Steinmeier in Frankreich: Zwei Präsidenten ohne Volk

Nein, die Europäer sind nicht weniger Europäer geworden, sie sind nur hartgekocht worden von den Lippenbekenntnissen von Politikern wie Steinmeier.

Bundespräsidentenfrischling Frank-Walter Steinmeier entwickelte während seines Antrittsbesuchs in Paris persönliche Zukunftspläne: Er möchte nun die Deutschen näher kennen lernen. Nach acht Jahren als Außenminister in der Welt unterwegs sei das „auch eine Art Rückkehr“ für ihn.

Was so in der Fremde dahin geplaudert war, könnte allerdings schon den Kern dessen ausdrücken, was heute Politikverdruss, Europa-Müdigkeit und den Aufschwung national gesinnter Parteien in Europa ausmacht: Die Entfremdung der politischen Klasse vom Volk. Von Völkern, deren Eigenständigkeit von eben dieser Klasse schon aus Prinzip mit Argusaugen betrachtet wird. Von Regierungen, die Volk und Demokratie längst als Bedrohung empfinden. Oder wie es Jakob Augstein in bemerkenswerter Kehrtwende in einer fast volksnahen SPON-Kolumne ausdrückte: „Identität muss gegen Migration errungen werden.“ Was für ein Satz!

Großbritannien hat sich just in diesen Tagen auch offiziell aus der EU verabschiedet. Die Briten immerhin haben nun wieder alle Zeit der Welt, sich näher kennen zu lernen. Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, heute aussichtsreicher Bewerber um die französische Präsidentschaft, hatte noch kurz vor der Entscheidung für den Brexit eine Drohung über den Ärmelkanal gesandt: Frankreich würde im Falle eines Brexits seine Grenzkontrollen vor dem Kanaltunnel beenden. „An dem Tag, an dem sich die Beziehungen auflösen, wird es keine Migranten mehr in Calais geben.“

Gemeinsamer Niedergang
Die EU kommt ins Rentenalter
Eine populistische Ankündigung, die es in sich hatte, denn indirekt drohte Macron den Briten mit deutschen Verhältnissen. Ausgelöst durch eine humanitäre Katastrophe 2.0. Allerdings dieses Mal nicht an der Peripherie, irgendwo da draußen an der Ostgrenze der EU, sondern mitten im Herzen Europas. Dann, wenn die Briten nicht Merkels Vorbild folgten, sondern den Tunnel ebenfalls dicht machen. Menschen in der Röhre. Menschen die in die Röhre schauen. Europa stehe am Scheideweg, erklärte mal wieder ein deutscher Bundespräsident in Frankreich. Damit hat er recht, denn immer mehr Franzosen und deutsche Landsleute, die Steinmeier nun bald alle persönlich besuchen will, sind es leid, mit den immer gleichen Drohkulissen auf diesen Milliarden Euro verschlingenden EU-Kurs eingeschworen zu werden.

Diese dunkle Kraft erzeugt Gegenkräfte. Und wenn Steinmeier nun in Paris vor einer „Faszination des Autoritären“ warnt, dann mögen diese Kräfte eben auch deshalb wachsen, weil eine Faszination für die europäische Gemeinschaft und für ihre Politiker, wie Steinmeier einer ist, für Leute, die sich auf ihren gut dotierten Posten für die wahren Verteidiger der europäischen Idee erklären, längst erloschen ist.

Aufgabe sei es, so Steinmeier gegenüber Hollande, „das Erbe der europäischen Integration zu bewahren und den Menschen in der Europäischen Union Hoffnungen auf eine europäische Zukunft zu erarbeiten“. Als ginge ers nur darum, nun ein gemeinsames neues Kapitel der europäischen Integration aufzuschlagen. Nein, bitte nicht noch eines. Und schon gar nicht im Zusammenhang mit dem Wort „Integration“.

Nun ist Steinmeier neben diesen ganzen so pflichtschuldig abgespulten EU-Litaneien nicht gänzlich frei von zufälliger Wahrheit. In einem Satz aus Paris schwingt so etwas wie Erkenntnis mit: „Populistische Kräfte in vielen Mitgliedstaaten wollen in Brüssel den Urheber aller Missstände erkennen.“ Die Faszination des Autoritären sei „tief nach Europa eingedrungen“. Nein, tief in Europa eingedrungen ist etwas ganz anderes.

