Von der Maschinerie des Medienprangers

Der Pranger ist durchaus kein Relikt finsterer Vergangenheit. Niemand wird mehr an einen Pfahl gebunden und mit Unrat beworfen, doch das Strafinstrument funktioniert in virtueller Ausführung weiterhin höchst wirkungsvoll.

imago images / blickwinkel
Pranger vor dem historischen Rathaus in Obermarsberg

In vormodernen Zeiten führte man Leute, die die gesellschaftliche Ordnung störten, und tatsächlich oder scheinbar ihrer Zersetzung Vorschub leisteten, zum Schafott. Oder zumindest zum Pranger. 

Demonstrativ thronte das Strafwerkzeug auf der Bühne, meist mitten auf dem Marktplatz, eine Mühle der Angst, zu der das Volk emporsah. Die nackte Gewalt stach den Menschen direkt in die Augen, injizierte ihnen Folgsamkeit. Denjenigen Zuschauern, die über die engen Grenzen der Macht der Oberen in ihren eigenen Köpfen hinausgedacht hatten, wird es sicher einen Schauer über den Rücken gejagt haben, wenn sie die Köpfe der Verurteilten sahen. Doch falls in ihnen Aggressionen aufstiegen, werden sie die unterdrückt haben angesichts der Masse der Zuschauer, die dem gewalttätigen Spektakel applaudierend zusahen oder selbst vielleicht sogar Unrat auf die Verurteilten warfen. 

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Hinrichtungen und andere öffentliche Bestrafungen boten nicht nur Spektakel. Die Teilhabe an der Stärke der Obrigkeit oder des Staates verleiht auch Selbstwertgefühl. Es tut gut, einen klaren Feind zu haben. Das schafft Struktur und man fühlt sich gleich viel besser, wenn es jemanden gibt, den man unter Fürsprache der Mächtigen, für schlechter und minderwertiger erklären und demütigen kann.

Enthauptet oder gehängt wird in Europa niemand mehr und auch nicht vor die Wand gestellt und erschossen, an den Pranger gestellt und aus dem öffentlichen Diskurs ausgegliedert werden Feinde jedoch nach wie vor. 

Der Pranger der Gegenwart steht zwar nicht mehr auf den Marktplätzen der Städte. Aber er funktioniert ähnlich wie in alten Zeiten und steht seinen Vorgängern in der Wirksamkeit in nichts nach. Vermutlich steckt in dem jungen Begriff des „Shitstorms“, des „Scheiße-Sturms“, der in den sozialen und auch den klassischen Medien die Regelverletzer trifft, noch die historische Erinnerung an den Unrat, mit dem einst die an den Pranger gefesselten von den Umstehenden beworfen wurden. Das Tribunal, das diese virtuellen Pranger-Strafen ausspricht, tritt zwar nie formal zusammen und seine Besetzung ist in keinem Gesetz geregelt, aber seine Urteile werden doch meist umgehend vollstreckt. 

Im September des letzten Jahres traf es den Chef der hessischen Filmförderung, Hans Joachim Mendig, der sich mit dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen zum Essen getroffen hatte. Meuthen hatte sich mit einem Foto in den sozialen Netzwerken selbst auf die Bühne der Öffentlichkeit gestellt und musste feststellen, dass er seinen Bekannten damit an den Pranger geliefert hatte. 

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Die Mechanismen des Prangers funktionierten im hessischen Kulturbetrieb besonders effektiv. Seine Mitglieder rückten zusammen und ließen, angeführt von prominenten Schauspielern wie Iris Berben und Jasmin Tabatabai, die virtuellen Tomaten fliegen auf den, mit dem sie zuvor jahrelang zusammengearbeitet hatten. Der Druck kulminierte, als sich die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn von den Grünen dazu aufschwang, Mendig zu entlassen. Als Grund nannte sie die „breite öffentliche Reaktion der Filmbranche“ und „den Umgang von Herrn Professor Mendig mit dem Vertrauensverlust in der Filmbranche“. Die meisten Jury-Mitglieder der Filmförderung hatten sich geweigert, unter Mendig weiterzumachen. 

Pranger-Strafen führten früher für die Bestraften zu lebenslanger „Schande“. Mit dem, der einmal dort gestanden hatte, wollte sich keiner mehr einlassen. Der Begriff ist zwar aus der Mode, aber der Mechanismus funktioniert offensichtlich immer noch.

Vor wenigen Tagen wurde ein virtueller Pranger im Dresdener Vorort Radebeul errichtet. Jörg Bernig, Autor und Kritiker der Einwanderungspolitik, war vom Rat der Stadt zum Kulturamtsleiter gewählt worden. Diesmal jedoch mussten die Tomatenwurfbereiten gar nicht mehr durchschwingen. Die Tatsache, dass Bernig offensichtlich von Stimmen der AfD gewählt worden war, und 350 Künstler und Kulturschaffende einen offenen Protestbrief gegen Bernig unterzeichnet haben, der die Wahl als schädlich für Radebeul bezeichnet, genügte dem parteilosen Oberbürgermeister Bernd Wendsche, rasch sein Veto gegen den Wahlausgang einzulegen. 

