Staatsfeind Spaziergänger

In Frankfurt macht die Polizei lieber Jagd auf Spaziergänger als auf Dealer. Ein Augenzeugenbericht am Rande der Frankfurter Corona-Proteste am Neujahrstag.

IMAGO / Michael Schick
Polizei während Demo in Frankfurter Innenstadt, 04.12.2021

Der Neujahrstag war nicht nur wieder von Versammlungen angemeldeter Demonstranten und unangemeldeter „Spaziergänger“ geprägt. Das Phänomen hat mittlerweile zu einer „riesigen Belastung“ für viele Polizeibeamte geführt, so Oliver Malchow, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Er befürchte deswegen psychische Folgen. Tatsächlich fällt das riesige Aufgebot der Polizei in manchen Fällen auf.

In Reutlingen setzte die Staatsgewalt ein Zeichen, um Protestlern und „Spaziergängern“ von Anfang an zu verdeutlichen, dass man das Versammlungsverbot konsequent durchsetzen werde. Dafür setzte der „Freund und Helfer“ sogar eine Reiterstaffel ein. Agenturbilder zeigen einen polizeilichen Großeinsatz mit Wagenkolonnen, überall parkenden Kastenwagen und viel Blaulicht. Am Ende waren es etwa 300 verstreute „Spaziergänger“. Personalienkontrolle, Hinweis auf die Abstandspflicht, Durchsetzung des Maskengebots, Platzverweise: volles Programm.

Corona-Demonstrationen
Neujahrsproteste in ganz Deutschland
Ähnlich wie in Reutlingen hatten sich in der Mainmetropole Frankfurt laut Polizeiangaben rund 200 Menschen in vielen kleinen, unangemeldeten Gruppen versammelt. Die „Spaziergänger“ seien im Bereich zwischen dem Römerberg und der Hauptwache unterwegs gewesen. Auch hier fiel die Vehemenz auf, mit der die starke Hand des Staates in fast vergessener preußischer Manier durchgriff – Maßnahmen, die man gerade in den kriminalitätsverseuchten Großstädten häufig vermisst.

Tichys Einblick liegt ein Bericht vor, der nicht nur die Rigidität gegenüber dem neuen „Staatsfeind Nummer 1“ veranschaulicht, sondern auch das zweierlei Maß, das dabei zum Einsatz kommt. Der „Spaziergänger“ steht neuerdings unter Generalverdacht. Die Identität des Augenzeugen ist der Redaktion bekannt, auch die der beiden im Text genannten Frauen:

Frankfurts Zeil, eine der belebtesten Einkaufsstraßen Deutschlands, beginnt an der Frankfurter Hauptwache. Der Verkehrsknotenpunkt ist ein Umschlagplatz für Dealer; längst hat die Polizei aufgegeben, dort die unterirdischen Zustände zu kontrollieren. Es ist eine der sich ausbreitenden No-Go-Areas der Stadt, wenn die Dunkelheit anbricht.
Doch oberirdisch marschieren plötzlich insgesamt 7 Polizisten in Kampfmontur aus zwei Richtungen los. „Da sind sie“, hören wir.
Ihr Zielobjekt ist zunächst schwer zu erkennen. Zu sehen sind einzelne harmlose Passanten, ältere Menschen, die durch die Stadt bummeln. Selbst die Abstände werden eingehalten, viele trage Maske, obwohl es im Freien sinnlos ist.

Wo ist die geheimnisvolle Gefahr?

Doch die Polizei hat zwei entdeckt: Ein Trio von Polizisten nähert sich von vorne, einer mit Kamera, von hinten pirschen sich vier weitere an.
Der zangengleiche Zugriff klappt reibungslos. Die beiden Staatsfeinde, eben noch ahnungslos, werden an eine Schaufensterscheibe gedrängt. Drei Bewaffnete in Kampfmontur umstellen sie. Drei weitere sichern die Stelle gegen Passanten, drängen einen dazu eilenden Journalisten unter Berufung auf Datenschutz zur Seite.

Ein Siebter nimmt die Personalien der Staatsfeinde auf. Es dauert. Der hochgerüstete Polizist findet seinen Kuli nicht. Alle Polizisten sind vermummt, anonym bis auf kleine, aber lange und schwer zu lesende und sich einzuprägende Identifikationsnummern. Die Mitglieder des Greiftrupps sind in Körperpanzer, mit Stock, Gas und Pistole bewaffnet. Die Festgesetzten sind zwei Damen. Sie sind – so Sie dies lesen, bitte um Verzeihung – fortgeschrittenen Alters. Mit 50 oder 60 eine Gefahr nur für Kaffeestückchen und den Blutzucker der Kinder.

