dpa erfindet den Besuch eines AfD-Manns auf Lesbos. Und die halbe Medien-Republik schreibt ab

dpa zog die Meldung mittlerweile zurück. Nachdem sie flächendeckend verbreitet ist.

„Der Besuch auf Lesbos war dann doch nicht so erfreulich, wie AfD-Politiker Oliver Kirchner ihn sich vorgestellt hatte“, berichtete die „taz“ am Sonntag über einen angeblichen Besuch des AfD-Manns auf der griechischen Insel, die Ziel vieler Migranten ist: „Der AfD-Fraktionschef in Sachsen-Anhalt hatte mit dem rechten Blogger Oliver Flesch auf einer antifaschistischen Demo in der Inselhauptstadt „agitiert“ und wurde daraufhin von Antifaschist*innen eingekesselt. Retterin in der Not: die griechische Polizei. Voller Dankbarkeit zeigt sich der AfD-Politiker für seine Befreiung aus den Fängen der Antifa.“

„Stern Online“ machte aus dem Vorfall eine größere Geschichte mit der der Überschrift „Lesbos: AfD-Politiker gerät bei Demo mit Linken aneinander“. Und der Unterzeile: „Die Krise an der EU-Außengrenze zieht Rechte und Rechtsextreme aus Deutschland an. Ein AfD-Politiker berichtet nun, er sei von antifaschistischen Demonstranten „eingekesselt“ worden.“

Ähnliche Beiträge veröffentlichten auch „Zeit Online“, „Merkur“, „NOZ“, der „Mitteldeutsche Rundfunk“ und andere. Die „Stern“-Geschichte las sich („ein AfD-Politiker berichtet nun“) zumindest in der Unterzeile so, als hätte der „Stern“ mit Kirchner gesprochen, und verfüge über Informationen aus erster Hand.

Hatte er allerdings nicht. Die Geschichte von der Kirchner-Visite auf Lesbos ist falsch. „Ich war noch nie in meinem Leben in Griechenland“, sagt der Politiker auf Nachfrage von TE. Er habe inzwischen rechtliche Schritte gegen verschiedene Medien eingeleitet. Dpa zog die Meldung mittlerweile zurück. Kirchner sagte, eine dpa –Mitarbeiterin habe ihn angerufen und sich bei ihm entschuldigt.

Wie kam es überhaupt zu der Falschmeldung? Aus Lesbos hatte der Videoblogger Oliver Flesch mit Kameramann Stefan Bauer gefilmt, Migranten und Einwohner interviewt und mit der Polizei gesprochen. Flesch steht der Identitären Bewegung und generell der Rechtsaußen-Szene nah, er wurde tatsächlich von linken Demonstranten auf Lesbos erkannt und zusammen mit Bauer nach eigenen Angaben umringt, konnte aber mit Hilfe der Polizei unbeschadet abziehen. Davon berichtete Flesch in seinem Video-Blog. Kameramann Bauer ähnelt dem AfD-Mann Kirchner, wenn auch nur sehr entfernt. Bei beiden handelt es sich um mittelalte Männer mit Kahlkopf.

„Warte mal, Kirchner hat eine Glatze, Kameramann Bauer ebenfalls – sollte das für die Deutsche Presseagentur bereits ausreichen, um aus Bauer Kirchner zu machen?“, spottet Flesch. Offenbar: ja.

„Ich kann mir das nicht anders erklären, als dass man uns verwechselt hat, weil wir beide die gleiche Frisur haben“, meint auch Kirchner.

Die Fehlmeldung zeigt gleich drei Probleme vieler deutscher Medien. Erstens schreiben oder senden ihre Journalisten gern ohne Überprüfung, wenn ein Sachverhalt zu passen scheint. AfD-Mann, auch noch aus dem Osten, macht Stimmung gegen Migranten auf Lesbos – da erübrigt sich eine Nachfrage. Die wäre in Kirchners Fall sehr einfach gewesen: Seine Mobilfunknummer findet sich auf der Website seiner Fraktion gleich neben seinem Foto.

