Zwei Wochen vor der Wahl: Lindners Zug

Alle Flüchtlinge zurück! Mittelmeerroute schließen! Kein Asylverfahren bei Kriegsflüchtlingen! Verfahren in Aufnahmelagern! Da war Nikolaus Blome bei BILD kurz davor, die Feuerwehr zu rufen, weil die Kameras gleich brennen könnten.

© Steffi Loos/Getty Images

Vor fünf Monaten stellte ich auf Tichys Einblick die These auf, dass die FDP, falls sie ernsthaft den dritten Platz im neu zu wählenden Bundestag anpeilt, sich dringend von den Einwanderungsvorstellungen der Grünlinken einerseits und dem unglaubwürdigen Gehampel der CDU/CSU andererseits abgrenzen sollte.

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Gut zwei Wochen vor der Wahl stelle ich mit einer unbestreitbaren, aber nicht unwillkommenen Überraschung fest, dass die FDP und Christian Lindner ihren Zug gemacht haben: Alle Flüchtlinge müssen zurück! So schleuderte es Lindner in den Räumen der BILD-Redaktion Nikolaus Blome entgegen. Mittelmeer muss geschlossen werden! Kein Asylverfahren bei Kriegsflüchtlingen! Abwicklung der Verfahren in Aufnahmelagern! Da war der stellvertretende Chefredakteur schon kurz davor, die Feuerwehr zu rufen, aus Angst, dass die Kameras gleich Feuer fangen würden.

Wer sich in den vergangenen Monaten eine bissige und polarisierende FDP gewünscht hat, dürfte an Lindners Auftritt wenig auszusetzen haben. Der Kampf um Platz drei ist somit unverkennbar in vollem Gange. Der Zug des FDP-Vorsitzenden erfolgte jedoch so strategisch, dass er eine detailliertere Bewertung verdient hat:

Erstens der Zeitpunkt: Dieser war überwiegend gut gewählt. Am Montagabend hatte der lebendige Schlagabtausch der kleineren Parteien wunderbar mit dem Schlafwagenduell zwischen Merkel und Schulz vom Sonntag kontrastiert, so dass die Aufmerksamkeit anschließend insbesondere auf der FDP und der AfD ruhte. Letztere hat ihren Zug bereits getan, als sich ihre Spitzenkandidatin erhobenen Hauptes aus einer Live-Wahlrunde des ZDF verabschiedete. Ihre rebellische Botschaft an die AfD-Kernwähler, welche den Medien ohnehin schon tief misstrauen, war offensichtlich und wurde mit Sicherheit empfangen. Jetzt hat die FDP nachgezogen und dabei den Blick auf die noch unentschlossenen Wähler, denen die AfD immer noch zu skurril, die Merkel-Union aber zu unglaubwürdig ist, gerichtet. Aus der Wahlforschung ist bekannt, dass diese unentschlossenen Wähler überaus zahlreich vorhanden sind, weshalb dort für die FDP wichtige und erreichbare Stimmen zu holen sind.

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Der Entschluss Lindners, seine Karten in Sachen Einwanderung und Flüchtlinge erst kurz vor der Wahl offen auf den Tisch zu legen, ist zudem deshalb nicht dumm, weil so die Gefahr verringert wird, dass das Thema bis zum Wahltermin wieder verschwindet oder zerredet wird. Jetzt stehen die Chancen gut, dass sich die verbliebenen Debatten vor der Wahl stattdessen auf das Thema Flüchtlinge und Zuwanderer zuspitzen werden, wovor sich alle Parteien außer der FDP und der AfD zu Recht fürchten.

Zweitens der Inhalt: Hier zeigt sich ein Nachteil der späten Erhöhung des FDP-Einsatzes am großen Pokertisch der Bundestagswahl. Denn Lindners Forderungen und Vorschläge klingen zwar knackig, aber nicht hundertprozentig glaubwürdig, denn sie erwecken nicht gerade den Eindruck eines detaillierten, von langer Hand her ausgearbeiteten und diskutierten Plans. Aber diesen Eindruck hätte die FDP auch nicht erwecken können, ohne den wahrscheinlich wichtigeren Überraschungseffekt zu opfern, so dass hier eine einfache Kosten-Nutzen-Abwägung vorlag. Inhaltlich ausgespart wurde bisher das Thema Islam, sowohl mit Blick auf die aktuelle Einwanderung, als auch auf die längerfristige Rolle der Religion in Deutschland, obwohl es zu diesem Stichwort ebenfalls viel gesellschaftlichen Diskussionsbedarf gibt. Es könnte in den kommenden zwei Wochen noch aufflammen, aber in der Endphase des Wahlkampfs droht es zu einem reinen Krawallthema zu verkommen.

