Tichys Einblick
Plötzlich Milliarden für Pandemie-Vorsorge

Merkels Regierung muss Corona-Versäumnisse einräumen

Das aktuellen Koalitionspapier macht zwar mit viel Steuergeld „Wumms“, dokumentiert aber am Ende vor allem das Versagen der Bundesregierung bei der Abwehr einer Pandemie zum Schutz der Bürger.

imago/photothek

Die staatstragenden Medien kommen aus dem Jubel über die von ihrer Regierungskoalition beschlossenen Hilfsmaßnahmen nicht heraus. Zu gut klingt die Überschrift des 57-Punkte-Programms von Angela Merkels großen Koalition vom 3. Juni 2020: Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken. Na klar, 130 Milliarden Euro unter Wirtschaft und Volk streuen, hat absolut nichts mit dem Hinweis von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zu tun: „Wir können das Geld nicht mit vollen Händen ausgeben.“

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Da kann man schon einmal über die Versäumnisse der Lieblingskanzlerin hinwegsehen. Auf den Internetseiten der sogenannten Qualitätsmedien findet sich so gut wie kein Hinweis auf die wichtigen Punkte 50 bis 54 ganz am Ende des Koalitionspapiers unter der Überschrift „Das Gesundheitswesen stärken und den Schutz vor Pandemien verbessern“. Denn so weit mag wohl kaum ein Journalist lesen. Ergo – erneut ein klassischer Fall von Lückenpresse. Schließlich müsste hier die große Koalition ihr Versagen einräumen, was sie alles zur Abwehr einer Pandemie versäumt und wie sie ihr Land dafür nicht gerüstet hat.
Bundesregierung seit 2012 im Pandemie-Tiefschlaf

Denn die Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel (CDU) war vor einem solchen weltweiten Pandemiefall schon vor acht Jahren explizit gewarnt worden. Warum aber hat die Kanzlerin Deutschland auf eine solche Pandemie nicht vorbereitet, obwohl das Bundesgesundheitsministerium in ihrer Regierungszeit einen „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ veröffentlicht hat? In dieser Studie unter fachlicher Federführung des Robert Koch-Instituts und Mitwirkung weiterer Bundesbehörden wurde die Gefahr sowie die Folgen durch die Einschleppung eines modifizierten SARS-Virus aus Asien – wie jetzt geschehen – detailliert beschrieben.

Pandemiepläne, Erkrankungswellen, Bevölkerungsschutz, Überlastung des Gesundheitssystems, Versorgungsausfälle, Schutzausrüstungen, Desinfektionsmittel, Impfstoffe oder Sicherung wichtiger Infrastrukturen – alles wird erwähnt.

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Der damalige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat schließlich diese Risikoanalyse nicht privat gemacht, und dann auf Papier mit seinem Dienstbriefkopf versehen. Nein, es war eine höchst offizielle Analyse, die am 3. Januar 2013 in der Bundestagsdrucksache 17/12051 veröffentlicht wurde. Doch diese im Jahre 2012 durchgeführte Risikoanalyse eines aus Asien eingeschleppten „Virus Modi-SARS“ inklusive einer Pandemie-Simulation blieb ohne Konsequenzen.

Laut Informationen von FDP-Bundestagsabgeordneten, die anders als Mainstream-Journalisten zumindest intern nachfragten, hätten sich Bund und Länder in der Zeit nach 2013 nicht auf die geforderten Maßnahmen der Risikoanalyse zur Abwehr einer Pandemie verständigen können. Die Kosten waren ihnen einfach zu hoch. „Die daraus folgenden strategischen Überlegungen wurden offenbar nach dem Ausscheiden der Freien Demokraten aus dem Deutschen Bundestag nicht weiter verfolgt. Deshalb fehlen bis heute noch Mundschutz-Masken und andere medizinische Ausrüstungsgegenstände“, kritisierte FDP-Fraktionsvize Michael Theurer Merkels Corona-Management in einem Brief an seine Abgeordneten.

Über die Risikoanalyse von 2012 hat die Presse kaum und die öffentlich-rechtlichen Propagandamedien gar nicht ihre Leser, Zuhörer und Zuseher aufgeklärt. Deswegen gibt es wohl auch keinen Grund, während einer laufenden Corona-Krise den Punkt „Schutz vor Pandemien verbessern“ im aktuellen Koalitionspapier hervorzuheben.

