Identitätspolitik, Sprachpolizei und Meinungsterror – ist die postmoderne Theorie schuld?

Die Autoren eines neuen Buches erklären die postmoderne Theorie der 1970er Jahre zur Mutter der gegenwärtigen Hexenjagden. Eine zynische Theorie sei das, schreiben Pluckrose und Lindsay in ihrem gleichnamigen Buch.

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Michel Foucault (1926-1984) und die Schauspielerin Simone Signoret (1921-1985)

Wie leben in einem Zeitalter, in dem die Meinungsfreiheit zunehmend durch eine neue Intoleranz bedroht ist. Diese Intoleranz tritt auf im Namen des Kampfes gegen Diskriminierungen, gegen Rassismus und Sexismus, im Namen des Kampfes für soziale Gerechtigkeit, aber ihren Fanatismus verringert das nicht. Sicher, Deutschland ist von den Wirren der Identitätspolitik bislang nur in abgemilderter Form erreicht worden, und auch wenn es namentlich an staatlichen Institutionen Versuche gibt, den Kreis des Sagbaren durch eine offizielle Sprachpolitik, die z. B. Gendersterne verpflichtend macht, einzuengen, ist das alles doch vergleichsweise harmlos im Vergleich zu den „culture wars“, die in den USA und mittlerweile ansatzweise auch in Großbritannien toben. Hier verstehen sich Wissenschaftler jedenfalls in den Kultur- und Sozialwissenschaften, ebenso wie viele Journalisten zunehmend als politische Aktivisten, die versuchen, Kultur und öffentlichen Raum von allem „Unreinen“ zu säubern. An amerikanischen Universitäten, aber zunehmend auch in großen Unternehmen der Privatwirtschaft kann ein einziges falsches oder missverständliches Wort reichen, und jemand ist als Rassist, als transphob oder als Vertreter eines vermeintlichen weißen Überlegenheitsanspruches abgestempelt. Das kann einen leicht den Job kosten und einen für immer zum Paria werden lassen.

Eine englischen Historikerin und ein amerikanischer Mathematiker fragen in ihrem gemeinsamen Buch „Cynical Theories“ , wie es so weit kommen konnte (Helen Pluckrose und James Lindsay, Cynical Theories: How Activist Scholarship made Everything about Race, Gender and Identity – and why this Harms Everybody,  Durham, N. C., 2020). Pluckrose und Lindsay sind überzeugt, einen Schuldigen gefunden zu haben: Es sei die postmoderne Theorie, die von Frankreich ausgehend seit den 1970er Jahren die Geisteswissenschaften an vielen westlichen Universitäten immer stärker beeinflusst hat, die das gegenwärtige Meinungsklima mit seiner „cancel culture“, seinen Hexenjagden und seiner Verpflichtung stets „woke“ zu sein, also überall die Mechanismen der Unterdrückung von Minderheiten zu erkennen, geschaffen habe. 

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Worum ging es den Vätern postmoderner Theorien in den 1960er und -70er Jahren, als diese Form der Interpretation gesellschaftlicher Wirklichkeit entstand? Autoren wie Michel Foucault (1926-1984) wollten die Welt nicht wirklich verändern, sie hatten, so Pluckrose und Lindsay, die Hoffnung, dass das möglich sei, eigentlich aufgegeben, aber sie wollten die Fabel eines Fortschritts der westlichen Welt hin zu Freiheit und Demokratie diskreditieren, oder das, was sie für eine solche Fabel hielten. Foucault, Jean-François Lyotard (1924-1998) und andere betonten, dass die Aufklärung den Menschen nicht befreit, sondern vor allem neue Zwänge geschaffen habe. Vor allem aber bestanden die postmodernen Philosophen, die oft enttäuschte und desillusionierte Ex-Marxisten oder zumindest Sozialisten waren, darauf, dass Wissenssysteme, in letzter Instanz auch die der Naturwissenschaft, ihre Plausibilität nur in einem spezifischen kulturellen Kontext erlangen könnten. Wissen sei am Ende vor allem Eines, eine Form von Herrschaft, von Macht. Wer seinen Wissenskanon durchsetzen könne, sei damit in der Lage, andere soziale oder ethnische Gruppen zu beherrschen. Am Ende würde ihnen durch das herrschende Diskursregime sogar die Sprache genommen, mit der sie ihre Forderungen formulieren könnten. 

