RTL: „Die müssen was auf die Mappe kriegen!“

„Ausgewählte Gäste“ befragen den SPD-Kanzlerkandidaten – klingt nach einer der üblen Maybrit & Anne-Shows. Aber, Kompliment!, RTL, Ihr könnt Dschungel-Camp u n d Big Brother Martin! Der versuchte sich als Putin, Trump und Marie Antoinette.

Screenshot: RTL

Die große Schicksalsgeschichte ist natürlich ein Heimspiel für die Boulevard-Medien RTL und Spiegel-TV, die bei der Wahlkampfarena wohl zusammenarbeiteten. Eine Spiegel-Blondine gab die Vera Int Veen, und hockte bei Renters am spärlichen Tische oder besuchte verständnisvoll ein Opfer der täglichen Gewalt. Aber man kann ja schon dankbar sein, dass nicht eine Gewerkschaftsfunktionärin als Putzfrau auftrat, wie es die Öffentlich Rechtlichen gerne inszenieren.

Martin macht den Donald für Doofe

Ein Andreas R. aus Berlin wollte wissen, „wie es mit der Sicherheit weitergehen“ solle. Als er einem Mädchen auf deren Rufe hin helfen wollte, wurde er von „Jugendgruppen fast totgeschlagen“. Natürlich sind die Fast-Totschläger alle auf Bewährung draußen. Andreas R. bemühte sich, die Identität der Täter nicht zu nennen, da ihm aber auch der Hals fast aufgeschlitzt wurde, dürfte auch der letzte RTL-Zuschauer sich seinen Teil denken können. Eine Frau Wilms erzählte dann von den Zuständen ihrer einst friedlichen Gegend in Leipzig, die heute zu einer No-Go-Area mit Schießereien von Rockerbanden verkommen sei. Und dann rutschte ihr raus, dass die Gegend heute „Arabische Meile“ heiße. Upps!

Zunächst sonderte 100%-Schulz diese unangenehmen Floskeln ab, wie man sie nie von einem Regierungschef hören will: „Geht unter die Haut“, „Sehr berührt“, „Gut, dass Sie hier sind“, „Wir brauchen Bewusstsein in der Gesellschaft“, „Die Opfer gehören in den Vordergrund“, „Ich nehme das sehr, sehr ernst“. Und Andreas R. soll eine Therapie bekommen, wenn Martin erst mal Kanzler ist.

Und dann machte er den Donald für Arme: „Ich habe für diese Typen kein Verständnis, die müssen was auf die Mappe kriegen!“ Und: Wer in unserem Land Schutz sucht und Verbrechen begeht, der hat in diesem Land nichts zu suchen! Warum Donald für Arme? Nun, weil er diese hemdsärmeligen Sprüche schon beim nächsten Stuhlkreis der SPD-Führung bitter bereuen dürfte. Und weil er sich selber direkt zum Deppen machte. „Ich kenne das alles“, äußerte er verständnisvoll in Richtung der Dame aus der Leipziger No-Go-Area, „ich war viele Jahre Bürgermeister einer kleinen Gemeinde.“ Bitte? No-Go- Areas in Würselen? Das einzige Problem, unter dem die Kleistadt bei Aachen wohl heute noch leidet, ist das überteuerte Spaßbad, das Schulz ihr seinerzeit aufgebürdet hatte.

Dann versucht er den Putin

Einmal im Jahr veranstaltet der russische Präsident eine TV-Show, in der Bürger dem Präsidenten ihre Sorgen mitteilen. Der greift sich dann Statthalter und Würdenträger der Provinzen, um die angesprochenen Probleme abzustellen. Natürlich ist das Show, aber unterhaltsamer als jedes Wetten, dass …?, wenn ein Provinzgouverneur öffentlich zusammengefaltet wird. Vielleicht war das Format die Vorlage für Schulzens Argumentation, als ein Polizeibeamter die ungerechte und in den Bundesländern unterschiedliche Bezahlung mit „Mehr Zeit für Gerechtigkeit“ in Einklang gebracht haben wollte. Der antwortete dreiphasig. Zuerst die Tränendrüse: „Ich bin der Sohn eines Polizeibeamten, ich verstehe Sie!“ Dann der Trump: „Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen machen einen tollen Job!“ Schließlich Wladimir: „Liebe Leute, das geht so nicht! Ich hole die Ministerpräsidenten an einen Tisch und frage mal nach: Wieso ist das so?“ Den kleinen Hinweis von Moderator Kloeppel, dass Polizei Ländersache sei, konterte er „Aber ich kann die ja an einen Tisch holen!“

