Die SPD sondiert mit sich selbst

Sollte es zu einem Koalitionsvertrag kommen, müssen die Mitglieder entscheiden, ob der Vorsitzende den unterschreiben darf. Der treffende Begriff dafür „Betreutes Führen“.

© Carsten Koall/Getty Images

Was CDU und CSU können, das können die Genossen auch. Zuerst hatten die beiden C-Parteien miteinander sondiert, wie man beim Thema Flüchtlinge und Zuwanderung auf einen gemeinsamen Nenner kommen kann. Jetzt sondierten die Sozialdemokraten untereinander, was sie eigentlich machen sollten oder wollen: den Gang in die Opposition, die Tolerierung einer Minderheitsregierung, eine punktuelle Kooperation mit der Union oder Neuwahlen. Ihr alter und neuer Parteivorsitzender war da keine Hilfe. Es gibt keine denkbare Variante, die Schulz seit dem 24. September nicht schon vertreten hat – jedes Mal mit der ihm eigenen Bedeutungsschwere.

Jetzt diskutierten die 600 Delegierten des SPD-Parteitags in Berlin stundenlang über den richtigen Weg – aus der eigenen Misere und zu einer neuen Bundesregierung. Linke gegen Rechte, Jusos gegen das Parteiestablishment, Pragmatiker gegen Ideologen. Wie zu erwarten, setzte die Parteispitze sich durch. Die SPD wird mit der CDU/CSU „ergebnisoffen“ sondieren, wie man ins Geschäft und Deutschland zu einer Regierung kommen kann.

Das Ergebnis ist eine Niederlage für die strikten GroKo-Gegner. Ergebnisoffen heißt: alles ist möglich, nichts ausgeschlossen. Schulz bat die Delegierten zwar um Vertrauen, aber die beharrten auf Kontrolle. Ein Sonderparteitag muss entscheiden, ob die Sondierungen in Koalitionsverhandlungen münden sollen. Sollte es zu einem Koalitionsvertrag kommen, müssen die Mitglieder entscheiden, ob der Vorsitzende den unterschreiben darf. Der treffende Begriff dafür „Betreutes Führen“.

Die SPD ist in einer stärkeren Position, als ihre 20,5 Prozent vermuten lassen. Da Angela Merkel deutlich gemacht hat, dass sie eine Minderheitsregierung scheut, kann die SPD den Koalitionsvertrag weitgehend diktieren. Diese Art der „Erpressung“ hat sie schon 2013 erfolgreich praktiziert. Wobei der Begriff Erpressung wohl zu hoch gegriffen ist. Wer nur noch so wenige ununterscheidbare politische Positionen einnimmt wie die Merkel-Union, ist im Grunde gar nicht erpressbar. Dafür ist die CDU zu flexibel.

Die SPD hat auf ihrem Parteitag in gewisser Weise ihre Handlungsfähigkeit zurückgewonnen, den Schock des 24. September hat sie aber noch lange nicht überwunden. Im Grunde ihres Herzens glauben die Genossen immer noch, ihr politisches Programm wäre an Attraktivität nicht zu überbieten. Umso schlimmer für die Wähler, dass sie das nicht verstehen und deshalb „falsch“ wählen. Schulz wies immerhin darauf hin, dass seine Niederlage die vierte Schlappe bei der vierten Bundestagswahl hintereinander war. Es war bezeichnend, dass keiner der mehr als 60 Diskussionsredner auf diese Feststellung einging.

Fürs Erste hat die SPD ihre Führungsfrage gelöst. Martin Schulz wurde mit 81,9 Prozent als Vorsitzender bestätigt. Das sind 18,1 Punkte weniger als die 100 Prozent auf dem Höhepunkt des Schulz-Hypes im März. Immerhin schnitt Schulz damit etwas besser ab als sein Vorgänger Sigmar Gabriel, der 2015 mit 74,3 Prozent abgestraft wurde. Andererseits ist noch kein SPD-Politiker so schnell so tief gefallen wie der Ex-Heilsbringer aus Würselen.