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Die postmoderne Theorie eines Foucault und seiner unmittelbaren Nachfolger war dabei nicht wirklich handlungsorientiert. Sie wollte die scheinbare Liberalität westlicher Demokratie entlarven, aber politische Folgerungen wurden daraus eher nicht unmittelbar gezogen. Statt dessen wurde jede Möglichkeit, objektives Wissen über die Welt zu erlangen, negiert, weil am Ende Machtstrukturen unser Verständnis von Wahrheit bestimmen. Hier glaubt man auch den Einfluss von Nietzsche zu erkennen. Pluckrose und Lindsay sehen in der frühen postmodernen Theorie vor allem eine Form des Nihilismus und des Zynismus, eine Art Kathederanarchismus, wie er sich im wirren Dekonstruktivismus eines Pseudo-Philosophen wie Derrida (1930-2004), der, anders als Foucault, gar nicht mehr versuchte, kohärente Argumente zu formulieren, besonders eklatant äußerte.

Die zweite Phase: postmoderne Theorien verbinden sich mit „grievance studies“

Der klassische Postmodernismus kennzeichnete vor allem die Debatten zwischen ca. 1960 und der Mitte der 80er-Jahre. Mit Beginn der 90er Jahre zeichnete sich jedoch eine Wende ab. Postmoderne theoretische Ansätze verbanden sich jetzt vor allem in den USA mit anderen Theorien, wie man sie in den postkolonialen Studien, den Gender-Studies oder den Queer-Studies (die sich mit Homosexuellen beschäftigen) fand. Alle diese Ansätze wollten die Welt aus der Sicht vermeintlich oder wirklich unterdrückter Gruppen darstellen. Ohne den Nihilismus des Postmodernismus als solchen zu übernehmen, griffen sie doch auf die Idee zurück, dass die soziale Realität nur in Form subjektiver Konstruktionen greifbar sei. Weder sexuelle noch andere Identitäten besäßen ein Fundament in greifbaren Tatsachen, sie seien nur durch Diskurse konstruiert. Real sei aber sehr wohl die Benachteiligung der Ausgeschlossenen, Ohnmächtigen, Marginalisierten, ob dies nun Farbige seien, Frauen oder andere benachteiligte Gruppen, etwa Muslime in der westlichen Welt.

Es gelte die Lebenserfahrung dieser Gruppen ernst zu nehmen, die eine eigene Wahrheit darstelle, die aus der Perspektive eines Wissenssystems, das von „weißen Männern“ konstruiert worden sei, nicht zugänglich sei. Namentlich die „postcolonial studies“ wandten sich gegen den Überlegenheitsanspruch der westlichen Welt, der Teil eines Legitimationssystems sei, mit dessen Hilfe der Kolonialismus gerechtfertigt worden sei. Im 19. und 20. Jahrhundert sei mit Hilfe wissenschaftlicher Disziplinen wie der Ethnologie oder der Geschichtswissenschaft ein Zerrbild nicht-europäischer Kulturen konstruiert worden, mit dessen Hilfe man die eigene Überlegenheit „bewiesen“ habe, wie z. B. Edward Said nicht müde wurde zu betonen.. Diese Konstruktionen gelte es jetzt zu entlarven und zu dekonstruieren. Das könne nur gelingen, so argumentieren jedenfalls prominente Vertreter dieses Ansatzes, wenn man auch die westlichen Vorstellungen von Rationalität und Wissenschaftlichkeit, wie sie sich besonders seit der Aufklärung entwickelt hätten, in Frage stelle. 