Drittens das Nachsetzen: Eine Sache, die sowohl Alexander Gauland als auch Christian Lindner begriffen haben, ist die, dass man durch klein beigeben momentan nicht weit kommt, durch Standfestigkeit aber umso weiter: „Deutschland muss Realismus lernen“ legt Lindner in der Berliner Zeitung nach. Das kommt einer schallenden Ohrfeige für die einst und immer noch vom Merkelschen „Deutschland des freundlichen Gesichts“ verzauberten Journalisten gleich, weshalb sich Lindners knallharte Feststellung wahrscheinlich auch so wonnig liest. Die nächsten Fernsehauftritte des FDP-Spitzenkandidaten versprechen ein Feuerwerk zu werden. Wichtig ist dabei aber, ob seine Parteibasis willens sein wird, die kurzfristige Zuspitzung ebenfalls mitzutragen.

Vor vier Wochen hatte Christian Lindner noch bekanntgegeben, dass er die Bundestagswahl bereits für entschieden halte. So eine Verlautbarung macht man als Politiker nur dann, wenn man erreichen will, dass eine Wahl noch nicht entschieden ist. Die kommenden zwei Wochen versprechen spannender zu werden als erwartet.

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Kommentare ( 275 )

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Silverager
6 Jahre her

Die FDP besteht aus dem Hemden-Model Lindner.
Ach ja, einen Kubicki gibt’s im hohen Norden ja auch noch.
Aber sonst?
Von wem also sollten Sie was hören?

Silverager
6 Jahre her

Wie viele AfD-Vorsitzende wurden denn „alle paar Wochen“ abgesägt?

Silverager
6 Jahre her

„Obwohl ich eine echte FDP wählen würde.“
Ich auch !!!
Aber derzeit kann ich diese „one man show“ einfach nicht ernst nehmen.

Silverager
6 Jahre her

Sie wollen Ihr Kreuz bei der FDP machen?
Oder war das nur ein Späßchen?

Michel Rieke
6 Jahre her
Antworten an  Silverager

Nach Lindners Bekenntnis zu Jamaika werde ich das wohl eher nicht tun.

Andreas Schmidt
6 Jahre her

Es ist damals publiziert worden und alle Mitglieder bekamen per E-Mail einen Hinweis auf diese Publikation, die ich damals ebenfalls dank Mitglieder in meiner Familie zu lesen bekam.
Dass die Presse damals diese Entwicklung totgeschwiegen, mag mit der totalen Unterstützung von Merkels Politik durch die gesamte Mainstream-Presse zusammenhängen.

Deutsche sind offenbar blind staatsgläubige Obrigkeitsstaats-Fans, die auch noch die überzogenste Bürokratie schlucken und auch sonst jede noch so unvernünftige Politik mitmachen… – leider!

Andreas Schmidt
6 Jahre her

Gehen.

Nichtzufassen
6 Jahre her
Antworten an  Andreas Schmidt

Eingehen…

Johann Thiel
6 Jahre her

Endlich mal wieder ein Artikel über die FDP. Ironie aus.

Jedediah
6 Jahre her

Abstoßend, nicht lustig. Einfach mal zum richtigen Zeitpunkt ein paar saftige Lügen unter’s Volk schmeißen. Aber warum eigentlich nicht, es gibt genügend Einfältige, die nun der FDP dafür ihre Stimme geben. Denn man darf ja die AfD nicht wählen, sagen die in der Zeitung. Lindner bekäme sogar meine Bewunderung, wenn das Ganze ein ausgewachsener Schurkenstreich sein sollte. Hat er sich vorher mit den anderen Parteiführern, mit dem Medien abgestimmt? Ich mach den Gauland, ihr haut mich ein bisschen, hinterher teilen wir uns Macht und Geld, wie üblich.

Rudi
6 Jahre her
Antworten an  Jedediah

Ich brauche keine ‚komplette‘ Partei, die neben der AfD für Vernunft steht.
Was ich damit meine? Nun, in allen Parteien gibt es bereits Leute, die auf vernünftig machen und so dem geneigten Wähler Sand in die Augen streuen. Genau DAS ist ja das Dilemma, nämlich dass alle anderen Parteien so beliebig sind. Diesem gelben Butje sollte man daher am Wahltag den Hintern versohlen und zurück an den Katzentisch schicken. Denn da gehört er hin. Von mir bekommt er daher auch nur eine große Portion Verachtung, dieser Lümmel!

Rufus
6 Jahre her

Freue mich schon auf die Zeit, in der der smarte Herr L. zusammen mit seiner Oppositionschefin Frau W. alternative Ansätze zu Rautes Alternativlosigkeit entwickelt.
Allerdings müsste vorher seine Kinderstube etwas upgedated werden, in Bezug darauf, wie man eine Dame in der Medienöffentlichkeit freundlich und verbindlich-korrekt begrüßt. – Kürzliche Medienereignisse ließen bei dem sonst so smarten Herrn L.diesbezüglich leider eklatante Defizite erkennen.

Seneca
6 Jahre her

Kein schlechter Zug, in der Tat. Aber nur aus einem einzigen Grund: AfD-Wähler lockt Lindner nach 50 Jahren FDP-Erfahrung nicht 21 hinter dem Ofen vor, aber ggf doch den ein oder anderen sonstigen Mainstream-Wähler, der noch nicht bereit ist das Original zu wählen. Ansonsten ist Lindner noch luftiger und noch ein wenig unseriöser als es Westerwelle gewesen ist.