In Afrin ist Europa gefallen

Im Ersten Weltkrieg schwieg Berlin zum türkischen Genozid an den christlichen Armeniern aus Rücksicht auf den türkischen Verbündeten. Heute schauen Deutschland und NATO in Afrin weg.

© Omar Haj Kadour/AFP/Getty Image

Der türkische Präsidialdiktator Recep Tayyip Erdogan jubelt. Im Zuge seines auch in den Augen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages völkerrechtswidrigen Angriffs auf die syrische Provinz Afrin feiert der Osmanische Eroberer mit der Einnahme der Stadt im Nordwesten des vom Krieg verheerten Landes seinen ersten großen Sieg als Feldherr. Die einzigen, die sich ihm dabei entgegenstellten, waren die engsten Verbündeten des Westens, als es gegen die islamische Geißel den „Islamischen Staats“ ging.

Afrin war eine der letzten Regionen Syriens, in der Menschen aller Ethnien und Religionen friedlich zusammenlebten. Afrin war ein Zufluchtsort für Menschen aus allen Teilen Syriens, die dort vor der Furie der Selbstzerstörung Frieden suchten. Nun hat der Muslimbruder Erdogan mit deutschen Waffen und seinen radikalislamischen Verbündeten die Stadt übernommen. Fraglich, ob er sie jemals wieder freiwillig hergeben wird. Denn sie erweitert nicht nur die ehedem syrische Provinz Hatay/Alexandrette, einst von den Franzosen an die Türken verschenkt, nach Osten – sie ist nun auch Ausgangsbasis der von Erdogan unterstützten Radikalmuslime, um ihren psychopathischen Gotteswahn zurück zu tragen in die befreiten Regionen des Landes.

Die Opfer des türkischen Eroberungsfeldzuges sind neben den muslimischen Kurden vor allem Jeziden und aramäisch-assyrische Christen, die sich in die von den Kurden verwaltete Enklave gerettet hatten. Gemeinsam mit ihren muslimischen Nachbarn flohen sie in den vergangenen Tagen zu tausenden – von bis zu 100.000 Menschen ist die Rede – vor dem Aggressor. Sie fliehen in die Arme des syrischen Präsidenten Assad, verraten vom Westen, mit dem sie noch bis vor kurzem verbündet waren.

Erdogan führt seinen Dschihad gegen die Kurden und zugleich gegen Europa
Der Westen schaut weg. Weil er sich immer noch der Illusion hingibt, mit Erdogans Türkei in der NATO einen unverzichtbaren Partner an der Seite zu haben. Die NATO verrät damit nicht nur ihre Verbündeten in Syrien und im Irak – sie verrät auch sich selbst. Denn die NATO-Statuten verweisen ausdrücklich darauf, dass es sich dabei um ein „Verteidigungsbündnis demokratischer Staaten“ handele. Wer aber einen Aggressor und Kriegstreiber zum Verbündeten hat, ist selbst Aggressor und Kriegstreiber. Und wer – wie die Bundesregierung – einem Völkerrechtsbrecher die Waffen für seinen Vernichtungsfeldzug gegen eine ihm verhasste Ethnie liefert, an dessen Händen klebt das Blut all jener, die als unschuldige Opfer der türk-islamischen Soldateska nun ihr Leben lassen.

Erdogan bezeichnet seinen Feldzug gegen die Kurden als „Anti-Terror-Einsatz“ – von den deutschen Medien zumeist unreflektiert nachgeplappert. Hierzu ist festzustellen: Es gibt bis heute nicht einen einzigen, den syrischen Kurden nachweisbaren Anschlag gegen irgendeine Einrichtung der Türkei – nicht in der Türkei oder sonstwo auf der Welt. Ihr einziges „Verbrechen“ ist es, Kurden zu sein.

Als im Ersten Weltkrieg die deutsche Regierung zum türkischen Genozid an den christlichen Armeniern schwieg, geschah dieses, weil man einen wichtigen Alliierten nicht verlieren wollte. So machte sich Deutschland in einer weltpolitischen Zwangslage mitschuldig. Womit will die Bundesregierung; womit will die NATO nun, rund einhundert Jahre später, ihr Wegschauen bei der Vorbereitung eines weiteren, türkischen Genozids erklären?

