EU: Wieder ein Gipfel ohne Ergebnis

Macron sagt: Kein Land kommt voran, wenn es nicht den Zorn unserer Völker hört, die in ganz Europa aufsteigen. Das europäische Projekt ist dazu da, diese legitimen Bestrebungen zu begleiten. Und Brüssel küsst.

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Sven Giegold, der Grüne, der einst bei Attac versicherte, nicht in die (Partei)Politik gehen zu wollen, empfiehlt als humorige Zusammenfassung des EU-Gipfels ein Video, das den Präsidenten der Kommission, Jean-Claude Juncker in seinem Element erleben lässt.

So witzig es sein mag, Juncker wieder einmal bei einer Küsschen-Serie zu sehen, sagt diese Marotte mehr aus, als sie vordergründig zeigt. Der Vergleich zur geschlossenen Welt an den Höfen der Fürsten und Könige im feudalen Zeitalter drängt sich auf: Selbstbeschäftigung ohne Ahnung von den Sorgen und Nöten ihrer Untertanen.

Es ist ja nicht nur Juncker, der alles küsst, was ihm über den Weg läuft. Auch Theresa May konnte an niemandem vorbeikommen, ohne nicht links und rechts andeutungsweise geküsst zu werden. Um anschließend von Angela Merkel bis Xavier Bettel hören zu müssen, dass London Brüssel gehorchen muss. Das ist für diese EU extrem wichtig, denn es wäre vor Beginn des medialen Wahlkampfs für die EU-Wahlen das einzige, womit sich die Kommission als „Erfolg” schmücken könnte.

Sven Giegold twittert: „The Eurozone summit has again kicked the can along the road. Macron’s ideas were first watered down by the German government and then blocked.” Flapsig, aber korrektes Bild von der Dose, den die Gipfler die Straße entlang kicken. Ebenfalls richtig ist seine Festellung, dass die deutsche Regierung Macrons Ideen, hier vor allem die eines eigenständigen Eurozonen-Budgets zu einer Budgetlinie innerhalb des EU-Haushalts verwässerte: die sich in den Haushaltsberatungen ganz in Luft auflösen kann – wie die GroKo-Idee vom EU-Währungsfonds.

Dieses Detail signalisiert nur einmal mehr: diese EU von heute zerbröselt, sie löst sich von innen auf. Bei Frontex ist nicht klar, was genau der Auftrag ist, in welchem Verhältnis ein solcher zu den Polizei- und Grenzeinheiten der Mitgliedsländer stehen soll. Einzelne österreichische Medien versuchen, das als einen Misserfolg der endenden Ratspräsidentschaft von Kanzler Sebastian Kurz darzustellen. Sie hatten nicht erkannt, dass Kurz‘ Frontex-Botschaft der Konterkarierung von „nationalen Alleingängen” wie Merkels Asylgate 2015 galt. Von Merkels Mantra der Verteilung von Migranten über die Mitgiedsländer spricht nicht einmal mehr jemand. Wie es mit Schengen und Dublin weitergehen soll, ist ebenso unklar, wie ein gemeinsames Einwanderungsregime unwahrscheinlicher denn je erscheint. Kurz hat erfolgreich darüber gewacht, dass während der Ratspräsidentschaft Österreichs in der EU kein neuer Unsinn passiert. Sein Amt als Bundeskanzler hat er bei Österreichs Wählern gefestigt.

Emmanuel Macron kämpft derweil daheim um sein Amt, was unübersehbar ist, wenn ausgerechnet der wie ein Monarch auftretende in einem Tweet sagen muss:

Kein Land kommt voran, wenn es nicht den Zorn unserer Völker hört, der in ganz Europa ansteigt. Das europäische Projekt hat auf diese legitimen Bestrebungen zu hören.

Worte für die gilets jaunes daheim, denn auf dem EU-Gipfel war vom Zorn der Völker keine Rede, während in Frankreich die giltes jaunes sich wieder für’s Wochenende rüsten. Obwohl auch die belgischen Teilnehmer Grund dazu gehabt hätten, wo die gilets jaunes in Wallonien immer aktiver werden und die Krise der Regierung mit dem Austritt der flämischen Nationalen keineswegs beendet ist.

Wer will in Brüssel noch von einer zu hohen Verschuldung Italiens reden, wenn Macron dabei ist, den Verschuldungsgrad Italiens in Frankreich weit zu überholen? Kann Deutschland noch den Mund weit aufmachen, wenn das Ifo-Institut für dieses Jahr die Konjunkturprognose auf 1,5 Prozent plus runterkorrigiert und für 2019 auf 1,1? Die EU war noch nie auf eine Krise vorbereitet, auf eine echte Witschaftskrise wird sie ebenso kopflos reagieren wie bisher. Doch dann geht Draghi das Papier fürs Gelddrucken aus. Aber etwas anderes, als jedes Problem mit viel Geld in die Zukunft verschieben, kann der EU-Apparat und kann die GroKo in Berlin nicht.

Erreicht wurde auf diesem EU-Gipfel in keiner Frage etwas. Aber das ist auch ein Ergebnis, sogar ein sprechendes: Die EU zerbröselt von innen – ihre Kernländer auch.

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