Niederlande: Faszinierend falscher Fokus

Den Bewertungsmaßstab für verloren und gewonnen eben mal flott zu wechseln, um das gewünschte Medien-Bild zu erzeugen, ist Journalisten so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie es gar nicht mehr merken.

Dass die VVD mit einem klug agierenden Mark Rutte gewonnen hat, weil er nur acht Sitze verlor, ist ein akzeptabler Medien-Tenor. Dass Geert Wilders mit seiner PVV verloren hat, weil er hinter den eigenen und fremden Erwartungen zurückblieb, ist der berühmte Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. Äpfel und Äpfel wäre: Die VVD hat 8 Sitze verloren, die PVV 8 gewonnen. Die Grünen (GL) haben sich fast vervierfacht: von 4 auf 14. D66 haben von 12 auf 19 kräftig zugelegt. Womit die Ergebnisse von GL und D66 auch schon zeigen, wo die meisten Wähler hingingen, die sich von den Sozialdemokraten (PvdA) erdrutschartig abwendeten.

Journalisten und Medien wechseln also im fliegenden Galopp von einem Maßstab in den anderen, um das gewünschte Bild herzustellen.

Dass die Sozialdemokratie der Niederlande, die PvdA, der Totalverlierer ist, rücken die Berichterstatter fast in den Hintergrund. Von 38 Sitzen auf wahrscheinlich 9 – wie würden Sie das nennen? Nun, für mich zeichnen fünf Dinge die niederländischen Wahlen aus – als Signale nach ganz Europa.

1. Die lange bestimmende politische Kraft der sozialdemokratischen Bewegung, der einstigen Arbeiterparteien, befindet sich in völliger Auflösung. Ein besseres Abschneiden der SPD als vor dem PR-Coup Schulz alle erwarteten, wird politischen Strategen keinen Sand in die Augen streuen.

2. Eine Partei wird heute „größte“ genannt, die wenig über 20 Prozent der Stimmen erhält. Mathematisch ist das ja richtig, wenn die anderen weniger haben. Aber „große“ Parteien begannen lange bei 40 Prozent. Hinter der VVD, die – übliche Kennzeichnung „rechtsliberal“ – nie eine Volkspartei wie CDU oder SPD war, folgen drei Parteien mit 13 und 12 Prozent sowie weitere zwei mit 9, bevor die PvdA mit unter 6 kommt. Das ist die Perspektive für den Deutschen Bundestag, wenn das Bundesverfassungsgericht nach der Bundestagswahl 2017 die 5-Prozent-Hürde in Deutschland für verfassungswidrig erklärt.

3. Für die FDP sind die Niederlande eine Speziallektion, wo sie gelandet ist, weil sie weder den Weg der VVD noch den von D66 wagte.

4. Weit über die Speziallektion FDP hinaus: Es ist möglich als Partei wie die VVD Regierungsführer zu werden. Verpasste Chancen der einen sind die von anderen. Es ist kein Naturgesetz, dass Regierungen schwarz oder rot geführt sein müssen.

5. Die Moslem-Partei Denk kommt auf 2,1 Prozent. Bis sie eine Parallele in Deutschland und Österreich kriegt, kann nur eine Frage kurzer Zeit sein. Dann hätten sich Sozialdemokraten und Grüne, die auf diese Wählerschicht zielen, gewaltig verrechnet. Die türkischstämmigen Gründer von Denk kommen aus der PvdA.

Da will ich mir dann mein Ceterum Censeo nicht verkneifen: Ein echtes Mehrheitswahlrecht mit direkt gewählten Abgeordneten ohne Parteien-Filter ist zukunftsweisender.

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Kommentare ( 200 )

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Klarer
7 Jahre her

Und das ist der Sinn, das Prinzip der Art und Weise, wie Wahlen in der EU abgehalten werden: Daß andere herausgehalten, bzw. am Mitregieren gehindert werden! Das wird umsomehr dem Lande zum Verhängnis, je weniger sich die Parteien im Bundestag in wichtigen Fragen unterscheiden. Wir haben derzeit eine lupenreine Volkskammer, in die sich auch die FDP nahtlos einreihen würde, wie schon immer, wenn sie mitspielen durfte. Was also soll noch all das Gequatsche von Demokratie und liberaler Stimme, wenn es möglich ist und bleibt, daß 51 Prozent die Meinung von 49 Prozent unterdrücken und ignorieren, ja sie sogar terrorisieren können,… Mehr

fein_geist
7 Jahre her

Ihre durchweg realpolitische Einschätzung teile ich leider in Gänze Herr Börger. Lediglich einen Aspekt sehe ich nicht beleuchtet. Einen winzigen Funken chaostheoretischer Energie, der seitens Frankreich auf die EU wirken könnte wie das Referendum der Briten zum Brexit. Ich denke das die politisch unflexible Situation der einzelnen Nationalstaaten sehr über die EU in die Köpfe der Menschen wirkt. Wilders hatte sich zwei Feinde auf die Fahnen geschrieben, das dürfte ihn den Hals gekostet haben. Man mag den politischen Islam bekämpfen könne oder die sozialistische EU. Aber beides auf einmal, das mag ein Wunschtraum sein aber ein zu utopischer. Nicht das… Mehr