Die Kurdische Gemeinde Deutschland wendet sich angesichts der Einnahme Afrins durch türkisches Miltär und radikalislamische Milizen an die deutsche Öffentlichkeit.

Tichys Einblick präsentiert den Appell ungekürzt, weil er ein erschütterndes Dokument des eklatanten, unentschuldbaren Versagens der deutschen Regierung und der Regierungen der NATO-Staaten darstellt:

Wir wenden uns mit diesem verzweifelten Appell an die deutsche Öffentlichkeit und richten uns zum ersten Mal nicht mehr an die Bundesregierung. Denn sie lässt seit Jahren bis zum heutigen Tag all unsere Aufrufe im Hinblick auf ihre Türkei- und Kurdenpolitik unbeantwortet. Unsere letzte Hoffnung ist nunmehr allein die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland. Wir sind Zeitzeugen eines Ereignisses, das alles, was man uns, die wir in Mitteleuropa aufgewachsen sind, über die Gutartigkeit von Staatengemeinschaften wie NATO, EU und UN erzählt hat, in Frage stellt. Ein multipler Völkerrechtsbruch, der aufgrund der bloßen, formalen NATO-Mitgliedschaft des Aggressors niemals geahndet werden wird.

Es ist nicht das erste Mal in der jüngeren Geschichte, dass sich so etwas ereignet. Noch nie zuvor jedoch wurde es in der öffentlichen Wahrnehmung so offensichtlich, und noch nie zuvor vermochte die verzerrende, offizielle Darstellung einer Bundesregierung so wenig gegen das Zutagefördern der tatsächlichen Verhältnisse anzukommen.

Die EU-Hilfen, die die Türkei im Rahmen des sogenannten „Flüchtlingsabkommens“ erhält (die aktuelle Marge beträgt 3 Milliarden Euro), sind ein Blutgeld. Erdogan produziert derzeit die Flüchtlinge selbst, für deren „Abhalten“ er sich von der EU bezahlen lässt. Das ist das „Geschäftsmodell“ eines Verbrechers. Es ist keine Ironie: Ein Großteil der von der Türkei vertriebenen Menschen findet aktuell bei Assad Zuflucht. Das ist konzeptlose NATO-Politik in Syrien.

Wir müssen Druck auf unsere Politiker ausüben, Öffentlichkeit erzeugen. Wir müssen unmissverständlich klar machen, dass wir keine Kollaboration bei Völker- und Menschenrechtsbrüchen, Angriffskriegen mit Hilfe von Djihadisten und Islamisten, Waffenlieferungen oder Geldzahlungen dorthin unterstützen, kein Schweigen, Nichtstun oder gar Mitmachen tolerieren. Es ist unsere Pflicht als Bürger dieses Landes, denn wir fühlen uns dem Grundgesetz, den Menschenrechten und dem Völkerrecht verbunden. Es ist unsere historische Verantwortung als Bürger dieses Landes, dass wir keine Angriffskriege, Vertreibungen, Unterdrückung und Ermordung von Minderheiten unter unserem Mittun mehr zulassen dürfen.

Wir müssen jetzt unsere Politiker, unsere Parteien, unsere Medien konfrontieren. Die Kombattanten Erdogans, das sind die gleichen Verbrecher aus dem Ungeist des Dijadismus und Islamismus, die uns in unseren Diskotheken in die Luft sprengen, die jüdische Einrichtungen in Paris angreifen, die Terror in den Städten Europas verüben. Sie wollen Gottesstaaten errichten, die Scharia einführen.

Diese und Erdogans Truppen – sie vertreiben jetzt die, die ohnehin schon in eine der letzten friedlichen Regionen Syriens geflohen waren. Sie bringen jetzt diejenigen um, die als einzige Jesiden, Christen und Millionen andere gegen die Barbaren des IS schützen konnten und geschützt haben.

Man muss für den Protest noch nicht einmal politisch sein. Ein wenig Anstand reicht völlig, um sich diesen Verbrechen entgegenzustellen. Ein Anstand, den unsere Regierungen offensichtlich bereits verloren haben.

In Afrin ist die Menschlichkeit und ein Demokratieprojekt, die Gleichberechtigung von Frauen und das friedliche Zusammenleben der Kulturen und Religionen in Blut getränkt worden. In Afrin ist Europa gefallen.

