„In höchstem Maße irritierend“: Behörden als Fluchthelfer für Helfershelfer von Anis Amri?

Würde sich bestätigen, dass der Staat das Attentat vom Breitscheidplatz wider besseres Wissen aus politischen Gründen als Einzeltat deklarierte, dann wäre das ein echter Skandal, der notwendigerweise politische Folgen haben müsste.

© Michele Tantussi/Getty Images
A crushed Christmas tree lays on the ground beside debris after a lorry truck was ploughed through a Christmas market on December 19, 2016 in Berlin.

Was für ein Vorwurf, welch ein Skandal, wenn sich über zwei Jahre nach dem islamistischen Mordanschlag an der Berliner Gedächtniskirche im Rahmen zweier Untersuchungsausschüsse der ungeheure Verdacht erhärten könnte, dass ein Helfershelfer Anis Amris unter aktiver Mithilfe deutscher Behörden außer Landes geschafft wurde, wenn in einem Land, dass sich als unfähig erwiesen hat, hunderttausende rechtskräftige Abschiebungen zu voll ziehen, ausgerechnet jene gelingt, die einen zwölffachen Mord vertuschen helfen könnte. Der Staat in äußerster Not. Das Rechtssystem am Boden?

Nein, für die Angehörigen der zwölf Todesopfer und über fünfzig Verletzen des Attentats vom Breitscheidplatz spielt es keine herausragende Rolle mehr, ob der Täter Helfershelfer hatte oder welcher islamistischen Terrorzelle er letztlich angehört haben mag, als am 19. Dezember 2016 der aus Tunesien stammende Terrorist Anis Amri einen gestohlenen Lastkraftwagen in die Besucher des Weihnachtsmarktes an der Gedächtniskirche steuerte mit der Absicht, möglichst viele Menschen zu ermorden. Wenige Tage später wurde Amri in Italien bei einer Personenkontrolle erschossen.

Bis dahin soll Amri mit mehr als einem dutzend Identitäten von Oberhausen bis Dortmund, von Neuss bis Berlin Sozialleistungen beantragt und immer wieder auch Leistungen erhalten haben. Schon kurz nach seiner Ankunft in Deutschland, soviel weiß man heute, hatte Anis Amri Kontakt aufgenommen zum salafistisch, dschihadistischen Netzwerk rund um den in Hildesheim tätigen Hassprediger Abu Walaa. Der aus dem Irak stammende Walaa wurde kurz vor dem Attentat Amris von der Polizei festgenommen und unter Anklage gestellt. Ihm wird die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen, vier weitere Angeklagte stehen als Unterstützer vor Gericht.

Nun ist das Attentat vom Breitscheidplatz ziemlich schnell von den Ermittlungsbehörden und den Medien als Tat eines einzelnen Verrückten erzählt worden. Erst 24 Monate später titelte beispielsweise der Tagesspiegel: „Die Erzählung vom Einzeltäter Anis Amri bröckelt.“ und die Welt schrieb ebenfalls Ende 2018: „Anis Amri gilt als Einzeltäter. Beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz soll es keine Helfer oder Mitwisser gegeben haben.“ Aber dann fragt das Blatt weiter: „Doch warum hat eine Gruppe Berliner Islamisten kurz zuvor Deutschland verlassen?“

Bis dahin war die unfassbare Tat auch laut Darstellung der Bundesanwaltschaft die eines Einzeltäters. Anis Amri sei jemand gewesen, „der seine Tat konspirativ plante, niemanden einweihte und keine direkten Helfer hatte.“

Mittlerweile werden die Indizien für weitere Helfer und gruppenmäßige Strukturen allerdings immer erdrückender, ebenso wie die Arbeit der Regierung und der Ermittlungsbehörden immer mehr ins Zwielicht gerät, wie der Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Berliner Anschlag am Weihnachtsmarkt (ja, den gibt es noch) gerade unter größtmöglichen Irritationsbekundungen einiger Ausschussmitglieder feststellen musste, wenn die Innenexpertin der Grünen, Irene Mihalic, im ARD-Morgenmagazin von neuesten Erkenntnissen erzählt, die „in höchstem Maße irritierend“ seien.

Genauer geht es um die Abschiebung eines Tunesiers wenige Wochen nach dem Attentat, obwohl man wusste, dass der Mann ein Helfershelfer Anis Amris gewesen sein soll. Jedenfalls befindet Mihalic als Obfrau im Untersuchungsausschuss, das Bilal B.A., so der Name des Tunesiers, ein „enger Vertrauter“ Amris gewesen sein soll, eine “Schlüsselfigur“, die abgeschoben wurde, „bevor er richtig zu dem Fall befragt werden konnte“.

