Gemälde „Hylas und die Nymphen“ wird abgehängt

Horst Köhler überschrieb eine Rede mit dem Satz: „Geschichte kennen. Gegenwart begreifen. Zukunft gestalten.“ Er schrieb nicht: Geschichte verurteilen, Gegenwart überhöhen, Zukunft verdüstern. Wünschen wir also der Kuratorin in Manchester „let it be“ and please: find yourself in times of trouble.

John William Waterhouse [Public domain], via Wikimedia Commons

Nun blickt jede Zeit etwas anders auf das Gewesene. Da mag daran liegen, dass wir zum einen Abstand gewinnen und zum anderen dazu lernen. Erfahrungen als Lehrmeister. Was allerdings die Lehre daraus sein soll, im Gefolge der #metoo-Debatte über einhundert Jahre alte Bilder aus öffentlichen Galerien abzuhängen, weil dort Frauen nach heutigen Maßstäben mancher „frauenfeindlich“ abgebildet werden, erschließt sich nicht wirklich.

So geschehen gerade in Manchester mit dem Gemälde „Hylas und die Nymphen“ (1896) des britischen Malers John William Waterhouse. Nun ist anzunehmen, dass die fragwürdige Aktion nichts weiter war, als der Versuch, die Aufmerksamkeitsmaschine in Gang zu bringen. Erfolgreich, denn viele Zeitungen berichten und die Welt weiß nun, dass es in diesem trostlosen Manchester eine Manchester Art Gallery gibt.

Eine Clare Gannaway ist Kuratorin der Galerie. Und sie gibt Entwarnung: Die zeitlich befristete Abhängung des Gemäldes solle doch nur eine Debatte auslösen. Es ginge nicht darum die Existenz bestimmter Kunstwerke zu leugnen oder gar Zensur auszuüben. Allerdings gibt sie der Kunstwelt auch Rätsel auf, wenn sie gleichzeitig die Maxime ausgibt, es sei überholt, wenn männliche Künstler weibliche Körper als passiv-dekorativ oder als Femme fatale zeigten. Das ist schon deshalb merkwürdig, weil ja doch fast alles, was war, als überholt gilt. Die moderne Zeit, die moderne Kunst jenseits des Retro-Chicks funktioniert nun einmal so. Allenfalls als ironisches Zitat ist es gestattet, die alten Meister in die Gegenwart zu überführen. Bildende Kunst funktioniert also offensichtlich anders als die Literatur mit ihrem stetig anwachsenden Heldenolymp. Ist das auch gut so?

„Hylas und die Nymphen“ zeigt auf besondere Weise, wie sich der Blick auf Kunstwerke unter dem Eindruck der Gegenwart verändert. Hylas ist eine männliche Figur der griechischen Mythologie, den Nymphen beim Wasserholen in ihren Quellteich ziehen. Bei Waterhouse sind das sieben barbusige braunäugige brünette Schönheiten im Seerosenteich. Hylas bleibt verschwunden, seine Argonauten müssen ohne ihn weiterziehen.

Was Odysseus noch erfolgreich abwehren konnte, als er sich gegen die Verlockungen der Sirenen mit Wachs in den Ohren schütze, bleibt Hylas versagt. Er wird Opfer Männer verschlingender junger Frauen. Der Held im Strudel der Erotik. Ja, auch dass ist ein Element der griechisch-römischen Mythologie. Und das ist auch ein Element dessen, was wir als unsere abendländische Kultur identifizieren. Älter und wirkmächtiger noch, als das Christentum. Hier begann alles, hier hat Europa eine Wurzeln. Im Sexismus?

Nun passiert etwas Merkwürdiges: Schaut man auf das Gemälde von John William Waterhouse, dann ist gegenwärtig der Weg nicht weit, diese sieben Nymphen auch als sieben dieser 72 Jungfrauen zu sehen, die einen islamistischen Märtyrer erwarten, wenn er erfolgreich zu Tode gekommen ist und dabei möglichst viele Feinde des Glaubens mit sich gerissen hat.