Aus der Theorie wird politischer Aktivismus

Von einer solchen Position zu einem radikalen Kulturrelativismus war es nur ein Schritt. Dennoch blieb das alles bis etwa 2010 noch weitgehend Theorie, die zwar zunehmend die Lehre und Forschung an den Universitäten prägte – jedenfalls in den USA und anderen angelsächsischen Ländern, ansatzweise aber auch auf dem europäischen Kontinent – aber das politische Geschehen außerhalb der Universitäten nur begrenzt beeinflusste. Das wurde seit etwa 2010 anders. In dem Maße, in dem die neuen Lehren den Status einer nicht mehr bezweifelbaren Orthodoxie erhielten, begann sich auch die Politik, jedenfalls die Politik linker und zum Teil auch bürgerlicher Parteien an ihnen zu orientieren.  Die neue Ideologie, denn darum handelt es sich nach Pluckrose und Lindsay, erhielt ihre Durchschlagskraft durch den Vorwurf an ihre Kritiker, sie seien Rassisten, misogyn oder transphob. Aus einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde somit eine moralische. Jede Kritik an der neuen Orthodoxie wurde zur Häresie. Rassist war nun nicht allein derjenige, der sich abfällig über Menschen mit einer anderen ethnischen Identität äußerte, sondern eigentlich per definitionem jeder Weiße, der sich nicht von seinem Wissenssystem und seiner eurozentrischen Kultur jede Minute aktiv distanzierte, die – vermeintlich – die Inferiorität der Nicht-Weißen postulierten. 

Damit waren die Voraussetzungen geschaffen für die Idee der „critical whiteness“ (permanente weiße Selbstverdammung ist eine Pflicht) und die Hexenjagden, die wir heute an amerikanischen Universitäten, aber auch sonst in der öffentlichen Debatte erlebten. Verstärkt wurde die Ideologie noch durch die neue Kategorie der Intersektionalität. Ihre Verfechter gingen davon aus, dass dieselbe Person Opfer unterschiedlicher Diskriminierungen werden kann, etwa eine schwarze Frau, die zugleich Übergewicht hat, denn auch der Hinweis auf physische Schwächen oder Krankheiten galt nun plötzlich als mögliche Diskriminierung, Mit diesem Ansatz der Intersektionalität kann man immer neue Opfergruppen identifizieren und durch eine Scholastik der Benachteiligungsforschung immer feiner ausdifferenzieren, ein großartiger Fortschritt.

Die Welt als System von Zeichen und die neue Symbol- und Sprachpolizei

Die heutigen politischen Aktivisten, die in der Maske des Wissenschaftlers auftreten, haben dabei von der älteren postmodernen Theorie die Vorstellung übernommen, dass Texte, Zeichen und Symbole die einzige Realität sind, die uns zugänglich ist, es gibt hinter ihnen keine andere Wirklichkeit, auf die sie verweisen. Deshalb ist es so eminent wichtig, die Welt der Zeichen und Symbole zu verändern. Gelingt das, dann ergibt sich die Befreiung der diskriminierten Minderheiten von selbst, das zumindest glaubt man. Deshalb die Wut, die sich gegen Denkmäler richtet, gegen Wörter und Begriffe, die für die falsche Gesinnung stehen oder auch gegen ein Kleidungsstück oder eine Frisur, die die Sünde der „cultural appropriation“ (der Aneignung der Traditionen einer fremden Kultur) ausdrücken. Fanatismus und Intoleranz feiern so ihre Triumphe. Noch schlimmer: Bringt man gegen den neuen Tugendterror und seine zum Teil absurden Postulate empirisch fundierte Argumente vor, dann beweist man damit nur, dass man auf der falschen Seite steht und selbst ein Unterdrücker, Rassist (oder transphob, islamophob oder was auch immer) ist, denn eine objektive Wahrheit gibt es nicht, nur die subjektive gefühlte Wahrheit der Unterdrückten.