Ali Ertan Toprak
Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland

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Kommentare ( 210 )

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Kairo
6 Jahre her

Ganz sicher bin ich mir noch nicht, aber mein Eindruck verfestigt sich, dass die Amerikaner Erdogan agieren lassen, weil sie erkannt haben, dass Syriens Staatschef so schnell nicht zu vertreiben sein wird. Mit der Besetzung syrischen Territoriums ist eine Voraussetzung gegeben, um langfristig einen Störfaktor, einen Stachel im Fleisch der Regierung Syriens implantieren zu können und an deren Zermürbung weiter zu arbeiten. Russland würde sich überdehnen, wenn es auf lange Zeit hinaus mit bedeutenden Truppenstärken in Syrien präsent bliebe. Die Loyalität der USA zu den bisherigen Verbündeten, den Kurden wird man wohl eher mit einer Blechmünze bewerten können als mit… Mehr

Paris des Ostens
6 Jahre her

Frau Merkel soll heute im Bundestag gesagt haben, das Vorgehen der türkischen Regierung sei inakzeptabel.

Da ich Frau Merkel ein wenig zu kennen glaube und bis heute sehr enttäuscht von ihr bin, fühle ich mich nicht nur, sondern bin erneut von ihr betrogen.

Es ist inakzeptabel und Frau Merkel schickt weiter Liebesbriefe nach Ankara. Also doch akzeptabel.

Das ist nur noch krank.

Gero von Zimtapfel
6 Jahre her

Man muß endlich aufräumen, ansonsten wird Europa weiter finanziell erpresst. Brüssel und die EU-Bürokraten müssen ausgeschaltet werden, das dubiose Treffen in Sofia mit einem pathologischen Fall und seiner windigen, halbkriminellen Erpresser-Entourage ist abzusagen. Jetzt geht es um Europa – Europa muß sofort alle Fördertöpfe an Europa feindlich gesonnene, dubiose Staaten schließen, alle Waffenlieferungen und Zahlungen sofort einstellen, sämtliche diplomatischen Vertreter ausweisen – sollten bestimmte Schwellenländer sich weiterhin unverschämt benehmen – die Visa und EU-Frage offiziell beenden und sämtliche kriminellen Abkömmlinge bestimmer Ethnien aus Europa entfernen und zwar mit physischen Maßnahmen. So hart es klingt, nur so wird Europas Zukunft gesichert… Mehr

Vogelfrei
6 Jahre her

Wer sind diese „wir“ im Apell des Bundesvorsitzenden der Kurdischen Gemeinde Deutschland? Ich fürchte, es sind patriotische Kurden, die zufällig in Deutschland leben, die sich aber eben als Kurden verstehen und nicht als Deutsche, auch wenn sie, aus sehr praktischen Gründen, einen deutschen Pass haben sollten. Diese Leute nutzen unsere Liberalität und Toleranz, um ihren Konflikt mit dem türkischen Staat hier auszutragen, auch unter Einsatz von Gewalt. Ich bin dagegen, dass diese Leute regelmäßig unsere Städte lahmlegen mit ihren Demos, dass tausende Polizisten sie regelmäßig daran hindern müssen bei diesen Terminen Schaufenster zu zerschlagen und Autos abzufackeln. Dass sie sich… Mehr

Kabelmantel
6 Jahre her

Ich glaub ich spinne. Die gehören alle mitangeklagt? Im Atheismus ist das NICHT möglich. Warum etwas fordern, das NICHT möglich ist? Unlogisch.

Es wird auch KEIN Tribunal geben können. Auch nicht vorgesehen.

Schon den Antiamerikanismus vergessen, hierzulande? Der Wahnsinn, die Gehirnwaschung, war, ist so „erfolgreich“, die Menschen wollen den (bzw. einen) Diktator, schon wieder.

Erdogan kann ohne Putin dort NICHTS machen. Ohne sein Einverständnis. Und Putin muß auf die USA Rücksicht nehmen. Alles sehr kompliziert.

Gerechtigkeit können Sie, gemäß den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Atheismus, VERGESSEN!!

