Die Grünen und die FDP

Die FDP und die Grünen hielten, acht Tage vor der Wahl, nochmal kleine Parteitage ab, wo sie sich Mut machten und ihren Willen bekundeten, dritte Kraft werden zu wollen. Diese Wahl wird schwer für Merkel.

© Getty Images
Falls sie von Frau Merkel zu Koalitionsgesprächen eingeladen werden, wollen sie hart verhandeln und nur mitregieren, wenn sie ihre klaren Ziele auch durchsetzen können, um das Land in eine bessere Zukunft zu führen: Die Grünen und die FDP. Das sagt man so, mit den Bedingungen, das gehört zur Scharade vor der Wahl.  
Moral als Standortfaktor

Die grüne Spitzenfrau Katrin Göring-Eckardt bekennt sich in weltanschaulicher rührender Frömmigkeit dazu, nicht nur Deutschland, sondern ihre Herzens-Kräfte auch gegen das Elend in der ganzen Welt einzusetzen, um auch diese deutlich zu bessern. Sie sagt: „In einer Zeit der Erdogans, Putins und Trumps ist Moral ein echter Standortfaktor, dazu stehe ich auch.“ Sie will also vollkommen reinen Herzens Politik betreiben und Macht nur aufgrund ihrer moralischen Gesinnung anstreben. Und zwar „verdammt hart“ will sie dabei sein. Eine ostdeutsche Jeanne d’Arc. Um gegen Klimakatastrophe,  Flüchtlingselend, Kinderarmut und Frauenunterdrückung anzukämpfen. Und so muskulös, wie ihre Stimme klang, wohl auch siegen. Moral als Standortfaktor? Da gerinnt das Wahre, Schöne, Gute zum Wahlplakat, Moral wird zur Sprechblase. Und Göring-Eckhardt merkt gar nicht, dass sie die Botschaft des ihr so verhaßten Neo-Liberalismus tief aufgesogen hat: Alle ist nutzbar, verwertbar, ökonomisierter, auch die Moral.

Die gesamte grüne Prominenz, von Frau Roth, Hofreiter bis zu Ströbele und Kretschmann saßen in den ersten Reihen und spendeten ihr großen Beifall. Auffällig auch, dass sie heute am Sonntag alle betont werktäglich gekleidet waren. Auch sie verstanden also Katrins Aussage als politisch-historische Kämpferinnen-Legende. Irgendwo zwischen Petra Kelly, Lady Di und Joan Baez, die kannten keine Sonntag beim Feldzug gegen das Böse.

Dann wollte sie noch polemisch werden, ohne Kenntnis davon, dass auch der geistige Kampfsport seine strengen Regeln hat und auf Fakten, und seine Angriffe nicht auf fakes gebaut sein dürfen. Christian Lindner, den sie attackierte, sagte nicht, was sie über ihn Falsches berichtete. Lindner sagte nicht zu einem armen Mann, der sich vor Altersarmut fürchtet und nur 900 €  monatlich auf sein Konto bekommt, dann solle er eben sparen und etwas zurücklegen, damit er sich bald eine Eigentumswohnung kaufen könne.

Fake, Rote Karte für Katrin. So wahr ich im Wohnzimmer neben jenem Studio saß.
Und selbst diejenigen, die Lindner für einen verwöhnten, arroganten Luxusstenz halten, werden ihn nicht für so dumm und ahnungslos halten, wie Frau Katrin ihn hinstellen wollte. Das war plump von der sonst so reinen politischen Jungfrau. Polemik geht ganz anders. Moral sowieso. Aber so ist es halt im Moral-Krieg, da muss die Wahrheit als erstes sterben, für die Moral ist kein Opfer zu gering: Die Grünen und die FDP.

Gruß aus dem Silicon Valley

Lindner, smart und betont modern und jung dynamisch auftretend, in schickem Anzug, ohne konventionelle Krawatte, wirkte ein wenig wie ein Popstar vor seinem in seriösem Businessoutfit angetretenen Publikum, das alle Hoffnung auf ihn setzt. Mit heller Stimme rief er: „Wir wollen nicht immer nur Fußballweltmeister, sondern auch Digitalisierungsweltmeister werden.“

„Der verwirrte Wähler - Welche Partei steht noch wofür?“
Bei Maischberger ein Brainstorming ohne Ergebnis
Auch bei ihm der Bezug zur ganzen globalen Welt, aber nicht unter den Aspekten von Kummer und Elend, sondern die höchste Spitze und die weltweite Markenführerschaft betreffend. Deutschland, diese hoch-entwickelte Nation, so nannte er uns alle immer wieder, hat keine Zeit zu verlieren, um nach ganz vorne zu preschen. Er will die Topgeschwindigkeit mit einer technologischen und politischen Offenheit angehen und entsprechen, die sich gewaschen hat. Er will alte Hüte entsorgen und alle überflüssigen Hindernisse von Bürokratie und Bremser-Mentalitäten aus dem Weg der Zukunft räumen, um wertvolle Schaffens-und Lebenszeit zu gewinnen. Ein Mann aus dem Geist von Silicon Valley geschnitten, hatte man den Eindruck, ohne dass er diese amerikanische Heils-und Wellness-Oase auch nur einziges Mal beim Namen nannte. Smarty hatte Schwung, das gefiel der Mehrheit der Älteren ganz offensichtlich. Sein Erfolg stand acht Tage vor dem Ziel  schon fest. Viele Junge wählen ihn, für die Mutti schon Omi ist und denen das Klima-Gegreine der Grünen auf die Nerven geht. Sie wollen Zukunft, Digitalisierung, Autos und Jobs, und nicht die abgestandene Moralpredigt von Katrin. Die Grünen und die FDP.