Wie erklärt sich der Siegeszug des politischen Aktivismus und des radikalen Konstruktivismus?

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Wie konnte ein solcher Wahnsinn in den kulturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Institution der amerikanischen Universitäten zur neuen Orthodoxie werden und wie konnte er die politische Haltung vieler liberaler (im amerikanischen Sinne) und auch gemäßigt linker Politiker in den USA, zunehmend aber auch in Europa so weitgehend prägen? Pluckrose und Lindsay scheinen zu glauben, dass Theorien und Ideen aus eigener Kraft die Welt verändern können, auch und gerade falsche Theorien. Als Historiker wird man das mit erheblicher Skepsis sehen. Ideen sind dann einflussreich, wenn die richtigen politischen und sozialen Bedingungen für ihre Rezeption bestehen. Das war in den USA offenbar der Fall. Eine lange und sehr hässliche Geschichte des institutionalisierten Rassismus und die enorme soziale Ungleichheit, die heute größer ist denn je, sind hier Faktoren, aber auch die Tatsache, dass in den USA die Universitäten abgeschirmte Inseln in einer Gesellschaft sind, die weithin durch einen starken Anti-Intellektualismus geprägt ist, wie ihn etwa der gegenwärtige amerikanische Präsident auf perfekte Weise verkörpert. Dass in einer solche Gesellschaft Akademiker ihren spezifischen Autismus entwickeln und aus ihren sogar ein Stück weit verständlichen Ressentiments gegen nicht-akademische Eliten und gesellschaftliche Gruppen, die sie ihrerseits verachten, eine eigene Ideologie schaffen, die ihre vermeintliche Überlegenheit beweist, überrascht nicht. 

Aber die Analyse von Pluckrose und Lindsay, so verdienstvoll sie ist, weist dennoch Schwächen auf. Als Heilmittel gegen die neue Identitätspolitik mit ihrem Kult der „wokeness“ sehen sie den klassischen Liberalismus, das Eintreten für individuelle Freiheitsrechte, für Meinungsfreiheit, für Demokratie und Fortschritt, und vor allem für die rationale, wissenschaftliche Suche nach Wahrheit. Im Liberalismus sehen sie keine Ideologie, sondern eine rationale selbstkritische Deutung der Welt, die deshalb allen rivalisierenden Deutungen von links und rechts überlegen ist. 

Aber sind die Dinge so einfach? Man kann Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auch anders deuten. So wie der Kommunismus mit seinen Terrorregime durchaus Wurzeln in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und in der Französischen Revolution mit ihrem Terreur besaß, so hat der übersteigerte Kampf gegen vermeintliche Diskriminierungen jeder Art seine Wurzeln eben auch im klassischen Liberalismus mit seiner uneingeschränkten Wertschätzung individueller Freiheit. Blicken wir zurück: Noch den 1950er und -60er Jahren gab es in den meisten westlichen Gesellschaften relativ klare Normen für soziales Verhalten, vom Sexualverhalten über die Kleidung bis hin zu Geschmacksurteilen, die Kunst und Literatur betrafen. Wer sich an diese Normen nicht hielt, der war ein Außenseiter und musste schlimmstenfalls sogar mit Sanktionen rechnen, etwa was das Sexualverhalten betraf. Überdies, selbst in einer von jeher kulturell so inhomogenen Gesellschaft wie der amerikanischen gab es eine ethnische und konfessionelle Gruppe, die eine Art kultureller Hegemonie besaß, die angelsächsischen weißen Protestanten. Selbst weiße Katholiken waren Außenseiter, die auf Vorbehalte stießen und Mühe hatten, anerkannt zu werden, das galt für Juden und Afroamerikaner natürlich noch sehr viel mehr. All dies wurde durch eine zunehmende Liberalisierung der Gesellschaft seit den späten 1960er Jahren hinweggefegt. Es gibt sehr viel mehr individuelle Freiheit und Liberalität und viel weniger offene Diskriminierung, aber es gibt eben auch kaum noch verbindliche Normen für soziales Verhalten etwa mit Blick auf Familie und Sexualität, es gibt auch keinen bürgerlichen Bildungskanon mehr, der ein Minimum an Verbindlichkeit besäße, und die kulturelle Dominanz einer bestimmten ethnischen Gruppe ist durch eine scheinbar unbegrenzte Beliebigkeit der Lebensstile und den Multikulturalismus ersetzt worden.