In verschiedenen islamischen Referenzen werden diese Jungfrauen tatsächlich so beschrieben, wie sie Waterhouse gemalt hatte: breite und schöne Augen, weiße Haut, ewig jung mit nicht hängenden Brüsten, anregenden Vaginas und mit zurückhaltend, bescheidenem Blick. Aber die islamischen Referenzen, Referenzen von Männern selbstverständlich, gehen noch weiter als Waterhouse: die 72 Jungfrauen sind nicht menstruierend, nicht urinierend, nicht stuhlend und ohne Kinder. Schaut man genau hin, sind Waterhouse’ Nymphen als Minderjährige gemalt.

Aber deshalb wurde das Gemälde gar nicht abgehängt. Der Kuratorin ging es um einen Debattenanstoß in Sachen #metoo. An der leeren Wand hängt nun ein Informationspapier und die Aufforderung, seine Meinung dazu mit einem Posting rund um dieses Papier herum zu veröffentlichen. Ein Foto dieser Aktion zeigt schon etwa einhundert dieser Zettelchen die Clare Gannaway so kommentiert: „Some interesting comments Looking forward to more conversation about this …“

Ein Leser dieser Nachricht kann damit wenig anfangen und twittert zurück: „For your next trick, you should shoot yourselves in the feet and call it performance. You have have done nothing but alienate and insult your audience with your supercilious attitude. Yet you think you are having marvellous conversations.“

Keine Geschmacksfrage
Darf Kunst wirklich alles?
Ein befreundeter Künstler des Autors hier, der gerade in Mexiko eine Kunstperformance präsentierte, schickte eine Mail zu dem Vorfall und schrieb unter anderem: „Es geht an die Substanz, von allen Seiten. Solche Fälle sind nichts gegen all das, was gar nicht erst mehr gehängt, gedruckt, produziert wird. Und er erzählt von einem Buchprojekt, das kein Verlag haben wollte, weil es ethisch zu heikel war. Der Verlag hätte einen Rufschaden befürchtet. Worum es ging? Um einen jungen Mann, „der schönen Sex mit einer alten behinderten Frau hat.“ Also eigentlich ja das klassische Harold und Maude Thema zensiert im vorauseilenden Gehorsam vor irgendwas mitten im 21. Jahrhundert.

Nun könnte sich Clare Gannaway aus Manchester tatsächlich auch diesen kleinen Debattenanstoß hier als Erfolg auf ihre Fahnen schreiben, aber wäre das nicht so, als würde man jemanden öffentlich die Faust ins Gesicht schlagen, um Gewalt in der Gesellschaft zu thematisieren? Der deutsche Künstler der in Mexiko gerade eine Performance macht, hat schon recht: Schlimmer wiegen doch die vielen Projekte, von denen nie jemand erfährt, weil sie schon im Vorfeld gar nicht erst mehr gehängt, gedruckt oder produziert werden.

Deutschlandfunkkultur titelte online zur Bilderabhängung in Manchester: „Die Nymphe als degradierte Femme Fatale.“ Und Jürgen Kaube widerspricht für die Frankfurter Alllgemeine: „Ein Bild abzuhängen, um ein Gespräch über seine Motive anzustoßen, ist widersinnig. Erkennbar wird hier als Diskussionsanstoß verbrämt, was in Wahrheit der Versuch ist, die von solchen ‚Kuratoren‘ erwünschten Ergebnisse einer solchen Diskussion vorwegzunehmen: dass nämlich so nicht hätte gemalt werden sollen, wie Waterhouse malte.“

Folgen wir Kaube, dann wird also von der Gegenwart aus die Vergangenheit zensiert und diskreditiert. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler überschrieb einmal eine Rede mit dem Satz: „Geschichte kennen. Gegenwart begreifen. Zukunft gestalten.“ Er schrieb aber nicht: Geschichte verurteilen, Gegenwart überhöhen, Zukunft verdüstern. Lassen wir also Manchester getrost Manchester sein und wünschen der Kuratorin ein herzliches „let it be“ and please: find yourself in times of trouble.