An dieser Stelle, etwa Minute 17, war der Kandidat von sich schwer begeistert, und schob noch schnell einen Kalauer nach: Die Kriminellen fahren Ferrari und die Polizei fährt hinterher (nein, im E-Auto sagte er nicht).

Ein Werbetexter aus Neuss hätte gern ein Einwanderungsgesetz. Schulz auch: Wer „nicht ordnungsgemäß“ einreise, sondern „illegal“, blablabla. Warum gibt es kein Einwanderungsgesetz? Sie sind doch lange genug an der Regierung? Wegen Merkel. „Wir brauche europäische Einwanderungsregeln. Da habe ich in Europa viele Jahre für gearbeitet.“ Der Werbetexter: „Warum hat das dann nicht geklappt?“

Und RTL traute sich was. Gerade SPD regierte Länder schöben nicht ab. Und Kloeppel, der süffisante Peter, schob noch nach: „Ich weiß nicht, ob sie das wissen.“ Schulz begannen die Felle wegzuschwimmen. Sprach von „Debatte mit Ministerpräsidenten“, „Es geht ja um Afghanistan“, „Gefährder und Straftäter“, und weil er das verantwortungslose Treiben und die Winkelzüge seiner Genossen in den Ländern natürlich durchschaut, versprach er dem Zuschauer: „Das (falsche Gejammer meiner Ministerpräsidenten) interessiert mich nicht! Wer die Gesetze bricht, gehört abgeschoben!“ Nun saß ein Abzuschiebender im Studio, allerdings aus Bayern, und Verbrecher war er wohl auch keiner. Verdammt! Da will Schulz mal den Seehofer anrufen. Kloeppel mahnte, Schulz solle vorsichtig sein, sonst kämen alle und wollten, dass er wen anruft.

Einen ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer aus Tempelhof ernannte Schulz dann zum „Helden des Alltags“, Flüchtlinge wären als Hilfskräfte in den Kommunen gut zu gebrauchen („Ich kenne das aus meiner Heimat“), und dann kam gottseidank Werbung. Passenderweise auch von der AOK.

Und am Ende Marie Antoinette

Warum funktioniert Schulz nicht? Er ist optisch nicht gerade der Siegertyp der Evolution – aber wer ist das schon, außer Bill Clinton oder Macron? Er ist intellektuell auch nicht weniger bemittelt als Gabriel, Maas oder Nahles – oder Merkel. Auch die sind reine Plattitüden-Kasper. Ist es diese zu dick aufgetragene falsche Betroffenheit? Dieses „Ich verstehe Sie“, klimper, klimper? Wahlkampflügen? Ach Gott, zeige mir einen Ehrlichen! Am Ende entlarvt er sich ein wenig selbst. Auf die Personalberater-Frage nach seinen Schwächen erzählt er eine Anekdote über einen Rabbi, die wir leider vergessen haben. Aber die Quintessenz lautet: Schulz redet jedem nach dem Mund. So dass am Ende von ihm nichts bleibt – außer hoffentlich ein Posten oder ein Amt.

Eine 85-jährige Rentnerin, der 200 Euro im Monat zum Leben bleiben, hätte so gern Theater- oder Musicalkarten („aber nichts Neumodisches“), und Schulz antwortet ihr konkret: „Wir müssen in die Rentenstruktur eingreifen.“ Und so weiter. Dann erbarmt er sich aber noch und sagt, dass er den OB von Hamburg ganz gut kenne. Der wird die alte Dame dann wahrscheinlich mit Medientross ins Musical begleiten.

