Personalstreit in Berliner SPD

Die Berliner SPD ringt um die Nachfolge des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller. Die Machtkämpfe sind symptomatisch für den Zustand der einmal dominierenden Kraft in der Hauptstadt.

imago Images/photothek

Noch vor einem halben Jahr sah alles nach einem ebenso harmonischen wie zielstrebigen Neuanfang in der sonst chronisch zerstrittenen Berliner Sozialdemokratie aus. Der bei Umfragen regelmäßig unbeliebteste Regierungschef der Bundesrepublik, Michael Müller, ließ aus dem Roten Rathaus wissen, zwölf Jahre Parteivorsitz seien genug. Beim Landesparteitag im Oktober werde er nicht mehr kandidieren. Für die künftige Führung wurde eine Doppelspitze mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, der früheren Bürgermeisterin von Neukölln, und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, kreiert. Obwohl Müller seinen Rückzug als „Regierender“ nicht formal ankündigte, gingen alle Genossen und auch die Öffentlichkeit davon aus, dass Giffey kurz vor Weihnachten zur Spitzenkandidatin ausgerufen werden soll.

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Mit dem blassen Müller gibt sich die bei Meinungsumfragen nur an dritter oder vierter Stelle rangierende SPD keine Chance, weiterhin die führende Kraft in der Regierungsverantwortung zu sein. Besonders optimistische Genossen träumten sogar davon, dass Giffey sogar vor Ende der Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses ins Rote Rathaus wechseln kann, was freilich eine Illusion ist. Die Koalitionspartner von den Grünen und der Linken haben bereits verlautbart, bei einem solchen Manöver nicht mitzumachen. Sie wären auch mit dem Klammerbeutel gepudert, würden sie der SPD den Bonus eines neuen, populäreren Amtsinhabers im Wahlkampf gönnen.

Müller entdeckt neue Lust am Regieren

Seit Müller bei der Bewältigung der Corona-Krise bessere, im Bundesvergleich allerdings bescheidene Noten bekommt, scheint er neue Lust am Regieren entdeckt zu haben, was nicht nur das künftige Führungsduo schreckt, sondern auch alte Grabenkämpfe auslösen dürfte. „Da geht noch was“, sagte Müller in einem Interview, nahm für sich Erfolge bei Wissenschaft und Forschung in Anspruch.

Müller bringt vor allem Giffey in Verlegenheit. Sollte er doch weitermachen, dürfte sie die Landesliste für die ebenfalls im Herbst 2021 über die Bühne gehende Bundestagswahl anführen. Eigentlich war für ihn der im Reißverschlussverfahren einem Mann zustehende zweite Platz reserviert. Im Augenblick stellt die SPD fünf Bundestagsabgeordnete, hatte sie mit 17,9 Prozent bei der bundespolitischen Entscheidung doch eine historische Klatsche und sogar ein Prozent weniger als die Linke bekommen.

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Wenn Müller sich nicht schnell entscheidet, droht eine Palastrevolution. Überdies dürfte er bei beiden machtpolitischen Varianten den Unmut der immer weiter nach links rutschenden Berliner SPD zu spüren bekommen. „Er merkt nicht, dass er als Kuh quer im Stall steht“, meinte ein Genosse.

Mit dem anerkannten Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu und dem Spandauer Swen Schulz geben zwar zwei Abgeordnete ihr Mandat auf und mit der Berufung von Eva Högl auf das Amt der Wehrbeauftragten gibt es zwar Platz, doch fehlt es nicht an Bewerbern. Die Unterstützung der neuen Parteiführung von Saskia Esken und Walter Borjans hat der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert, der im Bezirk Tempelhof-Schöneberg kandidiert. Der ewige Student ist inzwischen zu einem Anhänger von Olaf Scholz mutiert, dem er einen „tollen Job in Corona-Zeiten“ attestiert.

Chebli könnte für den Bundestag kandidieren

Da die Finanzfachfrau Cansel Kiziltepe und der Energie-Experte Klaus Mindrup als gesetzt gelten und die für Högl nachgerückte Mechthild Rawert ebenfalls Ambitionen hat, wird es für Neuankömmlinge schwer. Gute Chancen werden der Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement und Bevollmächtigten des Landes beim Bund, Sawsan Chebli, eingeräumt. Die umstrittene und hochemotionale Kämpferin gegen Diskriminierung könnte im bürgerlichen Charlottenburg kandidieren. Interesse an einem Sitz im Bundestag wurde auch schon immer Björn Böhning, dem Staatssekretär im Arbeitsministerium nachgesagt. Ob er freilich bei dieser Wettbewerbslage in den Ring steigt, erscheint mehr als fraglich.


Dieser Beitrag von Dieter Weirich erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

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Kommentare ( 17 )

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Hieronymus Bosch
3 Jahre her

Giggey als Regierende Bürgermeisterin in Berlin ….. ich glaube, das wäre der endgültige geistige Lockdown und zugleich die Rückkehr des Biedermeiers in die Politik!