Old-Man
6 Jahre her

Wenn überhaupt,ist nur die EU gefallen,denn Europa ist so viel mehr wie die EU. Es ist aber auch die Nato gescheitert,denn wer ein solches Land wie die Tükei als Partner hat,der hat jeglichen Anspruch auf Rechts und Freiheitsrechte bei anderen zu pochen verloren! Die logische Konsequenz müßte sein:die Türkei sofort aus der Nato ausschließen,denn die führt Angriffskrieg auf einem fremden Teretorium. Und unsere Pappnasen in Berlin sollten alle Kontakte zur Türkei beenden,und deren Leute ausweisen! Ich möchte nicht zu den Migrantenmorden noch irgendwann tägliche „Wasserstandsmeldungen“ über Anschläge oder Straßenkrieg zwischen Türken und Kurden auf Deutschlands Straßen hören! Zum IS bekämpfen… Mehr

Der Ketzer
6 Jahre her

Liegt es an mangelnder Bildung, Intelligenz oder Geschichtskenntnissen? Zu viele Menschen im mittleren Osten lassen sich vom Westen aufwiegeln und für dessen Ziele missbrauchen. Sie waren so dumm, sich gegen Assad aufwiegeln zu lassen, obwohl sie in Syrien einigermaßen friedlich miteinander leben konnten. Meine Vorhersage: Diejenigen, die aktuell vor den Türken flüchten müssen, werden Assad’s Armee verstärken, um nicht dauerhaft zwischen den Fronten zu stehen. Die wiederum wird erst in Ost-Ghouta ‚aufräumen‘ und sich nach dem Abzug der Türken um die selbst ernannte „Freie Syrische Armee“ kümmern. Das ganze wird von unseren Medien mit großem Wehklagen über die vielen zivilen… Mehr

Bummi
6 Jahre her

Es ist ein Konflikt der Türkei und der Kurden in Syrien. So soll es auch bleiben. Diese ganze verlogene Moral. In Russland Sanktionen und hier kein Wort. Grenzen endlich zu, der Rest ist mir egal. Ich will weder Kurden noch Türken in Deutschland mit ihrem Konflikt haben. Keine Demos oder Anschläge.

Peter G.
6 Jahre her

Ca. 350 Panzer des Typs Leopard 2 hat die Türkei von Deutschland erhalten (DE hat einen Bestand von 244, davon 95 einsatzbereit; Stand 11/2017). Diese Panzer wurden gegen die Kurden eingesetzt. Das ist die Friedenspolitik Deutschlands, die durch die Außenminister Steinmeier und Gabriel und nicht zuletzt die Weltpolitikerin Merkel bildhaft verkörpert wird. Was sonst noch im Rahmen des Erdogan-Deals geliefert wurde ist nicht bekannt. Die Regierung bestreitet einen Zusammenhang mit der Causa Yüzel.

taz zat
6 Jahre her
Antworten an  Peter G.

Die Regierung bestreitet einen Zusammenhang mit der Causa Yüzel. Die Regierung bestreitet einen Zusammenhang mit der Causa Yüzel! Die Regierung bestreitet einen Zusammenhang mit der Causa Yüzel? Die Regierung bestreitet einen Zusammenhang mit der Causa Yüzel. Es gibt aber eine Verbindung, 100 Prozent. Schlimm, daß diese Regieurng glaubt uns noch immer täuschen zu können, obwohl jeder ernsthafte Mensch zugeben muß, das sind kriminelle Lügner, die da in Berlin. Und diese grottenschlechte, menschenverachtende Merkel hat nichts Besseres vor, als sich das Ziel vorzunehmen, diese (großartige, einzig professionelle) AfD aus dem Bundestag hinauszuwerfen? Das werden wir ja noch erst sehen müssen, Traumtänzerin… Mehr

Armin Reichert
6 Jahre her

Es wäre wohl am sinnvollsten, alle Türken und Kurden, die in Deutschland leben, in ihre Heimat zu entsenden, um dort für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen. Und wenn sie dort einen demokratischen Rechtsstaat errichtet haben, dürfen sie als Touristen gerne auch mal wieder hier vorbeischauen. Wir kümmern uns in der Zwischenzeit um unsere eigenen Probleme.

Carsten Neumann
6 Jahre her
Antworten an  Armin Reichert

Das heißt dann aber auch, keine Waffen in die Region zu schicken und den Aggressor auch nicht mit Geldzahlungen zu unterstützen.