Die Hagia Sophia als Moschee ist für Erdogan mehr als notwendig

Die Hagia Sophia soll Moschee werden. Aus einem muslimischen Sonderfall wird wieder der Normalfall.

imago images / Kyodo News

Die Kirche „Hagia Sophia“ (= griech. „die heilige Weisheit“) aus dem 6. Jahrhundert war die bedeutendste Kirche Ostroms. Als Konstantinopel 1453 von den Osmanen eingenommen wurde, war das einer der ersten Handlungen von Sultan Mehmed II: Sein Gang in die Hagia Sophia, um dort sein Gebet zu verrichten und diese einzigartige Kirche Allah zukommen zu lassen.

So war es damals üblich: Die Sieger – ob Christen oder Muslime – bestimmten über die Religion und was mit den jeweils eroberten Gotteshäusern gemacht wurde. Für die Hagia Sophia war es auf jeden Fall besser, in eine Moschee verwandelt zu werden statt in einen Steinbruch. Über 400 Jahre diente danach die Hagia Sophia als Moschee.

Doch 1934 passierte das Überraschende: Kemal Atatürk machte aus der Moschee ein Museum. Das war eine Demütigung für viele Muslime. Doch genau darum ging es Atatürk. Nicht dass er den Islam abschaffen wollte. In Atatürks Verfassung von 1924 hieß es: „Die Religion des türkischen Staates ist der Islam.“

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Atatürk wusste, dass der Islam der beste Kitt sein würde, um die nach-osmanische neue türkische nationale Identität zu stärken. Und doch wollte Kemal Atatürk einen neuen fortschrittlichen Islam; denn er machte den traditionellen Islam für die wirtschaftliche, technologische und militärische Rückständigkeit des ehemaligen Osmanischen Reiches mitverantwortlich.

So war Kemal Atatürk zwar ein Förderer des Islam. Aber in der neuen Türkei sollte ganz klar der fortschrittliche Staat den Ton über die Religion angeben.

  • So wurde die Religion ganz der staatlichen Religionsbehörde Dyanet eingeordnet.
  • So wurde der Einfluss der Scharia zurückgedrängt.
  • So wurde das nach Atatürks Meinung rückständige Kopftuch aus Bereichen der Öffentlichkeit verbannt.
  • So erklang in der Türkei der Gebetsruf lange Zeit auf türkisch und nicht auf arabisch.
  • Und so wurde die Hagia Sophia erstaunlicherweise von einer Moschee zu einem Museum. Gewiss auch, um die Türkei außenpolitisch christlichen Koalitionspartnern gegenüber anschlussfähiger zu machen.

Türkischer Laizismus unter Atatürk hieß also keineswegs Säkularisierung oder gar Religionsfreiheit im westlichen Sinne. Mit so einem Programm hätte es ein Staatsoberhaupt in der Türkei wohl sehr schwer, denn die Verschmelzung von Religion und Politik ist im Islam durch Mohammed tief verwurzelt.
Türkischer Laizismus bedeutete also lediglich: Islam als Staatsreligion, aber ein staatlich gezähmter fortschrittlicher Islam.

Auch Erdogan hat natürlich nicht die Absicht, in Sachen Religion die Fäden aus der Hand zu geben. Der Unterschied zu Atatürk ist nur, dass der traditionelle Islam für Erdogan eine Herzensangelegenheit ist. Und so fördert er von oben – behutsam aber stetig – mit den vielen Machtmitteln in seiner Hand die Re-Traditionalisierung des Islam in der Türkei.

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2018 musste ich bei meinem Besuch in Istanbul feststellen: Im Museum Hagia Sophia ertönte fünfmal am Tag der Gebetsruf per Lautsprecher; dort mit einer perversen Lautstärke in einem für mich abstoßenden übersteuerten schrillen Ton. Und einige Gläubige nutzten bereits 2018 ganz bewusst eine Außenwand der Hagia Sophia, um gerade dort ihr Gebet zu verrichten.

Erdogan hat diese stetige Re-Moscheeisierung der Hagia Sophia wohl – mehr oder weniger verdeckt – gefördert oder zumindest zugelassen. Von daher ist für mich das Urteil des obersten türkischen Verwaltungsgerichts vom 10. Juli 2020 keine Überraschung, sondern der Schlusspunkt eines absehbaren Prozesses.

Als Moschee ist die Hagia Sophia nicht notwendig. Es gibt in Istanbul genug Moscheen für alle Muslime. Zumal Erdogan in Istanbul mehrere riesige neue Moscheen im alten osmanischen herrschaftlichen Baustil erbauen ließ.