Der Bekannte bzw. mutmaßliche Mittäter Amris soll nun vernommem werden, bestenfalls im Ausland, damit er nicht wieder nach Deutschland einreisen kann, nachdem er laut Auskunft der Welt eine Widereinreisesperre für den gesamten Schengenraum erhalten hatte. „Wie aus dem Ausschuss verlautete, ist eine Mehrheit der Mitglieder für einen entsprechenden Beweisbeschluss. Offen ist aber noch, ob Bilal B.A. in Berlin oder im Ausland vernommen werden soll.“

Der Bundesinnenminister ließ bereits verkünden, er wolle die umstrittene Abschiebung des Bekannten des Attentäters untersuchen lassen. Das mag ihm auch deshalb leichter fallen, weil diese Abschiebung noch unter seinem Vorgänger Thomas de Maizière vollzogen wurde, also in dessen Verantwortung lag. Und nicht vergessen dürfen wir hier, dass Seehofer noch eine Rechnung offen hat mit de Maizière, der Seehofer gerade erst bescheinigte, der Bayer hätte ihm gegenüber verbal „die politisch zulässige Grenze“ überschritten.

Welche Grenze wie weit nun allerdings das Innenministerium unter de Maizière überschritten hat und was das für Auswirkungen hätte, wenn sich bestätigen würde, dass der Staat das Attentat vom Breitscheidplatz wider besseres Wissen aus politischen Gründen als Einzeltat deklarieren wollte, dann wäre das ein echter Skandal, der notwendigerweise politische Folgen haben muss.

Eine Sprecherin des Innenministeriums befeuerte diese Lesart dann noch, als sie laut Welt bekannt gab: „Fest steht (.), dass die Strafverfolgungsbehörden der Abschiebung damals auch vorab zugestimmt haben.“ Der Focus ging sogar noch weiter und behauptete, die Abschiebung sei sogar deshalb erfolgt, „um den Mann vor Strafverfolgung zu schützen.“

Zwei von einander unabhängige Untersuchungsausschüsse beschäftigen sich aktuell mit dem Fall: einer im Bundestag und einer im Berliner Abgeordnetenhaus. Im Bundestagsausschuss wurde nach Angaben des Parlaments gerade ein Zeuge befragt, der angeben haben soll, schon 2015 die Polizei und das Sozialamt darüber informiert zu haben, das Amri ein gefährlicher Islamist sei.

Der Spiegel hingegen verbreitete noch im April 2017 die aus neuerer Sicht offenbar von der Politik gewünschte und jetzt mutmaßlich falsche Einzeltäterthese: „Er tötete zwölf Menschen und verletzte Dutzende – jetzt ist klar: Anis Amri handelte bei seinem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz offenbar allein.“ Weiter berichtete der Spiegel damals: »Verantwortlich für all das war offenbar Amri allein. Das teilte die Bundesanwaltschaft jetzt mit. Nach derzeitigen Erkenntnissen stelle sich der Anschlag als Akt eines „Einzeltäters“ dar. Es gebe keine weiteren Anhaltspunkte, dass „weitere in Deutschland ansässige Personen in die Tatvorbereitung oder die Tatausführung eingebunden waren.«

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Kommentare ( 102 )

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Bauzaunversteher
5 Jahre her

Wie sagte doch so schön ein Zeitzeuge, dieses Land kann man mit einem gelenkten Staatsfunk und der Zeitung mit den vier Buchstaben locker Regieren. Heute nennt man so etwas Framing und Fake News, wie sonst könnten sich die Verantwortlichen aller Parteien so lange im Amt halten.

Delion Delos
5 Jahre her

Ich habe mir eben die Zeit genommen und mir das Video Teil I angeschaut. Mir scheint, dass hier hinter jedem Balken oder Schild etc. eine Verschwörung vermutet wird. Aus welchem Grund sollte man denn so einen Anschlag erfinden sollen? Und was ist dann mit den diversen Zeugenaussagen? Der Eisenpoller ist zwar massiv, aber das Nummernschild muss dennoch nicht verbogen sein, denn es liegt ein Stück zurück und wird vom Poller gar nicht erfasst. Der Kühlergrill des LKWs dagegen befindet sich an der Front und ist mit Sicherheit so stark, dass er den Poller umlegt, ohne dabei selbst beschädigt zu werden.… Mehr

teufelsknecht
5 Jahre her
Antworten an  Delion Delos

den“starken“ Kühlergrill eines LKW`s , der einen Metallpflostenrammstoß spurlos übersteht gibt es nur in der Fiktion.“ Stoßstangen“ werden gezielt verformbar geplant und gebaut.

