Maas bräuchte für Zensurgesetz schon gesetzgeberischen Gewaltakt

Es war beschämend für den Justizminister, als während der Anhörung bekannt wurde, dass sich Weißrussland ausdrücklich für sein Zensurgesetz interessiere und Gleichartiges auch von anderen Ländern, “die keine lupenreinen Demokratien sind” berichtet wird.

© Steffi Loos/Getty Images

Wenn man nach drei Stunden Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz (vulgo: Zensurgesetz) eine Prognose wagen soll, kann diese nur lauten, dass es sich um eine offenkundig verfassungswidrige Totgeburt handelt. Sieben von zehn Sachverständigen erklärten das Gesetz in seiner aktuellen Fassung für verfassungswidrig – “verfassungswidrig, europarechtswidrig”, “schwerwiegendes Grundrechtseingriffe denkbar”, “Das Gesetz wird in Karlsruhe scheitern. Das Bundesverfassungsgericht wird seine Rechtsprechung nicht von Netzwerkdurchsetzungsgesetz faktisch einebnen lassen”, “Facebook wird gedrängt, Richter über die Meinungsfreiheit zu sein, ohne dass dies rechtsstaatlich begleitet wird. Das Gesetz bedroht die Meinungs- und Pressefreiheit”, “ausdrückliche verfassungsrechtliche Bedenken”, “nicht verfassungsgemäß”.

Das Gesetz ist irreparabel. Es war beschämend für den Justizminister, als während der Anhörung bekannt wurde, dass sich Weißrussland, Europas letzte Diktatur, ausdrücklich für sein Zensurgesetz interessiere und Gleichartiges auch von anderen Ländern, “die keine lupenreinen Demokratien sind” berichtet wird. Das ist das Spannungsfeld, in dem sich Heiko Maas bei seinem Kampf gegen sogenannte Hetze bewegt. Die geäußerten Anregungen und Bedenken aus dieser Anhörung sind bis zum Ende der nächsten Woche, der letzten Sitzungswoche in dieser Legislaturperiode, unter keinen Umständen sorgfältig zu prüfen und in einen geänderten, verfassungsgemäßen Entwurf einzuarbeiten. Die CSU ist dem Vernehmen nach mittlerweile fast komplett gegen das Gesetz.

Ohne einen aus der Bundesregierung über die Fraktionsvorsitzenden gegenüber den Abgeordneten ausgeübten parlamentarischen Gewaltakt ist das Gesetz tot. Und jetzt kommt der Haken: Dieser Regierung und insbesondere der Regierungschefin traue ich auch einen solchen Schritt ohne weiteres zu.

Colorandi causa: Die Ausschußvorsitzende Renate Künast (Grüne) hat die öffentliche Sitzung professionell und fair geleitet. Die Abgeordneten machten, mit einer Ausnahme, soweit sie sich zu Wort meldeten, einen mit der Sache vertrauten Eindruck.

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Kommentare ( 63 )

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63 Comments
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Johann Busch
6 Jahre her

Kürzlich erreichte mich, ca. 3 Wochen nach Anfrage, die Stellungnahme eines SPD-Abgeordneten (Direktmandat in einem Wahlkreis in NRW).

Das Schreiben ist zusammengesetzt aus Teilen bekannter Fraktionserklärungen und scheinbar eigenen Formulierungen – der Satz, der mir am bemerkenswertesten erscheint:

„Allerdings endet für mich im Zweifel die Meinungsfreiheit da, wo die Würde des Menschen beginnt.“

Erscheint nur mir diese Formulierung befremdlich?

Marco Mahlmann
6 Jahre her

Der Bundestag wird das Gesetz ohne Änderung beschließen, und Karlsruhe macht gar nichts. Der Bundestagswahlkampf findet mit dem regierungsamtlichen Rotstift statt, und Presse und Gutgläubige applaudieren.
Wo soll denn die Hoffnung herkommen, daß das Gesetz nicht kommt? Hat sich Maas nicht hinreichend als resistent erwiesen gegen juristisch sachverständige Kritik? Hat der Bundestag nicht schon seit Jahr und Tag alles widerspruchslos durchgewunken, was die Regierung vorgelegt hat?