Aber die Hagia Sophia als Moschee ist für Erdogan mehr als notwendig; weil er damit eindrucksvoll vor Augen führt: Gegenüber dem dekadenten christlichen Westen haben wir Türken den besseren, erfolgreicheren und stärkeren Gott.

Und gegenüber der starken türkischen Fraktion der Anhänger Atatürks („Kemalisten“) signalisiert Erdogan: Eure Zeit eines kastrierten „laizisitischen“ Islam geht zu Ende. Die Türkei steht jetzt wieder für den authentisch-muslimischen traditionellen Islam, der selbstbewusst in die Offensive geht.

PS. Wie werden die Christen in Deutschland darauf reagieren? Vermutlich werden viele erstaunt fragen: „Wie, in der Türkei gab es früher mal Christen?“

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Kommentare ( 23 )

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Solbakken
3 Jahre her

Von den beiden Kreuzabnehmern bzw. Nachfolger ist nichts zu erwarten.
Würde Atatürk heute leben, wäre er im Exil in den USA, auf der Flucht erschossen oder im Gefängnis.

Thorsten
3 Jahre her

Sehr treffende Analyse. Vor allem: „Gegenüber dem dekadenten christlichen Westen haben wir Türken den besseren, erfolgreicheren und stärkeren Gott.“ trifft den Nagel auf den Kopf. Dazu passend auch der Artikel: „30 Prozent der deutschen Katholiken erwägen Kirchenaustritt“.

Richtig problematisch wird es, wenn der Westen zu schwach wird seine „Dhimma“ in Form von Entwicklungs- und andere Geldhilfe zu leisten und die Sozialsysteme unter den Lasten wanken.

Corvus
3 Jahre her

Die Hagia Sophia (heilige Weisheit) wurde im Jahre 532 – 537, im oströmischen Reich erbaut, so liest man es zumindest. Der Islam kam erst ca. ganze 90 Jahre später, so liest man es zumindest. Das heutige Istanbul, hieß bis zur Eroberung durch die Osmanen, im Jahre 1453, noch Konstantinopel. Sie ist für für orthodoxe Christen so wichtig, wie der Petersdom in Rom, für Katholiken. Das, was der türkische Präsident gerade macht, ist ein reines Muskelspiel, ein politischer Fingerzeig, um seine Anhänger an sich zu binden. Damit er wahrscheinlich die Wahlen, die 2023 anstehen, vorziehen kann, um erneut, als „starker Mann“… Mehr

Porcelain by Nocken-Welle
3 Jahre her

*

Ritter-Kreuzzüge sind nicht zu befürchten – les´ ich doch heute, dass 30 % der Katholen den Kirchenaustritt erwägen – die sitzen sich hinter ihren Pixelautomaten, vergießen Krokodistränen und verblasen heisse Luft auf ihrem Kanapee

gleichzeitig

hinter aller Scheinheiligkeit verbergen sich Tatsachen: …es werden weiter Kirchen abgerissen, umfunktioniert in Diskos oder Shopping-Buden…

weil Sie fragen: Wie werden die Christen in Deutschland darauf reagieren?

..da brauch´ste nicht mal in die Türkei zu schauen, da genügt der Blick in den eigenen Rasierspiegel…

***

Rambatuba
3 Jahre her

1900 waren noch 25% derjenigen, die auf dem Gebiet der heutigen Türkei lebten, Christen. Nach dem türkischem Völkermord an den Christen und jahrhundertelanger Vertreibung und Unterdrückung sind es heute noch 0,3%. Nordafrika und der Nahe Osten waren einstmals rein bzw. größtenteils christlich. Allein in den letzten 100 Jahren hat die Zahl der dortigen Christen von 20% auf 4% abgenommen, während die Zahl der Moslems in Westeuropa von 50.000 1950 auf heute bis zu 40 Mio anwuchs. Angesichts des sich seit 40 Jahren weltweit radikalisierenden Islams wird der Europäer hoffentlich erkennen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, das freundliche Gesicht zu verhüllen.… Mehr

giesemann
3 Jahre her
Antworten an  Rambatuba

Fazit: Die waren „kognitiv, wissenschaftlich, militärisch“ ganz gut drauf, oder was meinen Sie, @Ramba? Vielleicht noch ein Gedanke: Als der 100-jährige Krieg* so langsam zu Ende ging, um 1450, da fiel Konstantinopel den Muslimen/Osmanen in die Hände, wie eine reife Frucht. Die hatten übrigens hervorragende Kanonen, mauerbrechend. *Da haben sich Frankreich und England ordentlich zerfleischt, sodass die Osmanen nur noch den „Kairos“, den günstigen Augenblick abwarten mussten, um zu zu schlagen, allez. Lektüre empfohlen: Barabara Tuchman: „Der ferne Spiegel“, oder auch von ihr „August 1914“ – das sind wenige Beispiele von vielen.