Bedrohung geht keine aus von ihnen. Sie sind sichtlich überrascht und erschrocken. Hören wir zu, was die Polizei vorzubringen hat.

Man habe sie beobachtet, wie sie mit polizeibekannten Personen geredet hätten. Außerdem seien sie verdächtig, Spazieren gegangen zu sein, erklärt der Kommandoführer.
Die beiden Damen sind verdutzt.
Ja, sie sind spazieren.
Ja, sie haben mit jemandem geredet.
Was daran verkehrt sein soll?
Es sei eine Person gewesen, die für die Veranstaltung unangemeldeter Demos verdächtig sei.
Die Personalien werden aufgenommen, umständlich, mit dem Schreiben tut sich der Polizist erkennbar schwer.
Ein Platzverweis erfolgt wegen eines Gesprächs mit einem Verdächtigen.

„Der Bürger soll eingeschüchtert werden“

Auf den Vorfall angesprochen, bleiben die Damen stehen. Wir tauschen wenige Sätze aus – doch mit wenigen Sätzen stehen die Polizisten wieder da, weiter vorne flammt Blaulicht auf. Sie umringen uns, wirken bedrohlich, brüllen: „Gehen Sie jetzt weiter oder wir nehmen Sie sofort fest“.
Jetzt sind wir schon 3 Staatsfeinde.

Der Auftrag der Polizei ist erkennbar: Bürger sollen eingeschüchtert werden. Was bisher nur im Internet galt, ist jetzt Realität: Es geht um Kontaktschuld. Wer mit der falschen Person spricht, wird von der Staatsgewalt zunächst optisch identifiziert. Nach der Gesichtserkennung per Kamera erfolgt der Zugriff, der als bedrohlich wahrgenommen wird und Aufnahme der Personalien. So werden Passanten kriminalisiert.

Es ist nicht Weißrussland, sondern Frankfurt am Main. Niemand wurde verletzt, entführt, gefoltert. Die Hand lag immer in der Nähe des Knüppels, doch die brutalstmögliche Staatsgewalt war noch Drohung statt Realität, immerhin noch einen Handgriff und einen Schlag davon entfernt. Eine solche Szene wäre jedoch vor wenigen Monaten unmöglich gewesen. Und wie lang dauert es noch, bis der Main auch durch Weißrussland fließt?

Die Dealer bleiben unangetastet. Sie stehen geradezu unter Polizeischutz. Könnte ja sein, dass die Damen die Dealer belästigen.

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Kommentare ( 205 )

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LieberNichtGruen
2 Jahre her

Schon einige Jahre her, da erzähle uns jemand, na ja zur Polente gehen gerne die, die legal schlägern wollen. Damals waren wir ungläubig.
Heute glauben wir an Täuschland.
Ach ja, ist gerade 20 Jahre her, da konnte man im TV schwarzlederne Polizistenfäuste auf die Köpfe blonder Frauen schlagen sehen, die hatten sich selbst an Gleise (Gorlebentransport) angekettet. Damals schon human, gentlemanlike und very dämokratisch.
Eben „Augenmaß und Bürgernähe“, wie es Politschwäzer gerne öffentlich kundtun.

doncorleone46
2 Jahre her

Wenn Unrecht zu Recht wird, ist Widerstand Pflicht.

Gerdt Novak
2 Jahre her

Wie ist es nach Meinung dieses Forums hier einzuschätzen, wenn Uniformierte statt die Landeskennung ein Kreuz auf dem Rücken statt der Kennzeichnung haben?
Könnte es sich um Einheiten der EU Polizei handeln?

Last edited 2 Jahre her by Gerdt Novak
Boudicca
2 Jahre her

Wie wir wahrscheinlich aus der Vergangenheit gelernt haben, sind Dealer oder Männer mit Messer besonders „haftempfindlich“ und müssen deshalb besonders schonend behandelt werden, dagegen hat mutmaßlich der demonstrierende Skeptiker bereits schon ein anderes gefährliches kriminelles Potential, das es bei der Wurzel zu eliminieren gilt.

Deutscher
2 Jahre her

Sogar die Stadt Ravensburg macht ganz offiziell Werbung für´s Spazierengehen:

https://www.ravensburg.de/rv/tourismus/spazierwandern.php

Kein Wunder, bei so einem aufgeschlossenen OB!