Sicherlich, kaum einer von uns wird den Wunsch haben, in die enge Welt der 1950er Jahre zurückzukehren, als das alles noch anders war, und ganz besonders wird man sich nicht die amerikanische Gesellschaft dieser Epoche mit ihrem aggressiven Rassismus und ihrer Intoleranz gegenüber Außenseitern zurückwünschen. Aber es ist nicht zu bestreiten, dass die weitgehende Liberalisierung gesellschaftlicher Normen ein destruktives Potential besitzt. Am Ende wird jeder zum Feind, der auch nur öffentlich darüber nachzudenken wagt, dass es so etwas wie Normalität (etwa bei den Geschlechterrollen) geben könnte, denn das impliziert ja Kritik an dem, was als nicht „normal“ erscheint, oder dass die westliche kulturelle Tradition anderen Traditionen überlegen sein könnte. Ihm wird unterstellt, er wolle die kulturelle Liberalisierung der letzten Jahrzehnte zurückdrehen oder sich zumindest ihrer konsequenten Fortführung entgegenstellen. 

Das mag die Polemik von Fanatikern sein, aber ist es nicht vielleicht doch so, dass heute Liberale, das ernten, was sie selbst gesät haben ? Wenn in einer Gesellschaft jede Konvention, jeder Restbestand an kultureller Überlieferung dem Dauerfeuer der Kritik ausgesetzt ist – und das ist seit der Aufklärung der Fall – , und die Selbstverwirklichung des Individuums, mag sie noch so seltsame Formen annehmen, zum höchsten und absoluten Wert wird, muss sich dann nicht eine Tendenz entwickeln, jedes Werturteil über persönliches Verhalten, jedes Bekenntnis zu den traditionellen Werten der eigenen Kultur als Aggression gegenüber Anderen und als „hate speech“ zu verfolgen? Ein amerikanischer Historiker und Soziologe, Christopher Lasch, hatte diese Entwicklung in seinen Werken aus den Jahren 1975 bis 1994 bereits ansatzweise vorausgesehen und davor gewarnt. Er brachte die selbstzerstörerischen Tendenzen eines neuen Ultra-Liberalismus allerdings in Zusammenhang mit einer Wirtschaftsordnung, die auf grenzenloses Wachstum und permanente Innovation ausgerichtet ist und daher alles, was als Hindernis einer gesellschaftlichen Modernisierung und einer immer weiter entfesselten Konsumkultur erscheint, zerstören muss, auch wesentliche Kernbestandteile der kulturellen Überlieferung und essentielle soziale Normen. Kultureller und wirtschaftlicher Ultra-Liberalismus bedingten sich aus seiner Sicht, die die eines ursprünglich eher linken Denkers war, also. Damit lag Lasch, der sich gegen Ende seines Lebens konsequenterweise dem Christentum und dem Katholizismus zuwandte, möglicherweise nicht ganz falsch. 