Drnik
6 Jahre her

Die größte Mutti aller Zeiten lässt andere das machen, was sie – aus Gründen der Buchstaben CDU – nicht so offensichtlich machen möchte, aber insgeheim stoisch verfolgt. Wenn es schief geht, dann trifft es eben ein Bauernopfer (Minister oder Staatssekretär). Glaubt jemand hier in diesem Land, dass Mutti jemals abtreten oder sogar abgewählt wird? By the way. lebt Frau Honecker noch?

Discus
6 Jahre her

Wie konnte jemand mit so elementarer rechtsstaatlicher Unkenntnis
ein juristisches Staatsexamen bestehen?

Quelle: Henryk M Broder „Das ist ja irre! Mein deutsches
Tagebuch 2015“

https://www.youtube.com/watch?v=naHOjpZ2cQM

Luisa
6 Jahre her
Antworten an  Discus

Danke. Ich hatte Freude an diesem humorlosen Tag. Gute Nacht Discus.

Dozoern
6 Jahre her

Und die Mainstreammedien versagen wieder einmal komplett. Bis auf wenige Ausnahmen ebenen sie diesem rechtswidrigen Verhalten der Groko unter Merkel durch ihre Unterwürfigkeit den Weg.

Wolfgang Wegener
6 Jahre her

Das dieses Gesetz vom BVerfG gekippt wird, davon bin ich fest überzeugt. Soviel Vertrauen habe ich da schon noch. Nur das wird sicherlich erst nach der Wahl passieren. Und bis dahin wird FB vorsichtshalber alles löschen, was auch nur entfernt nach Kritik an den herrschenden Parteien aussieht, nehme ich mal an. Das sind doch Panikaktionen eines Justizministers der SPD. Die sog. etablierten Parteien sind soeben in Frankreich und in Österreich pulverisiert worden. Das wird wohl auch noch bei uns so kommen, wenn wir mal eine charismatische Person hätten, die das außerparlamentarisch angehen würde. Dabei darf es dann allerdings nicht um… Mehr

HedwigM
6 Jahre her

Wenn dieses Gesetz tatsächlich kommen sollte, was ja leider nicht auszuschließen ist, wird es letztlich seine Ziele verfehlen. Denn die sozialen Netzwerke lassen sich nicht vollständig kontrollieren, es kann nicht alles gelöscht werden, was gegen den politischen Mainstream geht. Und selbst die gelöschten Inhalte finden sich wieder, es gibt Querverweise auf andere Foren, die sich der Überwachung entziehen. Der Geist ist aus der Flasche!!

VU
6 Jahre her

Rücktritt!

Kommentare-zuerst-Leser
6 Jahre her

Es könnte vielleicht Mitbürger geben, die ganz energisch gar fast der Meinung sein könnten, daß über den für diese Gesetzesvorlage hauptverantwortlich Zeichnenden mittlerweile nun aber wirklich viel zu viele – sagen wir mal freundlich ice-buckets – ausgeleert wurden und welche sich langsam genötigt fühlen könnten, einen Hauch von Mitleid mit eben jenem ohne Zweifel höchstbrillanten Prädikatsjuristen zu empfinden. Wie gesagt: es könnte. Seien Sie also doch nun mal bitte noch etwas empatischer, schließlich war jener doch auch immer stets bemüht es gut gemeint zu haben! Das sollte, bei aller kleinteiliger Kritik, wirklich immer positiv hervorgehoben werden. Man kann schließlich auch… Mehr

bfwied
6 Jahre her

Aus einem Postkartenmaler und Gefreiten wurde auch mal ein Ungeheuer-Diktator und aus einem kleinen Psychologen ein Demagoge des Wahnsinns! Und …! Man könnte seitenweise schreiben!

Mathias-Andreas Thomä
6 Jahre her

Ich möchte wetten, dass das Gesetzt trotzdem durchgedrückt wird. Die Meinungsfreiheit ist schon längst eine Illusion in Deutschland..