Die Maschinerie des Medienprangers funktioniert aber auch positiv – eine Innovation gegenüber dem alten Pranger auf dem Marktplatz. Während Mendig und Bernig nichts Illegales getan haben, nie vor Gericht standen, aber öffentlich verurteilt und mit beruflichen Einschränkungen bestraft werden, spricht das informelle Medientribunal andere trotz Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Handelns im Vorhinein schon frei und verleiht ihnen sogar noch medial einen Heiligenschein. Die Fernseh-Unterhalter Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf riefen zu Spenden für Racketes Organisation „Sea Watch“ auf, als sie in Italien vor Gericht stand.

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Jan „Monchi“ Gorkow, laut Wikipedia eine „Galionsfigur der linken Szene“ und Sänger der Punk-Band „Feine Sahne Fischfilet“, die wegen linksextremer Aussagen vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, konnte in Heufer-Umlaufs Late-Night-Show völlig unbehelligt von kritischen Nachfragen auftreten, einen Film bewerben, in dem sein linksrextremes Engagement verherrlicht wird. Heufer-Umlauf nennt das „Engagement gegen rechts“ und erwähnt mit keinem Wort, dass „Monchi“ darunter offenbar auch einmal das Anzünden eines Polizei-Wagens verstand, für das er rechtmäßig verurteilt wurde. Stattdessen schmeichelt ihm Heufer-Umlauf mit den Worten: „Wer macht da eigentlich seinen Job nicht, dass du das alles machen musst?“ 

Die Funktion des öffentlichen Raumes und der Medien für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft ist vergleichbar mit der Funktion der Lunge für den Blutkreislauf eines jeden Menschen. Es muss ein durchlässiger Raum sein, in den strömt, was der Geist von freien Bürger ebenso braucht, wie unser Körper den Sauerstoff aus der Luft, die wir täglich ein- und ausatmen. 

Solange dieser Mechanismus frei und unbesetzt ist, wird durch die evolutionäre Entwicklung des Wettstreits der Ideen und wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Verhärtung und geistige Stagnation verhindert. Ist die Lunge belegt, funktioniert der Sauerstoffaustausch in ihr nicht mehr, ist der gesamte Körper geschwächt. Im schlimmsten Fall kann es zum Schlaganfall, zum Kollaps kommen. Wir atmen alle die gleiche Luft.


Markus Grün

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Kommentare ( 27 )

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Peter Hoess
3 Jahre her

Ich finde erstaunlich, wie zahm die Reaktion auf fortgesetzte Existenzvernichtungen von jedem der aufmuckt ist. Die Linke hat den öffentlichen Raum, Medien, Parteien und Verwaltung komplett unterwandert und durchdrungen. Das ist keine Hegemonie mehr, das ist ein Monopol. Sie kann nach belieben jeden Opponenten existenzvernichten. Der nötige Shitstorm durch linke Klientel (Promis, Kulturschaffende, Professoren, NGOs) ist leicht fabriziert. Die Rechte kann oder mag sich nicht wehren, ist völlig wehrlos und eingeschüchtert. Sie hat keine Lobby und keinerlei politisches Gewicht. Oppositionelle können ihre Meinung nicht mehr öffentlich äußern ohne drastische Konsequenzen vom beruflichen bis ins private hinein befürchten zu müssen. Damit… Mehr

christin
3 Jahre her

Wollen wir wirklich mit Iris Berben und Co zurück ins Mittelalter? Nein und nochmals Nein, ich zumindest wähle was ich für richtig halte und lasse mir nicht von den im Artikel benannten Konsorten das Denken und Handeln verbieten. Vor wenigen Tagen kam ich mit einer älteren Dame beim Einkaufen ins Gespräch, die Maske störte sie etwas, aber was sie mir zu meinen Erstaunen erzählte, sie hat ihren Fernseher verschenkt und zahlt keinen Pfennig mehr für den gesendeten Mist, wie sie sich ausdrückte.

Kassandra
3 Jahre her

Aber die Sie beschreiben, sind nur die wenigen, die es bis in die Medien schaffen, weil sie „öffentlichkeitswirksam“ geächtet werden.
Wie viele werden es sein, die nicht medial erwähnt werden, aber die soziale Ächtung durch Bekannte, Freunde und Verwandte durchaus bis zur Vernichtung der Existenz erfahren müssen?
Weil sie anderes denken und sagen. Wieder einmal.
Und „die Guten“ werden sagen, „mit Recht“. Wieder einmal.
Schämen sollten sie sich. Denn das lässt sich nicht mehr gut machen.
Wieder einmal.

