Tichys Einblick
Keine unabhängige Stimme

Der „Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ und seine schwierige Aufgabe

Die mitarbeitende Bertelsmann Stiftung stellt bereits vor Arbeitsaufnahme wortstark und öffentlich ihre Grundthese in den Raum: „Es gibt eine soziale Pandemie, die Europa vergiftet: der Hass auf Muslime“ und spricht wortwörtlich von einer „antimuslimischen (Europäischen) Union“.

Symbolbild

© Getty Images

Viele Studien haben sich bereits mit dem Thema befasst. Auch der am 25. November veröffentlichte aktuelle umfangreiche Maßnahmenkatalog, den der Kabinettausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus erarbeitet hat, richtet sich gegen Muslimfeindlichkeit als eine Form „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte vor wenigen Wochen sogar eine Runde von Fachleuten berufen, um in zwei Jahren „Empfehlungen für den Kampf gegen Muslimfeindlichkeit“ in Deutschland zu erarbeiten. Die in diesem staatlichen Kreis mitarbeitende Vertreterin der Bertelsmann Stiftung verbreitet dabei im britischen „Guardian“ und auf der Website „Vielfalt leben“ schon mal als griffige, zugespitzte Grundthese, dass ganz „Europa durch den Hass auf Muslime vergiftet“ wird und der „europäische Sündenbock der Wahl höchstwahrscheinlich muslimisch sein“ wird. Das klingt verdächtig nach einem vorweggenommenen Ergebnis aus dem Expertenkreis, der eigentlich antreten sollte, die Bevölkerung toleranter zu machen, nicht: verbal aufzurüsten.

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat Anfang September einen zwölfköpfigen „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ (UEM) berufen. Die Forscher und Praktiker sollen „aktuelle und sich wandelnde Erscheinungsformen von Muslimfeindlichkeit analysieren und auf Schnittmengen mit antisemitischen Haltungen sowie anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hin untersuchen“, um nach zwei Jahren „Empfehlungen für den Kampf gegen Muslimfeindlichkeit“ vorzulegen. Abzuwarten bleibt, was die eingesetzten Experten ganz konkret unter Muslimfeindlichkeit verstehen, ob sie auch Integrationsschwierigkeiten von Zuwanderern einbeziehen. Abzuwarten bleibt vor allem, wie viel weltanschauliche Unabhängigkeit die Runde der Fachleute an den Tag legen wird.

Die im UEM mitarbeitende Bertelsmann Stiftung stellt jedenfalls bereits vor Arbeitsaufnahme wortstark und öffentlich ihre Grundthese in den Raum: „Es gibt eine soziale Pandemie, die Europa vergiftet: der Hass auf Muslime“ und spricht wortwörtlich von einer „antimuslimischen (Europäischen) Union“. [Siehe dazu Text weiter unten.]

Der Expertenkreis

Die zwölf berufenen Personen sind:

  • Prof. Dr. Iman Attia, Alice Salomon Hochschule Berlin
  • Karima Benbrahim, Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. (IDA)
  • Saba-Nur Cheema, Bildungsstätte Anne Frank e.V.
  • Dr. Yasemin El-Menouar, Bertelsmann Stiftung
  • Prof. Dr. Karim Fereidooni, Ruhr-Universität Bochum
  • Prof. Dr. Kai Hafez, Universität Erfurt
  • Özcan Karadeniz, Verband binationaler Familien und Partnerschaften e.V.
  • Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
  • Nina Mühe, CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit
  • Prof. Mathias Rohe, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
  • Prof. Dr. Christine Schirrmacher, Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Katholische Universität Löwen
  • Dr. Yasemin Shooman, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)

Alle Personen und Organisationen wurden vermutlich berufen, weil sie sich im Schwerpunkt mit Fremdenfeindlichkeit beschäftigt haben. Kai Hafez etwas hat als Forschungsschwerpunkt „Islam/Muslime im Westen (Islamophobie)“, Nina Mühe von der Initiative CLAIM – die auch zum „Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit“ des Bundesprogramms „Demokratie leben“ zählt – beklagte schon 2019, man sei in „großer Sorge angesichts der islamfeindlichen und antimuslimischen Einstellungen, die sich in Deutschland seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau befinden“. Diese Einstellungen werden normalerweise in einschlägigen, in ihrer Methode nicht unumstrittenen Studien wie den sogenannten Mitte-Studien erhoben.