Nach den Gesetzen der Logik müsste Schulz eigentlich sagen, „ich habe fertig.“ Sein Einbruch beim eigenen Wahlergebnis entspricht prozentual den SPD-Verlusten bei der Bundestagswahl. Aus Letzterem schloss er wochenlang, die SPD habe vom Wähler keinen Auftrag zum Regieren bekommen. So besehen hat er vom Parteitag auch keinen Auftrag bekommen. Aber Schulz bleibt Schulz. Selbst wenn kaum noch jemand von ihm überzeugt zu sein scheint – er ist und bleibt es, und zwar zu 100 Prozent.

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Kommentare ( 43 )

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Teilhaber
6 Jahre her

Die SPD will ja jetzt vielleicht die KOKO, also eigentlich ist das eine Minderheitsregierung nur das die SPD Bonzen einige Ministerpöstchen für sich retten wollen.
Erst , „nein keine große Koalition wir können der AfD nicht die Oppositionsführerschaft überlassen“, dann „vielleicht große Koalition“ jetzt „ja aber doch irgendwie auch nein“.
Die SPD, innerhalb kürzester Zeit von „Sozialdemokratischer Partei“ zur „Schwachköpfe Partei“.

Imre
6 Jahre her

Das betreute Führen scheint mir – in Anbetracht der Charaktere der Führer – aber wesentlich erfolgversprechender zu sein, als das ahnungs- und orientierungslose Führen in der CDU. Für das Volk allemal besser!

Burkhard Minack
6 Jahre her

Stellen wir uns einmal kurz vor, Bayern München (oder jeder andere ambitionierte Fußballverein…) hätte die schlechteste Saison der Vereinsgeschichte gespielt, würden die den Trainer mit 81,9 % wieder wählen?
Ich kann das alles schon lange nicht mehr so recht ernst nehmen.

Der-Michel
6 Jahre her

Ich hätte einen Vorschlag:

Zukünftig gibt es auch bei der Besetzung des Bundeskanzlers eine Doppelspitze. Das könnten sich dann Merkel und Schulz teilen. Dann wäre doch beiden geholfen? Un die Moderne würde endlich in der Politik einzeihen.

bfwied
6 Jahre her
Antworten an  Der-Michel

Ich hätte einen realistischeren Vorschlag, denke ich: Die CEOs der DAX-Konzerne sollen ihre Gesandten schicken. Die bestimmen doch sowieso die Politik. Dann hätten wir endlich klare Machtverhältnisse, jedenfalls so lange, bis die APO aus den Grünen und Linken wieder aufersteht und fröhliche Urstände feiert! So funktioniert der Kreislauf!

Gero Hatz
6 Jahre her

Die Spezialdemokraten sondieren derzeit „ergebnisoffen“. Was könnte das bedeuten? Forrest Gump hat sehr kompakt formuliert: Für jemand, der nicht weiss wo er hingeht, ist es unwahrscheinlich, dass er dort ankommt.

bfwied
6 Jahre her
Antworten an  Gero Hatz

Ist das nicht egal, wo sie hingehen? Die unterscheiden sich doch nicht von Merkel. Auch wenn diese Frau eine Minderheitsregierung etabliert, so hat sie eine absolute Mehrheit für den nicht erkennbaren chaotisch-sozialistischen Zickzack-Weg, auf dem sie so wankelmütig torkelt! Sie hat die Stimmen der Grünen, Linken und der SPD ohnehin, weil sie nichts unternimmt, was die Traumtänzer ärgern würde. Und auch wenn ihr nur 2/3 zustimmen sollten, reicht es donnoch für eine komfortable Mehrheit. Solange nicht die Wähler die Nase voll haben von dieser Politik, so lange können die Staatszerstörer machen, was sie wollen. Im Land Berlin herrscht das R/R/G-Chaos,… Mehr

Gotthelm Fugge
6 Jahre her

SPD–Parteitag / 20171207 / Berlin / Eine Retrospektive, von Einem, da draußen im weiten Lande. Ich habe den Parteitag der AfD auf „Phoenix“ mehrere Tage erlebt. Dieser arbeitete äußerst konzentriert, mit einer so was von qualitätsvollen, professionell gestalteten Sequenzfolge in allen zu beschließenden Programmpunkten, diszipliniert, mit hoher Sachkenntnis und auch Empathie zu allen Sachthemen. Auch alle neuzeitlichen, einen solchen Event unterstützende digitale Hilfsmittel, wie elektronische Abstimmungsgeräte, digitale Flip-Charts mit z.B. aufzustellenden Kandidaten und ihr aktuelles Delegiertenwahlergebnis in Graphikform auf den Saalmonitoren wurden effektiv genutzt. Über die Qualität des o.a. SPD-Parteitages (den ich mir auch bei „Phoenix“ angeschaut habe), auch hinsichtlich… Mehr

