Tichys Einblick
App als Ausweg

„Ich rate, gegen den Muezzinruf zu klagen“

Der Unmut über die Gebetsaufforderung vom Minarett wächst. Anwalt Ralf Höcker sieht gute Chancen, sich vor Gericht dagegen zu wehren.

© Valentina Kurscheid
TE: Mehr und mehr Gemeinden erlauben in Deutschland den Muezzinruf. Dagegen regt sich Unmut, in Herford etwa reagiert ein 37jähriger darauf, indem er Gegenlärm mit einem Kochtopf und Löffel veranstaltet. Welche Chancen gibt es, sich vor Gericht gegen den Gebetsruf zu wehren?

Ralf Höcker: Der Gebetsruf greift gleich in mehrere Grundrechte ein. Damit ist er rechtfertigungsbedürftig. Und ich habe meine Zweifel, dass eine solche Rechtfertigung vor allem in Wohngebieten gelingen kann.

Welche Grundrechte meinen Sie genau?

Art. 4 GG schützt nicht nur die Religionsfreiheit der Muslime, sondern auch die negative Religionsfreiheit der Nicht-Muslime. Grundsätzlich muss es niemand dulden, gegen seinen Willen mit religiösen Bekundungen zwangsbehelligt zu werden. Betroffen sind jedenfalls auch das Grundrecht aus Art. 2 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und natürlich immissionschutzrechtliche Vorschriften.. Dass diese Rechte betroffen sind, wenn man gezwungen wird, in seiner Wohnung den Muezzinruf zu hören, ist klar. Ob sie auch verletzt sind, ist noch einmal eine andere Frage. Aber dafür lassen sich meiner Meinung nach sehr gute Gründe vortragen.

Islamische Gemeinden argumentieren: die Kirchenglocken bimmeln ja auch für jeden – auch für Nichtchristen.

Es gibt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1983 zu Glockengeläut, also aus einer Zeit, in der hier noch niemand an einen Muezzinruf dachte. Das Gericht urteilte, dass eine solche jahrhundertealte kirchliche Lebensäußerung auch in einer säkularisierten Gesellschaft hinzunehmen ist, wenn sie sich nach Zeit, Dauer und Intensität im Rahmen des Herkömmlichen hält. Das gilt noch heute. Die Ohren durchschnittlicher Mitteleuropäer haben sich über Jahrhunderte an das Geräusch der Kirchenglocken gewöhnt. Sie empfinden es nicht als unharmonisch und störend. Das geht vielen beim Ruf des Muezzin anders. Zum zweiten spricht gegen die Gleichbehandlung von Muezzinruf und Kirchengeläut, dass eine Kirchenglocke zu den res sacrae zählt. Es handelt sich also um heilige Gegenstände, die unmittelbar kultischen Handlungen dienen und daher besonders hohen Schutz genießen. In der juristischen Literatur wird zurecht darauf hingewiesen, dass die Beschallungsanlage einer Moschee dagegen ein bloßes technisches Gerät ohne jeden besonderen rechtlichen Status ist. Glocken geben zudem anders als der Muezzin nur Geräusche von sich, die keine unmittelbare inhaltliche Botschaft enthalten. In dem Gebetsruf: ‚Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet’ wird dagegen eine Behauptung aufgestellt, von der sich ein Christ oder ein anderer Religionsanhänger angegriffen fühlen kann. Christen werden sich daran stören, dass hier die Dreieinigkeit Gottes geleugnet wird und ein Atheist kann erst Recht sagen: ich will nicht fünfmal am Tag mit öffentlichen Behauptungen über die Existenz eines unsichtbaren Phantasiewesens belästigt werden. Hinzu kommt außerdem, dass viele Muslime den Ruf des Muezzin auch als dominante Geste verstehen, die einen Machtanspruch ausdrückt. Das kann man Kirchengeläut nun wirklich nicht unterstellen.

Was könnte jemand, der nicht damit beschallt werden möchte, dagegen tun?

Jeder Anwohner könnte sich wehren und vor dem Verwaltungsgericht dagegen klagen. Dann kommt es darauf an, ob der Religionsfreiheit der jeweiligen muslimischen Religionsgemeinschaft oder den Rechten der Anwohner der Vorzug gegeben wird.

Angenommen, Sie würden die Klage vertreten: wie würden Sie argumentieren?

Bei einer Kollision von Grundrechten gilt das Ausweich-Prinzip. Das heißt: wenn sich ein grundrechtlich geschütztes Interesse mit einem milderen Mittel durchsetzen lässt, das andere Grundrechte möglichst wenig oder gar nicht tangiert, dann ist dieser Weg zu wählen. Und dieses Mittel gibt es seit einigen Jahren mit der so genannten Muezzin-App. Damit erreicht die Gemeinde zielgenau nur diejenigen mit ihrem Gebetsruf, für die er bestimmt ist, ohne dass die anderen ihn hören müssen. Im Immissionsschutzgesetz spielt der Stand der Technik eine entscheidende Rolle. Technische Neuerungen müssen genutzt werden, wenn sie Grundrechtskollisionen vermeiden helfen. Früher gab es die Möglichkeit einer milderen Lösung nicht – man konnte ja schlecht den Lautsprecher nur auf Muslime in der Umgebung richten. Durch die App ist es jetzt endlich möglich, nur die anzusprechen, die gemeint sind und den Ruf auch tatsächlich hören wollen.

Welche Aussicht räumen Sie einer solchen Klage ein?

Ich räume ihr gute Aussichten auf Erfolg ein, wenn der Kläger das Argument der Muezzin-App vorbringt, das vor Gericht bisher soweit ersichtlich noch nie vorgebracht wurde.

In dem Fall müsste ein Gericht einen deutlichen Unterschied zwischen Kirchenglockengeläut und Muezzinruf machen, und dem einen höheren Rang einräumen. Eine solche Unterscheidung treffen Gerichte nicht gern, weil sie wahrscheinlich als diskriminierend angesehen würde.

Diskriminierend und verfassungswidrig ist eine Ungleichbehandlung nur dann, wenn es dafür keine Rechtfertigung gibt. Die gibt es aber aus den Gründen, die ich eben genannt habe.


Ralf Höcker ist Anwalt: www.hoecker.eu