Aktuelle Anliegen von muslimischen Organisationen

Zahlreiche Organisationen haben die Einrichtung des UEM begrüßt, so auch der Zentralrat der Muslime. Er verweist auf eine für den Mediendienst Integration erstellte Expertise der Göttinger Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus vom September 2020. Die Islamwissenschaftlerin ist Vorstandsmitglied des Rats für Migration. Als Anliegen islamischer Selbstorganisationen listet Spielhaus auf: „Islamischen Religionsunterricht, Bestattung nach islamischem Ritus, Recht auf Freistellung von Arbeit und Schule, um an den Riten der islamischen Feiertage und dem Freitagsgebet teilnehmen zu können, religiöse Betreuung von Muslim*innen in Gefängnissen, Krankenhäusern und bei der Bundeswehr, Vertretung in Rundfunk-und Medienräten, islamische Theologie an Hochschulen, islamische Wohlfahrtspflege, Zugang zu öffentlichen Geldern und steuerlichen Vorteilen für gemeinnützige und soziale Arbeit von Religionsgemeinschaften“. Erwähnung finden weiter die Themen: Beschneidung, Kopftuch und Vollverschleierung, Moscheesteuer, „Eindämmung von Islam- und Muslimfeindlichkeit“. Im Hinblick auf die rechtliche Anerkennung des Islams habe der damalige Bundespräsident Christan Wulff 2010 mit seiner Feststellung „Der Islam gehört zu Deutschland“ einen Nerv getroffen, in den Folgejahren sei „viel geschehen“. Spätestens seit 2016 stagnierten Prozesse und Verhandlungen jedoch.

„Muslimfeindlichkeit“ vielschichtiger Begriff

Horst Seehofers Expertenkreis läuft unter einer Überschrift, die zwei Wörter mit schillerndem Inhalt verknüpft. Zum einen zählen „Muslime“ zu einer Religion, der sich in vielen Staaten hohe Bevölkerungsanteile zuordnen, die jedoch eine Vielfalt von „Konfessionen“, theologischen Schulen und Gruppen aufweist. Es ist auch unklar, wie hoch der aktuelle Anteil der Muslime an der bundesdeutschen Bevölkerung ist (vermutlich 6 + X Prozent). Zum anderen umfasst das Stichwort „Feindlichkeit“ Abneigungen sehr unterschiedlicher Art. Viele Initiativen von Migrantenverbänden wie auch der UEM begründen ihren Handlungszwang vor allem mit „rassistischen und muslimfeindlichen Vorfällen“, konkret also: mit Kriminalität. In der Forschung werden aber auch schon deutlich „harmlosere“ Erscheinungen (wie eine „tiefe Skepsis gegenüber Muslimen“) ins Visier genommen. Es bleibt das Grundproblem, dass der Begriff „Muslimfeindlichkeit“ ungenau ist.

Zwischen den Welten von Phobien, Feindseligkeiten, Rassismus, Kritik

Das Bundesinnenministerium hat den UEM explizit auf das Untersuchungsfeld „Muslimfeindlichkeit“ festgelegt. Dabei wäre es wichtig, die Muslimfeindlichkeit von benachbarten Begriffen und Phänomen abzugrenzen, die im öffentlichen Raum kursieren. Armin Pfahl-Traughber hat 2019 für die Bundeszentrale für politische Bildung versucht, den Begriffsdschungel zu lichten.

Der „wohl etablierteste Begriff“ „Islamophobie“ meine ein auf den Islam oder die Muslime bezogenes stark ausgeprägtes Gefühl von Furcht, das über ein als angemessen oder normal geltendes Maß hinausgeht. (Dass dieser Begriff, obwohl immer noch beliebt, nicht viel taugt, liegt auf der Hand: Negative Haltungen zu sozialen Gruppen lassen sich nicht auf irrationale Angststörungen reduzieren.)
„Islamfeindlichkeit“ stehe für rigoros ablehnende Auffassungen zum Islam. Wer islamfeindlich argumentiere, zeichne ein durchgängig negatives Bild vom Islam und bringe seine eigenen Auffassungen in eine konfrontative Gegenposition. Prinzipiell müsse allerdings nicht jede rigorose Abwertung des Islams extremistisch oder muslimenfeindlich motiviert sein. Ein Atheist im Sinne eines säkularen Humanismus etwa lehne auch das Christentum grundlegend ab, werde aber nicht für die Abschaffung von Grundrechten für die Anhänger dieses Glaubens plädieren.
„Muslimenfeindlichkeit“ ziele nicht auf den Islam als Religion, sondern beschreibe allgemeine und rigorose Negativ-Bilder von den Anhängern dieser Religion wie „Für Muslime in Deutschland sollte die Religionsausübung erheblich eingeschränkt werden.“