Britsch
3 Jahre her
Antworten an  Kassandra

Ja genau und solche Leute schwafeln dann etwas von wegen alle Menschen seien ja gleich,
hätten alle die gleichen Rechte und sie selbst wären die Wächter der Meinungsfreiheit / Demokratie. Alle anderen als sie selbst seien ganz böse Faschisten und Rassisten

Michael Scholz
3 Jahre her
Antworten an  Kassandra

Ja, das ist (leider) alles richtig, was Sie schreiben. Wir haben offenbar aus der Geschichte nichts / wenig gelernt. Für eine echte Meinungsfreiheit ist unsere Demokratie nicht reif.

Libertardistani
3 Jahre her

OB Wendsche steht auch anderweitig unter Druck von Linken. Die Sache kann man so zusammenfassen: Vorarbeiter geht zur Firmenleitung, sagt, der Abteilungsleiter muss weg, der schreibt mir vor, wie ich zu arbeiten habe. Das ist ein Rechter, der muss weg. Ich arbeite wie ich will. Der Vorstand lacht ihn aus. Der linke Vorarbeiter kündigt, beschuldigt seinen Vorgesetzten öffentlich, ihn gemobbt zu haben. Die Medien übernehmen ungeprüft seine Behauptungen. Seine Untergebenen solidarisieren sich, sagen, der Abteilungsleiter hat sich nach unseren Vorstellungen von Arbeitsorganisation zu richten. Der Vorarbeiter kann sich als Verdienst anrechnen, alle Maschinen optimal positioniert zu haben …. In den… Mehr

Amerikaner
3 Jahre her

Bingo! Es ist genau das. Die Presse in Deutschland berichtet überhaupt nicht mehr, sie übergießt die Leute nur noch mit sprachlicher Jauche. Tag ein Tag aus. Nur noch Hetze und Skandale und irgendwelche Empörten usw. Der Nachrichtenwert der meisten Meldungen geht gegen Null. Es geht nur noch um Variationen von Verleumdung.

Stoerenfried
3 Jahre her

Uns Wissenden ist bekannt wie diese Mechanismen funktionieren. Bei aller Empörung, Wut, Fassungslosigkeit, Ohnmacht und Grauen vor der Zukunft: was machen wir Tastaturrebellen gegen diese Aushöhlungen des Rechts, gegen diesen Demokratieabbau? Genau, nichts! Jeder Opponent in seiner Zeit musste mit Repressalien rechnen, sogar bis zu seiner physischen Vernichtung. Trotzdem hat es immer diese Leute gegeben, die mutig, aufrecht und mit einem Lächeln ihrer Obrigkeit entgegen traten. Daran sollten sich Demokraten ein Beispiel nehmen.

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  Stoerenfried

Deshalb ist es gut, sich, bevor man in solche Situationen kommt, zu fragen, wie weit man zu gehen bereit ist.
Aus dem eigenen Herzen keine Mördergrube zu machen kostet in diesen Zeiten viel. Und ist kolossal hilfreich, sich weiter im Spiegel gerne betrachten zu können.

WB
3 Jahre her

Wir anständigen Menschen wollen nicht von den Rechten unterstützt werden. Ich fordere daher, alle AFDler und deren Anhänger, und die so bezeichnet werden, von jeglicher Steuer zu befreien. Sie bekommen einen Ausweis, so dass sie auch beim Einkauf, Tanken etc. keine Umsatzsteuer zu zahlen haben.

Britsch
3 Jahre her
Antworten an  WB

Das wäre konsequent.
Aber das geht natürlich nicht, dann müßte man ja selbst eventuell arbeiten.
Da ist es doch dienlicher diese Anderen mehr zu knechten, aus besseren Posten zu entfernen, fern zu halten und sich selbst und seines Gleichen in „gemachte Nester“ zu setzen. Ist dann alles abgewirtschaftet und zerstört können wieder Andere ran.

Hoffnungslos
3 Jahre her

In Deutschland muss man „auf Linie“ stehen, rechts oder links ist eigentlich egal. Hauptsache da, wo gerade die Mehrheit steht. Menschen, die selber denken, haben es schwer in diesem Land, denn der zulässige Meinungskorridor ist immer relativ eng.

Gottfried
3 Jahre her

Die, die sich lauthals über faschistische Tendenzen in unserm Land beklagen und jeden, der auch nur den geringsten Anschein von Rechts (siehe Mendig) erweckt, medial durch die Mangel drehen und dann zur Strecke bringen, benutzen selber faschistische Methoden mit einer erstaunlichen Viruosität.

Dill Schweiger
3 Jahre her

Zitat Twitter; Wer in der DDR, der SED nach dem Maul redete, hatte auch bessere Karierechancen.