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Die Fallzahlen im Vergleich

Corona-Update zum 23. April: Spahn fordert Toleranz für Fehler der Politik

Gesundheitsminister Spahn fordert, dass man in der Aufarbeitung der Krise viele Fehleinschätzungen verzeihen muss. Doch er übersieht, dass dem ein Schuldeingeständnis vorangeht. Wie war das noch mit den Schutzmasken?

imago images / Christian Spicker
Die Bundesländer melden mittlerweile 147.508 Corona-Fälle (Stand 22. April, 20:00). Die Johns Hopkins Universität meldet 149.528 Fälle, davon 99.400 Geheilte. Damit gibt es ca. 50.000 aktive Infizierte in Deutschland. Zum Vergleich, am 21. April waren es noch 3.000 Fälle mehr.

Die Bundesländer melden 5.018 mit Corona Verstorbene.

Bundesweit sind nun 178 Fälle pro Hunderttausend Bürger bekannt – doch wie oben beschrieben ist nur ein Bruchteil davon tatsächlich noch infiziert.

In Bayern sind 300 Einwohner/HT als infiziert gemeldet – knapp 70% von ihnen (210/HT) sind wahrscheinlich schon genesen – wahrscheinlich, weil Erkrankte in der Regel nicht noch einmal getestet werden. Es handelt sich also um Schätzungen.

Mit 40,8 Fällen/HT ist Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor das Bundesland mit den wenigsten gemeldeten Infektionsfällen in Relation zur Bevölkerung. 76,7% der in Mecklenburg-Vorpommern als infiziert angegebenen Personen gelten als geheilt, das sind 9,5 aktive Fälle pro hunderttausend Einwohner.

Im bundesweiten Durchschnitt sind 178 Personen/HT als infiziert gemeldet. Mit Ausnahme von Hessen (denn Hessen veröffentlicht keine Schätzungen zu den Genesenen) sind im Durchschnitt 65,38% der gemeldeten Fälle genesen.

Spahn wirbt für Verständnis für Fehler der Politik

Gestern kam es zu einer Regierungsbefragung im Bundestag. Wegen der Hygieneregeln waren nur sehr wenige Abgeordneten auch anwesend.

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Währenddessen betonte Gesundheitsminister Spahn: „Dass wir miteinander wahrscheinlich viel werden verzeihen müssen, in ein paar Monaten, […] weil wir noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik – und vielleicht auch darüber hinaus – in so kurzer Zeit und unter solchen Umständen, mit dem Wissen, das verfügbar ist und mit den Unwägbarkeiten, die da sind, so tiefgreifende Entscheidungen haben getroffen werden müssen.“

Weiter sagte er, dass in einer zukünftigen Nachbetrachtung der Krise Politik, Gesellschaft und auch Wissenschaft wahrscheinlich Fehleinschätzungen zugeben müssten. Das, so Spahn „finde ich normal“.

Da muss man dem Gesundheitsminister recht geben. Er macht sich ehrlich und verzichtet auf Allwissenheitsanspruch. Unter dem Eindruck einer sich entwickelnden Lage, unter dem einer Datenlage, die man selbst wohlwollend nur als spärlich betrachten kann, kann und muss man auch über Fehler hinwegsehen, die auf mangelhafte Kenntnissen beruhen oder von Annahmen ausgehen, die sich nicht bestätigen.

Aber: das ist auch keine Carte Blanche für die Politik.

Die Bundesregierung hat die Situation der Pandemie am Anfang der Krise deutlich unterschätzt. Spahn selbst verglich sie mit einer Grippe. Die Bundesregierung musste wissen, dass in der Krisensituation Schutzausrüstung knapp werden könnte und tat – nichts. Die Bundesregierung wusste, dass viele andere Länder eine Maskenpflicht eingeführt haben. Doch man war entweder arrogant genug zu glauben, dass die Asiaten, die schon vorher leidvolle Erfahrung mit MERS und SARS gesammelt hatten, nicht über die weise Voraussicht eines deutschen Mandatsträgers verfügen – oder aber man informierte die Bevölkerung vorsätzlich falsch, als man behauptete, Masken würden im Kampf gegen Corona gar nichts bewirken oder wären gar kontraproduktiv.

Am 30. Januar verkündet Spahn, das Virus sei nicht über den Atem übertragbar – nein, Aerosole sind wahrscheinlich nicht für einen Großteil der Infektionen verantwortlich. Wohl aber Tröpfchen von Speichel und Auswurf, wie sie auch beim Sprechen verteilt werden.

Am 11. März rudert Spahn ein wenig zurück, um seinen Fehler nicht zugeben zu müssen, sagte, ein Mundschutz schütze nur sehr wenig (also doch mehr als gar nicht), sei aber unnötig, wenn man nicht krank ist.

Am 2. April ändert dann zuallererst das RKI seine Meinung, sagt nun, dass Masken den Träger zwar nicht selbst schützen, aber andere vor Ansteckung durch den Träger.

Ab dem 15. April empfehlen dann die Bundesregierung und die Länder dringend das Tragen von Masken. Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern verkünden Maskenpflicht.

Nach und nach zogen weitere Bundesländer nach und seit dem 22. April hat auch das letzte Bundesland (Bremen) eine Maskenpflicht angekündigt. Der Virologe Kekulé, der schon länger für das Maskentragen eintritt, sagte im ZDF Morgenmagazin: „Atemschutzmasken schützen auf jeden Fall andere Personen und uns selbst zu einem gewissen Grad auch“. Weiter: Mit einer Maskenpflicht hätte man „möglicherweise den Lockdown nicht gebraucht“.

Doch wie die Bewertung von „Masken bringen nichts“, über „Masken bringen ganz wenig, um sich selbst zu schützen“ zu „Masken sind sinnvoll, um andere zu schützen“ ging, bis man schließlich bei „Masken schützen den Träger und Andere“ ankam, ist schon mehr als bemerkenswert. Und das von nur innerhalb drei (!) Monaten!

Ja, auch Regierungen können irren. Auch Regierungen dürfen irren. Aber sie müssen sich auch einsichtig darin zeigen, Fehler zugeben, diese ausbessern und Konsequenzen ziehen. Und im Konsequenzen ziehen ist die CDU sehr weit entfernt von hervorragend.

Ursula von der Leyen schanzte als Verteidigungsministerin Beratern Millionen zu, zerstörte Beweismaterial (indem Daten auf ihrem Diensthandy gelöscht wurden) und wurde trotz allem Präsidentin der Europäischen Kommission. Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer gibt für Berater Millionen aus, verschwendete Steuergelder in astronomischer Höhe für ein fragwürdiges Verkehrsprojekt und zerstörte möglicherweise Beweismaterial (indem Daten von seinem Handy gelöscht wurden). Er ist immer noch nicht zurückgetreten. Dass der Bundesgesundheitsminister Fehler macht, ist menschlich. Dass er während einer Krise nicht zurücktritt, ist richtig. Aber pauschal einzufordern, dass Fehler der Regierung verziehen werden müssen, ohne klar einen Fehler eingestehen zu wollen, das ist schon ein mehr als starkes Stück. Wie steht es eigentlich um sein Handy?


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