Doch der Zweifel, der ihm anscheinend mangelt, an dem Danaergeschenk der Digitalisierung, denn bitte: Welche anderen Folgen, als die versprochen segensreichen, sie noch haben wird, Zweifel, Skepsis gegen diese technische Fiktionswelt ist ihm fremd geblieben. Das liegt vielleicht einfach daran, dass seine Agentur noch nie etwas von Heidegger gelesen und gehört hat, aber das ist ein Thema für eine andere Zielgruppe. Man wird sehen. Mit dem blonden Lindner ist zu rechnen. Der wird der Merkel nichts schenken, bei den Verhandlungen.

Der gute alte Cem in neuer Rolle

Den Vogel freilich schoss wieder unser guter alter Cem ab. Sein hemdsärmeliger Auftritt schäumte vor Sentimentalität und Patriotismus. So rührend schön wie er unser Land liebt und lobt, kann das außer ihm niemand, ganz sicher kein Grüner und keine Grüne, die oftmals das deutsche Vaterland sogar hassten. Die Grünen und die FDP.

Nicht so Cem. Geradezu anheimelnd deshalb auch sein inniges Verhältnis zur deutschen Geschichte und ganz anders als im konservativen Lager, wo man  diesbezüglich meistens nur die  ewigen Hymnen auf Bismarck, den großen Fritz und das Preußentum, bei älteren dann auch noch die Kaiser des Mittelalters erwähnt hört. Ganz anders auch als bei den Linken, wo immer nur Marx im hohen Kurs steht und die Tradition von Heine bis Tucholsky und Biermann beschworen wird: Nein Cem bekennt sich dazu, in der Tradition der Paulskirche, der badischen Revolution, die damals auf der „richtigen Seite der Geschichte“ gestanden und gekämpft habe. Und weil es immer noch nicht reicht und last but not least stünden er und die Grünen in der sie verpflichtenden Nachfolge der weißen Rose. Und sie wüssten drum zu verhindern, dass nochmals neue Nazi in das Parlament der Demokratie einziehen können. Kein Wort mehr vom Kiffen, dass der Islam eine Religion ist, von der er sich wie jeder Muslim nie wird  trennen können – jetzt also Paulskirche und Biermann und Geschwister Scholl, eine pathetische Pralinenschachtel.

Denn das war ein schönes, drolliges Pathos, so naiv und idealistisch liebt man die Grünen wieder. Wahrscheinlich. Mit dem Pathos-Disneyland des guten Cem können sie wieder was werden. Dann werden sie also zu Dritt als Parteien da sitzen: Eis-Merkel, Moral-Katrin, Traditions-Cem und Digital-Lindner. Hübsche Vorstellung für Spötter und Kabarettisten, gäbe es denn noch welche im Land. Wäre auch gut für die Grünen und die FDP.
 
Wim Setzer ist Kunstkritiker und Journalist.

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Kommentare ( 60 )

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SBgB
6 Jahre her

Die Grünen sollten eine Zulassung als kirchliche Vereinigung beantragen. Das größte, was man ihnen zuschreiben kann, ist der unerschütterliche Glaube an sich selbst und die eigenen hehren Ziele, ähnlich vergleichbar mit Scientology.

Old-Man
6 Jahre her

Die Wahrheit schmerzt,da fallen die Kommentare schon einmal durchs Raster!

Ralli Witti
6 Jahre her

Da es weder für Schwarz-Grün noch Schwarz- Gelb reichen wird, landen FDP und Grüne eventuell in einer Jamaika- Koalition . Man stelle sich mal vor, sowohl FDP als auch Grüne müssen aus der Kompromißfähigkeit heraus ihre Fundamentalflügel stutzen, da ergibt sich aus deren Verquickung ein Gebilde, was von der SPD nur mit dem Mikroskop zu unterscheiden ist. Jedenfalls fehlt mir jede Fantasie, was sich dann gegenüber der jetzigen Konstellation ändern soll.

Henryke
6 Jahre her

;-)))
Diese Aussage paßt trefflich auf unser Verhältnis Regierung/unmündiger Bürger.
Beweis gefällig?
Hier ist er:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article168779118/Eine-Stimme-fuer-die-AfD-ist-fuer-mich-nicht-zu-rechtfertigen.html

Michel Rieke
6 Jahre her
Antworten an  Henryke

Starker Tobak! Kommen jetzt die Hirtenbriefe wieder?