Einer Pflegerin Andrea, die die Probleme in der Pflege schildert, „kann ich deutlich antworten“: Mehr Geld, pardon, deutlich mehr Geld für die Pflege. (Das greift die AWO und die Caritas dann ab.) Dann will er die Pflege akademisieren. Mehr Schule, mehr Gehalt. Ach, der Martin ist ein Teufelskerl!

Eine Familie aus Berlin, Vater, Mutter, Sohn, Tochter und Katze, beide Eltern berufstätig, hätten gerne eine bezahlbare Wohnung in Berlin. „Katastrophe“, sagt der Martin. „Mietpreisbremse haben wir versucht, ist gescheitert.“ (Heiko, jetzt hörst du es von deinem Chef, was wir dir immer wieder erklärt haben: Dein Gesetz ist Murks! Murks mit zwei A!) Aber Martin wäre nicht der Kanzlerkandidat, wenn er für die Berliner Familie nicht eine Lösung anzubieten hätte (neben ganz viel Geld für neue Sozialwohnungen, obwohl die Familie die wohl nicht kriegt, weil sie blöderweise Geld verdient, und außerdem unsere Neubürger auch schon warten): „Bauen Sie doch ein Haus!“ Wo, mitten in Berlin? Aber Martin ließ sich von seinem Vorschlag partout nicht abbringen. Wie die alte Marie-Story: Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen!

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Kommentare ( 65 )

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Dirk Lippelt
6 Jahre her

Die Leute regen sich über Trump auf und hier sowas… Sagenhaft.

treu
6 Jahre her

Natürlich haben Sie recht, es gibt Unterschiede zwischen Ost und West, das Stammwählerpotential des Ostens haben dort vor allem die Linken. Aber dennoch sind auch CDU und SPD ja auch im Osten die stärksten Parteien. Also so groß sind die Unterschiede dann doch wieder nicht. Der einzige Trost, die Grünen haben im Osten keine Chance, das war es aber auch leider schon!

C. W. Schulz
6 Jahre her

Hahaha, Treffer, das ist mehr als ein schlechter Witz. Aber ebenso plakatiert die CDU für gerechte Löhne…wenn es nur nicht so traurig wäre!

fred müller
6 Jahre her

Sehr gut zusammengefasst ! Fake von vorne bis hinten und nur nichts fragen, worauf der Spesenabzocker keine Antwort weiss.

nomsm
6 Jahre her

Zusätzlich problematisch ist, dass viele gar nicht das Kreuz machen, sondern irgendwelche Bediensteten bei caritas&co

Philoktet
6 Jahre her

Sie hätten Ihren Beitrag aber auch anders schreiben können, und die Rentner und Alten nicht als so „doof“ hinstellen zu brauchen. Auch, wenn Sie jetzt schreiben, daß es zugespitzt ist.
Viele Rentner sind bereits aus anderen Jahrgängen, als die, die Sie da wohl karikieren.
Dann nennen Sie bitte mal Parteien, die die „Alten“ wählen könnten, damit nicht Merkel und Co. wieder regieren werden. Außer einer gibt es ja wohl keine.

Luisa
6 Jahre her

Danke. Bin begeistert.

Herbert Priess
6 Jahre her

Dass der Schultz nur labern kann muss man hinnehmen viel mehr hat er halt nicht gelernt. Was ich bezeichnend finde, ich hab mir die Sendung angetan, ist der Umstand, dass der Andreas im TV nicht sagen darf wer es denn nun war. Es wird immer noch versucht bloß keine Aufregung damit nicht auch noch die Rentner merken was in diesem Land gespielt wird und wer der Verlierer sein wird. Neusprech hat Recht das hatte Kindergartenniveau. Schönen Tag noch.

nomsm
6 Jahre her
Antworten an  Herbert Priess

Selbst „labern“ kann der nicht. Eine Karikatur, der das selbst nicht blickt. Hat den bei der SPD keiner Mitleid.

Franz
6 Jahre her

Waren sie am Klo? Reicht doch wenn sie nur schreiben.

Sagittarius A *
6 Jahre her

Genau ! Gekocht und gebacken sind sie mir am liebsten.