Wahlsonntag: Dann wählt mal schön

Die Bundestagsparteien weigerten sich, über Flüchtlinge und Integration ernsthaft zu diskutieren oder sich gar zu positionieren. Obwohl alle Meinungsforscher sich einig sind: Keine andere Frage interessiert die „Menschen draußen im Lande“ mehr.

Alles hat ein Ende, auch ein Wahlkampf, in dem die Bundestagsparteien eines gemein hatten: Sie weigerten sich, über das Thema Flüchtlinge und Integration ernsthaft zu diskutieren oder sich gar eindeutig zu positionieren. Obwohl alle Meinungsforscher sich in dem Punkt einig sind: Keine andere Frage interessiert die „Menschen draußen im Lande“ so sehr wie diese.

Zwei Parteien haben sich da anders verhalten: Die AfD, die bei dieser Gelegenheit auch ausländerfeindlichen Tönen freien Lauf ließ. Und die FDP, die im Endspurt auf eine Selbstverständlichkeit hinwies: dass Menschen, die bei uns zeitweilig Schutz suchen und ihn auch bekommen sollen, dann wieder in ihre Heimat müssen, wenn dort zum Beispiel kein Krieg mehr herrscht.

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Ein Ergebnis steht schon fest: Deutschland bleibt nicht das einzige große europäische Land, in dessen Parlament keine Nationalisten und keine Rechtsradikalen sitzen. Der Einzug der AfD in den Bundestag stellt so besehen ein Stück europäische Normalisierung dar.

Selbst die Verschwörungstheoretiker und Aluhut-Träger vom rechten Rand müssen freilich einräumen: Unser demokratisches System funktioniert. Wenn Menschen das Gefühl haben, die bisherigen Parteien greifen wichtige Anliegen nicht auf, können neue Parteien entstehen. Und die können auch in Parlamente einziehen – sofern hinreichend viele Wähler das wollen. Also nix mit Verschwörung der „Herrschenden“.

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Bei all der Aufregung um die AfD bleibt eines auf der Strecke: Auch die sich heute „Die Linke“ nennende SED wird im neuen Bundestag gut vertreten sein. Gut möglich, dass die beiden radikalen Kräfte zusammen ein Viertel der Sitze erringen. Bei allen ideologischen Unterschieden haben sie eines gemeinsam: AfD und Linke neigen zu Verschwörungstheorien. Was für die Rechtsaußen die „Altparteien“ und deren Regierenden sind, sind für die Linksaußen die Kapitalisten. So treffen sie sich wieder einmal.

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Viele Medien geraten fast in Panik, wenn sie an die AfD denken. Dirk Kurbjuweit, stellvertretender Spiegel-Chefredakteur, hat am Tag vor der Wahl in seinem Online-Morning-Briefing einen Ratschlag gegeben, wie die Wähler die AfD „klein halten“ könnten: „Die AfD wird ihre Anhängerschaft nahezu komplett mobilisieren, deshalb kommt es darauf an, dass alle anderen Parteien so viele Stimmen einsammeln wie möglich. Gehen Sie bitte wählen, das ist das beste, was Sie für die liberale Demokratie tun können. Nie war es so wichtig wie diesmal.“

Der Spiegel empfiehlt also, wählen zu gehen – gegen die AfD. Was dabei auffällt. Zum Wählen getrommelt, um Die Linke klein zu halten, hat der Spiegel noch nie. Zufall? Eher nicht.

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In einem Punkt sind sich Angela Merkel und Martin Schulz sehr ähnlich: Sie schauen schon ein bisschen ängstlich auf ihre jeweilige Untergrenze. Die CDU/CSU muss über 35 Prozent bleiben und die SPD über 23 Prozent, wenn beide nicht als ganz große Verlierer dastehen wollen. Merkel würde auch bei einem schlechteren Ergebnis wohl Kanzlerin bleiben (wie 2009 mit 33,8 Prozent), Schulz dagegen nicht mehr lange SPD-Vorsitzender.

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Weil die Wahl angeblich gelaufen ist, haben sich einige Journalisten auf ein neues Ratespiel eingelassen: Bleibt Merkel bis 2021 im Amt? Oder hört sie früher auf? Ob die lieben Kolleginnen und Kollegen vergessen haben, dass Merkel bereits 2013 vorhergesagt wurde, sie würde 2015 abtreten? Und haben nicht wenige Propheten sogar gewusst, Merkel werde jetzt nicht mehr antreten? Tja.

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Wahlkampfweisheit zum Wahlsonntag: Je einhelliger die Prognosen, umso überraschender sind oft die Ergebnisse.

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Kommentare ( 35 )

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Justin Cool
6 Jahre her

Hätte Merkel nicht nur Politik für Reiche und Mächtige gemacht, zu denen auch der Autor zählt, dann würde die Opposition jetzt nicht so stark zulegen bei der Wahl. Denn leider sind nicht alle, ja nicht einmal die große Mehrheit der Deutschen Teil dieses kleinen elitären Kreises, den Flüchtlingskrise, Billiglöhne, Altersarmut, Niedrigzinsen, Bildungsmisere nichts anhaben können, denn sie haben ihre Schäfchen im Trockenen und leben „gut und gerne im System Merkel“.

