Tichys Einblick
Ein Ex-Bundestagsabgeordneter erinnert sich

Bedrängte Abgeordnete beim „Asylkompromiss“ 1993

„Hass, Hetze, Debattenverhinderungswille"

: Bedrängte Abgeordnete – das gab es schon früher. Und in ganz anderen Dimensionen als am letzten Mittwoch. So im Mai 1993, als der „Asylkompromiss“ beschlossen wurde. Ex-Bundestagsabgeordneter Gunter Weißgerber erinnert sich.

Screenshot ARD/Tagesschau
Am 26. Mai 1993 debattierte der Deutsche Bundestag in zweiter und dritter Lesung die Neufassung des Grundgesetzartikels 16 – bekannt geworden als „Asylkompromiss“.

Der „Deutschlandfunk“ formulierte es am 26. Mai 2013 so: „Das Asylrecht wurde aus dem Artikel 16 des Grundgesetzes gestrichen. In dem neu eingeführten Artikel 16a steht nach wie vor der Satz: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Die vier weiteren ausführlichen Absätze kündigen dann allerdings drastische Einschränkungen an: Wer über sogenannte sichere Drittstaaten auf dem Landweg nach Deutschland einreist oder aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, soll sofort an der Grenze zurückgeschickt werden können. Da alle Nachbarstaaten Deutschlands als sicher gelten und kaum ein Flüchtling die Möglichkeit hat, per Flugzeug herzukommen, bedeutet das de facto die Abschaffung des Asylrechts.

Für den Deutschlandfunk wurde also das Asylrecht 1993 in Deutschland abgeschafft. Auf diese sehr bizarre Sicht gehe ich hier nicht ein. Über 2015 und die dramatischen Folgen für Deutschland schrieb ich bereits des Öfteren an anderer Stelle. Nicht zuletzt in „Weltoffenes Deutschland?“ gemeinsam mit Eva Quistorp und Richard Schröder. 

Mir geht es um etwas anderes. Nämlich um die unredliche Diskussion von Störungen des parlamentarischen Ablaufs im Deutschen Bundestag.

Damals, im Mai 1993, erlebte ich als Bundestagsabgeordneter der SPD Debatte und Abstimmung über die Neufassung des Asylrechts. 

An besagtem 26. Mai 1993 war des Bonner Parlamentsviertel verstopft. Mehr als 10.000 bessere Menschen wollten die Debatte und den Asylkompromiß verhindern. In friedlicher Absicht demonstrierten bei weitem nicht alle. Die Polizei bekam üblicherweise genug zu tun. 

Anders als die Berliner Parlamentsgebäude heute waren die Bonner Parlamentsgebäude nicht per Tunnel unterirdisch miteinander verbunden. Die Abgeordneten und Mitarbeiter mussten sozusagen über Tage den Weg ins „Wasserwerk“ nehmen. Im Normalfall kein Problem. An diesem Tage gehörte ein gehörige Portion Muskelkraft und Mumm dazu.

Die Demonstranten waren nicht gewillt, die Abgeordneten durchzulassen. Mein kurzer Weg, etwa 150 Meter zwischen meinem Büro im Containeranbau am „Langen Eugen“ und dem Zugang zum „Wasserwerk“ war verschlossen, ein Durchkommen unmöglich. Geschrei, Hass und Hetze klangen martialisch, Handgreiflichkeiten gegen Abgeordnete lagen in der Luft. 

Es blieb nur die Hubschrauberstaffel. 

Der Flug war so kurz wie interessant. Wehe dem, der denen da unten für das vermeintlich Gute in der Welt in die Hände geraten wäre. 

Das musste ich jetzt in Erinnerung bringen – angesichts der aufgeregten Debatte über die Demonstrationen vor dem Bundestag und einige Störer im Parlamentsgebäude während der Debatte um das Bevölkerungsschutzgesetz am vergangenen Mittwoch.

Entweder gelten unsere Regeln unumschränkt für alle, oder wir vergessen sie. Aber dann können wir auch unsere Idee von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat vergessen. Mir ist es völlig egal, von welcher Seite unser Gemeinwesen unter Beschuss genommen wird. Ich will, dass wir jeden Beschuss gleichermaßen ahnden. Und das nicht nach Beliebigkeit tun. 

Hier zur Erinnerung noch die Tagesschau vom 26. Mai 1993, die Demonstration und die Blockade des Bundestages sind ab Minute 5:40.

Die Tonlage der Tagesschau damals: „Es flogen Steine“. Und: „Die Demonstration verlief weitgehend friedlich.“


Gunter Weißgerber, Gründungsmitglied der Leipziger SPD 1989, vertrat von 1990 bis 2009 als Abgeordneter den Wahlkreis Leipzig im Bundestag.
2019 trat er aus der Partei aus, weil der ihren Linkskurs nicht mehr mittragen wollte.


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