Delion Delos
5 Jahre her

„…dann wäre das ein echter Skandal, der notwendigerweise politische Folgen haben müsste.“
Ach was. Das sitzen unsere Alt-Politiker doch locker aus. Das mit den Konsequenzen war gestern. Heute sind Dickfelligkeit, Dreistigkeit, Abgehobenheit angesagt.
Heute wird mal eben mehrfach die Verfassung gebrochen und das Volk belogen, dass es nur so kracht. Unrechtsbewusstsein ist out.
Hartnäckiges Lügen und Ignorieren des Volkswillens sind in.

MartinS
5 Jahre her
Antworten an  Delion Delos

Die Verfassung wurde schon immer gebrochen, eigentlich seit bestehen der Bundesrepublik und oft genug um nicht zu sagen immer mit dem Segen des BVG. Nur nicht so oft in so kurzer Zeit.

MFK
5 Jahre her

Offensichtlich scheint es ja bei den Ermittlungsbehörden noch einige Anständige zu geben. Anders lässt es sich nicht erklären, dass Informationen an die Presse, insbesondere Focus, weitergegeben wurden. Hieraus stellen sich ganz konkrete Fragen: Über die Opfer des Anschlags gibt es ohnehin schon wenige Informationen. Scheinbar gibt es ein Opfer, welches noch heute im Koma liegt, weil es am Breitscheidplatz mit einem Kantholz niedergeschlagen wurde. Gibt es ein solches Opfer und wenn ja, wer hat ihn niedergeschlagen? Aus welchem Motiv heraus hat der Täter das Opfer niedergeschlagen. Wie kommt es, dass der Täter am Anschlagort war? War das bloß Zufall, kannte… Mehr

Stefan Tanzer
5 Jahre her

Es gibt in Deutschland kein Haftunsprinzip für Politiker.
Für eine solche Haftung müsste erst mal die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft an das Justizministerium restlos gestrichen werden. Dazu kommt noch der Beamtenstatus.
Dann noch dürfte niemand mit Parteibuch weder Richter noch Staatsanwalt werden. Leider jedoch zeigt sich, das eher das Gegenteil der Fall ist, weil eine unabhängige Justiz in Deutschland nur auf dem Papier existiert. Denn wer ernennt Staatsanwälte, wer ernennt Richter? Doch nur die Politik.
In vielen anderen Ländern wären derartig korrupte und verlogene Politiker längst aus dem Amt geschmissen worden.

Michael M.
5 Jahre her
Antworten an  Stefan Tanzer

In der Theorie mögen Sie ja Recht haben, die Praxistauglichkeit geht allerdings steil gegen Null. Schlußendlich muss immer irgendjemand entscheiden wer Richter oder Staatsanwalt werden soll. Hat der/diejenige zum Zeitpunkt der Entscheidung z.B. kein Parteibuch dann kann sich das danach jederzeit ändern, was soll dann passieren und vor allem wer entscheidet das weitere Vorgehen?! Das läuft in keinem anderen Land wesentlich anders und schon gar nicht wesentlich besser als hier. Ein klassische Politiker-Haftung wird es auch nie geben weil dann dafür einfach Versicherungen (die Vesicherungswirtschaft wäre da sich sehr kreativ) abgeschlossen werden würden. Sie haben sicher schon mal was von… Mehr

Delion Delos
5 Jahre her
Antworten an  Michael M.

Und wie sollte dann Ihrer Auffassung nach die Lösung heißen? Weiter so wie gehabt?
Es MUSS ein Kontrollmechanimus her, der mit UNS, mit dem VOLK zu tun hat. Das Argument, JEDER könne sich von einem Neutralen in einen Interessenvertreter wandeln, lässt sich schließlich IMMER anwenden. Wenn es danach ginge, könnten wir gleich die Demokratie abschaffen, denn dort lauert überall diese Gefahr. Aber SCHÜTZEN muss man sich doch, sonst ist das ja alles nur ein totaler Bluff.

MartinS
5 Jahre her
Antworten an  Michael M.

