„Spiegel“-Journalist versteht OB Palmer nicht mehr

Tübingens Oberbürgermeister, der profilierte Boris Palmer, und der „Spiegel“-Reporter Hasnain Kazim haben eine Woche lang ihre Facebook-Konten getauscht. Sowohl die Toleranzschwelle als auch der weltanschauliche Horizont des Reporters wurden deutlich überschritten.

imago/Metodi Popow

Wir berichteten bereits über eine Podiumsdiskussion zwischen dem „Spiegel“-Reporter Hasnain Niels Kazim, einem durchaus belesenen, vor allem aber engagierten „Nazi-Aufklärer“, der das Buch „Post von Karlheinz – ein Buch, wie man richtigen Deutschen antwortet“ geschrieben hat, und dem umtriebigen, realo-grünen Boris Palmer, dem Oberbürgermeister von Tübingen. Einen Live-Stream der Veranstaltung gibt es auch – auf Youtube.

Ob Kazim wirklich glücklich mit dem Vorschlag Palmers wurde doch einfach mal eine Woche lang die Facebook-Seiten zu tauschen? Im Anschluss an die Diskussion hatte der Tübinger Oberbürgermeister das angeboten, und der „Spiegel“-Mann hatte eingeschlagen. Vor einigen Tagen lief nun das Experiment aus, und das Ergebnis ist fast vorauszusehen gewesen: Der Journalist versteht den Oberbürgermeister nicht, umgekehrt findet es Palmer „schade“, dass sich Kazim nicht wirklich die Mühe gemacht habe die Follower und Kommentarschreiber seiner Seite tatsächlich zu verstehen.

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Wenn ein Oberbürgermeister einem SPIEGEL-Reporter sachlich überlegen ist
Für Hasnain Kazim, und schenkt man seiner Zusammenfassung glauben, man kann sie bei seiner Hausredaktion sowie bei der „Süddeutschen“ online nachlesen, tummeln sich auf Palmers Facebookseite nur Rechtsradikale. Oder zumindest grenzwertige Personen und Schreiber, mit denen er, Kazim, sich nie und nimmer auseinandersetzen möchte. Das ist sein gutes Recht, aber nichtsdestotrotz wirft es ein merkwürdiges Licht auf einen Reporter eines renommierten Magazins, wenn er stark verallgemeinernd mitteilt, es seien quasi alle anderen Schreiber und Kritiker radikale „Heißmacher“ – hier wird Kazim, so die Meinung des Autors dieser Zeilen, selbst ein Heißmacher. Er betreibt exakt, was er Anderen vorwirft. Unter den Beschuldigten sind dann auch viele sachlich schreibende Kritiker, ja, sogar Boris Palmer selbst – und quasi alle werden in einen Topf geworfen. Kazim allein möchte die Deutungshoheit haben, was rechtsradikal und ein „No Go“ sei.

Beispiele dafür gibt es zuhauf – aus dem Facebook-Tausch. So schreibt Kazim: „Palmer ist ja der Meinung, man solle alle ‚Meinungen’ gelten, zumindest stehen lassen.“ Man möchte hinzufügen: „…wie es eben in unserer gelebten Demokratie sein sollte.“ Kazim aber führt aus: „Ich bin da ganz anderer Meinung. Ich lösche und blockiere selbstverständlich jeden, der sich jenseits des zivilisierten Miteinanders bewegt. In dieser Woche, auf dieser Seite bin ich etwas geduldiger als sonst, frage nach, bitte um Argumente. Wenn die nicht kommen – zack, raus. Die Leute begeben sich selbst ins Abseits. Zivilisiertes Miteinander gilt immer, hier, dort, digital, analog.“

Kazim, der kleine Relotius?

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Wir atmen tief durch und wollen dieses Experiment nicht weiter bewerten und bewerben. Es zeigt die ganze Problematik um die Diskussionskultur – verstärkt seit 2015 – in Deutschland. Schwarz oder weiß – oder besser: tiefrot oder dunkelbraun – dominiert, wenn man Kazim so hört und liest. Die gesamte „Spiegel“-Redaktion, aber vor allem auch Kazim, hat sich zu einer Haltungs-Monstranz transformiert. Vor ihm war es Claas Relotius, der mit eben denselben erhabenen, aber aber eben leider oft erlogenen Geschichten „Meinung machte“.

Kazims Wortwahl ist bemerkenswert. „Jenseits des zivilisierten Miteinanders“: allein diese Worte zeigen die Kategorien, in denen er denkt, in denen beim „Spiegel“ gedacht wird. „Zack, raus“, Kazim kommt gar nicht auf die Idee, dass sich braune Dumpfbacken und Schmutzfinken derselben Sprache bedienen, dass sie sich lächerlich und unmöglich machen. Die braunen Dumpfbacken sind primitiv, und exakt darauf weist auch Boris Palmer immer hin – auch auf seiner Facebookseite. Und Kazim schreibt, als wenn er einer von ihnen sei. Nur mit einem umgedrehten politischen Magnetfeld.

