Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge

Gegen ihrer sonstige Gewohnheit verzichten die meisten Medien im Zusammenhang mit der Willkommenspolitik von 2015 auf übliche Jahrestag-Rückblicke. Man hat den Eindruck, manchen Redaktionen ist das inzwischen selbst peinlich.

Es ist jetzt genau zwei Jahre her, dass Angela Merkel am 4./5. September die in Budapest lagernden Flüchtlinge ins Land ließ – gegen alle Dublin-Regeln und unter Hinnahme der illegalen Einreise als Regelfall. Medien und große Teile der Politik schwelgten damals im Willkommensrausch. Inzwischen verspricht dieselbe Kanzlerin, das Geschehen von damals „soll und darf sich nicht wiederholen“.

Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit verzichten die meisten Medien im Zusammenhang mit der Willkommenspolitik von 2015 auf ihre üblichen Jahrestag-Rückblicke. Man hat den Eindruck, manchen Redaktionen ist es inzwischen peinlich, was sie damals so alles an Jubelarien veröffentlich haben. Dahinter steckt auch das Kalkül, das Thema Zuwanderung, Flüchtlinge und Integration im Wahlkampf klein zu halten. Wem liegt schon an einer öffentlichen Diskussion, in der er selbst nur schlecht aussehen kann?

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Zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung klafft gerade beim Thema Flüchtlinge eine große Kluft. Wenn die „Forschungsgruppe Wahlen“ die Bürger nach den drängendsten Problemen fragt, dann nennt jeder Zweite (49 Prozent) Zuwanderung und Flüchtlinge. Bildung und Rente folgen abgeschlagen mit jeweils 17 Prozent, soziale Gerechtigkeit halten sogar nur 13 Prozent für wichtig.

Der Marktforscher Stephan Grünewald, Chef des auf Tiefeninterviews spezialisierten Marktforschungsinstituts „Rheingold“ in Köln, hat vor der Wahl wieder eine Tiefenanalyse der deutschen Befindlichkeit vorgenommen. Was er dabei herausgefunden hat, schildert er dem Spiegel so: „Das Grundmoment war, dass die Wähler von diesem Wahlkampf total enttäuscht sind. Sie haben das Gefühl, dass nicht auf das eingegangen wird, was sie bewegt, und dass vieles schöngefärbt wird. Wir haben uns gefragt: Was ist denn mit den Leuten los?“

Und was ist los? Grünewalds Antwort: „In den Tiefeninterviews kam immer nur: Flüchtlingskrise, Flüchtlingskrise, Flüchtlingskrise. Was im Wahlkampf so galant ausgespart wird, ist bei den Wählern immer noch ein wunder Punkt, der von der Politik nicht behandelt worden ist.“

Inszenierung?

AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel sorgte im ZDF für einen Eklat. Weil CSU-Generalsekretär Andreas Scheer ihren Mitstreiter Björn Höcke als „Rechtsradikalen“ bezeichnete, verließ Weidel wortlos ihren Platz in der Gesprächsrunde. Kurz darauf verschickten Weidel und die AfD eine Presserklärung, in der sie nicht Scheuer attackierte, sondern die Moderatorin. Mariette Slomka „hat sich mit der frechen Intoleranz und der plumpen Argumentation von SPD und Grünen gemein gemacht. Das ist eines öffentlich-rechtlichen Senders nicht würdig.“ Weidel weiter: „Frau Slomka sollte ihre persönlichen Animositäten nicht in den eigenen Sendungen ausleben. Ein weiterer Grund, die Zahlung des Rundfunkbeitrages zu verweigern.“ Da drängt sich der Eindruck auf, Weidel habe den Auszug aus der Sendung schon vorher geplant und nur auf einen mehr oder weniger passenden Anlass gewartet. Gleichwohl: Die AfD-Fans dürften sich gefreut haben. Denn die AfD gefällt sich geradezu in der Rolle des Märtyrers. Warum dann nicht ein bisschen nachhelfen?

Nur 16,11 Millionen Zuschauer beim TV-Duell

Was war das doch für ein Hype vor dem TV-Duell. Angeblich hatten mehr als 30 Millionen Wahlberechtigte die Absicht gehabt, das gleichzeitig auf vier Fernsehsendern ausgestrahlte Streitgespräch zwischen Angela Merkel und Martin Schulz anzuschauen.

Tatsächlich schauten 16,11 Millionen zu. Das war zweifellos das größte Publikum, das Kanzlerin und Kandidat in diesem Wahlkampf erreichen. Aber es waren auch 1,5 Millionen Zuschauer weniger als 2013, als Merkel und Peer Steinbrück gegeneinander antraten. War früher doch alles besser? Die bisher meisten Zuschauer gab es 2005, als Gerhard Schröder mit Angela Merkel die Klingen kreuzte. Da sahen 20,98 Millionen zu. Wobei man sagen muss: Früher war nicht nur mehr Lametta, sondern auch mehr Wahlkampf.

