten Staatsverschuldung. Italien wird so immer abhängiger von der EZB. Die Märkte würden auf eine solche Politik vermutlich mit höheren Zinsforderungen reagieren. Trotzdem ist diese Idee für Italien möglicherweise nützlich, denn zunächst wäre das Land in der Lage, mit steigenden Staatsausgaben die Konjunktur anzukurbeln. Die regierenden Politiker würden zunächst durch gute Wahlergebnisse belohnt werden. So lange die Menge der Schuldverschreibungen nicht außer Kontrolle gerät, könnten diese sich als Parallelwährung etablieren.

Planung für den Italeave?

Hinter dem Vorschlag der Gutschriften könnten noch größere Pläne stecken. Denn sollte sich die Parallelwährung tatsächlich etablieren, wäre es ein Leichtes, den Euro einfach ganz loszuwerden – ein Italeave, also der Austritt Italiens aus der Euro-Zone, wäre somit vorstellbar. In keinem Land Europas ist der Euro so unbeliebt wie in Italien. Kann Italien so seine Probleme lösen? Ein Austritt aus dem Euro würde das Land zumindest wieder wettbewerbsfähig machen und die kümmerlichen Reste seiner Industrie erhalten. Ein erfolgreicher Austritt Italiens würde in Südeuropa wohl schnell Schule machen.

Eine Studie italienischer Wissenschaftler hat in diesem Jahr zum ersten Mal den Austritt eines großen Mitgliedslandes aus dem Euro simuliert. Mein Kollege Starbatty hat die Ergebnisse wie folgt zusammengefasst:

„Die Ergebnisse sind ermutigend: die Ergebnisse der Modellrechnung prognostizieren eine V-förmige Entwicklung der italienischen Wirtschaft nach Austritt aus der Eurozone: Auf eine anfängliche Rezession folgt im dem dritten Jahr ein deutlich höheres BIP-Wachstum als im Status Quo. Der Aufsatz widerlegt die Behauptung, der Euro trage keine Mitverantwortung an der italienischen Malaise.”

Langfristig wäre das gut für den Arbeitsmarkt und die Demographie – schließlich könnten junge Leute in Arbeit sich auch wieder Familien leisten. Die vielen anderen Probleme des Landes aber, wie z.B. die dysfunktionale Justiz oder die hohe Kriminalität, wird das Land dann aus eigener Kraft lösen müssen. Vielleicht können wir diese Erkenntnisse ja auch irgendwann in Deutschland nutzen, etwa in Berlin oder Bremen.

Wie ist die Lage für Deutschland einzuschätzen?

Das Ende des Euro wäre für Deutschland schmerzhaft, denn unsere Gesellschaft würde über das Target-II-System gewaltige italienische Schulden „erben“. Allein die heutigen deutschen Target-II-Salden von rund 850 Mrd. Euro, die nicht rückzahlbar sein werden, sind ein Ergebnis der Rettungspolitik von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen. Die Katastrophe der Euro-Konkursverschleppung wird dann erst vollständig sichtbar. Insgesamt sollten wir die italienischen Pläne aber nicht nur als Schreckensszenario auffassen. Auf die eine oder andere Weise muss das Euro-Experiment zu Ende gehen, weil die Verwerfungen in Europa zu groß und die Schulden unbezahlbar sind. Der Markt bricht sich Bahn und je früher es geschieht, desto geringer der Schaden.

Ulrike Trebesius ist Europaabgeordnete (Liberal-konservative Reformer).

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Kommentare ( 24 )

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Bill Miller
6 Jahre her

Nach dem Gresham’schen Gesetz werden diese Steuergutscheine* rasch den € verdrängen. Der wird dann zur Bezahlung von Importen frei.
Italien wird eine Scheinblüte erleben.
Wenn dann aber die Steuern bezahlt werden sollen kommt nichts rein. Gar nichts

Dann ist Italien pleite.
So richtig pleite.
Kein Geld für gar nichts mehr.
Gnade Gott dem der dann italienische Schuldner hat.

*mal sehen wie gut die Mafia et al. dieDinger wird fälschen können.

UAFilms
6 Jahre her

Tut mir leid, aber dieser Vorschlag ist hanebüchener Unsinn und reine Wählerverarschung! Damit löst Italien keins der Probleme, im Gegenteil, es werden zusätzliche Probleme kreeiert! Der katastrophale Zustand der italienischen Wirtschaft resultiert aus einem unvortsellbar hohen Delta in der Produktivität, die in der Vor-Eurozeit immer wieder zur Abwertung der Lira und damit dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit geführt hat. Seit 2002 ist Italien deutlich stärker als je zuvor Opfer der eigenen Unproduktivität und Korruption und daran ändert dier Einführung einer wie auch immer gelagerten Schattenwährung nichts. Den Menschen wird nur etwas vorgegaukelt. Italien muss weiterhin am Weltmarkt bestehen und das zu… Mehr

Katharina
6 Jahre her

…und das Beste daran . die Antwort vieler Älterer sowie Jüngerer:
“ Frau Merkel sorgt für stabile Verhältnisse während um uns nur Chaos herrscht!“
Diesen Satz habe ich mehr als einmal bei der diesjährigen BT-Wahl gehört.
Unfassbar!

Katharina
6 Jahre her

100 % Zustimmung!

Katharina
6 Jahre her

oder:
Draghi ist Italiener ; Merkel ist , na was ist sie…?

micha
6 Jahre her

Die Deutschen werden halt mehr als alle anderen Bürger auf dieser Welt von Ihrem eigenen Staat ausgenommen. PS Sie arbeiten bis zum 7. Juli für die BRD, ich wollte mal Danke sagen. Nur es stört hier keinen. Die südlichen Rotwein Staaten haben in der EU beschlossen, das die Rechnung eine gewisse Frau Merkel zahlen soll, Hr. Marcon legte schon mal die Rechnung auf den Tisch.

micha
6 Jahre her

Ja genau die bösen Deutschen mit Ihrer fürchterlichen (maroden) Armee „überfallen“ die armen Italiener und Spanier und Griechen usw… oh je… lesen sie mal ein gutes Buch, zb die Schlafwandler von C. Clark, dann verstehen auch Sie wie das mit den WK1 und 2 wirklich war.

micha
6 Jahre her

Soetwas kann nur ein EU Abgeordneter schreiben. 1) das Pro Kopf-Einkommen ist irrelevant, es gilt als Vergleichsgrösse das Mediane Vermögen. Die Welt: Das mittlere Vermögen deutscher Haushalte beläuft sich auf rund 51.400 Euro netto,(Bundesbank). In Italien beträgt das Haushaltsvermögen rund 163.900 Euro, in Spanien rund 178.300 Euro. 2) Eine hohe Staatsquote muss nicht prinzipiell schlecht sein …. eben genau das ist schlecht, den der Staat neigt dazu sich ständig zu erweitern, siehe Frankreich. Die Beamten oder die Angestellten im öffentlichen Dienst tragen nichts zum BIP bei, den sie leben davon. 3) von der Europäischen Zentralbank und den nationalen Zentralbanken ausgegebenen… Mehr

Markus Mittwoch
6 Jahre her

Sehr guter Artikel.

hasenfurz
6 Jahre her

Weil Betrüger profitieren…? -.-