Old-Man
6 Jahre her

Schönen guten Tag Herr Müller-Vogg! Heute ist es also so weit,es wird gewählt.Erst einmal einen schönen Dank an Sie,für ihren unterhaltsamen Countdown zur Wahl,hat Spaß gemacht die gesamte Meinungspalette quer Beet präsentiert zu bekommen,es war schließlich für jeden etwas dabei! Auch Ich bin gespannt wie der berühmte Pflitzebogen, was da um 18°° herauskommt. Ich freue mich auf lange Gesichter zweifelhafte Aussagen ob der Ergebnisse,aber auch auf die Elefantenrunde,da wird es heute wohl hoch her gehen. Ich freue mich auf die Schnappatmung von Schulz,aber auch der Laubfrösche und unfreie Demokraten,auf die gefasste Sahra,auf strahlende AfD Gesichter,und die wie immer dämliche Frage… Mehr

Nichtzufassen
6 Jahre her

Bei der Welt weiß jeder, was damals bei der FAZ war.

kostanix
6 Jahre her

Herr MV, für Sie ist die Welt in Ordnung, wenn man mal wieder etwas an brauner Masse auf den Gegner schleudert. In ihrem Fall die Aussage über eine „Ausländerfeindliche Töne“ der AFD. Die AFD ist für mich die einzige Partei die den Problemen ins Gesicht sieht und nicht wie die anderen Parteien, sich die Augen zuhält und denkt die Problem sind weg. Aber es hält schön zu sehen das es immer noch reaktionäre Wesen gibt, die im gestern leben und denken, was früher nicht funktioniert hat (Integration) funktioniert heute auch nicht, aber ich will nix davon wissen. Ich denke auch… Mehr

Gerd Dammhirsch
6 Jahre her

„Und die FDP, die im Endspurt auf eine Selbstverständlichkeit hinwies: dass Menschen, die bei uns zeitweilig Schutz suchen und ihn auch bekommen sollen, dann wieder in ihre Heimat müssen, wenn dort zum Beispiel kein Krieg mehr herrscht.“ Naja, man könnte auch sagen: … die FDP, die zum Schluss noch Trittbrettfahrerei versucht hat. Hie U-Ausschuss gegen Merkel, da unbeschränkter Familiennachzug (TE sei Dank für die Berichterstattung), das ist kognitiv irgendwie dissonant. __________________ „Selbst die Verschwörungstheoretiker und Aluhut-Träger vom rechten Rand müssen freilich einräumen: Unser demokratisches System funktioniert. Wenn Menschen das Gefühl haben, die bisherigen Parteien greifen wichtige Anliegen nicht auf, können… Mehr

Harald Kampffmeyer
6 Jahre her
Antworten an  Gerd Dammhirsch

Das ist diskriminierend, Aluhut-Träger! Was ist mit den anderen, die ersatzweise Magnesium-, Kupfer-, Zink- und Eisenhüte tragen?

Ivan De Grisogono
6 Jahre her

Korrekt, Migrantenkrise wird mit Recht mit Regierung Merkel in Verbindung gebracht. Hoffentlich mit juristischen Folgen nach einem Untersuchungsazsschuß!

Es ist Wahlkampfthema Nr. 1 für BTW 2017!
Und trotzdem, versucht ein Agitator wie Augsten heute um 11:20 den Phoenix TV Zuschauern zu erklären dass Migranten für Wähler nicht entscheidend sind!

Rudi
6 Jahre her

Sie haben Recht, Herr Müller-Vogg. Bis zum Erscheinen der (heutigen) AfD hat die Demokratie noch funktioniert und danach erst recht! Man fragt sich nur, wieso es eine AfD gebraucht, wenn diese ach so tolle Demokratie eine solche Opposition benötigt. Und weil man ohnehin keine seriöse Antwort erhällt, habe ich mich gar nicht erst blau geärgert, sondern heute so gewählt. Denn unsere Demokratie soll nun wieder funktionieren. Übrigens benötigt es gar keiner Verschwörung, es reicht schon eine Allianz von Ignoranten Politikern, die alles andere als das Wohl ALLER Bürger auf der Agenda haben.

Dragan Isakovic
6 Jahre her

Hr. Müller-Vogg, das es am rechten Rand Aluhut-Träger und Verschwörungstheoretiker gibt, stört mich nicht. Es gibt in jeder politischen Bewegungen einzelne mit untragbaren Inhalten. Mich stört, das die Bundesregierung zu einem großen Anteil aus Personen mit untragbaren Inhalten besteht welche die Demokratie gefährden. Offenbar ist der angerichtete politische Schaden immer noch nicht groß genug, das sie diese Scharf kritisieren, es immer noch leichter, das Haar in der Suppe einer marginalen Oppsosition zu suchen. Ich kann das verstehen, so ergeht es einem, wenn das gewohnte politische System zerfällt und man geradezu staunend auf die etablierten Parteien blickt und sich fragt, wie… Mehr

Ivan De Grisogono
6 Jahre her

Ja, wir haben es verstanden, laute Ärtzte und Ingenieure!?
AfD hat meine Stimme weil wir eine starke Opposition brauchen, nur man soll die Kirche im Dorf lassen. Es ist nicht alles Gold was glänzt!

Eberhard Schneider
6 Jahre her

„Übrigens,wenn Wahlen was verändern würden,wären sie schon längst verboten“
Oscar Wilde