Die Anhänger des Begriffs „Antimuslimischer Rassismus“, erklärt der Autor, sehen „in den Muslimen tatsächlich keine ‚Rasse‘. Es geht ihnen darum, dass die Betroffenen zu einer homogenen Gruppe aufgrund ihrer tatsächlichen oder angenommenen Religion konstruiert werden.“

Bleiben noch die Schlüsselwörter „Islam-“ und „Muslimenkritik“. „Islamkritik“ richte sich mit Einwänden gegen bestimmte Erscheinungsformen der Religion. Bei „Muslimenkritik“ gehe es um die Hervorhebung von negativ eingeschätzten Eigenschaften der Anhänger des Islams. Auch dem Autor ist dabei klar, dass die „zumindest idealtypische“ Abgrenzung von Feindlichkeit und Kritik eine intellektuelle Herausforderung darstellt. Hier bieten sich, meint Pfahl-Traughber, die Gesichtspunkte „Realitätsgehalt“ und „Reichweite“ an. Im erstgenannten Sinne gehe es um die Frage, inwiefern die formulierten Auffassungen empirisch belegbar sind. So weise etwa eine Reihe von Studien auf bestimmte Besonderheiten der in Deutschland lebenden Muslime hin, wozu etwa ein relativ geringes Bildungsinteresse, ein relativ traditionelles Frauenbild, eine relativ ausgeprägte Religionsorientierung oder eine relativ starke Segregationsneigung zählten. Der kritische Hinweis auf diese Besonderheiten allein könne „nicht als Ausdruck von ‚Islamfeindlichkeit‘ oder ‚Islamophobie‘ gelten.“

Die hier versuchte trennscharfe theoretische Abgrenzung löst natürlich nicht das praktische Problem, dass es jeweils auf die Konkretisierung ankommt sowie auf subjektive Wertungen, ob man eine Aussage als „richtig“ bzw. als legitime Meinungsäußerung oder im Gegenteil als verzerrt, einen ganzen Bevölkerungskreis herabwürdigend einordnet.

Erhebungen zu Vorbehalten gegenüber Muslimen in ausgewählten Studien

Es gehört zum Standard-Repertoire vieler Studien, die „Muslimfeindlichkeit“ der Gesamtbevölkerung bzw. deren, implizit meist als zu pauschal bis falsch gewertete, Vorurteile gegenüber muslimischen Mitbürgern/allen Zuwanderern aufzudecken. Dabei ist eine Tendenz erkennbar, Probleme im Verhältnis zwischen Minderheitengruppen und der Gesamtbevölkerung vor allem der „Mehrheitsgesellschaft“ anzulasten.

So erbittet die Studie „Verlorene Mitte – Feindselige Zustände“ von den Interviewteilnehmern Beurteilungen folgender, von den Forschern selbst formulierter Statements, welche sie als Kennzeichen einer Diskriminierung von Muslimen verstehen: (Die Prozentzahlen sind Zustimmungswerte auf der Basis von 5-er Skalen sowie 4-er Skalen ohne die mittige Rubrik „teils/teils“. Andere Studien nennen teilweise davon abweichende Werte.)

  • Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden: 11 % [auf 4-er Skala 18 %]
  • Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet: 19 %
  • Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land: 30 % [35 %]
  • Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat NICHT großzügig sein: 62 % [75 %]
  • Die meisten Asylbewerber werden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt: 28 % [44 %]
  • Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken: 11 % [19 %]
  • Wer irgendwo neu ist, sollte sich erst mal mit weniger zufrieden geben: 50 % [65 %]

Der Thüringen-Monitor 2019, der wahlberechtigte Thüringer unter die Lupe nahm, arbeitete mit den vorformulierten Items:

  • Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland ist gefährdet: 79 %
  • Die meisten in Deutschland lebenden Muslime akzeptieren NICHT unsere Werte, so wie sie im Grundgesetz festgeschrieben sind: 45 %
  • Muslime in Deutschland stellen zu viele Forderungen: 63 %
  • Sobald Krieg und Verfolgung beendet sind, sollten alle Flüchtlinge und Asylsuchenden wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren: 71 %
  • Alle Flüchtlinge und Asylsuchenden sollten zur Teilnahme an Integrations-und Sprachkursen verpflichtet werden: 97 % | Die in Deutschland lebenden Zuwanderer sollten ihren Lebensstil beibehalten dürfen, auch wenn er sich vom Lebensstil der Deutschen unterscheidet: 48 % | Die meisten Flüchtlinge und Asylsuchenden sind aufgrund ihrer Kultur gar nicht in Deutschland integrierbar: 63 %
  • Es sollte wieder mehr für die Mehrheit der Leute in unserem Land getan werden als sich um Minderheiten zu kümmern: 66 %

Die Studie „Ost-Migrantische Analogien“ des DeZIM hat in Ost- und Westdeutschland erhoben:

  • Muslime sehen sich ständig als Opfer: Westdeutsche 37 % | Ostdeutsche 39 %
  • Muslime sind noch nicht richtig im heutigen Deutschland angekommen: West 59 % | Ost 67 %
  • Muslime distanzieren sich nicht genug vom Extremismus: West 43 % | Ost 52 %

Einige Fragen thematisieren das Konkurrenzverhältnis zwischen Alt- und Neubürgern:

  • Muslime werden wie Bürger zweiter Klasse behandelt: West 36 % | Ost 34 %
  • Es sollte Quoten geben, damit Migranten entsprechend ihres Anteils in wichtigen Positionen vertreten sind: West 31 % | Ost 32 %

Das Recht auf freie Religionsausübung wird bejaht, eine starke Minderheit der Befragten zeigt aber Skepsis gegenüber der konkreten Ausübung des islamischen Glaubens:

  • Es ist wichtig, dass ungestörte Religionsausübung gewährleistet wird: West 85 % | Ost 76 %
  • Die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland sollte eingeschränkt werden: West 30 %| Ost 44 %
Umgekehrte Perspektive: Was denken Muslime?

Speziell die Integration und Religiösität türkeistämmiger Einwohner in Deutschland untersuchte 2016 das Excellenzcluster Politik und Religion der Universität Münster mit Emnid unter der Leitung von Detlef Pollack. Seine Beobachtungen im Telegrammstil: „Hohes allgemeines Wohlbefinden, aber weit verbreitetes Gefühl mangelnder sozialer Anerkennung – Vehemente Verteidigung des Islam – Fundamentalistische Haltungen verbreitet – Kulturelle Selbstbehauptung besonders in der zweiten und dritten Zuwanderer-Generation“. Einzelne Ergebnisse:

  • Persönliche Haltung zu den Mitgliedern folgender Gruppen eher negativ bis sehr negativ: zu Atheisten 27 %, Juden 21 %, Christen 5 %, Menschen mit deutscher Herkunft 4 %
  • Es ist für alle Beteiligten viel besser, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt …: 39 %
  • Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe: 47 % | Muslimische Frauen sollten Kopftuch tragen: 33 % | Muslime sollten es vermeiden, dem anderen Geschlecht die Hand zu schütteln: 23 %

Einblicke in die Lebenswelten von Migranten gewährt auch Sabine Pokorny in der 2016er Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung „Was uns prägt. Was uns eint“. „Nur wer die Regeln des Koran buchstabengetreu befolgt, ist ein wahrer Muslim“ erklärten hier 31 Prozent der befragten Muslime. Mit „Respekt behandelt“ fühlten sich über drei Viertel der türkeistämmigen Befragten bzw. Muslime „immer oder häufig“, je ein Fünftel jedoch „selten oder nie“.