Last edited 2 Jahre her by Deutscher
Hieronymus Bosch
2 Jahre her

Unsere Polizei hat schon längst ihren Ruf als „Versager-Truppe“ weg! Gegen Gewalt- und Schwerverbrecher, besonders wenn sie aus dem Roma-Milieu kommen, wird mit Samthandschuhen vorgegangen. Den Staatsmedien bloß keinen Angriffspunkt bieten! Ansonsten gehören Geschwindigkeitskontrollen zu den liebsten Spielobjekten unserer Polizeitzruppe. Da können sie so richtig den Ordnungshüter heraushängen lassen. Der verdutzte Bürger schweigt und zahlt lieber! Ja, wir fühlen uns wirklich rund um die Uhr beschützt!

Prodigy
2 Jahre her

War das jetzt Satire? Ich wohne nicht unweit von Frankfurt, in Offenbach, sozusagen dasselbe! Beides SPD geführte Shitholes im wahrsten Sinne des Wortes. Da ich im Strassenbau tätig bin vorwiegend in Frankfurt sehe ich die Dinge vor Ort! Ich kann das auch bestätigen was hier abläuft. Nicht nur die Dealer werden in Ruhe gelassen, auch die Zuhälter! Nicht eine Polizeistreife hat sich gewagt, einen purpurroten AMG mit der Gebetskette unterm Rückspiegel in der Kaiserstrasse in FFM zu kontrollieren, der in 2er Reihe parkte, und das über Stunden, warum wohl? Der Grossteil unserer Bevölkerung und zugleich auch Wähler sind mittels MM… Mehr

Sani58
2 Jahre her
Antworten an  Prodigy

…deutsche Geschichte, die sich wiederholt? Hätte es damals schon Internet, fb-,und telegramgruppen gegeben, ich glaube dieses Reich wäre wohl nicht zu Stande gekommen, so wie es auch jetzt der Spuk irgendwann zu Ende, und es auf Neuwahlen in nicht allzu vielen Monaten hinauslaufen wird. Es braucht nur noch ein paar Monate der wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Regierung, sagt meine Glaskugel, sonst….halt 1984. Aber daran mag ich nicht glauben. Noch nicht. Und gleichgültig, wie der Ausgang dereinst aussehen wird, in deren Haut, ob in P-Wachen, Amtsstuben, Gerichten oder Parteibüros möchte ich nicht stecken. Fragt mal Nomenklatura der seligen Ostzohne. Eine Gruppe, verachtet… Mehr

Hape
2 Jahre her

Der Bericht ist absolut realistisch. Letzten Donnestag hat die Polizei auf gleiche Weise ebenfalls versucht der Spaziergang friedlicher Bürger aus allen Schichten der Bevölkerung in Munster zu unterbinden . Polizei als „Agent Provokateur“.

Hoffnungslos
2 Jahre her

Natürlich bleiben Dealer unangetastet. Der Anbau von Hanf soll ja demnächst den Anbau von Getreide ersetzen, wenn es nach dem neuen Landwirtschaftsminister Cem Ö. geht. Dealer sind demnächst die neuen „Landwirte“. … – Was die beiden „konspirativ spazierengehenden Damen“ in FFM angeht, hätten sie ihren Spaziergang denn vorher polizeilich anmelden müssen? Müssen jetzt alle Spaziergänge polizeilich angemeldet werden? Dürfen wir noch ein Stückchen Sahnetorte essen, so ganz ohne polizeiliche Voranmeldung und Genehmigung? Und darf ich noch mit anderen Menschen sprechen. „Guten Morgen, Herr….“ , so ganz spontan, ohne jede polizeiliche Voranmeldung? Wenn das so weitergeht, sehe ich viel Arbeit auf… Mehr

AnSi
2 Jahre her
Antworten an  Hoffnungslos

Auf der anderen Seite: wenn die viel Arbeit damit haben, Spaziergänge und Gespräche zu genehmigen, dann haben sie keine Zeit mehr, ältere Damen zu belästigen 😉
Also, warum stellt man nicht für jeden Tag einen schriftlichen Antrag für einen Spaziergang und einen für ein Gespräch mit Nachbarn auf der Straße?
Danke für die Anregung!

Tobias Koch
2 Jahre her
Antworten an  AnSi

Einen Antrag kann man auf jeden Fall stellen. Ob man dann auch wirklich spazieren geht, kann man sich ja noch überlegen…

Manfred_Hbg
2 Jahre her

Zitat: „und werden wohl auch krank. Was dann ??“

> Dann werden -wie auch schon geschehen- Polizeieinheiten aus anderen EU-Ländern herangekarrt.

WOBEI dieses Vorgehen dann vermutlich auch sus staatlicher Sicht den Vorteil haben wird, dass diese herangekarrten ausländischen Polizisten a) aus Frust erst recht zuknüppeln werden und b) beim zuknüppeln dann auch weniger Hemmungen haben werden weil es sich dann nicht um die eigene Bevölkerung handelt.