Horst Schulte
6 Jahre her

Das dieser hochmütige Kommentar über den Zustand der SPD hier gut ankommt, überrascht ja wirklich niemand. Hier im Blog werden giftige Töne und herabwürdigende Angriffe auf gewählte Politiker geradezu erwartet. Ich bin über den Zustand meiner Partei nicht glücklich. Auch nicht über ihr Führungspersonal. Mit der Logik von HMV scheint mir auch nicht alles toppi zu sein: Nach den Gesetzen der Logik müsste Schulz eigentlich sagen, „ich habe fertig.“ Sein Einbruch beim eigenen Wahlergebnis entspricht prozentual den SPD-Verlusten bei der Bundestagswahl. Als ob diese Vorgänge irgendwas miteinander zu tun hätten. Interessant finde ich übrigens, dass HMV im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer… Mehr

Fritz Goergen
6 Jahre her
Antworten an  Horst Schulte

Ich würde gerne verstehen, worauf Sie hinauswollen.

Stephan Kurz
6 Jahre her
Antworten an  Horst Schulte

Hallo ! Ich sehe das, glaube ich, etwas differenzierter: Der Kommentar mag hochmütig empfunden werden oder dies sogar sein, – aber ist die SPD denn eine Partei, die gerade heutezutage, – für Fairness im politischen „Wettbewerb“ steht oder gar weniger Häme über die politischen Gegner ausschüttet ? Ich denke nicht. Die dürfen ruhig etwas von ihrer eigenen Medizin kosten. Die beiden Wahlergebnisse können miteinander zu tun haben, – zwingend logisch ist es jedoch sicher nicht – da haben Sie recht … diese Passage habe ich aber eher als ein Wortspiel gedeutet. Dass Herr HMV im Fernsehen sehr zahm daher kommt,… Mehr

bfwied
6 Jahre her
Antworten an  Horst Schulte

Wer im Wahlkampf zum wiederholten Male die „Gerechtigkeit“ entdeckt, dabei während der letzten rund anderthalb Jahrzehnten an der Macht beteiligt war, aber nie gegen das, wogegen sie nun vorgehen wollen, unternommen haben, über den kann man nicht einmal mehr lachen. Diese Partei halte ich für eine groteske und völlig haltlose Partei, die keine Ahnung davon hat, was sie wollen soll. DAzu passt, dass sie überhaupt nicht auf die Wirklichkeit, auf das Mach- und Leistbare eingeht. Bei den Linken weiß man, was sie wollen, das kann man ablehen oder gut finden. Was die Grünen wollen, was das für eine Partei ist,… Mehr

Arno Schäfer
6 Jahre her

„Ergebnisoffen“ ist der Schulz’sche Euphemismus für „GroKo, aber ich darf’s nicht so deutlich sagen“.
Schulz erinnert mich ein bisschen an ein Brathähnchen: kopflos, dreht sich ständig hin und her, ist komplett gerupft, wird auf kleiner Flamme geröstet und hat nichts mehr zu melden.. 🙂

Hans G. Hilbert
6 Jahre her

Die SPD – Show ist zu Ende. Ein Parteitag der Fehlein – und Selbstüber-Schätzung ist zu Ende.
Wenn ich EINS erkannt habe, dann dass DIESE Partei weder den Willen noch die Fähigkeit zur bekundeten Änderung und Erneuerung besitzt. Es ist eine Partei der Funktionäre, vor denen Rosa Luxemburg eindrucksvoll gewarnt hat.
Vor DER Zeit, die angeblich mit den Sozis zieht, KANN MIR NUR GRAUEN.

Hans G. Hilbert
6 Jahre her

AfD – Parteitag setzt Maßstäbe für SPD – Parteitag. Es wird die BESSERE Nutzung der vorhandenen Technik vorgeschlagen. Antrags-und Debatten – Listen auf Bildschirmen ANZEIGEN.
HÖRT – HÖRT!