NetzDG + Twitter – klick, klick, klick deinen Rechtsstaat weg

Um den Vorgaben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes von Heiko Maas und der GroKo zu folgen, hat Twitter jetzt einen virtuellen Klickgerichtshof eröffnet: Laien klicken den Rechtsstaat weg.

© Getty Images und Twitter

Heiko Maas (SPD), geschäftsführender Minister der Justiz, kann gerade mit maximaler Gelassenheit auf jenen Widerstand schauen, der sich parlamentarisch gegen sein Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) formiert. Denn wenn die sozialen Medien bereits vorpreschen im Sinne des NetzDG, wenn sie jetzt termingerecht der Aufforderung nachkommen, bis zum 1. Januar ein Beschwerdesystem im Sinne des NetzDG vorzulegen, wie es aktuell der Mikrobloggingdienst Twitter tut, dann werden Tatsachen geschaffen, die völlig unabhängig von Gesetzesänderungen des deutschen Bundestages einfach weiter bestehen bleiben werden.

Gutes Signal
FDP beantragt Aufhebung des NetzDG
Die FDP beispielsweise hatte noch vor den Wahlen angekündigt, sie wolle dafür kämpfen, dass das Social-Media-Zensurgesetz das am kürzesten gültige Gesetz der Bundesrepublik sein werde. Aber was nutzt das, wenn längst installiert ist, was später gekippt wird? Zwar haben jetzt FDP, Linkspartei, und AfD jede für sich im Bundestag klargestellt, das NetzDG ganz oder teilweise kippen zu wollen, aber Einigkeit sieht anders aus. Noch mehr, wenn auf jedem sich anbietenden Nebengleis immer auch betont werden muss, wie meilenweit man von der AfD entfernt stehe. Klar, wer wie die Abgeordnete der Linkspartei, Christine Buchholz, die AfD-MdBs „rassistisch, nationalistisch und militaristisch“ schimpft, der verbraucht viel zu viel davon, was man für einen synchronisierten langen Atem bräuchte, um solche Unsäglichkeiten wie das NetzDG tatsächlich zu Fall zu bringen. Die Grünen stehen gleich außen vor. Ihre ambivalente Haltung zum NetzDG war geprägt worden vom Willen mitzuregieren und Enttäuschung, als die Jamaika-Sondierungen platzen.

Was Wikipedia damit zu tun hat
Das NetzDG als Kapitulation des Rechtsstaats muss weg
Twitter startet nun also fristgerecht sein Meldesystem. Das Ergebnis ist eine juristische Multiple-Choice Fragestellung, die jeden Nutzer potenziell zum Richter macht. Wer Inhalte melden will, muss die juristische Einordnung selbst vornehmen. Kein einfaches Verfahren, welches Twitter sich da ausgedacht hat: Zusätzlich installiert im Twitter-Kummerkasten „Probleme melden“ wurde jetzt die Auswahlfläche „Fällt unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz“. Wer hier klickt, wird auf der nächsten Ebene geschoben um seine Beschwerde im Sinne des NetzDG weiter zu spezifizieren. Ist es Hass schürend? Gar sexueller Missbrauch von Kindern? Ist es ein Fall von Terrorismus oder Fälschung? Klick, klick, klick.

Wählt der Beschwerdeführer nun aus, was er glaubt, gelesen oder gesehen zu haben, werden ihm von Twitter die entsprechenden Gesetze zum Nachlesen präsentiert. Netzpolitik.org schreibt dazu: „Wählt jemand zum Beispiel „Beleidigung“ aus, bekommt er vier Paragrafen genannt, aus denen er dann wieder auswählen muss. Es ist davon auszugehen, dass für viele der Unterschied von Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede nicht eindeutig ist.“

Weil das so ist, studiert man Jura, installiert diese Gesellschaft ein aufwändiges Rechtssystem mit Anwälten, Staatsanwälten, Gerichten, Obergerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Aber das alles brauchen wir nicht mehr. Der neue Rechtsstaat von Union und SPD funktioniert nach dem Muster: Ich denunziere und suche mir einen Paragraphen dazu, klick – klick – klickklickklickklick. So richtet man einen Rechtsstaat zugrunde.

Screenprints: Twitter

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Kommentare ( 64 )

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Harald Walentin
6 Jahre her

Also, diesen Quatsch namens Twitter nutze ich nicht, genauso wenig wie ein Smartphone. Und auf Facebook bin ich grundsätzlich unter Pseudonym unterwegs, genau wie fast überall im Internet.