Berlindiesel
3 Jahre her

Mit Giffey wird es hier in Berlin genauso wie mit dem korrupten Peter Feldmann in Frankfurt: An ihr perlt alles ab, das lächelt sie mit ihrem Kleinemädchen-Lächeln und ihrer Piepsstimme, die sie so niedlich und harmlos erscheinen lässt, alles weg – und die Leute nehmen es ihr ab. Selbstverständlich wir sie ab 2021 neue „Regierende“ und außer plumpen Quotenfeminismus wird von ihr, wie schon damals, als sie Buschkowsky in Neukölln beerbte, gar nichts kommen. Ansonsten wurstelt Berlin auch bis 2026 so vor sich hin, wie es das seit 1945 so tut, und die Stadt in eine Karikatur einer Hauptstadt verwandelt… Mehr

Karl Napf
3 Jahre her

Personalstreit in Berliner SPD?
Ein Artikel ueber ein Selbstgespraech?

Rumtreten auf Minderheiten und aussterbende Arten ist nicht cool.

Lizzard04
3 Jahre her

Also dann demnächst Personen wie diese Chebli und ihre Parteigenossin Aydan Özoguz, für die es jenseits der Sprache keine deutsche Kultur gibt, als Vertreter der ehemaligen Arbeiterpartei im Bundestag. Bei diesen Leuten werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie ausschließlich ihre eigene Agenda verfolgen, nämlich über die Plattform einer Bundestagspartei die singulären Interessen von Minderheiten gegen die Mehrheit der hier schon länger Lebenden durchzusetzen. Daneben gibt es in dieser inhaltsleeren Partei noch eine große Gruppe, die Ämter und Posten ausschließlich als Selbstbedienungsladen sehen (Fra Bürgermeister und die AWO). Ach ja, dann war da noch der letzte peinliche Kanzlerkandidat, dem… Mehr

Tesla
3 Jahre her

Bei diesem Personalroulette kann einem aufmerksamen Wähler nur noch schlecht werden.

pongping
3 Jahre her

Parlamente als Verschiebebahnhof für submediokre Parteienschranzen.

Das System ist am Ende.

Wir brauchen ein Reset der Demokratie mit starker Regulierung der Parteien und mehr direktdemokratischen Elementen.

schwarzseher
3 Jahre her
Antworten an  pongping

Nein, nein! Das System ist nicht am Ende. Das sich selbst genügende und sich durch Postenschacher und Postenvermehrung bereichernde System ist erst am Anfang.

Franck Royale
3 Jahre her
Antworten an  pongping

Unbedingt.

Bis dahin sollte gelten: 1.) SPD-Eintritt erst nach 10 Jahren Feldarbeit möglich, 2.) Mandate als Abgeordneter nur wer mindestens 10 Jahre Steuern bezahlt hat.

Delegro
3 Jahre her

Wie sollen die Armen Politiker in Berlin und insbesondere in der SPD den bei diesen nervenaufreibenden Gedankenspielen über die Pöstchen noch Zeit für Politik für die Bürger finden. Wir verlangen aber auch viel zu viel von diesen „Experten“, „Finanzfachfrauen“, „Verteidigungsbeauftragen“ etc.pp. Als Personalleiter sage ich: Die größten „Nichtdeckungen“ zwischen Anforderungsprofil der Stelle (Amt) und Qualifikationsprofil (Politiker) gibt es nur in der Politik. Zuerst ist da ein Berufspolitiker mit Netzwerk und Bereitschaft alle charakterlichen Eigenschaft an der Parteitür abzugeben. Dann muss er verstehen, wenn er mögen „muss“ und wen er auf „Anweisung“ hassen soll. Bereitschaft seinen Kopf für andere hin zu… Mehr

StefanB
3 Jahre her

Wer den Artikel mit „geöffneten“ Augen liest, weiß, woran Deutschland gerade zugrundegeht. Dieser Ansicht sind inzwischen sogar den rotgrün strahlenden Tagesspiegel lesenden „alte weiße Männer“.

friedrich - wilhelm
3 Jahre her

…….toller sermon pro domo!

friedrich - wilhelm
3 Jahre her
Antworten an  friedrich - wilhelm

…….das war nicht gut gemeint!

Iso
3 Jahre her

Ich habe in dem ganzen Artikel keinen einzigen Namen gelesen, von dem ich auch nur annähernd begeistert bin, und kann mir nicht vorstellen, dass die es in einer Firma zum Filialleiter bringen würden. Über den Zusatnd dieses Landes muss man sich also nicht wundern. Es geht drüber und drunter.

Heimatland
3 Jahre her
Antworten an  Iso

doch, wenn man die Quote berücksichtigen muss, dann sicher, dann wird sogar eine Chebli Filialleiterin. Sie beweist doch tagtäglich wie qualifiziert sie ist.