Nach 60 Jahren - ideenlos, kraftlos, saftlos
60 Jahre "Europa" - Verliebt ... In die zweijährige Kaffeemaschinen-Gewährleistung
Und in diesem Vorgang der Grenzöffnung für Millionen ist dann auch die finale Entscheidung für den Brexit und die epidemische Europa-Müdigkeit zu finden. Aber die Europäer sind keineswegs müde aneinender, sie sind müde an dieser Büro-Krake von Politikern wie Steinmeier, die viel zu spät auf die Idee kommen, mal diese fremden Menschen kennen lernen zu wollen, um die es hier eigentlich geht. Besser, Steinmeier hätte schon vor Jahren mal eine Auszeit genommen. Ein Sabbatjahr ohne politische Funktion als Arbeitszeitmodell für einen längeren Sonderurlaub, für eine Reise durch dieses ihm so fremde Deutschland.

Deshalb zum Schluss noch einmal ein Zitat aus dieser erstaunlichen Kehrtwende eines Jakob Augstein: „Aber in der Wirklichkeit ist die Einwanderung ein Quell der Sorge. Wenn die Aufgabe einer linken Regierung die Solidarität mit der arbeitenden Bevölkerung ist, dann gehört dazu auch der Schutz der Heimat.“

Es gäbe ein Recht auf die eigene Identität, fordert ausgerechnet ein Augstein. „In keiner deutschen Schulklasse soll der Anteil der Kinder, für die Deutsch keine Muttersprache ist, höher als 25 Prozent liegen.“ Augstein also mit der Volksschulversion von Seehofers Quote im Gepäck!

Na, das könnte schwer werden, denn dafür müssten die Mütter der Muttersprachler etliche Kinder mehr zeugen. Dafür müsste eine Familienpolitik gemacht werden, die diesen Namen verdient. Möglicherweise nimmt Augstein hier vorweg, was Steinmeier auf seiner angekündigten und vom Steuerzahler finanzierten Reise durch Deutschland in Zukunft ebenfalls erfahren und anschließend natürlich gleich wieder vergessen wird.

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Kommentare ( 65 )

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Jaco Sandberg
6 Jahre her

Die EU war immer ein Projekt der politischen und wirtschaftlichen „Eliten“ Europas. Dieses Konstrukt, das an den Obersten Sowjet der UdSSR erinnert, hatte niemals etwas mit den einfachen Menschen Europas zu tun. Das, was diese politischen und wirtschaftlichen „Eliten“diesbezüglich absondern, ist für mein Leben daher auch vollkommen irrelevant.

Gneisenau
6 Jahre her

Der Steinmeier kehrt zurück und möchte die “ Deutschen “ näher kennen lernen. Na wo war er denn solange ? Im übrigen halte ich es hier in diesem Fall mit Ernst Jünger und seinem Essay “ Der Waldgang „. Ich zitiere daraus : “ Die Fragen rücken uns enger, dringender auf dem Leib, und immer bedeutungsvoller wird die Art, in der wir antworten. “ Meine Antwort dazu : „Ich kann gut darauf verzichten, das mich ein“Staatsoberhaupt“ das ich nicht wählen konnte, kennenlernen möchte. Ihr ehemaliges Auswärtiges Amt befindet sich in Berlin. All die Jahre wollen Sie es nicht fertig gebracht… Mehr

F.Peter
6 Jahre her

Diese Aussagen des Steinis zeigen mal wieder zweierlei: Erstens, dass die Politikerkaste den Kontakt zur Bevölkerung – da meine ich lediglich diejenigen, die schon länger hier leben – verloren haben und zweitens, dass diese intellektuell, sofern solches vorhanden, in Wolkenschlössern residieren!

Beteigeuze
6 Jahre her

Die vordem einfach selbstverständliche nationale Identität muss in Deutschland jetzt dank Grünen, Linken, SPD und CDU gegen legale und vor allem gegen massenhafte illegale Migration von verheiligten muslimischen Vorderasiaten, Arabern und Schwarzafrikanern verteidigt und bewusst wiedererrungen werden.

Man könnte auch sagen, dass Grüne, Linke, SPD und CDU durch ihren Migrationsputsch die Re-Nationalisierung erst so richtig hervorgerufen haben und immer noch hervorrufen, und zwar mit all ihren Übertreibungen und weniger guten Seiten.