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Wahlkampfweisheit zum Tage: Man kann alle Leute für kurze Zeit täuschen. Man kann einige Leute für immer täuschen. Aber man kann nicht alle Leute auf Dauer hinters Licht führen. („You can fool all the people some of the time, and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time.” Abraham Lincoln)

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Kommentare ( 89 )

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89 Comments
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frederike
6 Jahre her

Wie sagte Merkel: Deutschland wird sich ändern, religiöser werden. Welche Religion erwähnte sie nicht, inzwischen wissen wir welche!

GNC
6 Jahre her

Ja, ich habe es nachträglich gesehen. Horror. Leider nicht nur Show.

GNC
6 Jahre her

Ja, ich hab mittlerweile die ganze Sendung gesehen. Da ist mir echt speiübel geworden; das in einem Land, dass mit demokratischen Ansprüchen an den Rest der Welt nur so mit sich rumwirft. Nun, in der Nachschau, das Beste, was sie machen konnte. Ich kann das alles so nicht schauen, mir fehlen die Nerven. Ich merke richtig, wie ansteigend wütend ich werde.

frederike
6 Jahre her

4.9.17 unter den Linden – ruhig und sachlich nachzusehen auf YouTube

frederike
6 Jahre her

Das verstehe ich auch nicht wie man über Jahre ab dieser unprofessioneller Person festhalten kann um sie dann wieder im heute Journal auf die Zuschauer los zu lassen!

josefine
6 Jahre her

Ist es Schwäche der handelnden verantwortlichen Politiker, oder ist es gewollt, dass keiner abgeschoben wird?
Ich tendiere zur 2. These.
Laut Regierungsprogramm der CDU will die Partei ihren „humanitären Verpflichtungen durch Resettlement und Relocation nachkommen“ (Regierungsprogramm).

josefine
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Müller-Vogg, Frau Dr. Weidels Verlassen der Runde nur auf Scheuers Angriff gegen Höcke zu reduzieren, das erscheint mir doch zu kurz gegriffen. Wer die Sendung verfolgt hat, konnte erkennen, dass Frau Slomka die AFD-Vertreterin ständig unterbrach, ihr falsche Zahlen vorwarf und sie so mehr oder weniger der Lächerlichkeit preisgab und der Zahlentäuscherei anklagte. Die Protagonisten der anderen Parteien machten da gern mit. Das Wort „Moderator“ hat mit „moderat“ zu tun. Aber als eine moderate, faire Diskussionsleiterin habe ich in Frau Slomka hier nicht erlebt.. Natürlich müssen die Journalisten, gerade kurz vor der Wahl, hart fragen; aber sie… Mehr

Gero Hatz
6 Jahre her

Weigels Verlassen dieser Dammschwätzer Runde war bislang die mit Abstand beste Aktion in den sogenannten Duellen.

karel
6 Jahre her

Sorry, für die Abschiebung der Flüchtlinge sind nun mal in Deutschland die Bundesländer zuständig….. nicht die Kanzlerin. Und hier zeichnen sich gerade die rot-grün-regierten Bundesländer durch Nicht-Handeln aus. Rot-grüne Bundesländer, die im Bundesrat die Mehrheit stellen und somit jede von Merkel gewollte Restriktion mit ihrem Veto verhindern konnten. Wir haben es mit einer Kanzlerin ohne Macht zu tun, nicht mit einer Unfähigen. Als der Flüchlingszustrom im 1. Halbjahr 2015 sich immer stärker abzeichnete, war der damalige Außenminister und heutiger Bundespräsident als zuständiger Amtschef in der Pflicht zu handeln. Ebenso Brüssel mit einem EU-Präsidenten Schulz, hat man Griechenland als wichtigstes Grenz-Transitland… Mehr

Ivan De Grisogono
6 Jahre her
Antworten an  karel

Fakt ist, eine Öffnung der Grenzen hätte nie am Recht und nationalem Parlament vorbei stattfinden dürfen. Verantwortlich ist Merkel und ihre Regierung!

Michael M.
6 Jahre her

„Da drängt sich der Eindruck auf, Weidel habe den Auszug aus der Sendung schon vorher geplant und nur auf einen mehr oder weniger passenden Anlass gewartet.“

Auf welcher grundlage drängt sich dieser eindruck auf?

An der zeitspanne zwischen dem verlassen der sendung und der veröffentlichung kann es schon mal nicht liegen, denn diese war mehr als ausreichend groß.

Das wüssten sie natürlich, hätten sie sich vor ihrem beitrag einfach mal informiert… 😉