Sie wissen ja, dass ich von der AfD nichts halte, aber der Umgang der „Altparteien“ mit 4,5 bis 5 Millionen ihrer Untertanen ist schon eine Bankrotterklärung. Statt mit Inhalten zu werben, sagt Altmaier diesen Menschen, dass ihr Handeln nicht gerechtfertigt (sic) ist. Dazu malen „Top-Ökonomen“ schon das Bild, nach dem die AfD-Wähler an der nächsten Wirtschaftskrise die alleinige Schuld tragen. Ich habe es schon einmal gesagt: Die Regierung hat mit der Politik nichts zu tun, man darf da keinen Generalverdacht hegen.

Henryke
6 Jahre her
Antworten an  Michel Rieke

Mag auch Die Linke ein gutes Ergebnis einfahren, denn nur eine breitaufgestellte Opposition wird der alten und neuen Amtsinhaberin das „Durchregieren“ erschweren;-)

ThurMan
6 Jahre her

FDP – die Wendehals-Partei der BRD.

Atze
6 Jahre her

Mein Ratschlag für Cem: Mehr kiffen und weniger sprechen.

Thomas Hensel
6 Jahre her

Vorsitzender Richter am BGH Fischer a.D.. Übernehmen Sie!

Rudi
6 Jahre her

Ich konnte DEUTLICH erkennen, dass Herr Kretschmann bei der Rede der KGE überhaupt nicht klatschte.
Vielleicht waren die Schwenks der Kamera aber auch nur inkonsequent.

Marcus Starkenberg
6 Jahre her
Antworten an  Rudi

Sind Sie sicher, dass die Kameraschwenks von der selben Veranstaltung waren und in der real time Abfolge? Bei Pop-Stars wie Kretschmann und Jogi Löw hat sich doch ein kreativer Filmschnitt eingebürgert.

Thomas Rießinger
6 Jahre her

„Dass Lindners Agentur noch nie etwas von Heidegger gelesen und gehört hat“, spricht eher für als gegen sie. Mit Heideggerscher Imponierprosa löst man keine Probleme. Man schafft auch keine. Man schwätzt einfach nur leeres Zeug.

Sagittarius A *
6 Jahre her

Cem, in seiner Wahlkrampf Theatervorstellung als Kämpfer für das Gute. Diese unglaubliche Selbstüberhöhung, in der er sich als gleichgestellt mit der Widerstandsgruppe die weiße Rose präsentiert. Die tatsächlichen Widerständler, die ihr Engagement mit dem Tode bezahlt haben. Welche Gefahr lauert denn da für den armen Cem in seinem epochalen Kampf gegen Andersdenkende?

De facto unterstellt er Konservativen, sie seien Nazis. Mit der Ankündigung gegen sie vorzugehen. Welche fragwürdigen Mittel ihm, in der verbleibenden Woche bis zur Wahl, dabei wohl vorschweben? Heiße Luft trägt auch zur „Klimaerwärmung“ bei. Dem Meinungsklima.

Michel Rieke
6 Jahre her
Antworten an  Sagittarius A *

Hat Cem Özdemir sich und seine Truppe wirklich mit der „Weißen Rose“ in Verbindung gebracht?

Sagittarius A *
6 Jahre her
Antworten an  Michel Rieke

???? Aus obigem Artikel:

„Nein Cem bekennt sich dazu, in der Tradition der Paulskirche, der badischen Revolution, die damals auf der „richtigen Seite der Geschichte“ gestanden und gekämpft habe. Und weil es immer noch nicht reicht und last but not least stünden er und die Grünen in der sie verpflichtenden Nachfolge der weißen Rose.“

Rudi
6 Jahre her
Antworten an  Michel Rieke

Wahrscheinlich nicht wortwörtlich. Aber ‚dürfte‘ er das denn eigentlich. Ich meine so als ‚dazu‘ Gekommener? Mit gleichem Recht könnte ich mich allerdings vom III. Reich entsprechend distanzieren und mich NICHT daran erinnert sehen wollen.
Kurz nach dem Krieg und dem Holocaust waren daher wohl nur Biodeutsche die jenigen, denen man etwas hätte vorwerfen können, nicht wahr? Aber heute darf wohl jeder den ‚Schlosshund‘ geben. Hauptsache es dient der ‚Sache’…

Henryke
6 Jahre her
Antworten an  Michel Rieke

Hat er.
Minute 21, Sekunde 32:

https://www.youtube.com/watch?v=v3rUInJxFnQ

Michel Rieke
6 Jahre her
Antworten an  Henryke

Danke! Das wird den Menschen in den Gefängnissen und auf den Richtplätzen Mut geben, die wegen Ehebruchs gesteinigt, wegen Händchenhaltens mit Stockhieben gefoltert, wegen ihrer sexuellen Identität an Kränen aufgehängt, oder wegen Blasphemie systematisch zu Tode gepeitscht werden. Sobald GRÜN mitregiert werden wir jegliche Zusammenarbeit mit diesen Staaten beenden und die Ideologie, die hinter dieser Menschenverachtung steht mit vereinten Kräften bekämpfen. Was wäre die Welt ohne Deutschlands GRÜN*INNEN.

Henryke
6 Jahre her
Antworten an  Michel Rieke

William Shakespeare: „Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.“