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Kommentare ( 101 )

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Duke
6 Jahre her

Dass Künstler alle links wären stimmt nicht. Schon eher ist der Kunstmarkt dem bildungsbürgerlichen Klientel entsprechend ideologischen links. Als Künstler hat das zur Folge dass man sich dem Diktat der Galleristen entweder unterwirft und den Arbeiten eine Vermarktungspkattform geboten wird, sodass man von seiner Arbeit leben kann, oder man macht nicht mit, die Arbeiten verstauben im Keller und man wird mit etwas Glück erst berühmt wenn sich irgendwann der Zeitgeist gedreht hat. Meistens ist der Künstler dann bereits verarmt gestorben und die Nachwelt sagt dann über ihn, er wäre seiner Zeit voraus gewesen. Die Kunst die sich gegen das aktuelle… Mehr

Thorben-Friedrich Dohms
6 Jahre her

Wir müssen mehr Rücksicht auf die Gefühle aller Mensch*Innen nehmen, ganz besonders auf die aller Gläubigen!

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/h-m-verkauft-socken-wegen-allah-schriftzug-nicht-mehr-15427905.html

P.S. Was erkennen Sie in dem Schriftzug links im Artikel?

Der Ketzer
6 Jahre her

Sind wir schon wieder bei „entarteter Kunst“ angekommen? Was kommt als nächstes? Bücherverbrennungen?

Jens Frisch
6 Jahre her

„Und das ist auch ein Element dessen, was wir als unsere abendländische Kultur identifizieren.“
Diesen vorauseilenden Gehorsam hat auch Papst Franziskus zur „Schau“ gestellt, als er die Meisterwerke der Renaissance, die überall den Vatikan zieren, hat verhüllen lassen, um dem iranischen Präsidenten Rohani den Anblick dieser nackten Leiber zu ersparen.
Reine Unterwerfung – und eine unfassbare Schande, was für ein Mensch da zum Papst gekürt wurde.
https://www.welt.de/politik/ausland/article151481050/Rom-verhuellt-nackte-Statuen-bei-Besuch-von-Ruhani.html

Emma
6 Jahre her

Sehr mutig!! einen Künstler bzw. sein Werk zu hinterfragen, der nicht mehr reagieren kann. Gibt es nicht auch in Manchester lebende und agierende Menschen die letzte Woche, gestern, heute Frauenrechte in Wort, Bild und Tat missachten und herabsetzen?
Nur Einzelfälle?
Die Täter sind leicht reizbar und schnell inihrer Ehre verletzt?
Kritik könnte gefährlich werden?
Die Kuratoren sollten sich schämen angesichts der unsäglichen täglichen Gewalttaten an Frauen.
Die Zeit, Kunstwerke kritisch zu diskutieren ist vorbei.
Marsch der Frauen zum Kanzleramt am 17.02.2018.

G.P.
6 Jahre her

Verrückte Welt in der wir leben. Das Internet ist voller frei zugänglicher Pornographie, und in den Museen werden harmlose Bilder nackter Menschen abgehangen!

Eloman
6 Jahre her

Wie passen eigentlich diese neue Prüderie und Sexualkunde in der Grundschule zusammen?

Frohnatur
6 Jahre her

Gleich konsequent sein und diesen sexistischen diskriminierenden Müll vernichten.
Die Taliban haben vorgemacht wie es geht.

Dennis Staudmann
6 Jahre her

Solche Gemälde alter Meister, die offensichtlich nicht den „Weitblick“ hatten, zu erkennen, wie unsere Welt im Jahre 2018 ist, findet man sicher noch viele. Nun sollte man diese auch klar benennen. Wie wäre es mit dem Oberbegriff „Entartete Kunst“?

Martin Müller
6 Jahre her

Guten Ideen, die überdreht werden, münden oft in die Katastrophe…