Ihren Ausführungen kann ich nicht ganz zustimmen. Die Parteizugehörigkeit kann in der Tat schwerlich als Ausschlusskriterium genommen werden, sehr wohl aber hohe Partei und Regierungsämter. Auch die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft gegenüber der Regierung und damit den Weisungsgebunden ist, widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ebenso, dass die Besetzung des höchsten Deutschen Gerichts von den Parteien vorgenommen wird, die das Parlament als Abnickgremium missbrauchen. Würde das Wahlgesetz dem GG entsprechen, wäre dies deutlich schwieriger. Und dann wäre da noch die Richterwahlausschüsse, die alles andere sind als ein Hört an Transparenz. Im Ergebnis gilt das auch für die Urteile, die deutsche Richter fällen. Für… Mehr

Wolfgang Schuckmann
5 Jahre her

Gehen wir mal von der Tatsache aus, dass es sich bei den Erkenntnissen der beiden Untersuchungsausschüsse um gerichtsfeste Erhebungen handeln könnte, belegt das nur noch eindringlicher in welchem Zustand dieser Staat sich befindet. Mich bewegt schon fast nicht mehr die Tatsache, dass diese Dinge in unserem Land passieren , sondern die Frage was die „Unverantwortlichen“ eigentlich mit diesem Staat vorhaben. Aus all den Dingen der Zumutung für rational Denkende kann sich eigentlich nur noch eine Antwort ergeben: dieser Staat soll, und wird korrumpiert, in einer Art, wie das die Menschen hier noch nicht gesehen haben. Das kommt mir vor, als… Mehr

Pete M.
5 Jahre her

Anis Amri als Einzeltäter?
Wer hat ihn denn ins Land gelassen, mit mehrfachen Identitäten ausgestattet, von NRW nach Berlin chauffiert (LKA, BKA?), beobachtet aber nicht abgeschoben.
Illegal eingereist ist illegal, zumindest war es das früher.
Heute werden alle „integriert“ und hofiert. Da ist nichts mehr mit Rechtsstaat.
Da braucht es keine Fragezeichen.

BK
5 Jahre her

Dieser ganz Staat, bis hin zum Verhalten der Politiker ist ein einziger Skandal, hinter dem man nicht mehr nur Dilletantismus vermuten kann, sondern vorsätzliche Absicht unterstellen muss. In der Wirtschaft hätten geringste Verfehlungen weitreichende Konsequenzen, aber bei den Angestellten des Volkes scheint es zum Guten Ton zu gehören seinen Amtseid mit Füßen zu treten. Wir werden von Versagern regiert.

Delion Delos
5 Jahre her
Antworten an  BK

Sie beginnen Ihre Ausführungen völlig richtig mit der Feststellung, dass man Absicht vermuten muss… aber dann bezeichnen Sie die Täter letztlich doch als Versager. Das ist nicht nur inkonsequent, sondern sicher auch falsch. Denn wenn es ABSICHT war und ist, dann sind die betreffenden Damen und Herren doch weit gekommen, um ihr Ziel zu erreichen. Dann sind sie nämlich viel cleverer als wir Bürger, die wir uns mehrheitlich (!!) leider immer noch ein X für ein U vormachen lassen und selbst die fetteste Lüge noch glauben. Zu glauben, dass die politischen Täter DUMM sind, dieses alles quasi nur „Fehler“ seien,… Mehr

BK
5 Jahre her
Antworten an  Delion Delos

Stimmt auch wieder. Ob Versager oder Saboteure, die Unterscheidung zu treffen fällt inzwischen schwer. In jedem Falle findet hier eine Negativauslese statt, unter der jeder Büger zu leiden hat. Selbst würde man seinen Haushalt nie so führen.

sven69
5 Jahre her

Das erinnert einen an 9/11: Man holt sich die Attentaeter ins Land, lässt sie tun was sie sollen und fliegt sie wieder aus.

Nichzufassen
5 Jahre her
Antworten an  sven69

Die ‚Attentäter‘ waren nur die Deckung.

Kristina
5 Jahre her

Da kann man doch ganz beruhigt sein, wenn demnächst hunderte ehemalige IS-Kämpfer nebst Familienanhang hier einreisen – die Daily Mail sprach von 1000 Kämpfer, die nach Deutschland zurück wollen. Ein paar Abgewiesene aus anderen Staaten kommen vielleicht noch dazu. Die Verantwortlichen haben alles bestens im Griff, damit uns nichts passiert.