Das zweite Problem besteht in der Medien-Monokultur. dpa und Dienste wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) versorgen dutzende Blätter und Sender mit Material, das Redaktionen, wie der Fall zeigt, ohne Überprüfung und eins zu eins übernehmen. Ihre Beiträge unterscheiden sich nur durch die Überschriften, die suggerieren sollen, die jeweiligen Medien hätten einen eigenen Zugang zu dem Thema. Die deutsche Medienvielfalt, von der Verlagsmanager und Medienforscher gern schwärmen, besteht in Wirklichkeit vor allem in einer Vielfalt der Vertriebskanäle für identische Inhalte aus wenigen Händen. Viele Online-Redaktionen von Blättern, die wirtschaftlich unter Druck stehen, beschäftigen eigentlich keine Redakteure mehr, sondern Textverarbeiter, die angelieferte Text-Fertigprodukte für das eigene Portal umpacken.

Unter diesen Bedingungen verbreiten sich Falschmeldungen viral, nicht nur im Fall des falschen AfD-Manns auf Lesbos. Ende 2019 behauptete beispielsweise ein Journalist der „Kieler Nachrichten“, der Kabarettist Dieter Nuhr habe bei seinem Auftritt Greta Thunberg mit Hitler und Stalin verglichen. Obwohl er überhaupt kein passendes Nuhr-Zitat lieferte, wanderte die Unterstellung via RND zu dem Online-Auftritt dutzenden Blättern, die das Stück ohne Rückfrage nach einem Beleg übernahmen, erst Recht ohne eine Rückfrage bei Nuhr. Später korrigierten die Zeitungen reihenweise die Meldung.

Was zum dritten Problem führt: den Korrekturen. Der „Stern“ löschte einfach kommentarlos seine Meldung über Kirchner auf Lesbos. Wer https://www.stern.de/fluechtlingskrise-lesbos–afd-politiker-geraet-bei-demo-mit-linken-aneinander-9173932.html

anklickt, gelangt zu einer Fehlermeldung: „Sorry, wir finden den Artikel nicht.

Auch der MDR beseitigte seine Falschmeldung kommentarlos:

Bei Lesern dürfte also die falsche Behauptung hängenbleiben – falls sie nicht woanders die Korrektur lesen. „Zeit Online“, „Merkur“, „NOZ“ und andere veröffentlichten eine entsprechende Korrektur unter dem geänderten Text, in dem nur noch von dem Zusammenstoß zwischen dem deutschen Video-Team und linksradikalen Demonstranten auf Lesbos die Rede ist.

Bei der „taz“ stand die Behauptung über Kirchners Lesbos-Reise am Montag immer noch auf der Seite.

Für den „Stern“ ist die Lesbos-Geschichte übrigens schon die zweite Peinlichkeit innerhalb kurzer Zeit. In seiner Kolumne beschrieb „Stern“-Kommentator Ulrich Jörges eine Szene, die beweisen sollte, dass Merz ein eitler Macho sei und deshalb nicht zum CDU-Chef und Kanzler tauge.

„Kürzlich erschien [Merz] zum Interview bei einem TV-Sender“, textete Jörges, ohne Details und Quelle zu nennen: „Die Maskenbildnerin, eine junge Frau, trat ihm mit ausgestreckter Hand entgegen, um sich vorzustellen und ihn zu begrüßen. Er war ihr seinen Mantel über den Arm.“

Zwar übernahm kein Medium direkt die Geschichte. Aber Melanie Amann, Chefin des „Spiegel“-Hauptstadtbüros, twitterte sie weiter, ebenso „Freitag“-Verleger Jakob Augstein („irre Szene“).

Merz’ Sprecher Armin Peter erklärte umgehend, die Szene sei „frei erfunden“. Inzwischen setzte Merz vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen den „Stern“ durch.

Die Illustrierte löschte den Jörges-Text; Amann ließ laut Magazin „Übermedien“ ihren Tweet verschwinden.

Auch hier passte die Behauptung einfach zu gut, um sie durch Recherche zu gefährden.

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Kommentare ( 79 )

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Watchdog
4 Jahre her

Dieser Copy&Paste-Journalismus ist doch keine neue Erscheinung. Ich beobachte dies schon seit vielen Jahren und behaupte bzw. habe bereits häufig gesehen dass die meissten Journalisten oder sog. Experten tagsüber nicht ihr Büro verlassen. Korrespondenten vor Ort in einem Krisen- oder gar Kriegsgebiet? Gott bewahre… Wir befinden uns im Zeitalter des Halbwissens. Schuld ist hier zum grossen Teil das Internet und die Tatsache dass dieses den Journalismus zum einen bequem macht und zum anderen die Geldmittel für anständigen Journalismus fehlen da der moderne Leser oder Zuschauer nur noch selten Printmedien oder Rundfunksender abonniert. Heutzutage ist jede noch so falsche Information bereits… Mehr

Tee Al
4 Jahre her

dpa = deutsche propaganda anstalt. Damit ist genug gesagt.