Was OB Palmer dem Reporter ins Stammbuch schreibt

Ganz anders der Stil von Palmer. Er schreibt den „Spiegel“-Kollegen höflich – aber direkt – via Facebook an: „Lieber Hasnain Kazim, Ihren Beitrag auf Spiegel Online fand ich offen gesagt sehr enttäuschend. Ich finde, er wird dem nicht gerecht, was mit einigen Stunden Zeit für jeden nachlesbar auf unseren beiden Seiten in zusammen 18.000 Beiträgen gelaufen ist. (…) Was sagen Sie zu folgenden Kommentaren: ‚Herr Palmer, ganz ehrlich, machen Sie eine Therapie. Tun Sie der Menschheit einen Gefallen. Treten Sie aus der Politik aus. – Herr Palmer, jetzt wird’s wirklich Zeit für einen Therapeuten. So aggressiv geht nicht mal der türkische Präsident gegen 4 Mio. Flüchtlinge vor. – Sebastian Kurz ist ein widerwärtiger Schwerverbrecher. Ein moderner Franz von Papen. – Palmer ist ein eitler Schwätzer. – Sie Hetzer im Schafspelz auf der Palme. – CSU-Braunhorst Seehofer. – Block mich bitte, ich kotz sonst. – Tolles Experiment. Noch eine Page mehr, auf der Nazischeiß zu lesen ist.’ Die Zahl der extrem aggressiven, persönlich beleidigenden Kommentare war nicht geringer als auf meiner Seite bei Ihnen. Und wie oft ich als Rassist beschimpft wurde, habe ich jetzt ganz weggelassen. Der Unterschied ist nur: Ich toleriere bei mir Rechte, weil ich sie nicht verloren geben will. Auf Ihrer Seite ist vor allem Publikum unterwegs, dass sich selbst für tolerant hält. Hätten Sie nicht auch dafür ein Wort übrig haben können?“

Hier zeigt sich einmal mehr, dass konservative Bürger vielleicht manchmal etwas liberaler denken und auch sozialer. Es sei fast die Frage erlaubt: Ist denn Palmer überhaupt so rechtskonservativ, wie er allzu oft beschrieben wird? Oder ist der Tübinger Oberbürgermeister nur ein absoluter Demokrat und Realist? Kazim lebt, so schlussfolgere ich, in einer heilen Welt, in der vor allem alle dieselbe Meinung zu haben scheinen. Oder haben. Denn sonst wäre Kazims Bekanntenkreis sehr klein: „Zack, raus“, wir erinnern uns.

Die Forderung nach Deutungshoheit

Wie Boris Palmer andere auf die Palme bringt – wg. Vernunft
Gegen „Rechts“ zu sein: diese Deutungshoheit hätten der „Spiegel“, die Kazims und Hayalis, oder Maas‘ wohl gern. Doch in der Gesellschaft besteht zu 90 Prozent Konsens: Die Bürger müssen nicht pädagogisiert werden. Der linksliberale Poltik- und Medienmainstream ist zu einer Blase und Sphäre der eigenen ideologischen Phantasien geworden. Fast schon sind es „Allmachtsphantasien“ – und das kann niemals gut enden.

Vielleicht sollte Palmer, auch wenn er das Medium Facebook sicher beherrscht, seine Aktivitäten dort ein wenig herunterschrauben, um weniger Angriffsflächen zu liefern. Dem „Spiegel“-Mann Kazim kann nur empfohlen werden, er möge doch bitte aufhören, sich in den sozialen Medien nur zu tummeln, um normale Bürger vorführen zu können. Erstens ist es eines Journalisten des größten deutschen Nachrichtenmagazins unwürdig, ständig Sachlichkeit und Ironie zu vermischen. Zweitens ist es höchst unseriös, blitzschnell Ernstes in Unernstes, Fakten in Satire umzuwandeln, wenn man mit Fakten und Argumenten überführt wird. Und dann wiederum erkennbar Unernstes plötzlich absolut ernst zu nehmen – wenn es in den ideologischen Baukasten passt. Es sei denn, diese Methode ist Bestandteil der Arbeit in der Hamburger Redaktion, die auch einen Relotius bedenkenlos gewähren ließ.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist, ist seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.

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Kommentare ( 49 )

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49 Comments
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pleitier
5 Jahre her

Hasnain Kazim geht jede Fähigkeit ab mit Menschen zu kommunizieren, die nicht sein Weltbild teilen.
Üblicherweise bezeichnet er andere Meinungen als Bullshit und zieht dann alsbald die Rassismus- und/oder Nazikeule!

Ausgewogenheit, Toleranz, Akzeptanz sind allesamt schwach oder gar nicht ausgebildet, vielleicht passt das aber den Spiegel-Lesern gut?

Genco Steins
5 Jahre her

Rechte entweder retten oder ausX’en zu wollen ist ein schönes Beispiel angewandten Framings.