Rudi Huschke
3 Jahre her

Wie werden die Christen in Deutschland darauf reagieren?

Sie werden ihm verzeichen und mit ins Gebet einschliessen…

giesemann
3 Jahre her

Steigt man vom Haupteingang der Ayasofia rechts hoch, dann findet man am Ende des Ganges eine Art Grabstein mit der Inschrift „Enrico Dandolo“. Einer der Gauner, der lieber Konstantinopel hat plündern lassen als nach Jeruschaleim, der Stadt des Friedens weiter zu marschieren, um sie vom islamischen Joch zu befreien. Das Christenvolk war immer schon bescheuert, auch Jesus und Saulus-Paulus konnten das nicht verhindern, das Evangelion hin oder her – zumal, wenn sie sich mal wieder untereinander abschlachteten, denke da vor allem an den 30-Jährigen 2.0 von 1914 bis 1945. SOWAS haben noch nicht mal die Moslems je fertig gebracht, in… Mehr

Rambatuba
3 Jahre her
Antworten an  giesemann

So etwas haben sie nicht fertig gebracht, weil sie kognitiv, wissenschaftlich, militärisch dazu nicht in der Lage waren. Sie steckten/stecken im finstersten Mittelalter. Es steht außer Frage, dass sie das Schlachten, hätten sie es denn gekonnt, noch fürchterlicher hätten ausfallen lassen. Der Islam ist nun mal keine Religion der Liebe wie das Christentum, sondern eine Ideologie des Hasses (Mohammed hat massenhaft gemordet/Jesus wurde ermordet), die behauptet, Gott hätte seine Botschaft in einem Nachfolger Jesu von Barmherzigkeit, Gewaltfreiheit und dem Hinhalten der anderen Wange in „töte die Ungläubigen, konvertiere und unterwirf den dar al harb mit Gewalt“, was wir heute wöchentlich… Mehr

Erich
3 Jahre her

Einen Makel wird sie für die Muslime immer haben. Sie ist als Kirche nach Osten ausgerichtet und nicht nach Mekka. Eine Säule im Innern weist ein tiefes Loch auf. Dort versuchen die Moslems sie, seit Jahrhunderten, symbolisch nach Mekka zu drehen. Nun wird das Loch halt bisschen tiefer aber Kirche bleibt Kirche. Bisschen schadenfreudig bin ich schon.

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Erich

Es ist ein symbolischer Akt die sakrale Hauptkirche der Othodoxen Christenheit zur Moschee zu nutzen.

Den Christen und dem Papst im Petersdom sollte es eine Warnung sein. Ist es aber nicht …

AlNamrood
3 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Ich bin sicher Russland und Griechenland verstehen das sehr genau.

Herbert Rehm
3 Jahre her

Ach – lasst ihn doch den Erdogan. Was haben Sie schon in der Türkei ausser ihrem Islam.
Demokratie – Fehlanzeige, Toleranz – Fehlanzeige, Industrie und Produktion – Fehlanzeige, Erfindungen oder Innovation – Fehlanzeige. Nobelpreise – bisher Fehlanzeige. Schlicht und einfach – nichts. Da vergönnen wir ihnen doch gerne eine weitere Moschee. Praktisch als geistiges Zentrum für den Weg zurück ins Mittelalter.

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Herbert Rehm

„Toleranz“ ist die letzte Tugend der Schwachen sich ins Schicksal zu fügen …

the NSA
3 Jahre her

Es gibt keinen FORTSCHRITTLICHEN Islam. Das ist reines, west-europ. Wunschdenken. Es gibt die Sunni und die Shia, mit grossen Differenzen, welche sich beide feindseelig gegenueber stehen. Am besten informiert man sich bei Bassam Tibi, um zu verstehen, was der Islam ist und will. Dazu muesste man hier 100 Buecher schreiben. Dem Westen ist es auch egal, ob ein islam. Regime wie Saudi Arabia den Wahabismus foerdert, oder ob ein Regime wie Malaysia ein eher ‚liberales‘ Land ist. Die westl. Werte gelten in keinem islam. Land, nur gibt es verschiedene Realitaeten in versch. Laendern. Afghanistan ist nicht Syria oder eben Malaysia… Mehr

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  the NSA

Eine Essenz mit all den Unverträglichkeiten mit unserer Kultur gibt es jedenfalls auf 39 Seiten: https://www.atheisten-info.at/downloads/Bill_Warner-Scharia_fuer_Nicht-Muslime.pdf