4 Jahre her

Die Lüge von Chemnitz wurde sogar im Bundestag letzte Woche erneut von einem Grünen-Politiker vorgebracht. Korrektur: Fehlanzeige

Simali
4 Jahre her

Die MSM brauchen diese Lügen für den Absatz.
Schöner großer Aufmacher und dann versuchen sie mal ihrer 80- jährigen Mama die Wahrheit zu erklären. Da bin ich dann die Lügnerin und im Netz wird sowieso nur rechte Propaganda verbreitet. Mit dem Problem stehe ich sicher nicht alleine.

Ursula Schneider
4 Jahre her

Nicht zu vergessen: Die überwiegende Mehrheit der Journalisten ist Grün-Rot gepolt, wie empirische Studien ergaben (die NZZ berichtete darüber). Zu schlechter Ausbildung und Bequemlichkeit kommt also auch noch Parteilichkeit und damit sind wir beim „Gesinnungs“-Journalismus.

Deutschmichel
4 Jahre her

Die Ausrede, es sei eine Verwechselung, ist auch ziemlich dämlich. Es wurde ja geschrieben, der Blogger sei mit Kirchner dort gewesen. Lt. der Schmierenjounalie waren es also zwei Persoen am gleichen Ort, obwohl nur der Blooger tatsächlich vor Ort war. Jetzt von Vewechselung zu sprechen ist eine Frecheit. Meine tiefe Verachtung für die Propoganda-Medien wird täglich größer!

Contra Merkl
4 Jahre her

Was der eine nicht weiß, das schreibt er bei einem ab, der auch nix wusste und nur abgeschrieben hat, bei einem, der sich das ausgedacht hat. Oder falsch interpretiert.
Gibt es schon sowas wie das goldene Relotiusblatt als Auszeichnung ?
Besonders erstaunlich finde ich, dass sogar die Rechtschreibfehler bei diesen Aktionen mit übernommen werden. Das ist wirklich peinlich.
Er war ihr seinen Mantel über den Arm.
Er warf, müsste es heißen. Da haben dann scheinbar alle den Fehler übernommen. 3. Klasse, Grundschule.

Vintersoul
4 Jahre her
Antworten an  Contra Merkl

Copy & Paste. Da liest von den Schmierfinken doch keiner mehr gegen.

Ralf Poehling
4 Jahre her

Investigativer und/oder auch kritischer Journalismus scheint ein Ding der Vergangenheit zu sein. Was lernen Journalisten eigentlich heutzutage während ihrer Ausbildung? Oder braucht man so etwas als Journalist gar nicht mehr?

Kassandra
4 Jahre her
Antworten an  Ralf Poehling

Die scheinen auch gar nicht mehr so Welt- oder Lebenserfahren sein zu müssen – bei der Einmischung bestimmter Kreise von außen: „Hier der artikel, ändert das bitte.“ https://twitter.com/ErikMarquardt/status/1237294562420436992
Dass die Zeit ist, wie sie halt nun mal ist, braucht jetzt dann auch nicht mehr zu wundern.
Gab es so was nicht schon mal bei einem EX-BP, der das aber telefonisch erledigt sehen wollte und dessen Anfang vom Ende damit eingeleitet wurde?

jansobieski
4 Jahre her

Da bekommt der Begriff „Lügenpresse“ doch nochmal eine Bedeutung.

Maja Schneider
4 Jahre her

Der eine Relotius ist abgetaucht und dafür tauchen offensichtlich gleich mehrere auf, selber denken ist anstrengend, erfordert Recherche und das kostet Zeit! Also wird viel zu oft kritiklos übernommen, was zur erforderlichen Haltung passt. So geht bei den MSM, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Journalismus heute! Vielfalt gibt es eher bei den freien Medien, weshalb hier die Zahl der Leser zunimmt, und das wiederum ist Politik und sogen. Leitmedien ein Dorn im Auge.