Marcel Börger
7 Jahre her
Antworten an  fein_geist

Danke für Ihre feingeistige, umfangreiche Antwort. Auch Sie haben meine volle Zustimmung. Natürlich ist die derzeitige EU erledigt, wenn Frankreich den Frexit macht. In einem anderen Kommentar habe ich schon geschrieben, daß wenn unsere pseudoliberalen Globalisierungsfreunde und Internationalisten es wirklich mit der EU gut meinen würden, sie vehement das Ausscheiden Deutschlands wenigstens aus dem Euro befürworten müßten. Der Euro ist weit überwiegend nur für die Deutsche Exportwirtschaft von großem Vorteil. Mit Deutschland im Euro haben gerade die Mittelmeeranreiner keine Chance auf wirtschaftliche Gesundung, sind durch sparen müssen und Lohn/Rentendeflation zum dauerhaften Siechtum verurteilt. Sollte Frankreich wirklich den Euro und/oder die… Mehr

Ragnarök
7 Jahre her

„Die Moslem-Partei Denk kommt auf 2,1 Prozent. Bis sie eine Parallele in Deutschland und Österreich kriegt, kann nur eine Frage kurzer Zeit sein.“ Am 26. Juni 2016 haben „Deutschtürken“ mit ausgewiesener ‚Erdogan-Affinität‘ eine neue Partei in Deutschland gegründet: die „Allianz Deutscher Demokraten„, kurz ADD ! ‚Dank‘ der lauten Verschwiegenheit unserer kanzleramtsgesteuerter Medien wissen wohl die wenigsten von dieser Parteigründung! Neben der Tatsache, dass diese Namensgebung in sich bereits eine ‚Produktfälschung‘ darstellt – es handelt sich hier NICHT um „Deutsche“, sondern um Türken mit deutscher Staatsangehörigkeit und muslimischen Glaubens – will ich einmal versuchen, diese ‚politisch gewollte‘ Entwicklung anhand von tatsächlichen… Mehr

Sören Hader
7 Jahre her
Antworten an  Ragnarök

Ich würde mal sagen, eine Partei, von deren Gründung die Öffentlichkeit kaum etwas mitbekommen hat und von deren Existenz kaum etwas weiß, hat nicht wirklich gute Chancen überhaupt nur im einstelligen Prozentbereich zu landen. 😉 Ich finde es übrigens lustig, dass man Migranten in Deutschland als politisch monolithischen Block ansieht.

Mit logischen Gruß
Sören

Pe Wi
7 Jahre her

Herr Börger, nein, Sie haben da etwas Falsches herausgehört. Ich habe den Kommentar ohne irgendwelche Hintergedanken geschrieben. Es ist letztendlich wirklich so, dass es niemanden in einem Jahr, ach was sage ich – im nächsten Monat -, interessiert, dass Herr Rutte so viele Stimmen verloren hat. Das zählt alles nicht. Er wird Regierungschef werden. Da finden sich schon genügend Hanseln, die an die Futtertröge wollen. Und für eine wirklich schlagkräftige Opposition hat eben Wilders ein bisschen wenig dazu gewonnen. Er ist sicherlich ein Wahlgewinner, aber nützen tut ihm das in der JETZIGEN Situation nicht allzuviel, mal ganz nüchtern ohne Emotionen… Mehr

Axel Graalfs
7 Jahre her

Sehr gute Analyse, Herr Börger. So sehe ich es auch. Die AfD hat keine Chance, das große Rad zu drehen und ist möglicherweise dafür auch noch nicht reif genug. Allerdings wird sie respektabel im Bundestag vertreten sein – je nach den Ereignissen, die uns bis September noch bevorstehen, eher knapp über 10 oder über 15 Prozent. Trotz der Feierstimmung in Redaktionsstuben und Parteivorständen hierzulande wegen jedes kleinen Faux-Pas von Trump und anlässlich der „Wahlsiege“ in den Ländern um uns herum über die „Rechtspopulisten“ bleibt festzuhalten: Deutschland und Europa wird konservativer – muss angesichts des zu weit in die andere Richtung… Mehr

Marcel Börger
7 Jahre her
Antworten an  Axel Graalfs

Seh ich genauso

aljoschu
7 Jahre her

Leider ist in Deutschland nur Eines sicher gegeben: Die Journaille und die etablierten Polit-Protagonisten können die Situation im Lande solange schönreden, umetikettieren und übertünchen – aber ihre eigene opportunistische Politik wird früher oder später zu der Verschärfung der Gegensätze im Lande führen, die ihre unweigerliche eigene Abschaffung zur Folge haben wird. Die Frage ist nur, ob sich zu dem Zeitpunkt, da dies geschieht, die verkorksten Verhältnisse noch einmal werden reparieren lassen.

Poco100
7 Jahre her

Die Arbeiter- und/oder Angelstelltenpartei war vor Jarhzehnten, defacto interessiert sich die SPD schon lange nicht mehr für Arbeiter usw.
Nur der kleine „Gewerkschaftshansel“ kann oder will dies nicht „kapieren“…..
Altes Denken oder Nostalgie….

Poco100
7 Jahre her

Leserforen machte ich auch bis letzten Sommer, dort wird aber mehr u. mehr überall zensiert….

HP HH
7 Jahre her

Anders ausgedrückt, wenn Jounalisten zu Aktivisten werden dann müssen sich sich auch gefallen lassen das da kräftig draufgehauen wird. Weniger Weinerlichkeit wäre angebracht.

Poco100
7 Jahre her

Das stimmt schon so ziemlich, entscheidend wäre aber ein echter u. sichtbar gewollter Kurswechsel oder eine Änderung d. gegenwärtigen Politik. Ich sehe da gar nichts u. da wird auch nach der Wahl nichts kommen. Man wird jeder für sich, mit den kommenden Veränderungen irgendwie „fertig“ werden müssen.
Klar, Ihre Analyse zur AFD stimmt. Wählte man die aber nicht, würde es erst Recht so weitergehen wie bisher, ich kann da nicht unbedingt nur Angst u. Unfähigkeit sehen, siehe die Aktivitäten von Maas u. Schwesig. Allein diese Sache….