Das alles sind Probleme, die Pluckrose und Lindsay nicht ansprechen, und darin liegt eine gewisse Schwäche ihrer Studie. Verdienstvoll ist ihr Buch dennoch, denn wer sich gegen die neuen Hexenjäger wehren will, der muss verstehen, was sie umtreibt und welche Ideologie sie leitet. Von daher ist Cynical Theories ein wichtiges Stück „Feindaufklärung“, denn leider haben wir es nicht mehr mit Gegnern, sondern mit Feinden zu tun, die zu einer offenen Debatte zwischen Gleichberechtigten oft nicht mehr bereit sind. Darauf wird man sich einzustellen haben, wenn nicht auf Dauer, so doch zumindest für das nächste Jahrzehnt, wenn nicht noch sehr viel länger.

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Kommentare ( 30 )

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Marcel Seiler
3 Jahre her

Gesellschaften ohne anerkannten Normen haben ein Problem: Ohne Spielregeln, auf deren Einhaltung man sich verlassen kann, wird sinnvolles Handeln unmöglich. In einem Straßenverkehr ohne Rechtsfahrgebot (oder ohne Linksfahrgebot, das ist egal) käme niemand in angemessener Zeit an sein Ziel.

Sinnvolles Handeln im gesellschaftlichen Rahmen – sei es wirtschaftlich, sei es gesellschaftlich-sozial – ist nur möglich, weil wir uns darauf verlassen können, dass die anderen sich an Regeln halten. Die Art der Regeln bestimmt Erfolg (oder Misserfolg) und Wohlbefinden einer Gesellschaft. Die Regeln der politischen Korrektheit kombiniert mit der Anarchie von Multi-Kulti zerstören viele Errungenschaften westlicher Gesellschaften.

Last edited 3 Jahre her by Marcel Seiler
Ali
3 Jahre her

Mir ist eigentlich egal wer für diesen antidemokratischen, mittelalterlichen Hexenprozess zuständig ist.
 
Wichtig wäre mir nur, man würde die Verantwortlichen ALLE OHNE JEGLICHE AUSNAHME, auch durchweg „zeitgenössisch“ entsprechend zur Verantwortung ziehen!
 
Die daraus resultierende Abschreckung, und Genugtuung stützt die Gesellschaft danach wieder statisch wieder einige Jahrzehnte….

andreashofer
3 Jahre her

Toller Artikel. “Wokeness” bzw. das Fehlen von “Wokeness” ist das, was man früher Klassenbewusstsein genannt hat, oder? Und ja, das haben Sie recht: Als Leser von TE darf man mir beides Absprechen, wenngleich ich einige Ansätze dieser Theorien ja durchaus interessant finde: Wie würde ich denken, wenn ich ein Schwarzer wäre? Aber mich interessiert, wie diese philosophischen Feinheiten aus dem netten Elfenbeinturm der Unis auf die Straße kamen? Und zwar in Masse? Es gibt ja ein Büchlein von der Frankfurter Schule: “Dialektik der Aufklärung”. Grundthese dort ist ja, dass die Aufklärung den Keim ihrer Pervertierung bereits innehat. Leider sind meine… Mehr

Karl Schmidt
3 Jahre her

Wie soll es denn eine Liberalität geben, wenn sie nicht unter den Bedingungen einer (bestehenden) Normalität geübt wird? Die Vorstellung, mit dem Liberalismus seien auch die Normen, das Normensystem angegriffen worden, halte ich für völlig abwegig: Sie beschreiben Anarchie. Richtig ist, dass auch Nichtliberale (z. B. Linke, Moslems) Freiheiten für ihre Zwecke zu nutzen wissen und stets gerne auf ihre Freiheitsrechte pochen, die sie selbst anderen allerdings nicht zu gewähren denken, wenn sie von der Minderheit in die Position der Mehrheit gerückt sind. Das ist nicht die Anwendung oder Folge von Liberalität, sondern seine Bekämpfung.