Plötzlich sind Milliarden für den Gesundheitsschutz da

Allerdings spielen heute gedrucktes Geld oder höhere Staatsschulden keine Rolle mehr. Da es zu Beginn der Pandemie in Deutschland katastrophale Zustände bei der Versorgung und den Vorräten von Schutzkleidung, Schutzmasken, Desinfektionsmitteln, Medikamenten und Beatmungsgeräten für Kliniken wie Arztpraxen gab und teilweise noch gibt, ist jetzt Merkels Bundesregierung aus ihrem Pandemie-Tiefschlaf seit 2012 aufgewacht. Die Koalition hat nun unter Punkt 54 festgestellt:

„Im Falle einer Epidemie steigt kurzfristig der Bedarf an medizinischer Schutzausrüstung. Neben der zusätzlichen Produktion kommt der vorausschauenden Bevorratung eine wichtige Rolle zu. Der Bund wird eine nationale Reserve an persönlicher Schutzausrüstung aufbauen. Dies muss jedoch auch dezentral in den medizinischen Einrichtungen und beim Katastrophenschutz der Länder erfolgen. Dies soll gesetzlich verankert werden. Der Bund wird die entsprechende Erstausstattung finanziell unterstützen.“

Dafür wird anders als 2013 plötzlich ein Finanzbedarf von einer Milliarde Euro locker gemacht.

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Genauso plötzlich will sich Merkels Regierung in Punkt 52 nicht mehr von chinesischen oder indischen Schutzausrüstungs- und Medikamenten-Produzenten abhängig machen. Auch hier ist auf einmal eine Milliarde Euro vorhanden – denn:

„Die Koalition strebt an, dass Deutschland im Bereich von medizinischer Schutzausrüstung, der Herstellung von Wirkstoffen
und deren Vorprodukten sowie in der Impfstoffproduktion über größere Kapazitäten und mehr Unabhängigkeit verfügt. Daher wird ein Programm zur Förderung der flexiblen und im Falle einer Epidemie skalierbaren inländischen Produktion wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte aufgelegt.“

Krankenhäuser in der Provinz sind plötzlich wichtig

Ein weiteres Regierungseingeständnis und eine gute Nachricht für die Interplattform „Kliniksterben.de“ folgt unter Punkt 51. Erst wollte die Politik Krankenhäuser in der Provinz reihenweise dicht machen oder die Schließung durch Krankenhauskonzerne einfach hinnehmen. Jetzt haben Merkel und ihr Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf einmal die Bedeutung und Qualität des breit aufgestellten deutschen Gesundheitssystems entdeckt. Für ihre plötzliche Erkenntnis hat die Koalition in schier endlosen Sätzen unter Punkt 51 formuliert:

„Die Patientenversorgung in Krankenhäusern spielt für die Bewältigung der Corona- Pandemie eine große Rolle. Deshalb ist eine modernere und bessere investive Ausstattung der Krankenhäuser in Deutschland absolut notwendig. Deshalb wird ein „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ aufgelegt, aus dem notwendige Investitionen gefördert werden, sowohl moderne Notfallkapazitäten (räumlich wie in der investiven Ausstattung), als auch eine bessere digitale Infrastruktur der Häuser zu besseren (internen und auch sektorenübergreifenden) Versorgung, Ablauforganisation, Kommunikation, Telemedizin, Robotik, Hightechmedizin und Dokumentation. Ferner sollen Investitionen in die IT- und Cybersicherheit des Gesundheitswesens, die gerade in Krisenlagen noch bedeutsamer ist, und Investitionen in die gezielte Entwicklung und die Stärkung regionaler Versorgungsstrukturen, sowohl für den Normalbetrieb wie für Krisenzeiten konzeptionell aufeinander abgestimmt, zum effizienten Ressourceneinsatz aus dem Programm unterstützt werden.“

Gut drei Milliarden Euro lässt der Bund dafür jetzt springen.

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Natürlich gibt es auch mehr Geld für die Impfstoffentwicklung. Denn: „Die Corona-Pandemie endet, wenn ein Impfstoff für die Bevölkerung zur Verfügung steht“, meint die Bundesregierung im Punkt 53. „Dazu werden bestehende Programme zur Impfstoffentwicklung aufgestockt und neue Initiativen und Forschungsnetzwerke gefördert, insbesondere zu viralen Erkrankungen mit epidemischem oder pandemischem Potential (Emerging Infectious Diseases).“
750 Millionen Euro lässt sich der Bund das Impfprogramm kosten.

Ja, und warum erfährt der Gebührenzahler und Finanzier öffentlich-rechtlicher Anstalten wie ARD, ZDF und ihren angeschlossenen Rundfunkanstalten nicht an vorderster Stelle von diesen Eingeständnissen und Nachholbeschlüssen seitens der Bundesregierung? Der Beitragszahler hört stattdessen nur von Milliarden Euro, die für reduzierte Mehrwertsteuern, Wirtschaft, Kommunen oder Kindergeld bereitstehen.

Zu dieser Presse-Arbeitsweise passt die Standard-Antwort eines altgedienten SFB-Kollegen über Berichte von DDR-Medien vor dreißig Jahren: „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“

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