Sabine W.
6 Jahre her

Ein wunderschönes Foto übrigens –
ein ‚Präsident‘, dem kaum ein Franzose noch den Rücken seit Jahren stärken wollte, schüttelt dem ‚Präsidenten der Herzen‘ der Deutschen, gewählt durch Möchtegern-Promis wie Natalia Wörner (Favoritin des Maasanzugs) oder einem NDR-Koch Rainer Sass, die diese Veranstaltung als ‚erhebend‘ und ‚außergewöhnlich für ihr Leben‘ betrachten, die Hand.
Ein gutes Abbild, wie ‚Zustimmung‘ in Deutschland aussieht.

Die Repräsentation ist perfekt, oder?!
Ich weiß nicht… ich finde mich dort nicht repräsentiert.
Ich sehe zwei armselige Menschen, die so tun als ob, auch wenn der Zug schon lange abgefahren ist.

Sabine W.
6 Jahre her

Was ist mit Herrn J. Augstein passiert?
Ein bisschen aufgewacht?
Ein bisschen realistischer?
Oder hat man ihn hoffnungsfroh nur aus Versehen falsch verstanden…?
Oder sinken einfach nur die Auflagen…?

John
6 Jahre her
Antworten an  Sabine W.

Tabletten alle?

Sabine W.
6 Jahre her
Antworten an  John

Meine oder seine?
Bitte um Konkretisierung.

Eugen Karl
6 Jahre her

„….denn dafür müssten die Mütter der Muttersprachler etliche Kinder mehr zeugen.“ Sorry, Herr Wallasch, aber wie sollen die Mütter denn das machen? Die parthenogenetische Fortpflanzung des Menschen mag der feuchte Traum der Feministinnen sein, in der Realität funktioniert es indessen nicht. Das ist leider wieder einmal das übliche Ärgernis: bei den Konservativen bringt stets der Storch das Kind zur Mammi ganz allein. Natürlich muß schon noch einer zahlen und dafür schuften gehen, aber mit der Entstehung von Nachwuchs hat er quasi nichts zu tun. Vielleicht kann es aber sein, daß dieser gern für das deutsch-feministische Hätschelbild der alleinerziehenden Mutter schnellstmöglichst… Mehr

Grete Reinken
6 Jahre her

Sehr guter Artikel. Spende in die Kaffeekasse.

Old-Man
6 Jahre her

Ich bin erstaunt ob der Wandlung eines Jakob Augsteins. Selbsteinsicht ist der erste Weg zur Besserung,kann man hier nur sagen! Das trifft leider nicht auf alle die sich öffentlich verbreiten zu,deshalb das Beispiel eines wohl unverbesserlichen,unseres neuen Bundespräsidenten!! Wer glaubt,das Amt würde diesen Mann zum Umdenken bringen,der irrt!! Unser Grüß August bleibt seiner Linie treu,er warnt,er warnt und er warnt in Paris vor der „Faszination des Autoritären“ ! Wann aber warnt er die schon länger hier leben vor sich und seines gleichen?? Ich habe eine Sammlung des „Warners“ der Nation gefunden,da schüttelt man beim lesen nur noch den Kopf über… Mehr

claudia50
6 Jahre her
Antworten an  Old-Man

Beim Probealarm der Warnsirenen in unserer Stadt hatte man festgestellt, sie würden nicht so gut funktionieren wie erhofft.
Sie hätten Steinm. installieren sollen,
bei dem Erkennungspotential für Gefahren.
? Ihm würden sicherlich, da die Schwebebahnwagen jetzt einen Anstrich in AFD-blau haben, einige Sicherungen durchbrennen; -).

Bernd
6 Jahre her

Steinmeier wird es gleich wieder vergessen! Deutschland ist ziemlich „fertig“.

Familienpolitik, bessere Bildung …ein bisschen Hoffnung ist noch da – Süd-Korea hat es auch geschafft, sich aus der Bedeutungslosigkeit heraufzuarbeiten.
Ob die Deutschen (noch) den gleichen Kampfgeist haben, nachdem man ihnen ihre nationale Identität so lange abtrainiert hat?

Und Deutschland wird massiv ausspioniert, Merkel hat versäumt, den Ausbau von IT-Technologien zu unterstützen …