IJ
3 Jahre her

Im Artikel wird mir zu sehr mit gesellschaftlichen Aggregaten wie die Liberalen etc. gearbeitet und mit einer angeblich gesetzmässigen Mechanik zwischen diesen obskuren Aggregaten. Ich sehe das Grundproblem der Europäischen Aufklärung und des Liberalismus sehr viel praktischer und lebensnaher: Bis man geistig zu einem zu einem aufgeklärten, selbst-denkendem kritischen Geist herangereift ist, vergehen bei jedem Einzelnen Jahrzehnte. Denn man benötigt eine jahrzehnte lange Übung und Ausbildung in Geschichte, Philosophie, Wissenschaft und Politik. Und man muß bei jedem neuen Erdenbürger mühselig ganz von vorn anfangen mit dieser Schulung von kritischem Selberdenken. In den letzten 200 Jahren haben diese Mühen jedoch ungeahnte… Mehr

Alberich
3 Jahre her

Der Liberalismus und die Individualität sind aus meiner Sicht nicht schuldig an diesem derzeitigen Tugendterror. Es sind diese kollektivistischen Ideologen die genau diese Freiheiten benutzen, um selbige zu zerstören. Die Fokussierung auf einzelne Elemente (Intersektionalität) ist nicht hilfreich. Diese Art des Angriffs auf alle Lebensbereiche dient nur als Ablenkung! Das Ziel ist letztendlich Tyrannei!

rainer erich
3 Jahre her

Bitte den Liberalismus in seiner klassischen Form richtig verstehen :Er wendet sich nicht gegen (gemeinsame) Werte oder gemeinsame Ueberzeugungen und Tugenden, ganz im Gegenteil, weil sie tatsaechlich unverzichtbar fuer eine Gesellschaft sind. Er wendet sich dagegen, dass der Staat diese Werte totalitaer festsetzt und bestimmt oder vorgibt. Sein Freiheitspostulat richtet sich gegen den Staat, den er als Gewaehrleister der individuellen Freiheit (und der Sicherheit) sieht und diese Freiheit bedeutet fuer den Liberalen ebenso (Eigen) Verantwortung wie die Anerkennung der Grenze durch die Freiheit des Anderen. Die Figur des konservativen Liberalen ist keine contradictio in objecto, wie die des linken Liberalen… Mehr

Helmut Bachmann
3 Jahre her

Man sollte auch eine weitere Dialektik betrachten: Die Kollektivisten haben es im letzten Jahrhundert auf die Spitze getrieben und der dann aufkommende Liberalismus war eine wohltuende Befreiung. Doch mittlerweile wird der Liberalismus zum neuen Gefängnis, zum neuen Kollektivismus. Vor allem ist wieder Zwang und Unterdrückung da, als ob diese Verlockung zu groß ist. Auf dieses neue „Wir“ kann man genauso verzichten.

Mozartin
3 Jahre her

Es sollte mich wundern, wenn Foucault oder Derrida Linke gewesen wären, sie waren oder fühlten sich evtl. als Ausgestossene einer von ihnen wahrscheinlich geliebten Ordnung. Aber in dieser Liebe müßte eigentlich auch Verstehen liegen, ich verweise auf die wunderbare Rede von Navid Kermani zu auch dem Fall „Lisa Eckardt“, vorabgedruckt auf zeit-online. Vielleicht mußten diese Autoren, evtl. ähnlich wie Nietzsche zunächst ihre Leiden „dekonstruieren“? Dann ist meist auch schon das Leben zuende, denn das kann bei guten Wissenschaftlern dauern. Deshalb sind solche kryptischen Sätze wie z.B. der von Foucault über das Meeresufer so wesentlich und heisst es da nicht sogar… Mehr

Deutscher
3 Jahre her

„Sicherlich, kaum einer von uns wird den Wunsch haben, in die enge Welt der 1950er Jahre zurückzukehren…“

Man wird sich dahin bewegen müssen, um vielleicht bis zu den 80er, 90er Jahren zu kommen. Deswegen muß ich derzeit auch als Liberaler konservativste Strömungen unterstützen.