Klare Positionierung: Bertelsmann Stiftung sieht Europa durch „Hass auf Muslime vergiftet“

Die Bertelsmann Stiftung, eine in der Politik und den Medien fraglos viel beachtete und sehr aktive (Forschungs-)Einrichtung, hat sich in puncto „Muslimfeindlichkeit“ jüngst bemerkenswert klar positioniert. Patrycja Sasnal, Political Scientist beim Think Tank Polnisches Institut für Internationale Angelegenheiten und seit kurzem Mitglied des Human Rights Council Advisory Committee der Vereinten Nationen, und Yasemin El-Menouar, Senior Expert in der Bertelsmann Stiftung, veröffentlichten am 8. Oktober auf der Website „Vielfalt leben“ einen Text, der übertitelt ist: „Es gibt eine soziale Pandemie, die Europa vergiftet: der Hass auf Muslime. Wenn antimuslimische Vorurteile nicht ins Visier genommen werden, sind Maßnahmen zur Bekämpfung des Rassismus in Europa im Gefolge der Black-Lives-Matter-Proteste sinnlos“. El-Menouar, Leiterin des Projekts Religionsmonitor, gehört wohl bemerkt, siehe oben, als Repräsentantin der Bertelsmann Stiftung zu den zwölf Mitgliedern von Horst Seehofers neuem Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit.

Im Text, der am 28. September in englischer Sprache in der britischen Zeitung „The Guardian“ erschienen war, heißt es, Vorurteile gegen Muslime gebe es inzwischen „quer durch Europa“. „Nicht nur, dass wir muslimische Europäer kollektiv abwerten und diskriminieren, auch die Gewalt gegen Muslime nimmt in Europa zu.“ „Von Spanien bis Bulgarien, von Finnland bis Frankreich – überall pflegen die Menschen inzwischen Vorurteile gegenüber Muslimen.“ In seinem jüngsten Bericht warne der Europarat davor, dass „Europa einer schockierenden Realität gegenübersteht: Antisemitische, antimuslimische und andere rassistisch motivierte Hassverbrechen nehmen mit alarmierender Geschwindigkeit zu“. So werde der „europäische Sündenbock“ erster Wahl „höchstwahrscheinlich muslimisch sein“, warnen Sasnal und El-Menouar unter Verweis auf die Website der Open Society Foundations, die den Titel „Islamophobia in Europe“ trägt. Natürlich, heißt es relativierend, seien nicht alle Europäer rassistisch eingestellt. „Aber die Fremdenfeindlichkeit wächst in Krisenzeiten wie diesen. Die Pandemie, die drohende Rezession und die globale Unsicherheit können die existenzielle Gefahr durchaus verschärfen, die Rassismus und Muslimfeindlichkeit für die Europäische Union und die Demokratie bereits heute darstellen.“ Im Einzelnen begrüßen die Forscherinnen den beim DeZIM – wie die Bertelsmann Stiftung Mitglied im UEM – angesiedelten künftigen, vom Bundestag beauftragten „Rassismus-Monitor“ und die geplante Ernennung eines „Anti-Rassismus-Koordinators“ der EU.

Der zitierte Beitrag bezieht sich unter anderem auf Ergebnisse des 2019er Religionsmonitors der Gütersloher Stiftung. Danach ist religiöse Toleranz weit verbreitet, „aber der Islam wird nicht einbezogen“. Den Befunden zufolge empfindet gut die Hälfte der Gesamtbevölkerung den Islam als „bedrohlich“ׅ. Immerhin 36 Prozent sagen demgegenüber, er sei „bereichernd“. „Offenbar“, interpretiert El-Menouar, „sehen viele Menschen den Islam derzeit weniger als Religion, sondern vor allem als politische Ideologie an und nehmen ihn deswegen von der religiösen Toleranz aus“. Hierzu haben aus ihrer Sicht auch die gesellschaftlichen Debatten und Medienberichte der vergangenen Jahre beigetragen. Als Gegenmaßnahme schwebt ihr unter anderem vor, bereits in Kita und Schule anzusetzen, „um Kinder – unabhängig von konfessionellen Grenzen – über Religion und religiöse Vielfalt zu unterrichten“.

Dabei, dies hatte bereits der Religionsmonitor 2017 der Bertelsmann Stiftung postuliert, seien muslimische Einwanderer „in ihrer großen Mehrheit in ihren Aufnahmeländern angekommen“. Insbesondere das Kopftuch sei jedoch zum Symbol von Fremdheit geworden. Die Wahrnehmung, dass Muslime in Europa im Durchschnitt religiöser sind als andere Glaubensgemeinschaften und enge Beziehungen in ihre Herkunftsländer unterhalten, löse „Unbehagen“ aus. In der 2017er Umfrage ordnen sich immerhin 40 Prozent der Muslime in Deutschland als „hochreligiös“ ein (gegenüber 16 % der Nichtmuslime). Die viel zitierte muslimische „Parallelgesellschaft“ sei „die Ausnahme und nicht die Regel“, bilanzieren Dirk Halm und Martina Sauer. Nur 15 Prozent der befragten Muslime wohnten nach eigenem Bekunden in Gegenden, in denen überwiegend Einwanderer leben.