Old-Man
5 Jahre her

Spiegel hängt an der Wand,so etwas muß niemand lesen.
Mein Respekt gilt Herr Palmer.das er sich auf so etwas eingelassen hat,und dann noch die Größe besitzt freundlich zu diesem Spiegelschmierfink zu sein.
Aber von diesem „Typen“ habe Ich zu Zeiten der Türkeiattacken auf Deutschland und die Kanzlerin auch nur Schwachsinniges im Netz gelesen,da wundert einen eigentlich nichts mehr.
Von mir aus kann der Super-Kazim seinen Käse verbreiten,man muss das ja nicht guttieren.
Aber nocheinmal : Respekt Herr Palmer,und das von mir,der eigentlich gar keine Grünen mag!

Marc Hofmann
5 Jahre her

Dieser Kazim will uns Deutschen, die ihre Grossväter und Grossmütter..ihre Vorfahren…ihre Verwandten…ihren Teil der Familiengeschichte an die Nationalsozialisten..an das Nazi Schreckensystem verloren haben…also etwas darüber erzählen…wie das so ist mit Nazis und so..dieser Kazim also, der weiss also ganz genau wie das so ist…wie es sich als Deutscher anfühlt, wenn einem der Krieg eine Lücke in die Familiengeschichte gerissen hat .. ausradiert hat.
Dieser Kazim kann gar nichts…und was er kann, dass erinnert dann auch gleich wieder an die Methoden der Nazi Schreckensherrschaft auf deutschen Boden.

Schwabenwilli
5 Jahre her

„„Spiegel“-Journalist versteht OB Palmer nicht mehr“

Immer mehr Spiegel Leser verstehen den Spiegel nicht mehr.

Denis Diderot 2018
5 Jahre her

Kein Mensch muss SPIEGEL lesen. Ich hörte vor nicht ganz 9 Jahren auf. Die Ausgaben wurden dünner, dafür teurer und die Sprache primitiver. Gestört hat mich am Ende die Aufarbeitung der causa Sarrazin.
Die beste Beschreibung seiner Person gab Kazim selbst in seinem Hausblatt. Er zeigte zwei Pakistanis ein Foto seiner Frau. „Das ist ja eine richtige Deutsche“ riefen sie verwundert. „Ja klar,“ lächelte er not missing a beat. Ob die Geschichte eine Relotiade war?

Nichzufassen
5 Jahre her

Das schlimme ist ja, dass sich so einer wie Kazim überhaupt für einen Journalisten hält, und sogar seit Jahren nen gut dotierten Job bei einem (ehemals) renommierten Blatt hat. Das ist ja noch unter Karl-Eduard (der wenigstens intelligent war). Zack-weg

Theobald Tiger
5 Jahre her

Nun ja, das ist alles nicht wirklich überraschend, was da passiert ist. Aus meiner Sicht nur drei kurze Anmerkungen: 1. Der „Spiegel“ ist schon lange kein „renommiertes“ Magazin mehr. Es war in früheren Zeiten eine Wochenschrift, die sich mit den Mächtigen angelegt hat. Heute ist es eine regierungsnahe Kampfpostille, die sowohl stilistisch wie argumentativ wenig zu bieten hat. Der „Spiegel“ wurde heruntergewirtschaftet. 2. Herr Kazim passt zu diesem desolaten Erscheinungsbild des „Spiegel“. Aufgrund seiner dunklen Hautfarbe fühlt er sich berechtigt, über Rassisten und Rechtsradikale zu jammern, die er überall erkennen kann, vorzugsweise bei Menschen, die eine (von der seinen) abweichende… Mehr

holdtheline
5 Jahre her

Letztendlich ist es für mich einfacher: Es ist Macht! Es ist Machtgeilheit, in einer bestimmten Situation, Konstellation, und dazu gehören eben auch bekannte Journalisten, wenn man „mächtig“ entscheiden kann was sein darf und was nicht. Deren einzig Problem ist, dass sie diese Macht noch begrenzt in ihrem Wirkungskreis haben. Sie streben aber mit dieser Machtausübung „Zensur“ an, die totale Macht über alle ausüben zu können. Und dazu ist jedes Deckmäntelchen recht, was sie dann u.a. dann auch noch Demokratie nennen.

Hoffnungslos
5 Jahre her

Hallo Herr Deriu, wie kommen Sie darauf, den SPIEGEL als „renommiertes Magazin“ zu bezeichnen? Sein ehemals kritisches Renommee ist doch leider lange dahin. – Herr Kazim sollte verinnerlichen, dass in einem demokratischen Staat unterschiedliche politische Meinungen erlaubt, sogar notwendig für den Diskurs sind und geäußert werden dürfen! Vielleicht sollte er mal im Grundgesetz nachlesen. – Aber auf der lukrativen „Nazi-Welle“ reiten ja zur Zeit einige Leute. Dafür gibt es jede Menge Sponsoring und Geld.