Wenn Facebook meint meinen Namen kennen zu müssen, lege ich einfach einen neuen Account unter neuem Namen an, Fertig. Das habe ich schon mehrmals gemacht. Einfach die IP-Adresse ändern (Router einige Zeit vom Netz trennen), dann fällt es nicht weiter auf.

Doris die kleine Raupe Nimmersatt
6 Jahre her

Ich gehe davon aus, dass Twitter die Accounts der Personen, die eine solche Meldung „klicken“ speichert. Damit dürfte es dann ein Leichtes sein, in einigen Jahren, diejenigen, die falsche Anschuldigungen erhoben haben, gerichtlich zu verfolgen.

Darauf freue ich mich 🙂

Friedrich - Wilhelm
6 Jahre her

wieso sind alle auf facebook, twitter und co. angewiesen? ich bin es nicht und komme kommunikativ gut zurecht. somit hilft meiner kritik kein netzwerkdurchsetzungsgesetz
ab! sollte ich gesperrt werden, kratzt mich das nicht und werde ich angeklagt, setze ich mich gerichtlich durch! also wo ist das problem?

Gero Hatz
6 Jahre her

Mielke und Honnecker hätten sich die Finger nach so einer Gesetzgebung geleckt. Wir sind nun ohne jeden Zweifel in der DDR 2.0 angekommen. Aber wir sollten auch nicht vergessen, dass das Model 1.0 im Jahre 1989 von einer etwas ärgerlichen Bevölkerung hinweggefegt wurde.

Heiko, dies ist eine Meinungsäusserung im Sinne des Artikel 5 des GG

T.Cline
6 Jahre her

Süß wie hier vorgeschlagen wird das System zu fluten.
Was glauben die Leser eigentlich wozu Geisterwissenschaften da sind?
Die bekommen ihre Creditpoints dafür.
Ob’s nun auf Facebook & Twitter ist, oder die Editwars auf Wikipedia.

Hen P
6 Jahre her

185StGB Beleidigung, 186 StGB Üble Nachrede, 187 StGB Verleumdung, 188 StGB Üble Nachrede in Verbindung mit Verleumdung von pol. Personen.
Jetzt richtig tippen, der Zensur-Sechser kommt bestimmt. Wer heute Zensor tippt, wird morgen der zensur anheim fallen. So geht moderner Sta.i St.at. Oder etwas nicht?

Jens Frisch
6 Jahre her

Eines möchte ich zu bedenken geben: Wenn ich mir die Urteile des vergangenen zwei Jahre so anschaue – inkl. des Urteils des BVerG zum ESM – kann ich nicht umhin daran zu zweifeln, ob unsere „Juristen“ nicht mittlerweile auf dem Niveau dieser Natz“aktivisten“ angekommen sind.
Dass das NetzDG gegen den GG Art. 5 verstößt, liegt sowieso auf der Hand!

Ákos Sziget
6 Jahre her

Man kann so einiges wegzensieren lassen. Wenn Sie z.B pro Israel sind und Muslime kritisieren, kann es gut sein, dass Ihr Account bei FB aufgrund der Meldezahl Linker und Moslems für einen Monat gesperrt wird. Ähnliches ist mir neulich wegen einer ungehaltenen Antwort auf ein Video passiert, das offenen Judenhass, auch von moslemischen Kindern, auf einer Demo in D zeigte. Islamische Hetzseiten und -posts gegen unsere Gesellschaft werden nicht gelöscht. Da gab es z.B. mal die Seite eines radikalen, hier ansässigen Moslems, der sich im Profil mit einer AK-47 zeigte und u.a. seine gesammelten Waffen zeigte sowie ein Comic, auf… Mehr

Babs
6 Jahre her

kurz gedacht Herr Maas, indem ich eine Meinung nicht akzeptiere und wegklicken lasse ist sie noch lange nicht weg. Glaubt der wirklich das man Meinungen so entfernen kann.

AlNamrood
6 Jahre her
Antworten an  Babs

Es dürfe mehr dahinter stecken. Leuten würden schon die Wohnung durchsucht nur wegen Facebook. Man versucht vermutlich unliebsame „Aufwiegler“ zu finden.

Norri
6 Jahre her

Vor einer oder zwei Wochen las ich, dass Feministinnen der radikalsten Sorte sich beschwerten, dass weiße, heterosexuelle Männer diese Funktion nutzen können, um jene selbst der Hatespeech zu zeihen.

Und wieder schnallen manche nicht, dass solche Gesetze in zwei Richtungen funktionieren.