Notwendig: Unterscheidung zwischen starker Abwehr, Fremdheit und Einschätzung politischer Machbarkeit

Die Schlaglichter auf ausgewählte Studien lassen erahnen, wie vielschichtig das Thema „Einstellung der Bevölkerung zu Zuwanderern – Lebenswelten von Migranten“ ist. Die Rolle der Religion/des Islams wird in den meisten Untersuchungen eher abstrakt erhoben, obgleich die grundgesetzlich gewährte Religionsfreiheit noch nichts darüber aussagt, welche religiösen Verhaltensweisen darunter im Einzelnen zu fassen sind. Zudem haben islamische Vorschriften auch mit juristischen Überlegungen zu tun, nicht nur beim Thema Kopftuch im öffentlichen Dienst. So wird das islamische Schächten an Regelungen des Tierschutzes gemessen. Auch um den Bau neuer Moscheen und den Muezzinruf entbrennt hier und da ein Streit.

Grundsätzlich fängt die gängige Erhebung von Einstellungen dazu, ob DER Islam „bereichernd“ oder „bedrohlich“ ist, diffuse Bauchgefühle und Stimmungen ein, weniger sachliche Argumente. Niemand bestreitet ernsthaft, dass es Menschen gibt, die „Ausländer“ blind und grundsätzlich stark ablehnen, und dass auch strukturelle, im System liegende Benachteiligungen von sozialen Gruppen möglich sind und identifiziert werden sollten.

Wer aber „Muslim-/Islamfeindlichkeit“ flächendeckend für gegeben hält, sollte und muss differenzieren zwischen

1. dem viel zitierten „Hass“ auf Gruppen, „abwegigen“ Einstellungen, chronisch unfreundlichem Verhalten oder gar kriminellen Akten,
2. natürlichen Fremdheitsgefühlen gegenüber anderen Kulturen/sozialen und religiösen Gruppen bezogen auf deren Werte, Lebensweisen, Kleidung (die zu einer Abgrenzung führen können, auch von Seiten der Minderheiten) und
3. praktischen Sorgen, dass Staat und Gesellschaft mit größeren schnellen Zuwanderungsbewegungen politisch, kulturell und ökonomisch überfordert werden könnten.

Wird sich der UEM auf Fremdenfeindlichkeit konzentrieren?

Die anspruchsvolle Aufgabe von Horst Seehofers „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ sollte nun eigentlich, möchte man meinen, darin bestehen auszuloten, welche Meinungen, Äußerungen und Handlungen der Bevölkerung als Aggression gegenüber Muslimen bekämpft werden müssen, welche in einem demokratischen Rechtsstaat als legale und legitime Meinungen, sogar erlaubte Vorurteile, zu qualifizieren sind. Solange sich Bürger in Wort und Tat sozialverträglich und gesetzestreu zeigen, besteht ja keine Verpflichtung, alle Fremdgruppen ohne Wenn und Aber „zu mögen“.

Die vom Bundesinnenministerium dem Kreis übertragene explizite Aufgabenstellung – „Erscheinungsformen von Muslimfeindlichkeit zu analysieren und auf Schnittmengen mit antisemitischen Haltungen sowie anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hin zu untersuchen“ – gibt allerdings Anlass zu der Vermutung, dass die Expertenrunde selektiv nach Vorurteilen gegenüber und allen möglichen Benachteiligungen von Minderheiten und Migranten Ausschau halten könnte. Sollten noch mehr Mitglieder des „Unabhängigen Arbeitskreises Muslimfeindlichkeit“ wie die Vertreterin der Bertelsmann Stiftung von vornherein europäische Bevölkerungen von xenophobischem „Hass auf Muslime vergiftet“ betrachten, darf man sich schon fragen, ob derlei grelle Voreinstellungen nicht einer nüchternen Gesellschaftsanalyse im Wege stehen. Zu Letzterer gehört auch die Beobachtung, dass einige europäische Staaten fraglos beliebte Einwanderungsländer darstellen.

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